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22. ÖGABS-Substitutionsforum

Ist es Schmerz oder Sucht?

<p class="article-intro">Die Behandlung von Schmerz und die von Sucht sind eng miteinander verschränkt. Experten diskutierten daher beim Substitutionsforum in Mondsee Gemeinsamkeiten und Gegensätze von Schmerz- und Suchtpatienten sowie Voraussetzungen, um opioidabhängigen Schmerzpatienten eine adäquate Behandlung zukommen lassen zu können.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Schmerz- oder Suchtpatient?</h2> <p>Kann man differenzieren zwischen Schmerz- und Suchtpatienten? Ist es &uuml;berhaupt notwendig? Gleich an dieser ersten Frage schieden sich die Geister. Nach Ansicht von Dr. Stephan Walcher, Facharzt f&uuml;r An&auml;sthesie, Intensivmedizin und Allgemeinmedizin, Leiter der Substitutionspraxis Concept und Vorstand der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Suchtmedizin in M&uuml;nchen, ist dies nicht m&ouml;glich: &bdquo;Es ist sicher ein interessantes Unterfangen, aber selten von eindeutigen Ergebnissen gekr&ouml;nt. Es ist schon wichtig, zu schauen, durch welche T&uuml;r der Patient hereingekommen ist, denn das kann einen wichtigen Hinweis darauf geben, wie sich die Erkrankung entwickelt und was sie ausgel&ouml;st hat. Letztendlich ist diese Information bei der Therapie des chronischen Schmerzes nicht besonders sachdienlich.&ldquo;<br /> &bdquo;Ich glaube sehr wohl, dass man zwischen Schmerzpatienten und substituierten Patienten unterscheiden kann und soll&ldquo;, war Prim. Univ.-Prof. Dr. Burkhard Gustorff, Vorstand der Abteilung f&uuml;r An&auml;sthesie, Intensiv- und Schmerzmedizin im Wilhelminenspital in Wien, hier anderer Meinung. Es g&auml;be immer noch sehr gute k&ouml;rperliche Untersuchungen, sowohl was die nozizeptiven Schmerzen als auch die Neuropathien angehe. Im Vordergrund m&uuml;sse daher die Diagnose stehen: Welcher Natur sei der Schmerz, welches sei die Schmerzerkrankung? Hier m&uuml;sse man dr&auml;ngen, zu unterscheiden, damit man nicht nach dem Gie&szlig;kannenprinzip irgendetwas tue und ungerichtet handle.<br /> Prim. Dr. Christian Korbel, &auml;rztlicher Direktor des Landesklinikums Mauer und Leiter der Psychiatrischen Abteilung f&uuml;r Abh&auml;ngigkeitserkrankungen, bezweifelte hingegen, dass eine solche Unterscheidung immer zielf&uuml;hrend ist: &bdquo;Diese Diskriminierung hat ja auch etwas Gef&auml;hrliches. Selbstverst&auml;ndlich muss der Arzt umfassend informiert sein. Aber wenn die Frage nach Schmerz- oder Suchtpatient dazu f&uuml;hrt, dass Opiatabh&auml;ngige eventuell nicht behandelt werden, dann ist das eine Ausgrenzung, die nicht passieren darf. Wir haben viel mehr opiatabh&auml;ngige oder substituierte Patienten, deren Schmerzen nicht ausreichend behandelt werden, als Patienten, die nur ihre Opioiddosis erh&ouml;ht haben wollen.&ldquo;<br /> Dr. Hans Haltmayer, &auml;rztlicher Leiter der Suchthilfe Wien, Beauftragter f&uuml;r Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien und 1. Vorsitzender der &Ouml;GABS, zeichnete von seinen Erfahrungen in der Suchthilfe ein etwas anderes Bild: &bdquo;Zu uns kommen Patienten mit dem Wunsch nach einer Verschreibung. Die anamnestische Schmerzgeschichte wird uns m&uuml;ndlich &uuml;bermittelt. Die Patienten sagen, sie h&auml;tten verschiedenste Befunde, die jedoch nicht in schriftlicher Form vorliegen. Da sind wir dann sehr dahinter und sehr genau. Es braucht einen schriftlichen Befund, eine Morphologie, eine klare Abkl&auml;rung. Bevor das nicht vorliegt, h&auml;ndigen wir keine Verschreibungen aus.