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Hormonelle Kontrazeption

Depression und Suizid – was ist davon zu halten?

<p class="article-intro">Anfang des Jahres 2019 häuften sich Pressemitteilungen über das Risiko für Depressionen und Suizid unter der Pille. Hintergrund für diese Mitteilungen war ein Warnhinweis des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, der über den Zusammenhang von Suizidalität und hormonellen Kontrazeptiva informiert.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <ul> <li>Depressionen und als deren Folge Suizidversuche/Suizide k&ouml;nnen Nebenwirkungen einer hormonellen Kontrazeption sein.</li> <li>M&auml;dchen und Frauen sollten auf dieses Risiko hingewiesen werden und sich bei Stimmungsver&auml;nderungen bei ihrem Arzt vorstellen.</li> <li>Bei Risikopatientinnen ist eine interdisziplin&auml;re Zusammenarbeit mit Psychiatern zu empfehlen.</li> </ul> </div> <p>Dieser Warnhinweis basiert auf der Ver&ouml;ffentlichung von zwei d&auml;nischen Registerstudien von Skovlund et al. aus den Jahren 2016 und 2018.<sup>1, 2</sup><br /> 2016 wurden Daten aus dem d&auml;nischen Gesundheitsregister von insgesamt 1 061 997 Frauen im Alter von 15&ndash;34 Jahren ausgewertet. Hierbei zeigte sich eine erh&ouml;hte Rate von Depressionen und der Verschreibung von Antidepressiva, die unabh&auml;ngig von Art und Dosis der hormonellen Kontrazeptiva war. Insbesondere in der Gruppe der Adoleszenten zwischen 15 und 19 Jahren war ein erh&ouml;htes Risiko festzustellen. Das h&ouml;chste Risiko wurde nach einem Zeitraum von 6 Monaten der Einnahme hormoneller Kontrazeptiva, bei reinen Gestagenpr&auml;paraten und nicht oraler Anwendung beschrieben.<br /> Dieselbe Arbeitsgruppe wertete zwei Jahre sp&auml;ter das Auftreten von Suizidversuchen und Suiziden bei 475 802 M&auml;dchen und jungen Frauen ab 15 Jahren bei Beginn einer hormonellen Kontrazeption aus. Das relative Risiko war gegen&uuml;ber Frauen, die nie hormonell verh&uuml;tet hatten, deutlich erh&ouml;ht (RR von 1,91 f&uuml;r Suizidversuche und von 3,08 f&uuml;r Suizid im Vergleich zu Frauen, die nie hormonell verh&uuml;tet hatten). Hiervon war die Gruppe der 15- bis 19-J&auml;hrigen wiederum besonders betroffen. Das h&ouml;chste Suizidrisiko bestand nach zweimonatiger Anwendung und persistierte f&uuml;r ein Jahr nach Anwendungsbeginn. Danach ist eine Senkung des Risikos beschrieben, welches aber im Vergleich mit Frauen, die nie hormonell verh&uuml;tet haben, immer noch um 30 % erh&ouml;ht ist. Frauen mit einer psychiatrischen Diagnose oder einer mentalen Retardierung waren von der Analyse ausgeschlossen. Auch in dieser Auswertung zeigte sich ein h&ouml;heres Risiko f&uuml;r reine Gestagenpr&auml;parate im Vergleich zu kombinierten Pr&auml;paraten, was allerdings nicht statistisch signifikant war.</p> <h2>Kritik durch Expertengremien</h2> <p>Aufgrund dieser Daten wurde der Warnhinweis ver&ouml;ffentlicht und Depression sowie Suizidalit&auml;t wurden als Nebenwirkung der hormonellen Kontrazeptiva in die Fachund Gebrauchsinformationen explizit aufgenommen. Expertengremien reagierten mit diversen Stellungnahmen darauf. Beispielsweise ver&ouml;ffentlichte der Berufsverband der Frauen&auml;rzte und die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Gyn&auml;kologie und Geburtshilfe eine gemeinsame Pressemitteilung,<sup>3</sup> auch der Z&uuml;rcher Gespr&auml;chskreis gab ein Statement ab.