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Belastungsanalysen bei geriatrischen Patienten nach Hüftfraktur

<p class="article-intro">Eingeschränkte Mobilität ist eine ernsthafte Bedrohung für geriatrische Patienten. Ältere Patienten mit Hüftfrakturen sind nicht in der Lage, eine Teilbelastung einzuhalten. Dennoch wird von circa 25 % der Orthopäden und Unfallchirurgen eine postoperative Teilbelastung nach Hüftfraktur verordnet, obwohl daraus eine Immobilität resultiert. Diese wiederum erhöht das Risiko von Komplikationen wie Pneumonien, Harnwegsinfekten oder Dekubitus und führt somit zu einer erhöhten Mortalität. Daher ist die frühzeitige Mobilität ohne Einschränkung der Belastung dringend anzustreben und die operative Therapie sollte entsprechend angepasst werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Eine H&uuml;ftfraktur ist ein lebensver&auml;nderndes Ereignis f&uuml;r geriatrische Patienten. Die Mobilisierung in der fr&uuml;hen postoperativen Phase ist von &uuml;berragender Bedeutung, da eine Verz&ouml;gerung mit einer verminderten k&ouml;rperlichen Leistungsf&auml;higkeit einhergeht. Patienten, die eine H&uuml;ftfraktur erleiden, haben ein doppelt so hohes Risiko, eine weitere H&uuml;ftfraktur zu erleiden, und die Mortalit&auml;t ist folglich stark erh&ouml;ht. Die kumulative Inzidenz sekund&auml;rer H&uuml;ftfrakturen betr&auml;gt nach 1 Jahr 9 % und nach 5 Jahren 20 %. Die Angst vor einem Sturz immobilisiert die Patienten und reduziert ihre Lebensqualit&auml;t und k&ouml;rperliche Leistungsf&auml;higkeit weiter.<br /> Zus&auml;tzliche Physiotherapie w&auml;hrend der Akutversorgung reduziert Sturzereignisse in den ersten 12 Monaten nach einer H&uuml;ftfraktur. Perracini et al. geben an, dass die Physiotherapie eine wichtige Rolle bei der Genesung &auml;lterer Patienten nach einer H&uuml;ftfraktur spielt. Eingeschr&auml;nkte Mobilit&auml;t, Gangst&ouml;rungen und St&uuml;rze k&ouml;nnen oft durch Sturzangst verst&auml;rkt werden.<br /> Eine verringerte Mobilit&auml;t bei H&uuml;ftfrakturpatienten stellt eine ernsthafte Bedrohung f&uuml;r das klinische Ergebnis und das &Uuml;berleben &auml;lterer H&uuml;ftfrakturpatienten dar. Geriatrische Patienten profitieren von einer fr&uuml;hen Mobilisierung ohne Einschr&auml;nkung der Belastung. Dar&uuml;ber hinaus kann jeder Tag Bettruhe und Immobilisierung zu Komplikationen wie Harnwegsinfektionen, Lungenentz&uuml;ndung, Thrombosen oder Druckulcera f&uuml;hren. Selbst eine kurzzeitige Immobilit&auml;t kann zu erheblicher Abnahme von Muskelmasse und -funktion f&uuml;hren. Insbesondere die ersten 10 Tage spielen dabei eine wesentliche Rolle, da durch die katabole Stoffwechsellage hier der Muskelabbau besonders ausgepr&auml;gt ist. Dieser wird durch die Immobilisation noch verst&auml;rkt und kann insbesondere bei geriatrischen Patienten meist nicht mehr aufgebaut werden.<br /> Dennoch empfehlen 25 % aller Operateure regelm&auml;&szlig;ig eine Teilbelastung bei geriatrischen Patienten nach Osteosynthesen bei H&uuml;ftfrakturen. Zumeist werden eine schlechte Knochenqualit&auml;t und der Glaube, dass eine Teilbelastung vor einer &Uuml;berbelastung und damit verbundenem Repositionsverlust sch&uuml;tzt, als Gr&uuml;nde angegeben. Die Charit&eacute; in Berlin hat bereits vor vielen Jahren zeigen k&ouml;nnen, dass beim Lagewechsel vom Liegen in den Stand bereits etwa das zweifache K&ouml;rpergewicht auf der H&uuml;fte lastet. Im Rahmen einer von unserer Arbeitsgruppe im &bdquo;JBJS Am&ldquo; publizierten Studie konnten wir nun die direkte Belastung der verletzten Extremit&auml;t messen und feststellen, dass den geriatrischen Patienten das Einhalten einer Teilbelastung trotz intensiver physiotherapeutischer Be&uuml;bung nicht m&ouml;glich ist. Die Vergleichsgruppe (j&uuml;ngere Patienten mit Verletzungen der unteren Extremit&auml;t) konnte sehr wohl die Teilbelastung umsetzen (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_a2-abb1.jpg" alt="" width="1188" height="764" /></p> <h2>Methodik</h2> <p>Mobile Ganganalysesysteme wie &bdquo;smart insoles&ldquo; l&ouml;sen Laufbandanalysen und Sprungmessplatte zunehmend ab. Die artifizielle Situation in einem Ganglabor ist zum einen nicht im klinischen Alltag durchf&uuml;hrbar und zum anderen nicht mit dem Gehen am Rollator oder gar freiem Gehen vergleichbar. Es gibt mittlerweile zahlreiche Anbieter, die eine ausgereifte Technik zur mobilen Analyse zur Verf&uuml;gung stellen k&ouml;nnen.