&ldquo; Hierin sah Gustorff allerdings ein Problem. &bdquo;Wir denken zu technisch monokausal. Es gibt nicht immer ein Substrat f&uuml;r den Schmerz. Denken Sie nur an den unspezifischen Kreuzschmerz bei Substitutionspatienten. Hier gibt es in den meisten F&auml;llen kein Substrat, nur die Anamnese&ldquo;, gab er zu bedenken.</p> <h2>Gleiche Therapie f&uuml;r gleiche Leiden</h2> <p>Korbel sicht sich als Psychiater als Bindeglied zwischen Schmerz- und Suchtbehandlung: &bdquo;Ich sehe einerseits Patienten mit Abh&auml;ngigkeitserkrankungen, die Schmerzsyndrome haben. Mehrheitlich sind diese in einer Substitutionsbehandlung. Auf der anderen Seite kommen zunehmend Patienten zu uns, die aus einer Schmerztherapie kommen und eine Abh&auml;ngigkeit entwickelt haben.&ldquo;<br /> Bei jenen Patienten, die eine Opioidsubstitutionstherapie erhalten, k&ouml;nne er beobachten, dass sie selten Zugang zu den &uuml;blichen Schmerzbehandlungen h&auml;tten. &bdquo;Die Gr&uuml;nde daf&uuml;r k&ouml;nnen unterschiedlich sein&ldquo;, so Korbel, &bdquo;Die Meinung, dass ein Substitutionspatient, der 100 mg Methadon oder 800 mg Substitol erh&auml;lt, keine Schmerzen sp&uuml;ren kann, ist beispielsweise unter &Auml;rzten weit verbreitet. Physiotherapien werden Substitutionspatienten daher oft gar nicht angeboten. Andererseits liegt die schlechtere Schmerzversorgung auch an den Patienten, die Schwierigkeiten haben, Termine einzuhalten oder in einer Therapie zu bleiben.&ldquo;<br /> Dass Schmerzsyndrome bei opioidabh&auml;ngigen Patienten in gleicher Weise therapiert werden sollen wie bei Schmerzpatienten, dar&uuml;ber sind sich die Experten einig. &bdquo;Suchtpatienten m&uuml;ssen genauso behandelt werden wie reine Schmerzpatienten &ndash; vielleicht sogar mit den gleichen Mitteln. Man muss sich jedoch klar dar&uuml;ber sein, welche Richtung &uuml;berwiegt. W&uuml;rde ich einen Schmerzpatienten multimodal behandeln, muss ich ihn auch auch als opioidabh&auml;ngigen Suchtpatienten multimodal behandeln&ldquo;, erkl&auml;rte Walcher.</p> <h2>Wie eine gute Versorgung gelingt</h2> <p>Interdisziplin&auml;re Zusammenarbeit ist eines der Schl&uuml;sselw&ouml;rter in der Therapie von Schmerzpatienten mit einer Suchterkrankung. &bdquo;Wenn ich in der Anamnese eines Patienten Substitol oder Methadon lese, ist das f&uuml;r mich ein Warnzeichen: Da schicke ich nach der Operation automatisch den Schmerzdienst hin. Mittlerweile haben wir gelernt, dass das besondere Patienten sind&ldquo;, so Gustorff. In der Substitutionspraxis in M&uuml;nchen setzt man ebenfalls auf Interdisziplinarit&auml;t, erz&auml;hlte Walcher: &bdquo;Wir verf&uuml;gen &uuml;ber ein ausgepr&auml;gtes, gutes Netzwerk zu vielen anderen Einrichtungen. Allerdings erf&uuml;llen diese nicht immer die Erwartungen. Dazu ist jeder zu sehr auf seinen eigenen Bereich fixiert. Aus diesem Grund haben wir jetzt einen Arbeitskreis gegr&uuml;ndet, in dem man interdisziplin&auml;re Themen ansprechen und Spannungsstellen diskutieren kann. Ich habe Kollegen aus der Schmerzmedizin auch mitgenommen auf internationale Suchtkongresse. Durch diese Ma&szlig;nahmen ist die Kooperation besser geworden.