<sup>4</sup> In diesen wird die Methodik der Studien kritisiert, vor allem im Hinblick auf einen zeitlichen, aber nicht unbedingt kausalen Zusammenhang. Die statistische Analyse beruht auf der Auswertung des Bev&ouml;lkerungsregisters, bei der alle Frauen, die Antidepressiva verschrieben bekommen hatten oder wegen einer Depression station&auml;r aufgenommen worden waren, erfasst wurden. Bei diesem Vorgehen ist die &auml;rztliche Diagnose einer Depression aufgrund standardisierter Kriterien nicht unbedingt nachvollziehbar.<br /> Zur Verschreibung hormoneller Kontrazeptiva ist ein Arztbesuch erforderlich. Bei dieser Gelegenheit werden auch andere Symptome und Beschwerden zwischen Arzt und Patientin besprochen und so k&ouml;nnen m&ouml;glicherweise Hinweise auf eine Depression erkannt werden. Patientinnen mit depressiven Symptomen, die nicht regelm&auml;&szlig;ig f&uuml;r ein Rezept vorstellig werden, bleiben wom&ouml;glich unerkannt. Es zeigt sich keine klare Abh&auml;ngigkeit von Art und Dosis der Hormone, was bei einem kausalen Zusammenhang anzunehmen w&auml;re. Auch bleibt unklar, ob die Stimmungsschwankungen nach dem Absetzen der hormonellen Kontrazeptiva persistierten.<br /> Nicht zuletzt sollte die Pubert&auml;t an sich als vulnerable Phase betrachtet werden, in der aufgrund der neuen kulturellen und sozialen Rolle und der k&ouml;rperlichen und psychischen Ver&auml;nderungen vermehrt Stimmungsschwankungen auftreten. Die Datenlage zum Zusammenhang von hormoneller Kontrazeption und Depressionen ist kontrovers.<sup>1, 5, 6</sup></p> <h2>Tipps f&uuml;r die Praxis</h2> <p>Es stellt sich nun die Frage, wie in der t&auml;glichen Praxis mit dem Warnhinweis umgegangen werden sollte. M&auml;dchen und Frauen sollten unter einer hormonellen Kontrazeption regelm&auml;&szlig;ig &auml;rztlich kontrolliert und auf die M&ouml;glichkeit einer sich entwickelnden Depression mit einer Erl&auml;uterung der entsprechenden Symptome hingewiesen werden. Sie sollten dazu angehalten werden, sich bei ihrem Arzt/ihrer &Auml;rztin zu melden, wenn sie an sich selbst Stimmungsver&auml;nderungen bemerken, sodass gegebenenfalls die Kontrazeption umgestellt werden kann.<sup>3, 4</sup><br /> Eine interdisziplin&auml;re Zusammenarbeit mit Psychiatern/Psychiaterinnen ist bei Risikopatientinnen zu empfehlen. F&uuml;r die Beurteilung eines kausalen Zusammenhangs werden prospektive, randomisierte, placebokontrollierte Studien ben&ouml;tigt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Skovlund CW et al.: Association of hormonal contraception with depression. JAMA Psychiatry 2016; 73(11): 1154- 62 <strong>2</strong> Skovlund CW et al.: Association of hormonal contraception with suicide attempts and suicides. Am J Psychiatry 2018; 175(4): 336-42 <strong>3</strong> Pressemitteilung des Berufsverbandes der Frauen&auml;rzte e.V. und der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Gyn&auml;kologie und Geburtshilfe e.V. vereint im German Board and College of Obstetrics and Gynecology: Selbstmord durch Pille &ndash; das ist falsch. Frauenarzt 2019; 60(2): 88-9 <strong>4</strong> Mueck AO f&uuml;r den Z&uuml;rcher Gespr&auml;chskreis: Vermehrt Suizide: Fakt oder nur Assoziation? Frauenarzt 2019; 60(3): 174-8 <strong>5</strong> Worly BL et al.: The relationship between progestin hormonal contraception and depression: a systematic review. Contraception 2018; 97(6): 478-89 <strong>6</strong> B&ouml;ttcher B et al.: Hormonal contraception and depression: a survey of the present state of knowledge. Arch Gynecol Obstet 2012; 286(1): 231-6</p> </div> </p>
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