© DavidBGray iStockphoto

1 International Lung Cancer Summit

Pro und kontra prophylaktische Ganzhirnbestrahlung beim kleinzelligen Lungenkarzinom

<p class="article-intro">Das Programm des ersten Lung Cancer Summit beinhaltete unter anderem eine Pro-und- kontra-Debatte zur prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit einem fortgeschrittenen kleinzelligen Lungenkarzinom. Als Redner standen sich dabei Dr. med. Francesca Caparrotti, Genf (pro), und Prof. Dr. med. Miklos Pless, Winterthur (kontra), gegenüber.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Radioonkologin Dr. med. Francesca Caparrotti vom Universit&auml;tsspital in Genf er&ouml;ffnete die Debatte. Sie erinnerte die Zuh&ouml;renden zu Beginn ihrer Pr&auml;sentation daran, dass die Kontroverse rund um die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (&laquo;prophylactic cranial irradiation&raquo;, PCI) bei Patienten mit einem fortgeschrittenen kleinzelligen Lungenkarzinom (ED-SCLC) kein Ph&auml;nomen der neueren Zeit ist. So sagte sie: &laquo;1970 wurde die PCI erstmals vorgeschlagen und seither wird sie kontrovers diskutiert.&raquo;</p> <h2>Weniger Hirnmetastasen bei PCI</h2> <p>Knapp drei Jahrzehnte sp&auml;ter, 1999, wurden von Aup&eacute;rin et al. die Resultate einer Metaanalyse zum Einsatz einer PCI bei 987 Patienten mit einem limitierten (&laquo;limited disease&raquo;, LD) SCLC in kompletter Remission (CR) publiziert.<sup>1</sup> Diese ergab, dass Patienten mit PCI ein signifikant l&auml;ngeres Gesamt&uuml;berleben (OS) und krankheitsfreies &Uuml;berleben aufwiesen als Patienten ohne Bestrahlung. &laquo;Diese Resultate haben die Diskussionen f&uuml;r eine Weile etwas ruhiger werden lassen&raquo;, so Dr. Caparrotti. Allerdings seien bereits zu diesem Zeitpunkt Bedenken bez&uuml;glich der Toxizit&auml;t einer PCI ge&auml;ussert worden. &laquo;Damals haben jedoch nur gerade zwei Studien den Einfluss einer PCI auf die Kognition untersucht. Sie haben keine negativen Auswirkungen festgestellt&raquo;, erl&auml;uterte sie.<br /> Bis zur n&auml;chsten relevanten Publikation vergingen weitere 8 Jahre. Slotman et al. publizierten 2007 die Resultate ihrer EORTC-Studie.<sup>2</sup> Darin zeigten sie, dass bei Patienten mit ED-SCLC, die auf eine Erstlinienchemotherapie angesprochen hatten, eine PCI das Risiko f&uuml;r das Auftreten symptomatischer Hirnmetastasen innerhalb eines Jahres von 40,4 % auf 14,6 % reduzierte. Die 1-Jahres-OS-Rate lag in der Gruppe mit PCI bei 27,1 % und in der Kontrollgruppe bei 13,3 %. Zu den sekund&auml;ren Endpunkten geh&ouml;rte neben dem OS auch die Lebensqualit&auml;t (QoL), erhoben mittels EORTC-QLQ-C30-Fragebogen. Die Compliance bez&uuml;glich der Erfassung der QoL lag nach 9 Monaten jedoch nur noch bei 46,3 %. Zwischen Ausgangswert und Monat 9 zeigte sich zwischen den Vergleichsgruppen kein statistisch oder klinisch signifikanter Unterschied bez&uuml;glich des globalen Gesundheitszustands, der Rollenfunktion sowie der emotionalen und kognitiven Funktionalit&auml;t. Spezifische Tests der kognitiven Funktion (z. B. die Mini Mental Status Examination, MMSE) wurden nur in einzelnen Studienzentren durchgef&uuml;hrt und waren daher nicht auswertbar. Daneben wurden Effekte wie Haarausfall und Fatigue in der Gruppe mit PCI signifikant h&auml;ufiger beobachtet als in der Vergleichsgruppe.</p> <h2>Kein &Uuml;berlebensvorteil in japanischer Studie</h2> <p>Weitere 10 Jahre sp&auml;ter ver&ouml;ffentlichten Takahashi et al. die Resultate ihrer in Japan durchgef&uuml;hrten randomisierten Phase- III-Studie.