&ldquo;<br /> Auch im Umgang mit abh&auml;ngigen Schmerzpatienten liegt laut Gutstorff noch viel Potenzial: &bdquo;Schmerz und Angst sind stark miteinander verbunden. Es ist eine Frage der Kommunikation des gesamten Teams mit dem Patienten. Das, was wir tun, wof&uuml;r wir sie gewinnen wollen, die theapeutischen Ziele, all diese Informationen sollten m&ouml;glichst angstarm und repetitiv transportiert werden.&ldquo;<br /> Bei den therapeutischen Optionen sollten nichtmedikament&ouml;se Therapien und niederschwellige Angebote verst&auml;rkt zum Einsatz kommen, sind sich die Experten einig. &bdquo;Viele Suchtpatienten sind bewegungsgest&ouml;rt. Sie haben einen erh&ouml;hten Muskeltonus, verk&uuml;rzte Muskeln und Sehnen, Gangst&ouml;rungen, sind oft unterern&auml;hrt oder fehlern&auml;hrt oder haben schwere endokrinologische Probleme. Einem Gro&szlig;teil dieser Patienten k&ouml;nnte mit ganz grundlegenden schmerztherapeutischen Ma&szlig;nahmen, die in der multimodalen Schmerztherapie etabliert sind, geholfen werden&ldquo;, war Gustorff &uuml;berzeugt.<br /> Univ.-Prof. Dr. Alfred Springer, 2. Vorsitzender der &Ouml;GABS, gab zu bedenken, dass die multimodale Schmerztherapie f&uuml;r Suchtpatienten differenziert gesehen werden muss. &bdquo;Suchtpatienten haben einen eigenen Umgang mit ihrem K&ouml;rper und eine besondere Beziehung zu ihm. Viele Standardtherapien oder alleine schon das Blutdruckmessen sehen sie als Eingriff in ihren K&ouml;rper. Das kann zus&auml;tzliche Schmerzen verursachen. Im Gegensatz zur k&ouml;rperlichen Aktivierung, beispielsweise durch eine Physiotherapie, k&ouml;nnen andere Konzepte, wie Kommunikationsstrategien oder gemeinsame Aktivit&auml;ten, sehr zielf&uuml;hrend sein&ldquo;, so Springer.<br /> Ebenso sieht Walcher die multimodale Schmerztherapie als eine Toolbox, aus der man mit dem Patienten und seinem Team geeignete Methoden ausw&auml;hlt: &bdquo;Vieles passt f&uuml;r Suchtpatienten nicht. Ein ausw&auml;rtiger Physiotermin um 10 Uhr wird beispielsweise nur selten eingehalten. Alles, was wir in der Suchtbehandlung erfolgreich angewendet haben, hat immer bei uns vor Ort stattgefunden, sogar Hepatitisbehandlungen. Vieles funktioniert bei uns in der Substitutionspraxis sogar besser, weil &Auml;rzte anderer Fachrichtungen mit Suchtpatienten und deren vielschichtigen Komorbidit&auml;ten in der Regel eher &uuml;berfordert sind.&ldquo;<br /> F&uuml;r die Zukunft w&uuml;nscht sich Walcher, dass die Schmerzmedizin und die Suchtmedizin noch n&auml;her zusammenr&uuml;cken. &bdquo;Ich glaube, dass die Hindernisse gar nicht so gro&szlig; sind, wie man meint. Da braucht es keine nationale Verordnung oder Guidelines von internationalen Gesellschaften. Es sind die kleinen L&ouml;sungen vor Ort, die Erfolge bringen. Bestellt der Psychiater, Schmerzexperte oder Physiotherapeut unsere Suchtpatienten zu sich in seine Praxis, kommen sie manchmal oder auch nicht. Kommt er aber in regelm&auml;&szlig;igen Abst&auml;nden zu uns in die Substitutionspraxis, hat er viele Termine mit Suchtpatienten in Folge. Bei uns halten die Suchtpatienten ihre Termine ein, denn wir haben etwas, das sie wollen. Das ist die besondere Situation einer Substitutionspraxis!&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 22. Substitutionsforum der Österreichischen Gesellschaft für Arzneimittel-gestützte Suchtbehandlung (ÖGABS), 6. bis 7. April 2019, Mondsee </p>
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