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Besondere Herausforderungen bei der Umsetzung der Leitlinien

<p class="article-intro">Die neuen ÖDG-Leitlinien werden den klinisch Tätigen eine wichtige Hilfestellung sein. Die konsequente Umsetzung der Empfehlungen bringt aber auch besondere Herausforderungen mit sich! Einige subjektiv ausgewählte Themen dazu möchte ich herausarbeiten.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die wirkliche Umsetzung von Lebensstilma&szlig;nahmen bleibt eine der gro&szlig;en (oft ungel&ouml;sten) Herausforderungen.</li> <li>Das &ouml;sterreichische Boxensystem (Regeltexte) schr&auml;nkt eine leitlinienkonforme Therapie manchmal ein, sodass ein individualisierter Therapiezugang mit dem Erstattungssystem kombiniert werden muss.</li> <li>Die Zur&uuml;ckhaltung vor einer Insulintherapie auf Seiten von Patienten und/oder &Auml;rzten f&uuml;hrt manchmal zu unn&ouml;tigen Phasen schlechter metabolischer Kontrolle.</li> </ul> </div> <p>In den Leitlinien von 2019 kommt es zu einem Paradigmenwechsel: Nach Metformin sind nun alle anderen Substanzklassen nicht mehr &bdquo;gleichberechtigt&ldquo;, sondern je nach (kardiovaskul&auml;rem und nephrologischem) Patientenprofil und den vorliegenden Daten gro&szlig;er Studien gibt es eindeutige Empfehlungen mit Bevorzugung mancher Substanzklassen. Dies macht die antidiabetische Therapie auf den ersten Blick einfacher. Doch Herausforderungen bleiben gen&uuml;gend.</p> <h2>Herausforderung: Lebensstilintervention</h2> <p>S&auml;mtliche internationalen und nationalen Leitlinien empfehlen als Basis jeglicher Therapie die Lebensstilintervention, greift sie doch urs&auml;chlich und pathogenetisch in den Krankheitsverlauf ein. Immer wieder zeigt die pers&ouml;nliche Erfahrung vieler &Auml;rzte jedoch, dass durch die empfohlenen Ma&szlig;nahmen nur kurzfristig eine Gewichtsreduktion und eine Verbesserung des HbA<sub>1c</sub> zu erreichen sind, bevor wieder &bdquo;alles beim Alten&ldquo; ist. Dies f&uuml;hrt dazu, dass die pharmakologische Therapie oft noch vor entsprechenden Lebensstilma&szlig;nahmen eingesetzt wird. Es stellt sich die Frage: sind Lebensstilma&szlig;nahmen nicht ausreichend wirksam?<br /> Eine erst k&uuml;rzlich publizierte Arbeit untersuchte 8970 Frauen und 2557 M&auml;nner im Rahmen der Nurses&rsquo; Health Study und der Health Professionals Follow-Up Study.<sup>1</sup> Sie wiesen bei frisch diagnostiziertem Diabetes mellitus Typ 2 keine kardiovaskul&auml;re Erkrankung beim Einschluss auf. Vier sogenannte &bdquo;Low Risk Lifestyle Factors&ldquo; wurden definiert und alle 2&ndash;4 Jahre erhoben: gesunde Ern&auml;hrung, Nicht-Rauchen, &ge; 150 min Sport pro Woche und geringer Alkoholkonsum. Nach mehr als 13 Jahren Follow-up mit insgesamt 2311 kardiovaskul&auml;ren Ereignissen und 858 kardiovaskul&auml;ren Todesf&auml;llen zeigte sich, dass jeder einzelne der 4 definierten Lebensstilfaktoren mit einem niedrigeren kardiovaskul&auml;ren Risiko assoziiert war. Patienten mit mehreren &bdquo;Faktoren&ldquo; profitierten besonders: So war bei 3 oder mehr positiven Faktoren das Gesamtrisiko um 52 % vermindert, die neu aufgetretene koronare Herzkrankheit um 47 %, Schlaganfall um 67 %, und die kardiovaskul&auml;re Mortalit&auml;t um 68 % (Abb. 1)! Besonders eindrucksvoll war wieder einmal, dass insbesondere der Zigarettenkonsum auch bei nur geringen t&auml;glichen Mengen die kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen verdoppelt, eine Tatsache, die auch angesichts der aktuellen politischen Debatten in &Ouml;sterreich endlich zu einem kompletten Rauchverbot in der Gastronomie f&uuml;hren sollte. Interessant ist, dass in der Studie prospektiv die &Auml;nderung der Anzahl der pers&ouml;nlichen Lifestylefaktoren erhoben wurde. So f&uuml;hrte eine zahlenm&auml;&szlig;ige Zunahme der definierten Faktoren nach Diabetesdiagnose zu einer Verringerung des kardiovaskul&auml;ren Risikos um ca. 20 % , umgekehrt bewirkte eine Reduktion der positiven Lebensstilfaktoren ein gesteigertes Risiko. Es ist also auch die &Auml;nderung des Lebensstiles, die wirkt.