© muzon iStockphoto

FocusCP-rehaKIND-Kongress

Größte mitteleuropäische Tagung zu Zerebralparese und Kinderrehabilitation

<p class="article-intro">Vom 6. bis 9. Februar gelang in Fürstenfeldbruck bei München ein Experiment: Das neue Fortbildungsformat, ein erstmals kombinierter Kongress von FocusCP und rehaKIND unter den Kongresspräsidenten Prof. Dr. Florian Heinen, Neuropädiater aus München, und Prof. Dr. Walter Strobl, Kinderorthopäde aus Wien, war mit 1300 Teilnehmern, 150 Vortragenden und 60 Ausstellern ein großer Erfolg.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1902_Weblinks_a2.jpg" alt="" width="804" height="523" /></p> <p>Im deutschen Sprachraum leben etwa 80 000 Kinder mit Zerebralparesen mit Bedarf an Entwicklungsdiagnostik, psychologischer Betreuung der Familien, Screening und Pr&auml;vention, regelm&auml;&szlig;iger Bewegungsf&ouml;rderung und Therapie, dauerhafter Hilfsmittelversorgung sowie in vielen F&auml;llen hochspezialisierter medikament&ouml;ser und operativer Behandlungsverfahren. All diese Aufgaben sind nur durch ein eng mit dem betroffenen Kind, seiner Familie und Bezugspersonen zusammenarbeitendes Expertenteam m&ouml;glich. Damit diese Kooperation zum Wohle des Kindes funktioniert, muss eine &bdquo;gemeinsame Sprache&ldquo; erlernt werden.</p> <h2>Schl&uuml;sselaspekt Teamwork</h2> <p>Heute ist Teamwork in der Betreuung von Kindern mit Zerebralparese und neuromuskul&auml;ren Erkrankungen sowie in der Kinderrehabilitation selbstverst&auml;ndlich geworden.<br /> Teilhabe wird durch unterst&uuml;tzte Kommunikation, individuelle PCs mit Hand-, Mund-Augen-Steuerung erreicht. Spezialisierte Pflege erm&ouml;glicht eine individuelle Betreuung, K&ouml;rperpflege, Ern&auml;hrung, Wundpflege, Lagerung, unterst&uuml;tzt durch Heilerziehungspflege mit individueller F&ouml;rderung und Besch&auml;ftigung in einer Tagesstruktur erreicht. Das p&auml;dagogische Angebot erg&auml;nzt diese individuelle F&ouml;rderung von Alltagsaktivit&auml;ten und umfasst dar&uuml;ber hinaus Ausbildung, Schule, Pr&uuml;fungsvorbereitung. Die Psychologie bietet individuelle Beratung, Behandlung, Motivation, Unterst&uuml;tzung der Familie. Therapeutische Berufe wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logop&auml;die unterst&uuml;tzen durch individuelle Bewegungsprogramme, Stehtherapie, Gehtherapie, Robotik- gest&uuml;tzte Lokomotionstherapie, bzw. individuelle Besch&auml;ftigungstherapie, Handtraining, Hilfsmittelversorgungen. Spezialisierte Sportwissenschaftler besch&auml;ftigen sich mit individueller Bewegungsdiagnostik und Sportberatung. Die Neurop&auml;diatrie erm&ouml;glicht individuelle Diagnostik, medikament&ouml;se und andere Therapien, die Neuroorthop&auml;die individuelle Diagnostik, orthetische und operative Behandlungen, andere chirurgische F&auml;cher wie Neurochirurgie, Wirbels&auml;ulenchirurgie, plastische Chirurgie, Handchirurgie, Urologie spezifische Operationsverfahren, die An&auml;sthesie individuelle perioperative Betreuung.</p> <h2>Screening und Pr&auml;vention</h2> <p>Trotz all dieser vernetzt arbeitenden Experten besteht weiterer Handlungsbedarf. Schmerzen schr&auml;nken die Lebensqualit&auml;t am meisten ein. Zwei Drittel aller Kinder mit Zerebralparese leben mit Schmerzen, 60 % mit Schmerzen des Bewegungsapparates, 40 % des Verdauungsapparates, 30 % Schmerzen vonseiten der Z&auml;hne und Hautproblemen. Weitere Studien zeigen, dass &uuml;ber 50 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter H&uuml;ftgelenkschmerzen leiden und bei Schmerzen nur 13 % behandelt werden.