<sup>3</sup> Auch hier wurden Patienten eingeschlossen, die auf eine initiale Chemotherapie angesprochen hatten. Vor Einschluss musste zudem bei allen Patienten obligatorisch eine MRI-Bildgebung durchgef&uuml;hrt werden, um sicherzustellen, dass keine Patienten mit asymptomatischen Hirnmetastasen aufgenommen wurden. Bei allen Patienten wurde zudem w&auml;hrend der ersten 12 Monate nach Einschluss in die Studie viertelj&auml;hrlich ein MRI durchgef&uuml;hrt, ein weiteres nach 18 und 24 Monaten. Im prim&auml;ren Endpunkt, dem OS, ergab sich schliesslich kein signifikanter Unterschied (11,6 Monate in der PCI-Gruppe vs. 13,7 Monate in der Beobachtungsgruppe). &laquo;Der sekund&auml;re Endpunkt dieser Studie, die Inzidenz der Hirnmetastasen, ergab jedoch einen signifikanten Unterschied zugunsten der PCI&raquo;, erg&auml;nzte Dr. Caparrotti. In dieser Studie wurde zudem der Einfluss der Bestrahlung auf die Kognition mithilfe der MMSE ermittelt. Diese ergab nach 12 und 24 Monaten keinen signifikanten Unterschied. &laquo;Allerdings war auch hier die Compliance bei der ersten Nachuntersuchung nach 12 Monaten in der Beobachtungsgruppe bereits auf unter 50 % gesunken und in der Gruppe mit PCI auf unter 40 %&raquo;, schr&auml;nkte die Rednerin ein. &laquo;Die Resultate der Studie liessen die Autoren zum Schluss kommen, dass eine PCI nicht unbedingt notwendig ist, sofern ein regelm&auml;ssiges MRI-Monitoring durchgef&uuml;hrt wird.&raquo; Wie Dr. Caparrotti weiter ausf&uuml;hrte, wurde durch das regelm&auml;ssige MRI-Monitoring die Bestrahlung nicht in jedem Fall verhindert, sondern lediglich hinausgez&ouml;gert. &laquo;Von den Patienten ohne PCI entwickelten in der Studie 70 % Hirnmetastasen, im Vergleich zu 45 % der Patienten mit PCI. Die meisten Patienten der ersten Gruppe erhielten als Therapie eine Ganzhirnbestrahlung.&raquo; Dr. Caparrotti wies schliesslich darauf hin, dass es durchaus auch Methoden gibt, um die Vertr&auml;glichkeit der PCI &ndash; insbesondere bez&uuml;glich ihrer Effekte auf die Kognition &ndash; zu verbessern. Sie erw&auml;hnte die M&ouml;glichkeit der Hippocampus- schonenden Bestrahlung. Abschliessend meinte sie: &laquo;Die Frage der PCI sollte bei Patienten mit einem ausgedehnten kleinzelligen Lungenkarzinom, die auf die Erstlinientherapie ansprechen, offen diskutiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann nicht sicher best&auml;tigt werden, dass eine PCI weggelassen werden kann.&raquo;</p> <h2>Effekt auf Hirnmetastasen hat seinen Preis</h2> <p>Prof. Dr. med. Miklos Pless vertrat in der Debatte den Kontra-Standpunkt. Als Erstes griff er dazu ebenfalls die Metaanalyse von Aup&eacute;rin et al. auf. Er wies darauf hin, dass der gr&ouml;sste Anteil der eingeschlossenen Patienten nicht unter einem ausgedehnten, sondern unter einem limitierten SCLC gelitten hatte. &laquo;Schaut man sich im Weiteren die Inzidenz der Hirnmetastasen an, so erkennt man, dass trotz Bestrahlung 40 % der Patienten solche entwickelten.&raquo; Zudem gehe der Nutzen der Bestrahlung auch mit einem Preis, im Sinne einer Neurotoxizit&auml;t, einher. In einer Untersuchung bei Patienten mit limitierten SCLC wurde der Effekt der Bestrahlung auf neurokognitive Funktionen und Lebensqualit&auml;t &uuml;ber 3 Jahre erfasst.<sup>4</sup> &laquo;Es zeigte sich, dass &uuml;ber die Zeit der Anteil an Patienten mit einem intellektuellen Defizit zunahm, ebenso der Anteil an Patienten mit Ged&auml;chtnisproblemen&raquo;, beschrieb Prof. Pless. F&uuml;r Patienten mit einem limitierten SCLC k&ouml;nne daher geschlossen werden, dass die PCI das &Uuml;berleben verl&auml;ngert und die Rate an Hirnmetastasen reduziert, dies jedoch auf Kosten einer Neurotoxizit&auml;t.