<br /> Gro&szlig;e Diskussionen l&ouml;ste vor einigen Jahren die &bdquo;Look-Ahead-Studie&ldquo; aus, in der die Lebensstilma&szlig;nahmen bei Diabetikern nach initialen Erfolgen auf Gewicht und HbA<sub>1c</sub> schlussendlich nach 10 Jahren keine Reduktion kardiovaskul&auml;rer Ereignisse bewirkten.<sup>2</sup> Im Detail sieht man aber etwa am Beispiel der Fittness, dass die Patienten bereits nach 3 Jahren deutlich weniger trainierten, was sich in den Misserfolgen von Gewicht und HbA<sub>1c</sub> widerspiegelte und deutlich macht, dass eine Therapie nur wirken kann, wenn sie auch wirklich durchgef&uuml;hrt wird. Im realen Leben bleibt es wohl eine Herausforderung, unsere Patienten langfristig zu einer Lebensstil&auml;nderung zu bewegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1903_Weblinks_jatros_dia_1903_s27_abb1.jpg" alt="" width="500" height="191" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1903_Weblinks_jatros_dia_1903_s27_abb2.jpg" alt="" width="250" height="215" /></p> <h2>Herausforderung: Medikamente nach Metformin</h2> <p>Bei einem Patienten mit erh&ouml;htem HbA<sub>1c</sub> und kardiovaskul&auml;rer Anamnese schlagen die Leitlinien den Einsatz eines GLP-1-Analogons oder eines SGLT2-Hemmers vor, jeweils mit nachgewiesenem kardiovaskul&auml;rem Benefit. Welches der beiden soll nun in der Praxis angewendet werden?<br /> In der &ouml;sterreichischen Realit&auml;t unterliegen Patienten und &Auml;rzte dem Boxensystem, das die Refundierung regelt. SGLT2-Hemmer werden in der &bdquo;hellgelben&ldquo; Box gelistet, und k&ouml;nnen regelkonform bei einem HbA<sub>1c</sub> &gt; 7 %, secondline nach Metformin bei einer GFR ab 60 ml/min verschrieben werden, ohne dass diese Grenzen wissenschaftlich etabliert oder sinnvoll w&auml;ren. GLP-1-Agonisten, Pr&auml;parate der &bdquo;dunkelgelben&ldquo; Box, zu verschreiben ist deutlich schwieriger: Ein HbA<sub>1c</sub> &gt; 8 %, Drittlinientherapie, BMI ab 30 kg/m<sup>2</sup>, Erstverordnung durch &bdquo;Spezialisten&ldquo; und einige andere restriktive Regeln mehr f&uuml;hren rasch zur Frustration der Verschreiber. Laut Regeltext ist die &bdquo;Wahl&ldquo; beim oben genannten Patienten daher keine &bdquo;Wahl&ldquo;: Laut Boxensystem muss er einen SGLT2-Hemmer bekommen, obwohl ein GLP-1-Agonist auch leitliniengerecht w&auml;re.<br /> Noch herausfordernder wird die Entscheidung f&uuml;r eine Substanzklasse, wenn unser Patient (noch) frei von kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen ist. Hier stehen laut Leitlinien die blutzuckersenkende Therapie und die Minimierung des Hypoglyk&auml;mie- Risikos im Vordergrund. Zur Auswahl stehen SGLT2-Hemmer, GLP-1-Analogon, DPP-4-Hemmer und Pioglitazon &ndash; also vier komplett unterschiedliche Substanzklassen. Es ist unsere Aufgabe, unseren Patienten individuell das Beste zu verschreiben. Eine Hilfestellung ist die Tabelle der neuen Leitlinien mit Vor- und Nachteilen.<br /> Bei SGLT2-Hemmern sind Wirkung und kardiovaskul&auml;rer Schutz (der aber nur f&uuml;r bereits erkrankte Patienten in Studien bewiesen ist) &uuml;berzeugend, stehen aber potenziellen Nebenwirkungen wie urogenitalen Infektionen gegen&uuml;ber.<br /> DPP-4-Hemmer sind die nebenwirkungs&auml;rmste Substanzklasse, was zu ihrer raschen Verbreitung gef&uuml;hrt hat. Die HbA<sub>1c</sub>-Senkung ist jedoch limitiert. In keiner Studie konnte ein kardiovaskul&auml;rer Vorteil gezeigt werden. Insbesondere bei geriatrischen Patienten werden DPP-4-Hemmer von uns aufgrund der guten Vertr&auml;glichkeit gerne eingesetzt.