<br /> Wir wissen heute zunehmend mehr zur Entwicklung von Fehlstellungen der Arme, H&auml;nde, Beine und F&uuml;&szlig;e, von Kontrakturen, die die Bewegung, Mobilit&auml;t, Selbstst&auml;ndigkeit und damit Lebensqualit&auml;t im Laufe des Lebens zunehmend einschr&auml;nken. Trotzdem gibt es in Mitteleuropa derzeit noch keine strukturierten Screening- und Pr&auml;ventionsprogramme, um diese bekannten Sp&auml;tfolgen zu vermeiden. Als internationaler Gast berichtete Prof. Gunnar H&auml;gglund von den Ergebnissen der Studie seines s&uuml;dschwedischen CP-Registers und Pr&auml;ventionsprogrammes CPUP. Die Inzidenz der H&uuml;ftluxation bei CP-Kindern konnte durch konsequentes Screening und orthetische sowie operative Fr&uuml;hbehandlung in 20 Jahren auf nahezu 0 reduziert werden. F&uuml;r das H&uuml;ftgelenk, die Wirbels&auml;ule und die Beweglichkeit der Gelenke existieren Ampelmodelle, f&uuml;r die alle Therapeuten geschult werden (H&auml;gglund G et al.: Bone Joint J 2014).<br /> Ein solches Pr&auml;ventionsprogramm zur Vermeidung von Kontrakturen, H&uuml;ftluxationen, Wirbels&auml;ulenfehlstellungen w&auml;re auch in Mitteleuropa f&uuml;r viele neuromotorische Erkrankungen sehr sinnvoll und effizient: Zerebralparesen, spinale Erkrankungen, angeborene Neuropathien, Muskelerkrankungen, Kollagenerkrankungen, Arthrogryposen und verschiedene Syndrome. Entsprechend dem oben angef&uuml;hrten Teamkonzept der Betreuung m&uuml;ssten alle Berufsgruppen darin nach entsprechender Schulung eigenverantwortlich eingebunden sein.</p> <h2>Muskelkraft verbessern</h2> <p>Zahlreiche Vortr&auml;ge aus Sicht der Grundlagenforschung, Sportwissenschaften und klinischer Medizin zum Schwerpunktthema Muskel bei ICP zeigten, dass das Wissen zur Struktur, Funktion und vor allem erstaunlich guten Adaptationsf&auml;higkeit und Trainierbarkeit des Muskels bei Kindern mit CP in den letzten Jahren rasch zugenommen hat. Aber nach wie vor bleiben zahlreiche Fragen ungekl&auml;rt. Wir gehen heute daher davon aus, dass jede Schw&auml;chung der Muskulatur in jedem Fall ung&uuml;nstig ist. Alle die Muskelkraft schw&auml;chenden Behandlungsmethoden m&uuml;ssen kritisch hinterfragt oder &uuml;berhaupt vermieden werden, w&auml;hrend Muskelkrafttraining gezielt eingesetzt werden soll.<br /> Botulinumtoxin-Injektionen sind gem&auml;&szlig; der aktuellen Studienlage auch mit deutlich niedrigeren Dosen in der Lage, funktionelle Verbesserungen zu erzielen. Die Indikation zur Funktionsverbesserung sollte biomechanisch begr&uuml;ndet und streng gestellt werden. Der Stellenwert der BoNT-Injektionen f&uuml;r die Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen mit CP und Spastik kann nicht hoch genug eingesch&auml;tzt werden. Schmerzhafte Spastik bleibt oft unerkannt, tr&auml;gt jedoch &ndash; wie bereits oben erw&auml;hnt &ndash; deutlich zu einer reduzierten Lebensqualit&auml;t bei. Die selektive dorsale Rhizotomie als ebenso Muskeltonus-reduzierendes Verfahren bedarf gleichfalls einer strengen Indikation, erg&auml;nzt das Behandlungsspektrum aber besonders bei Kindern mit guter selektiver Muskelsteuerung, die durch eine funktionell st&ouml;rende Spastik &uuml;berlagert wird.