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Behandlungsalgorithmus einer infizierten Prothese

<p class="article-intro">Periprothetische Infektionen stellen weiterhin eine wichtige Herausforderung dar, eine Steigerung der Inzidenz ist zu erwarten. Der Mechanismus der Biofilmentstehung muss bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Durch ein interdisziplinäres Management, den Einsatz moderner Diagnostikverfahren und konsequente Einhaltung der Therapierichtlinien können periprothetische Infektionen zu einem hohen Prozentsatz erfolgreich behandelt werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die periprothetische Infektion (PPI) ist eine schwerwiegende Komplikation, die in etwa 1&ndash;2 % nach Prim&auml;reingriffen und 4 % nach Revisionseingriffen auftritt.<sup>1&ndash;4</sup> <br />Die wahre Inzidenz liegt wahrscheinlich aufgrund von nicht erkannten &laquo;Low grade&raquo;-Infektionen deutlich h&ouml;her.<sup>5</sup> Dar&uuml;ber hinaus verbleibt lebenslang das Risiko einer PPI durch eine h&auml;matogene Streuung. Dies wird je nach Studienlagen bei etwa 0,5 % pro Jahr f&uuml;r die ersten 2 Jahre und 0,2 % im weiteren Verlauf gesch&auml;tzt.<sup>1</sup> Mit einer stetig wachsenden Anzahl von Prothesen- Implantationen steigt auch die Zahl der PPI kontinuierlich an. Jedoch wird unabh&auml;ngig von dieser Entwicklung in den letzten Jahren eine &uuml;berproportionale Erh&ouml;hung der Infektionsraten beobachtet.<sup>6</sup> Durch die Entwicklung moderner Nachweisverfahren (Sonikation, &laquo;polymerase chain reaction&raquo; [PCR], &laquo;alpha defensin lateral flow&raquo; [DADLF]) k&ouml;nnen heutzutage chronische Infektionen nachgewiesen werden, die fr&uuml;her undetektiert blieben. <br />Das Ziel der Behandlung einer PPI ist die Eradikation der Infektion bei Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Die Therapieans&auml;tze sollten individualisiert werden und erfordern eine enge Kooperation durch ein interdisziplin&auml;res Team. Die ad&auml;quate chirurgische Therapie sollte nach kritischer Durchsicht der anamnestischen, klinischen und mikrobiologischen Faktoren entschieden werden und wird durch einen Behandlungsalgorithmus erleichtert (Abb. 1 und 2). Diese wird mit einer passenden antimikrobiellen Therapie kombiniert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1903_Weblinks_lo_ortho_1903_s6_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1487" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1903_Weblinks_lo_ortho_1903_s7_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="1221" /></p> <h2>Chirurgische Therapie</h2> <p>Die wesentlichen chirurgischen Ans&auml;tze zur Behandlung von PPI umfassen das chirurgische D&eacute;bridement mit Erhalt des Implantats sowie den ein- oder zweizeitigen Prothesenwechsel. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Infektionen, da bei den akuten PPI mit einem unreifen Biofilm und in der Regel g&uuml;nstigen lokalen Bedingungen (nicht kompromittierte Weichteile/ Knochen) die Prothese erhalten werden kann. Bei akuten, jedoch komplizierten oder chronischen PPI ist ein Prothesenwechsel unausweichlich. Abh&auml;ngig von klinischen sowie mikrobiologischen Kriterien wird ein ein- oder zweizeitiger Wechsel durchgef&uuml;hrt. Aktuelle Daten zeigen eine h&ouml;here Erfolgsquote der chirurgischen Therapie, wenn der Eingriff von einem &laquo;High volume&raquo;-Chirurgen durch gef&uuml;hrt wird, sodass im Bedarfsfall der Transfer eines Patienten mit einer PPI in ein spezialisiertes Zentrum erwogen werden sollte.<sup>7</sup></p> <p><strong>D&eacute;bridement mit Erhalt des Implantates (&laquo;d&eacute;bridement, antibiotics and implant retention&raquo;, [DAIR])<br /></strong>Bei akuten postoperativen PPI &lt; 4 Wochen oder akuten h&auml;matogenen Infektionen mit einer Symptomdauer &lt; 3 Wochen ist das chirurgische D&eacute;bridement mit Erhalt des Implantates gefolgt von einer antibiotischen Therapie die Behandlung der Wahl. Dabei erfolgen ein radikales D&eacute;bridement der infizierten Gewebe, eine Synovektomie, Exzision einer eventuellen vorhandenen Fistel, gr&uuml;ndliche Sp&uuml;lung mit mehreren Litern steriler Kochsalzl&ouml;sung sowie ein Wechsel der mobilen Teile. Fr&uuml;he Studien zu diesem Behandlungskonzept zeigten eine hohe Versagerquote.