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Neues zu Diagnostik und Therapie

Neue Leitlinien zur primären Immunthrombozytopenie

<p class="article-intro">Die primäre Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die bei Erwachsenen in 60 % der Fälle chronisch verläuft. 2018 sind neue Leitlinien der deutschen, österreichischen und schweizerischen hämatologischen Gesellschaften erschienen, die im Detail die aktuell empfohlene Diagnostik und Therapie beschreiben.<sup>1</sup> Details zu diesen Leitlinien sind Inhalt dieses Artikels. Die Publikation aktualisierter Leitlinien der amerikanischen hämatologischen Gesellschaft (American Society of Hematology, ASH) wird noch dieses Jahr erwartet.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der prim&auml;ren ITP liegen pathophysiologisch ein gesteigerter Thrombozytenabbau sowie eine verminderte Thrombozytenproduktion zugrunde.</li> <li>Die Behandlung der prim&auml;ren ITP des Erwachsenen ist individualisiert zu gestalten.</li> <li>Der Therapiealgorithmus umfasst Kortikosteroide in der Erstlinie, Thrombopoietin- Rezeptor-Agonisten in der Zweitlinie und Rituximab in der Drittlinie. Eine Splenektomie sollte nur bei einer deutlichen Blutungsneigung und einem chronischen Krankheitsverlauf evaluiert werden.</li> </ul> </div> <h2>Pathophysiologie</h2> <p>Bei der prim&auml;ren ITP kommt es durch verschiedene autoimmunologische Prozesse zu einem vermehrten Thrombozytenabbau und einer verminderten Thrombozytenproduktion, wodurch es zu der f&uuml;r die ITP diagnostisch essenzielle Verminderung der Thrombozytenzahl auf &lt; 100 G/l kommt.<sup>2, 3</sup> Die wichtigsten pathophysiologischen Prozesse der ITP umfassen den Autoantik&ouml;rper-mediierten, vermehrten Abbau der Thrombozyten in Zellen des retikuloendothelialen Systems, die direkte Sch&auml;digung der Thrombozyten durch zytotoxische T-Zellen, eine gest&ouml;rte Megakaryozytenproduktion und -reifung sowie einen relativen Thrombopoietinmangel. Ein neuer pathophysiologischer Weg des vermehrten Thrombozytenabbaus durch Thrombozytendesialierung, vor allem durch Anti-GPIb&alpha;-Antik&ouml;rper und Abbau &uuml;ber Ashwell-Morell-Rezeptoren in der Leber, wurde rezent beschrieben.<sup>4</sup> Das bessere Verstehen der vermutlich individuell unterschiedlichen zugrunde liegenden pathophysiologischen Prozesse k&ouml;nnte zuk&uuml;nftig gezieltere Therapiestrategien erm&ouml;glichen.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Bez&uuml;glich der Diagnostik der ITP gibt es nur wenige Neuerungen. Erstmalig wird in den Empfehlungen die Diagnose durch einen in der Abkl&auml;rung von Thrombozytopenien erfahrenen Arzt explizit empfohlen. Die empfohlene Basisdiagnostik (Tab. 1) sowie die erweiterte Diagnostik umfassen vor allem Schritte zum Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen. Sehr detailliert gehen die aktuellen Leitlinien auf die Indikation der Beckenkammpunktion ein, welche bei allen Patienten mit Verdacht auf eine der ITP zugrunde liegende h&auml;matologische Systemerkrankung, Patienten &ge;60 Jahre und vor Splenektomie empfohlen ist. Dennoch sollte die rein altersabh&auml;ngige Beckenkammbiopsie vermutlich vor allem Patienten mit nicht typischen Verl&auml;ufen der ITP vorbehalten sein. Auch die Analyse der gegen die thrombozyt&auml;ren Oberfl&auml;chenglykoproteine gerichteten Antik&ouml;rper wird in den Leitlinien genau behandelt. Diese sollten den Empfehlungen nach persistierenden bzw. chronischen oder atypischen Verl&auml;ufen zur Best&auml;tigung der Diagnose vorbehalten sein.