<br /> Die Arbeitsgruppe Alterstraumatologie des Klinikums der Universit&auml;t M&uuml;nchen verwendet Loadsol&reg; von Novel (M&uuml;nchen, Abb. 2). Diese Einlegesohle wird an die Schuhgr&ouml;&szlig;e der Testperson angepasst und in jedem Schuh einzeln platziert. Die Einlegesohle kommuniziert &uuml;ber Bluetooth mit einem Tablet-Computer. Eine Echtzeit- Daten&uuml;bertragung erm&ouml;glicht die sofortige Analyse und Speicherung auf dem Tablet. Beide F&uuml;&szlig;e werden separat aufgezeichnet und Parameter wie durchschnittliche Spitzenkraft, durchschnittliche Belastungsrate und Ganggeschwindigkeit werden bestimmt. Die Plantarkraft in statischen und dynamischen Situationen wird mit bis zu 200 Hz gemessen. Die gesamte Fu&szlig;sohle ist vom kapazitiven Sensor bedeckt, was eine Messung mit weniger als 5 % Abweichung vom tats&auml;chlichen K&ouml;rpergewicht erm&ouml;glicht. Eine definierte Gehstrecke von 40 Metern wird mit der Einlegesohle im Schuh des Patienten analysiert.<br /> F&uuml;r alle Patienten wird das standardisierte Schmerzschema gem&auml;&szlig; WHO-Behandlungsrichtlinien angewendet. W&auml;hrend der Ganganalyse wird kein lokaler Schmerzkatheter verwendet. Die Patienten werden gebeten, am 5. postoperativen Tag an einer Ganganalyse teilzunehmen. Eine Gehhilfe nach Wahl der Patienten ist erlaubt. Eine kognitive Beeintr&auml;chtigung wird mit der Mini-Mental State Examination (MMSE) bewertet und Patienten mit einem MMSE-Wert &lt; 26 von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Die pr&auml;operative und postoperative Mobilit&auml;t sowie die Aktivit&auml;ten des t&auml;glichen Lebens werden anhand des Parker Mobility Score (PMS) und des Barthel-Index (BI) bewertet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_a2-abb2.jpg" alt="" width="319" height="538" /></p> <h2>Messergebnisse</h2> <p>Belastungsmessungen an 128 geriatrischen Patienten haben in der Zusammenschau der Ergebnisse zu folgenden Aussagen gef&uuml;hrt:</p> <p><strong>1. Geriatrische Patienten, die an einer H&uuml;ftfraktur leiden, k&ouml;nnen keine Teilbelastung einhalten<br /></strong><br /> Im direkten Vergleich zu einem j&uuml;ngeren Kontrollkollektiv (&lt; 40 Jahren mit Sprunggelenksfraktur) war keiner der geriatrischen Patienten in der Lage, die vorgegebene Teilbelastung von 20 kg einzuhalten. In der Kontrollgruppe konnten 78 % der Patienten die betroffene Extremit&auml;t mit weniger als 20 kg belasten. Mit jedem Patienten wurde wenigstens f&uuml;nfmal die Teilbelastung an Unterarmgehst&uuml;tzen oder am Rollator/gro&szlig;en Gehwagen ge&uuml;bt und 20 kg Teilbelastung wurden auf einer Personenwaage demonstriert. So konnte sichergestellt werden, dass die vorgegebene Teilbelastung verstanden und die Umsetzung ausreichend ge&uuml;bt wurde, was in der Kontrollgruppe auch Erfolg zeigte. Wir konnten somit die Aussage kr&auml;ftigen, dass gerade der geriatrische Patient den Anweisungen zur Teilbelastung nicht folgen kann (Abb. 3).</p> <p><strong>2. Belastungsbeschr&auml;nkungen f&uuml;hren zu reduzierter Mobilit&auml;t<br /></strong><br /> F&uuml;r eine weitere postoperative Belastungsanalyse teilten wir ein ansonsten homogenes Kollektiv von 41 Patienten, die wegen pertrochant&auml;rer Femurfrakturen eine Osteosynthese mittels PFNA erhalten hatten, in zwei Gruppen, welche sich ausschlie&szlig;lich bez&uuml;glich der Nachbehandlung unterschieden: eine Gruppe mit freier Nachbehandlung und eine mit vorgegebener Teilbelastung von 20 kg. Es zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen eingeschr&auml;nkter Belastung und herabgesetzter Mobilit&auml;t.<br /> Der postoperative Parker Mobility Score war bei vorgeschriebener Teilbelastung im Vergleich zur freien Nachbehandlung signifikant reduziert (3,21 vs. 4,73, p &lt; 0,001). Dementsprechend wurde auch eine signifikant niedrigere Ganggeschwindigkeit von 0,16 m/s gegen&uuml;ber 0,28 m/s beobachtet, wenn die Belastung eingeschr&auml;nkt wurde (p = 0,003). Hinsichtlich der tats&auml;chlichen postoperativen Belastung zeigte sich trotz der Vorgabe und intensiver physiotherapeutischer Be&uuml;bung kein Unterschied zwischen vorgegebener Teilbelastung und freier Nachbehandlung (durchschnittliche Spitzenkraft 350,25 N vs. 353,08 N, p = 0,918). Die Ganggeschwindigkeit und der Parker Mobility Score und somit die postoperative Mobilit&auml;t der Patienten waren durch vorgegebene Teilbelastung signifikant reduziert.