<sup>8</sup> Dies konnte jedoch durch neuere Studien weitgehend widerlegt werden. Aktuelle Daten zeigen, dass 90 % der akuten PPI mit dem DAIR-Vorgehen erfolgreich behandelt werden k&ouml;nnen, vorausgesetzt die Prothese ist stabil, die Weichteile sind intakt und die nachgewiesenen Erreger sensitiv auf Rifampicin (grampositive Keime) oder Ciprofloxacin (gramnegative Keime).<sup>9</sup> Ein arthroskopisches Vorgehen ist mit einer hohen Versagerquote vergesellschaftet und nicht zu empfehlen.<sup>10, 11</sup> Ebenso geht ein Nicht-Wechsel der mobilen Teile mit schlechteren Ergebnissen einher.<sup>12, 13</sup></p> <p><strong>Einzeitiger Prothesenwechsel<br /></strong>Bei l&auml;ngerer Symptomdauer mit Entwicklung eines reifen Biofilmes ist eine komplette Entfernung der Prothese unausweichlich, sofern eine Infekteradikation angestrebt wird. Jahrzehntelang galt der zweizeitige Wechsel als der Goldstandard. Jedoch zeigen neue Daten bei ausgew&auml;hlten Patienten &auml;hnliche Erfolgsraten bei einem einzeitigen Wechsel, sodass der zweizeitige Wechsel f&uuml;r eine hohe Anzahl an Patienten als &laquo;overtreatment&raquo; angesehen wird und mit einer erh&ouml;hten Morbidit&auml;t, l&auml;ngerer Hospitalisation, schlechterem Outcome und h&ouml;heren Gesundheitskosten einhergeht.<sup>14</sup> Der einzeitige Wechsel ist f&uuml;r Patienten mit intakten oder nur gering kompromittierten Knochen und Weichteilen ohne Fistelbildung die Therapie der Wahl. Zudem sollte eine antibiotische Therapie mit Biofilm-aktiven Antibiotika m&ouml;glich sein. Der Nachweis von &laquo;difficult-to- treat&raquo; Mikroorganismen, welche potenziell resistent auf Biofilm-aktive Antibiotika sind, schliesst einen einzeitigen Wechsel aus. Bei korrekter Indikation besteht die Erfolgsrate des einzeitigen Wechsels 85 % bis 90 %.<sup>14</sup></p> <p><strong>Zweizeitiger Prothesenwechsel<br /></strong>Hierbei wird die Prothese komplett ausgebaut gefolgt anschliessend von einer verz&ouml;gerten Reimplantation. Dabei wird ein kurzes (2 &ndash;4 Wochen) und ein langes Intervall (4 &ndash; 8 Wochen) unterschieden. Auch Patienten mit multiplen Voroperationen, schwer kompromittierten Weichteilen, vorliegender Fistel k&ouml;nnen in der Regel mit einem kurzen Intervall behandelt werden, vorausgesetzt der Keim ist bekannt und gilt als &laquo;easy to treat&raquo;. Bei unbekannten Mikroorganismen oder &laquo;difficult-to- treat&raquo; Keimen wie Enterokokken oder Fungi gilt das lange Intervall als der Goldstandard. Dies erlaubt eine optimierte antimikrobielle Behandlung im Prothesen-freien Intervall. Noch l&auml;ngere Intervalle (&gt; 8 Wochen) sollten vermieden werden, insbesondere wenn Zementspacer eingesetzt wurden, da die Antibiotikakonzentration im Knochenzement allm&auml;hlich abnimmt und nach dieser Zeit die Schwelle der minimalen Hemmkonzentration unterschritten wird und sich so der Spacer infizieren kann.<br />In einigen F&auml;llen, z. B. bei verl&auml;ngerter Sekretion nach dem initialen Ausbau sowie bei persistierenden Infektzeichen trotz ad&auml;quater lokaler und systemischer antimikrobieller Therapie, ist ein mehrstufiges Vorgehen angezeigt. Hierbei kann in einem Zwischenintervall nach 2 &ndash; 4 Wochen der Zementspacer ausgetauscht und ein erneutes D&eacute;bridement durchgef&uuml;hrt werden. Sollte ein prim&auml;rer Wundverschluss nicht m&ouml;glich sein, sollte fr&uuml;hzeitig eine plastische Deckung erfolgen. Von einer Unterdruck- Wundtherapie ist abzuraten, da sich bereits nach einigen Tagen eine Kolonisation des Schwammes mit Mikroorganismen zeigt, insbesondere bei multiresistenten gramnegativen Keimen sowie Candida spp.