<br /> Eine Testung auf Helicobacter pylori (HP) und Eradikation bei Nachweis sind bei allen Erwachsenen ITP-Patienten empfohlen. Obwohl die Remissionsraten durch HP-Eradikation im Gegensatz zu asiatischen L&auml;ndern in Europa nicht gestiegen sind, wird diese Ma&szlig;nahme vor allem zur Vermeidung von Komplikationen wie Blutungen bei gastralen Ulzera, besonders unter begleitender Therapie mit Kortikosteroiden, empfohlen.<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s21_tab1.jpg" alt="" width="550" height="501" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Therapiesequenz der ITP hat sich vor allem durch die Einf&uuml;hrung der Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten ab der Zweitlinientherapie in den letzten Jahren deutlich ver&auml;ndert.<br /> In den aktuellen Leitlinien wird bez&uuml;glich der Therapieindikation keine Thrombozytenzahl mehr festgelegt, sondern eine individualisierte Therapie, die sich neben der Thrombozytenzahl und der individuellen Blutungsneigung vor allem am Krankheitsstadium und individuellen (Lebensstil-) Faktoren orientieren sollte, empfohlen. Zu ber&uuml;cksichtigende Faktoren umfassen, neben der Thrombozytenzahl, der Blutungsneigung und dem Krankheitsstadium, auch m&ouml;gliche Therapienebenwirkungen, Konsequenzen f&uuml;r das berufliche Leben, Alter, Begleiterkrankungen und erforderliche Begleittherapien (vor allem Antikoagulanzien), den Zugang zu ambulanter Behandlung durch Spezialisten, patientenbezogene Faktoren wie pers&ouml;nliche Pr&auml;ferenzen und die psychosoziale Situation des Patienten sowie die Freizeitgestaltung und den Aktivit&auml;tsgrad.<br /> Als Richtwerte f&uuml;r die Einleitung einer Therapie bei der neu diagnostizierten ITP geben die Leitlinien Thrombozytenzahlen unter 20&ndash;30 x 10<sup>9</sup>/l an, auch wenn der Patient keine oder nur eine geringe Blutungsneigung hat. Bei Werten &uuml;ber 30 x 10<sup>9</sup>/l ohne oder nur mit geringgradiger Blutungsneigung kann eine &bdquo;Watch &amp; wait&ldquo;- Strategie empfohlen werden, die Einleitung einer Therapie richtet sich allerdings auch nach dem Patientenwunsch.<br /> Die empfohlene Therapiesequenz ist in Abbildung 1 enthalten. In der Erstlinientherapie sind nach wie vor Kortikosteroide die Therapie der Wahl, wobei keine Pr&auml;ferenz einer Dexamethason-Hochdosistherapie oder Aprednisolon besteht. Neuerungen gibt es in der Akutbehandlung von Blutungen, wo erstmalig neben intraven&ouml;sem Immunglobulin und Thrombozytenkonzentraten bei lebensbedrohlichen Blutungen auch Rituximab und die Thrombopoietin- Rezeptor-Agonisten (TPO-RAs) als m&ouml;gliche Therapieoptionen genannt werden.<br /> Als Zweitlinientherapie werden nun &ndash; im Gegensatz zu vorangegangenen Leitlinien &ndash; nur die TPO-RAs empfohlen, w&auml;hrend Rituximab in die dritte Therapielinie gerutscht ist. Allerdings wird auch in der zweiten Therapielinie die M&ouml;glichkeit einer &bdquo;Watch and wait&ldquo;-Strategie bei geringer Blutungsneigung betont. Entsprechend dem Zulassungstext sind die zwei erh&auml;ltlichen TPO-RAs erst bei Patienten mit chronischer ITP, einer Krankheitsdauer von &ge;12 Monaten, zugelassen. Da sich die Nomenklatur der ITP in den letzten Jahren nach Zulassung der TPO-RAs ge&auml;ndert hat, wurden in den gro&szlig;en Zulassungsstudien auch Patienten mit weit k&uuml;rzerer Krankheitsdauer eingeschlossen und mit TPO-RAs behandelt. Daher sehen die Leitlinien keinen Grund, Patienten, die nicht auf die Erstlinientherapie ansprechen und therapiebed&uuml;rftig sind, nicht mit TPO-RAs zu behandeln, und empfehlen diese Therapie auch schon bei Patienten mit einem noch nicht chronischen Verlauf als Zweitlinientherapie. Bez&uuml;glich der Wahl des TPO-RA gibt es keine Pr&auml;ferenz. Diese richtet sich vorwiegend nach der Patientenpr&auml;ferenz und individuellen Faktoren.