</p> <p><strong>3. Belastungsmuster variieren in Abh&auml;ngigkeit von Frakturtyp und Versorgung<br /></strong><br /> Unsere Studienergebnisse haben gezeigt, dass Patienten, die nach einer pertrochant&auml;ren Femurfraktur mit einem intramedull&auml;ren Nagel versorgt wurden, das betroffene Bein weniger belasten als Patienten, die bei einer Schenkelhalsfraktur mittels Endoprothese behandelt wurden. 20 Patienten nach H&uuml;ftgelenksersatz und 27 Patienten nach Osteosynthese mittels PFNA wurden in eine Studie eingeschlossen. Die H&uuml;ftgelenksersatzgruppe belastete die betroffene Extremit&auml;t mit durchschnittlich 74,01 % K&ouml;rpergewicht, w&auml;hrend die Osteosynthesegruppe eine signifikant verringerte Belastung von durchschnittlich 62,7 % des K&ouml;rpergewichtes (p = 0,002) aufwies. Diese Ergebnisse zeigen, dass bei &auml;lteren Patienten das Frakturmuster und damit die operative Versorgung zu einem anderen Belastungsmuster f&uuml;hren kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_a2-abb3.jpg" alt="" width="989" height="424" /></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Geriatrische H&uuml;ftfrakturpatienten k&ouml;nnen keine Teilbelastung der betroffenen Extremit&auml;t einhalten. Jegliche Vorgaben zu Belastungsbeschr&auml;nkungen f&uuml;hren bei geriatrischen H&uuml;ftfrakturpatienten zu einer reduzierten Mobilit&auml;t. Hierdurch werden die Ganggeschwindigkeit und der Parker Mobility Score signifikant verringert, wobei keine wesentliche Ver&auml;nderung der Belastung beobachtet werden konnte. Studien zeigen, dass sowohl die Ganggeschwindigkeit als auch ein reduzierter Parker Mobility Score eine negative Auswirkung auf die 1-Jahres-Mortalit&auml;t von &auml;lteren Patienten mit H&uuml;ftfrakturen hat. Diese einfach zu messenden Parameter werden in unserer Klinik routinem&auml;&szlig;ig erhoben und dienen zur Einsch&auml;tzung der Mobilit&auml;t.<br /> In Belastungsanalysen an H&uuml;ftfrakturpatienten zeigte die Ganganalyse mit &bdquo;smart insoles&ldquo; eindeutig, dass Patienten mit pertrochant&auml;ren Frakturen, welche mittels Osteosynthese versorgt wurden, eine signifikant geringere Belastung auf das betroffene Bein aus&uuml;ben als Patienten mit H&uuml;ftgelenksfrakturen nach einem H&uuml;ftgelenksersatz. Eine verringerte Belastung ist bekannterma&szlig;en mit verschiedenen Komplikationen verbunden, wie z. B. einer verringerten Mobilit&auml;t und einer erh&ouml;hten Mortalit&auml;t. Zuk&uuml;nftige Studien sollten sich daher auf die F&auml;higkeit des Patienten konzentrieren, mit m&ouml;glichst viel Gewicht zu belasten, um die sofortige Mobilisierung zu erleichtern.<br /> Immobilit&auml;t und Autonomieverlust k&ouml;nnen zu einer erh&ouml;hten Sterblichkeitsrate f&uuml;hren und das Risiko, Folgekomplikationen zu erleiden, erh&ouml;hen. Daher wird eine fr&uuml;hzeitige Mobilisierung ohne Einschr&auml;nkung der Belastung der betroffenen Extremit&auml;t dringend empfohlen, und die Therapiestrategie sollte dementsprechend angepasst werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Gleich J et al.: Orthogeriatric treatment reduces potential inappropriate medication in older trauma patients: a retrospective, dual-center study comparing conventional trauma care and co-managed treatment. Eur J Med Res 2019; 24(1): 4 <br />&bull; Kammerlander C et al.: Inability of older adult patients with hip fracture to maintain postoperative weight-bearing restrictions. J Bone Joint Surg Am 2018; 100(11): 936-41<br /> &bull; Kammerlander C et al.: Patient outcomes after screw fixation of hip fractures. Lancet 2018; 392(10161): 2264-5 <br />&bull; Schray D et al.: Outcome after surgical treatment of fragility ankle fractures in a certified <br /><br /> Weitere Literatur: bei den Verfassern</p> </div> </p>
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