<sup>15</sup> <br />In seltenen F&auml;llen, wenn eine Infekteradikation nicht m&ouml;glich erscheint, kann eine permanente Entfernung der Prothese mit Langzeit-suppressiver antibiotischer Therapie erwogen werden. Alternativ kann iatrogen eine stabile Fistel angelegt werden, wobei in dem Fall eine antibiotische Therapie nicht n&ouml;tig ist und aufgrund m&ouml;glicher Resistenzbildung auch nicht erfolgen sollte.</p> <h2>Antimikrobielle Therapie</h2> <p>Eine antibiotische Therapie ohne vorherige operative Therapie wird nicht empfohlen und sollte nur in Ausnahmef&auml;llen erfolgen, wenn der Patient eine Operation ablehnt oder inoperabel ist. Nach erfolgtem D&eacute;bridement und Reduktion der Keimlast kann eine empirische Breitspektrum- Antibiose verabreicht werden. Unmittelbar nach Keimnachweis wird auf eine gezielte keimbezogene Therapie gewechselt. Eine Oralisierung sollte fr&uuml;hestens nach 14 Tagen erfolgen, vorausgesetzt es bestehen trockene Wundverh&auml;ltnisse, die Entz&uuml;ndungsmarker sind gesunken und eine &ndash; passend zum Keim &ndash; orale Substanz mit guter Knochendurchg&auml;ngigkeit und hoher Bioverf&uuml;gbarkeit ist verf&uuml;gbar. In Abh&auml;ngigkeit der Keime, z. B. im Falle von Streptokokken, kann potenziell eine l&auml;ngere intraven&ouml;se Therapie erforderlich sein. <br />Pr&auml;operativ sollte wie &uuml;blich eine prophylaktische antibiotische Therapie 30 &ndash; 60 Minuten vor Hautschnitt verabreicht werden, da diese keinen negativen Einfluss auf die Sensitivit&auml;t der intraoperativen Proben hat.<sup>16, 17</sup> <br />Bei einem mehrstufigen Vorgehen ist das Ziel der antibiotischen Therapie im prothesenfreien Intervall die maximale Keimreduktion und diese sollte nahtlos bis zur Reimplantation fortgesetzt werden. Das in fr&uuml;heren Konzepten Antibiotika- freie Fenster mit erneuter Gelenkpunktion bzw. Biopsie vor Reimplantation wird nicht mehr empfohlen, da ein Wiederaufflammen des Infektes riskiert wird ohne jeglichen therapeutischen oder diagnostische Nutzen.<sup>18</sup> Nach der Reimplantation wird die antibiotische Therapie (maximal bakterizid und Biofilm-aktiv) fortgesetzt, um eine Gesamtdauer von 3 Monaten Therapie zu erreichen, auch wenn die intraoperativen Proben negativ sind. Sollte ein Keim bei der Reimplantation nachgewiesen werden, wird die antibiotische Therapie f&uuml;r 12 Wochen fortgesetzt. <br />Die Rolle von Rifampicin als einziges Biofilm-aktives Antibiotikum f&uuml;r die meisten grampositiven Erreger ist &auml;usserst entscheidend in der Behandlung von Protheseninfekten. Diese wertvolle Substanz muss jedoch behutsam eingesetzt werden, um eine Resistenzentwicklung zu vermeiden. Bei gramnegativen Keimen wird, falls m&ouml;glich, Ciprofloxacin eingesetzt. <br />Weitere Optionen zur Behandlung und Prophylaxe von Prothesen-assoziierten Infektionen beinhalten die lokale antibiotische Therapie, die spezielle Beschichtung von Implantaten sowie den Einsatz von Bakteriophagen zur Eradikation bakterieller Biofilme.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <ul> <li>Eine PPI ist eine schwerwiegende Komplikation, die jedoch bei Einhalten der Leitlinien und enger Zusammenarbeit von Chirurgen und Infektiologen hohe Heilungsschancen aufweist.</li> <li>Essenziell ist ein optimales chirurgisches Vorgehen mit Reduktion der Keimlast und anschliessender gezielter antibiotischer Therapie mit Biofilm-aktiven bakteriziden Substanzen.</li> </ul> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Corvec S et al.: Epidemiology and new developments in the diagnosis of prosthetic joint infection. 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Clin Orthop Relat Res 2016; 474: 258&ndash;64 <strong>18</strong> Tan TL et al.: Determining the role and duration of the &laquo;antibiotic holiday&raquo; period in periprosthetic joint infection. J Arthroplasty 2018; 33(9): 2976-80</p> </div> </p>
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