<br /> &laquo;Es ist richtig, dass die EORTC-Studie f&uuml;r Patienten mit ED-SCLC ein verl&auml;ngertes &Uuml;berleben zeigte, wenn eine PCI eingesetzt wurde. Unabh&auml;ngig vom Zeitpunkt &uuml;berlebten mindestens 10 % mehr Patienten mit PCI im Vergleich zur Kontrollgruppe&raquo;, so Prof. Pless. Hinsichtlich der Neurotoxizit&auml;t m&uuml;sse man sich bei diesen Patienten keine Sorgen machen, da die &Uuml;berlebenszeit in der Regel nicht so lange ist, dass diese Effekte zum Tragen kommen. &laquo;Allerdings sind die Raten akuter Toxizit&auml;ten wie Fatigue, Appetitverlust, &Uuml;belkeit und Erbrechen nach 3 Monaten in der PCI-Gruppe sehr viel h&ouml;her als in der Kontrollgruppe. Und dies betrifft Patienten, die insgesamt noch etwa 9 Monate zu leben haben&raquo;, gab er zu bedenken. Slotman et al. publizierten 2009 Resultate dazu, welche l&auml;ngerfristigen Auswirkungen (36 Monate) eine PCI auf die gesundheitsbezogene Lebensqualit&auml;t und verschiedene Symptome hat.<sup>5</sup> Viele dieser Parameter waren in der Gruppe mit PCI in den ersten Monaten schlechter als in der Kontrollgruppe. Etwa ab einem Jahr glichen sich die Kurven an. &laquo;Sollten die Patienten also lange genug leben, dann gleichen sich die Effekte einander an&raquo;, erkl&auml;rte Prof. Pless. Allerdings seien auch diese Resultate mit Vorsicht zu geniessen, da die Compliance mit dem Assessment ebenfalls rasch deutlich geringer wurde. &laquo;Schaut man die Gruppe mit einer hochgradigen Verschlechterung bestimmter Parameter innerhalb von 3 Monaten an, so liegt der Anteil solcher Patienten in der Gruppe mit PCI meist mindestens doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe.&raquo; Die PCI sei also wirklich toxisch, was noch akzeptabel w&auml;re, wenn das &Uuml;berleben auch tats&auml;chlich signifikant verl&auml;ngert w&uuml;rde. Dies konnte jedoch durch die Studie von Takahashi nicht best&auml;tigt werden.<sup>3</sup> &laquo;Wo stehen wir also im Moment?&raquo;, fragte Prof. Pless zum Schluss seines Referats und meinte: &laquo;Wir sollten weiter versuchen, das Gesamt&uuml;berleben unserer ED-SCLC Patienten zu verl&auml;ngern. Die PCI scheint das nicht zu schaffen, eine Radiotherapie manifester Hirnmetastasen aber schon. Zudem verschlechtert die PCI die Lebensqualit&auml;t der Patienten. &raquo; Er sei nicht daf&uuml;r, dass jeder Patient mit ED-SCLC eine PCI bekommt, es sei dann aber ein viertelj&auml;hrliches MRI-Monitoring n&ouml;tig.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 1<sup>st</sup> International Lung Cancer Summit, 3. Mai 2019, Genf </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Aup&eacute;rin A et al.: Prophylactic cranial irradiation for patients with small-cell lung cancer in complete remission. Prophylactic Cranial Irradiation Overview Collaborative Group. N Engl J Med 1999; 341: 476-84 <strong>2</strong> Slotman B et al.: Prophylactic cranial irradiation in extensive small-cell lung cancer. New Engl J Med 2007; 357: 664-72 <strong>3</strong> Takahashi T et al.: Prophylactic cranial irradiation versus observation in patients with extensive-disease small-cell lung cancer: a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2017; 18: 663-71 <strong>4</strong> Le P&eacute;choux C et al.: Clinical neurological outcome and quality of life among patients with limited small-cell cancer treated with two different doses of prophylactic cranial irradiation in the intergroup phase III trial (PCI99-01, EORTC 22003-08004, RTOG 0212 and IFCT 99-01). Ann Oncol 2011; 22: 1154-63 <strong>5</strong> Slotman BJ et al.: Prophylactic cranial irradiation in extensive disease small-cell lung cancer: short-term health-related quality of life and patient reported symptoms: results of an international Phase III randomized controlled trial by the EORTC Radiation Oncology and Lung Cancer Groups. J Clin Oncol 2009; 27: 78-84</p> </div> </p>
Back to top