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Molekulare Aspekte beim jungen Blasenkarzinompatienten

<p class="article-intro">Das Blasenkarzinom ist eine Erkrankung des älteren Menschen; das durchschnittliche Alter bei Diagnose liegt bei 73 Jahren. Jedoch hat sicher jeder Urologe in seiner Praxis Blasenkarzinompatienten behandelt, die erstaunlich jung waren. Dies wird in grösseren Zystektomieserien und nationalen Datenbanken bestätigt. Es werden immer wieder Blasenkarzinome bei Patienten diagnostiziert, die jünger als 50 Jahre alt sind. Der jüngste in der Literatur beschriebene Patient mit einem Blasenkarzinom war gerade mal 10 Jahre alt. Es stellt sich die Frage: Was macht diese Patienten speziell? Müssen besondere diagnostische Massnahmen veranlasst werden oder ist die Therapie anders?</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Keimzell- und somatische Mutationen k&ouml;nnen beim jungen Blasenkarzinompatienten eine Rolle spielen.</li> <li>Eine genetische Abkl&auml;rung sollte bei Patienten j&uuml;nger als 50 Jahre abgewogen werden.</li> <li>Pr&auml;limin&auml;re Daten lassen einen molekularen Unterschied beim jungen Blasenkarzinompatienten vermuten.</li> </ul> </div> <p>Hochdurchflusstechnologien wie Next- Generation- oder Sanger-Sequenzierung sowie Microarray-Analysen haben erlaubt, die molekulare Landschaft des Blasenkarzinoms zu charakterisieren. Verschiedene Gruppen und Konsortien haben sich daran beteiligt und unser Verst&auml;ndnis f&uuml;r die Biologie des Blasenkarzinoms erheblich verbessert. Dadurch erhielten wir Einsicht in Mutationen der DNA, die im Blasenkarzinom h&auml;ufig gefunden werden k&ouml;nnen. Es wurden molekulare Klassen (sogenannte Subtypen) entdeckt, die Blasenkarzinome in klinisch und biologisch relevante Gruppen einteilen lassen. Allerdings wurden diese Arbeiten nicht vor dem Hintergrund des jungen Blasenkarzinompatienten durchgef&uuml;hrt.</p> <h2>Klassierung und Signifikanz von genetischen Ver&auml;nderungen in Karzinomen</h2> <p>Permanente Ver&auml;nderungen der DNA werden Mutationen genannt, welche grob in zwei Kategorien klassiert werden k&ouml;nnen: Keimbahn- und somatische Mutationen. Keimbahnmutationen sind in Keimzellen vorhanden und k&ouml;nnen somit an Nachkommen &uuml;bertragen werden. Einige Keimbahnmutationen werden mit einem erh&ouml;hten Risiko, Karzinome zu entwickeln, in Verbindung gebracht. Das prominenteste Beispiel hierf&uuml;r ist Angelina Jolie. Bei ihr wurde eine Keimbahnmutation in <em>BRCA1</em> nachgewiesen. Dieses Gen ist verantwortlich f&uuml;r die Koordination der DNAReparatur, was uns erm&ouml;glicht, w&auml;hrend des Lebens die DNA intakt zu halten. Keimbahnmutationen in <em>BRCA1</em> sind stark mit der Entwicklung von Mammakarzinomen vergesellschaftet, was Angelina Jolie dazu bewegt hat, eine bilaterale Mastektomie durchf&uuml;hren zu lassen. Die zweite Klasse sind somatische Mutationen, welche w&auml;hrend der Karzinomentstehung und -entwicklung erworben werden. Sie k&ouml;nnen somit weder in Keimzellen noch in Nichtkarzinomzellen gefunden werden. Um diesen beiden Klassen von Mutationen gerecht zu werden, wird f&uuml;r die Analyse von Karzinomen immer zwei Proben vom selben Patienten sequenziert: Karzinom- und Nichtkarzinomgewebe. Das Nichtkarzinomgewebe wird f&uuml;r die &laquo;Normalisierung&raquo; des Genoms des Patienten verwendet und erlaubt zus&auml;tzlich eine exakte Charakterisierung der somatischen Mutationen. Das Spektrum von somatischen Mutationen kann dann verwendet werden, um die Evolution, molekulare Klasse und m&ouml;gliche therapeutische Targets zu beschreiben. In den bisher durchgef&uuml;hrten Hochdurchsatzanalysen hat man sich bisher fast ausschliesslich auf somatische Mutationen fokussiert. Allerdings k&ouml;nnten v.a. beim jungen Blasenkarzinompatienten auch Keimbahnmutationen eine Rolle spielen.</p> <h2>Genomische Alterationen beim jungen Blasenkarzinompatienten</h2> <p>Es gibt nur wenige Untersuchungen von Keimzellmutationen beim Blasenkarzinom. Diese Arbeiten haben eine limitierte Anzahl von Genen untersucht und Kohorten verwendet, die hinsichtlich epidemiologischer Aspekte nicht ausgeglichen waren. Daher sind die bisher existierenden Daten zu Keimzellmutationen beim Blasenkarzinom mit Vorsicht zu geniessen.