<br /> Pioglitazon ist als einzige dieser vier Substanzklassen in der gr&uuml;nen Box verschreibbar, hervorragend wirksam und kardiovaskul&auml;r positiv bewertet, wird allerdings wegen der Nebenwirkungen (&Ouml;deme, Herzinsuffizienz, m&ouml;gliche Osteoporose) nicht mehr so breit eingesetzt.<br /> F&uuml;r die GLP-1-Agonisten sprechen in dieser Auswahl (neben positiven kardiovaskul&auml;ren Daten) die st&auml;rkste HbA<sub>1c</sub>- und Gewichtsreduktion. Es ist jedoch wieder das Boxensystem (s. o.), das die M&ouml;glichkeit der Verschreibung massiv einschr&auml;nkt.<br /> Die Auswahl bleibt somit eine individuelle und sollte auf die besondere Situation des Patienten eingehen.</p> <h2>Herausforderung: 3-fach-Therapie</h2> <p>Hat ein (kardiovaskul&auml;r vorerkrankter) Patient bereits eine Therapie mit Metformin und einem SGLT2-Hemmer und liegt das HbA<sub>1c</sub> &uuml;ber dem Ziel, sollte die Therapie erweitert werden. In der ersten Zeile der m&ouml;glichen Erweiterungen steht die andere Substanzgruppe mit kardiovaskul&auml;rem Benefit, die GLP-1-Agonisten. Aber auch die anderen Substanzklassen finden hier in weiterer Folge ihre Erw&auml;hnung.<br /> Sowohl nach der vorliegenden &bdquo;Evidence&ldquo; als auch nach klinischer Erfahrung ist die Kombination aus Metformin, SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonist hervorragend wirksam, leitliniengerecht und w&uuml;nschenswert. Das aktuelle Consensus-Statement der amerikanischen und der europ&auml;ischen Diabetesgesellschaft<sup>3</sup> empfiehlt explizit diese Kombination bei kardiovaskul&auml;r vorerkrankten Patienten. In &Ouml;sterreich erschwert das &bdquo;Boxensystem&ldquo;, diese Therapiekombination. Insbesondere die Restriktion, GLP-1-Agonisten nicht in Kombination mit SGLT2-Hemmern einsetzen zu d&uuml;rfen, ist unverst&auml;ndlich und hat keine wissenschaftliche Grundlage. Die HbA<sub>1c</sub>-Grenze (8 %) erschwert die leitliniengerechte Therapie. Engagement zahlt sich jedoch aus, da Einzelfallbewilligungen durchaus Chancen haben k&ouml;nnen.</p> <h2>Herausforderung: Insulin-Beginn</h2> <p>In der Praxis gibt es immer wieder Patienten, die unter einer 4-fach-Therapie (z. B. Metformin, SGLT2-Hemmer, DPP-4- Hemmer und Sulfonylharnstoff) den Zielwert nicht erreichen. Angst auf Seiten von &Auml;rzten oder Patienten verz&ouml;gert aber oft den Beginn einer Insulintherapie. Dabei ist Diabetes mellitus Typ 2 im nat&uuml;rlichen Verlauf (auch) irgendwann eine Insulinmangelerkrankung, bei der eine entsprechende Therapie unumg&auml;nglich ist. Oft wird &uuml;bersehen, dass eine Insulintherapie auch nur vor&uuml;bergehend notwendig ist, z. B. bei einer schweren Erkrankung oder Operation. Es ist eine Herausforderung, diese &Auml;ngste abzubauen und die Leitlinien konsequent zu befolgen. &Uuml;blicherweise wird mit Basalinsulin (8 &ndash;10 IE) am Abend begonnen und schrittweise titriert. Leider gestattet es uns das Boxensystem nicht, lang wirksame Insulinanaloga von Beginn an zu verwenden, obwohl sie bei weniger Hypoglyk&auml;mien und l&auml;ngerer Wirkdauer auch zum Abbau der oben beschriebenen &Auml;ngste beitragen k&ouml;nnen und unsere Patienten bei der Zielwerterreichung unterst&uuml;tzen.</p> <p>Die neuen Leitlinien geben uns eine hervorragende Unterst&uuml;tzung in der Therapie von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Eine leitliniengerechte, individuell optimierte und gleichzeitig nach dem Boxensystem refundierbare Therapie zu finden, ist immer wieder eine Herausforderung.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Liu G et al.: J Am Coll Cardiol 2018; 71: 2867-76 <strong>2</strong> Look AHEAD Research Group: N Engl J Med 2013; 369(24): 2358-9 <strong>3</strong> Davies M et al.: Diabetologia 2018; 61: 2461-98</p> </div> </p>
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