</p> <p>Trotz der M&ouml;glichkeit einer dauerhaften Remission der ITP in ca. 60 % der F&auml;lle nehmen Splenektomieraten besonders europaweit ab.<sup>6, 7</sup> Auch die neuen Leitlinien empfehlen eine strenge Indikationsstellung der Splenektomie bei ITP, die vor allem in der chronischen Phase der ITP therapierefrakt&auml;rer Patienten mit einer deutlichen Blutungsneigung vorbehalten sein sollte. Bei therapierefrakt&auml;ren Patienten ohne deutliche Blutungsneigung oder Patienten mit einer Krankheitsdauer von &lt;12 Monaten ist die Splenektomie entsprechend den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen. Au&szlig;erdem wird explizit betont, dass ein Patient nicht aus &ouml;konomischen &Uuml;berlegungen zu einer Splenektomie gedr&auml;ngt werden sollte.</p> <p>Drittlinientherapien umfassen neben dem Anti-CD20-Antik&ouml;rper Rituximab vor allem Immunsuppressiva, die allerdings erst nach Nichtansprechen auf Kortikosteroide, TPO-RAs und Rituximab gegeben werden sollten. Nach Behandlung mit Rituximab kommt es zu Ansprechraten von an die 60 %, langfristiges Ansprechen ist allerdings selten mit Raten zwischen 10 und 40 %.<br /> Die &uuml;brigen Drittlinientherapeutika fallen in die Kategorie der historischen Therapien, da ihre Zulassungen vorwiegend aus den 1970er- und 1980er-Jahren stammen und die Zulassungsverfahren heutigen Standards vermutlich nicht mehr entsprechen. Diese Therapeutika umfassen Azathioprin, Cyclosporin, Cyclophosphamid, Danazol, Dapson, MMF, Vinca-Alkaloide und das Hydroxychloroquin, das aber vor allem der ITP im Rahmen rheumatologischer Erkrankungen vorbehalten ist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s21_abb1.jpg" alt="" width="550" height="433" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Leitlinien der deutschen, &ouml;sterreichischen und schweizerischen h&auml;matologischen Gesellschaften geben einen klaren &Uuml;berblick &uuml;ber die aktuelle Datenlage und Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der prim&auml;ren ITP des Erwachsenen. Auch auf besondere Patientengruppen wie &auml;ltere Patienten mit ITP oder die Schwangerschafts- assoziierte ITP und ihre Besonderheiten wird in den aktuellen Leitlinien eingegangen. Mit Spannung wird die Ver&ouml;ffentlichung der aktualisierten Leitlinien der amerikanischen Gesellschaft noch in diesem Jahr erwartet.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Matzdorff A et al.: Immunthrombozytopenie &ndash; aktuelle Diagnostik und Therapie: Empfehlungen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der DGHO, OGHO, SGH, GPOH und DGTI. Oncology research and treatment. 2018; 41(Suppl 2): 5-36 <strong>2</strong> Cines DB et al.: The ITP syndrome: pathogenic and clinical diversity. Blood 2009; 113(26): 6511-21 <strong>3</strong> Cines DB, McMillan R: Pathogenesis of chronic immune thrombocytopenic purpura. Curr Opin Hematol 2007; 14(5): 511-4 <strong>4</strong> Li J et al.: Desialylation is a mechanism of Fc-independent platelet clearance and a therapeutic target in immune thrombocytopenia. Nat Commun 2015; 6: 7737 <strong>5</strong> Vanegas YAM, Vishnu P: Management of Helicobacter pylori in patients with immune thrombocytopenia. Hamostaseologie 2019; doi: 10.1055/s-0039-1683974 [Epub ahead of print] <strong>6</strong> Palandri F et al.: Have splenectomy rate and main outcomes of ITP changed after the introduction of new treatments? A monocentric study in the outpatient setting during 35 years. Am J Hematol 2016; 91(4): E267-72 <strong>7</strong> Michel M et al.: Management of immune thrombocytopenia in adults: a population-based analysis of the French hospital discharge database from 2009 to 2012. Brit J Haematol 2015; 170(2): 218-22</p> </div> </p>
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