<br /> Behandlungsverfahren, die die Muskelkraft verbessern, r&uuml;cken zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Kraftverbesserung ist durch Stabilisierung von instabilen Gelenken durch Orthesen oder Sehnentransfers, die operative Verk&uuml;rzung &uuml;berdehnter Muskelgruppen, Normalisierung fehlgestellter Hebelarme, richtig aufgebautes Krafttraining, eventuell in Kombination mit der minimal invasiven Verl&auml;ngerung pathologisch strukturell verk&uuml;rzter Muskeln oder Faszien erreichbar.<br /> Bei Hochrisikopatienten und Hochrisikooperationen ist eine sehr kritische individuelle Entscheidungsfindung unter Ber&uuml;cksichtigung klinischer und psychosozialer Faktoren unerl&auml;sslich. Klinische Ethikkomitees k&ouml;nnen dabei mittels ethischer Fallbesprechungen im Expertenteam mit professioneller Moderation durch eine medizinethisch geschulte Person Hilfestellungen geben.</p> <h2>Weiterversorgung im Erwachsenenalter</h2> <p>Die Notwendigkeit einer alters&uuml;bergreifenden Versorgung vom Kindes- bis ins h&ouml;here Erwachsenenalter ist zunehmend im Bewusstsein aller Behandler und Institutionen angekommen. In mehreren Vortr&auml;gen wurden die medizinischen und organisatorischen Bed&uuml;rfnisse von Erwachsenen mit CP und Mehrfachbehinderung beleuchtet. Verschiedene Transitions-Modelle sollen die Schnittstellen zwischen Kinder- und Erwachseneninstitutionen &uuml;berbr&uuml;cken helfen und leisten dies am besten, wenn gut funktionierende, professionelle Netzwerke aufgebaut werden.<br /> Der Aufbau von ambulanten (Steuerungs-) Zentren f&uuml;r Erwachsene findet in Deutschland in den neuen MZEBs statt, in &Ouml;sterreich und der Schweiz gibt es derzeit noch keine gesetzliche Grundlage f&uuml;r diese Strukturen. Der Aufbau von station&auml;ren Zentren f&uuml;r die interdisziplin&auml;re Diagnostik und Behandlung von Erwachsenen mit CP und &auml;hnlichen Krankheitsbildern ist ebenso erforderlich. Das Curriculum eines Facharztes f&uuml;r Behindertenmedizin soll zum Aufbau von Versorgungsnetzen f&uuml;r Erwachsene beitragen, in dem viele Spezialisten notwendig sein werden: spezialisierte Neurologen, Orthop&auml;den, Internisten, spezialisierte Fach&auml;rzte f&uuml;r Zahnmedizin, HNO, Augenheilkunde, Dermatologie, Urologie, Gyn&auml;kologie, Psychiatrie etc.<br /> Erstaunlich einfache und praktische Schnittstellen-Probleml&ouml;sungen wurden f&uuml;r das Entlassungs-, Rehabilitations- und Case-Management vorgestellt &ndash; von Personen, die t&auml;glich patientenorientiert in spezialisierten Institutionen arbeiten. Weitere wichtige Beitr&auml;ge und Diskussionen zu Nachsorge, Hospiz, Palliativmedizin, Sport, BTHG im Alltag, Notfallversorgung und zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensst&ouml;rungen und zur psychosozialen Betreuung von Kindern mit emotionalen Bed&uuml;rfnissen bei chronischen Erkrankungen wurden von den Kongressteilnehmern erfreulich gut angenommen.</p> <h2>Interdisziplin&auml;re Aus- und Weiterbildung f&ouml;rdern</h2> <p>Die Abschlussdiskussion zeigte, dass in vielen Bereichen die L&ouml;sungen und entweder Visionen, Takraft oder Mut f&uuml;r deren Umsetzung noch fehlen. Es besteht sehr gro&szlig;es Interesse an weiteren alltagsrelevanten Forschungsthemen und einem &auml;hnlich gestalteten Folgekongress.</p></p>
Back to top