<br /> Bez&uuml;glich somatischer Mutationen sind die derzeit verf&uuml;gbaren Datens&auml;tze nicht speziell f&uuml;r diese Fragestellung erstellt worden. Interessanterweise zeigen jedoch pr&auml;limin&auml;re Daten, dass Blasenkarzinome von jungen Patienten weniger h&auml;ufig Mutationen in <em>RB1</em> und<em> TP53</em> aufweisen, dass hingegen <em>HRAS</em> h&auml;ufiger mutiert ist. Weiter stellte man fest, dass die gesamte Anzahl von somatischen Mutationen bei Blasenkarzinomen von j&uuml;ngeren Patienten geringer ist, was sich auch in einer geringeren Anzahl von sogenannten Neoantigenen widerspiegelt.</p> <h2>Ver&auml;nderungen des Transkriptoms beim jungen Blasenkarzinompatienten</h2> <p>Das Verst&auml;ndnis des Transkriptoms des Blasenkarzinoms wurde dramatisch durch die Entdeckung von sogenannten molekularen Subtypen verbessert. Basierend auf Genexpression, also des Transkriptoms, k&ouml;nnen Blasenkarzinome in Gruppen, sogenannte molekulare Subtypen, eingeteilt werden. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Subtypen, Modellen und Methoden beschrieben. Erst in den letzten Monaten hat sich die &laquo;Bladder Cancer Molecular Taxonomy Group&raquo;, ein Konsortium aller in diesem Feld involvierten Gruppen, auf einen Konsensus von sechs molekularen Subtypen geeinigt. Interessanterweise kann man feststellen, dass j&uuml;ngere Patienten &ouml;fter ein Blasenkarzinom vom luminal-papill&auml;ren Subtyp haben (Abb. 1). Konsistent mit den Charakteristika dieses Subtyps zeigen Blasenkarzinome von jungen Patienten oft eine geringe Infiltration von Immunzellen und eine geringe Aktivit&auml;t von Immunsignalwegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Uro_1901_Weblinks_a2-abb1.jpg" alt="" width="635" height="412" /></p> <h2>Genetische Abkl&auml;rung: Empfehlung f&uuml;r den klinischen Alltag</h2> <p>Im klinischen Alltag f&auml;llt immer wieder eine famili&auml;re H&auml;ufung von Blasenkarzinomen auf. Dies k&ouml;nnte auf eine m&ouml;gliche heredit&auml;re Komponente, wie beim Mammakarzinom, hindeuten. Allerdings beobachtet man oft auch eine famili&auml;re H&auml;ufung der Exposition mit Hauptrisikofaktoren f&uuml;r das Blasenkarzinom (Nikotinabusus, Exposition gegen&uuml;ber Noxen aus der Umwelt). Daher d&uuml;rfte die gelegentliche famili&auml;re H&auml;ufung des Blasenkarzinoms nicht ausschliesslich einer heredit&auml;ren Komponente, sondern auch der Exposition gegen&uuml;ber Risikofaktoren zuzuschreiben sein.</p> <p>Aufgrund fehlender Evidenz gibt es keine Richtlinien f&uuml;r die Empfehlung einer genetischen Abkl&auml;rung beim Blasenkarzinom. Daher scheint es derzeit vern&uuml;nftig zu sein, sich an die Empfehlungen bei anderen Karzinomen zu halten. Bei anderen Karzinomen sollte eine genetische Abkl&auml;rung erwogen werden bei:</p> <ul> <li>Patienten, die j&uuml;nger als 50 Jahre sind,</li> <li>3 oder mehr diagnostizierten F&auml;llen von Mamma-, Ovarial-, Pankreas- und/oder Prostatakarzinom bei engen Verwandten, inklusive des Patienten,</li> <li>synchronen oder metachronen Karzinomen*.</li> </ul> <p>* Sollte in Bezug auf das Blasenkarzinom nicht verwendet werden, weil dieses oft multifokal w&auml;chst und rezidiviert.<br /> Urotheliale Karzinome vor allem im oberen Harntrakt (Nierenbecken und Harnleiter) treten h&auml;ufiger bei Patienten mit einem Lynch-Syndrom auf. Dieses ist verursacht durch einen Defekt in sogenannten Missmatch-Repair-Genen (<em>MLH1</em>, <em>MSH2</em>, <em>MSH6</em> oder <em>PMS2</em>). Obwohl dieser Zusammenhang beim Blasenkarzinom weniger gut untersucht ist, kann empfohlen werden, bei Patienten, die j&uuml;nger als 50 Jahre alt sind, nach einem Lynch-Syndrom zu suchen. Eine immunhistochemische Untersuchung dieser vier Marker (MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2) ist eine billige und &uuml;berall verf&uuml;gbare Methode f&uuml;r ein einfaches Screening auf ein Lynch-Syndrom.</p> <p>Wenn eine genetische Beratung und Diagnostik durchgef&uuml;hrt werden, sollte der zuweisende Arzt verschiedene m&ouml;gliche Konsequenzen kennen: Das Finden einer Keimzellmutation kann Folgen f&uuml;r Verwandte haben. Bei Karzinomen mit bekannter heredit&auml;rer Komponente (z.B. Mammakarzinom), bleibt das erh&ouml;hte famili&auml;re Risiko bestehen, auch wenn keine Keimzellmutation beim Patienten nachgewiesen werden kann. Daneben sollte beim Blasenkarzinom die genetische Abkl&auml;rung keinen Einfluss auf die Therapie oder das Follow-up haben, da hierf&uuml;r die Datenlage zu schwach ist.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Autor</p> </div> </p>
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