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Gestationsdiabetes

Aktuelle Diagnostik und Therapie

<p class="article-intro">Die Definition des Gestationsdiabetes (GDM) ist ein erhöhter Blutzuckerwert (BZ), erstmals entdeckt in der Schwangerschaft (SS). Eine Zuweisung zu einem Arzt mit Erfahrung in GDM (Diabetologe) und zu Diabetes- sowie Ernährungsfachberatern wird empfohlen, da der Umgang mit der Betreuung und Therapie einiger Erfahrung bedarf. Die Diagnose eines GDM ist neben den gehäuften Komplikationen bei Fetus und Mutter auch deshalb von Bedeutung, da es eine vorbestehende Veranlagung der Schwangeren zu Diabetes mellitus Typ 2 demaskiert.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Es gelten heute in fast allen L&auml;ndern die Kriterien der IADPSG (International Association of the Diabetes and Pregnancy Study Groups)<sup>1</sup>, der sich auch die SGED (Schweizerische Gesellschaft f&uuml;r Endokrinologie und Diabetologie) und die FIGO (International Federation of Gynecology and Obstetrics) angeschlossen haben. Sie basieren auf der HAPO-Studie mit 25 000 Schwangeren aus 9 L&auml;ndern, die aufzeigte, dass die Blutzuckerwerte (BZ) in der SS kontinuierlich ab einem ven&ouml;sen N&uuml;chternblutzucker von 4,4 mmol/l mit Komplikationen assoziiert waren (Tab. 1). Der Grenzwert f&uuml;r die Diagnosekriterien wurde mit 5,1 mmol/l n&uuml;chtern ven&ouml;s festgesetzt, da zwar mehr Komplikationen verhindert werden k&ouml;nnen, je niedriger der Blutzucker ist, aber auch mehr Aufwand und Therapierisiken mit Insulin bestehen. K&uuml;rzlich wurden auch die Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft publiziert, in denen weitere, in diesem Artikel nicht erw&auml;hnte n&uuml;tzliche Details zur Betreuung umfassend nachgelesen werden k&ouml;nnen.<sup>2</sup> Dort wird auch jede einzelne Empfehlung mit einem Evidenzgrad hinterlegt.<br /> Aus diesen Diagnosekriterien resultiert in der Schweiz eine H&auml;ufigkeit des GDM von 10&ndash;15 % w&auml;hrend der SS. Eine Insulintherapie ist bei GDM bei 10&ndash;20 % der Patientinnen notwendig. Typ-2-Diabetes tritt 10 Jahre sp&auml;ter bei 30&ndash;50 % dieser Patientinnen, auch ohne Risikofaktoren, auf. Das Screening f&uuml;r GDM soll bei allen Schwangeren in der 24.&ndash;28. SSW und bei ausgepr&auml;gtem Risikoprofil bereits in der 12. SSW (bei negativem Resultat noch einmal in der 24.&ndash;28. SSW) durchgef&uuml;hrt werden.<sup>3</sup></p> <h2>Wichtig: die Einhaltung des diagnostischen Procederes</h2> <p>Das diagnostische Procedere, wie in Tabelle 2 dargestellt, muss wegen m&ouml;glicher Fehlerquellen und der grossen Bedeutung der Komplikationen sowie f&uuml;r die Langzeitprognose penibel eingehalten werden. Eine Fehldiagnose stigmatisiert die Patientin und l&ouml;st einen hohen medizinischen Aufwand und unn&ouml;tige Angst aus. Das Screening wird meist beim Gyn&auml;kologen (teilweise auch beim Hausarzt oder direkt beim Diabetologen) durchgef&uuml;hrt.<br /> Auf den aufwendigen OGT kann verzichtet werden, falls der N&uuml;chtern-BZ (Plasma ven&ouml;s) morgens &lt; 4,4 oder &ge; 5,1 mmol/l betr&auml;gt (Tab. 2). Die HbA<sub>1c</sub>-Werte sind in der SS etwa um 0,6 mmol/l niedriger und k&ouml;nnen nicht f&uuml;r den Therapieverlauf oder f&uuml;r die Diagnose eingesetzt werden.<br /> Die Therapieziele (Tab. 1), erhoben durch die BZ-Tagesprofile der Patientinnen, sind h&ouml;her als die Diagnosekriterien, u. a. weil der kapill&auml;re Variationskoeffizient h&ouml;her ist als der ven&ouml;se (10 % vs. 3 %). Alle heute verf&uuml;gbaren &laquo;Point to care&raquo;-Ger&auml;te der Patienten rechnen kapill&auml;res Vollblut in Plasmawerte um, die &auml;quivalent zum Serum sind. Es werden jeweils mehrere BZ-Tagesprofile beurteilt, um zu einem Therapieentscheid zu kommen. Nach einem bariatrischen Eingriff versagt diese Screening-Methode aufgrund der ver&auml;nderten postprandialen BZ-Kinetik.<br /> Eine &Uuml;berweisung an einen GDM-erfahrenen Arzt (oft ein Diabetologe) und an eine Diabetesfachberatung sowie Ern&auml;hrungsfachberatung sollte bei Diagnosestellung rasch erfolgen. Falls der N&uuml;chternblutzucker &gt; 6,5 mmol/l oder zu irgendeinem Zeitpunkt &gt; 11 mmol/l liegt, sollte innert k&uuml;rzester Zeit mit Insulin therapiert werden.</p> <h2>Modifikation des Lifestyles notwendig</h2> <p>Schon bei Diagnosestellung soll der screenende Arzt die ersten Lifestylemassnahmen ansprechen, wie z. B. die typischsten Ern&auml;hrungsfehler: regelm&auml;ssiger Konsum von Eistee, S&uuml;ssgetr&auml;nken wie Cola/ RedBull/Sprite, Sirup oder Obsts&auml;ften, z. B. Apfelschorle.<br /> Falls eine &Uuml;berweisung nicht zeitnah m&ouml;glich ist, soll bereits die medizinische Praxisassistentin, die betreuende Pflegeperson oder der screenende Arzt selbst der Patientin die BZ-Messung mit Angabe der Therapiezielwerte beibringen.<br /> In der Diabetesfachberatung erfolgen die Lehre/&Uuml;berpr&uuml;fung der BZ-Messtechnik, die allgemeine Instruktion und Erkl&auml;rung der Bedeutung des GDM f&uuml;r das Kind und die Mutter in der Zukunft. Die Diabetesfachberatung hilft beim Umsetzen von Massnahmen zur Bewegung von idealerweise 3x 30 Min./Woche. G&uuml;nstig sind auch &Uuml;bungen mit dem Thera-Band.<br /> Die Ern&auml;hrungsfachberatung schult und hilft bei der Umsetzung einer gesunden Ern&auml;hrungsweise, oft anhand des &laquo;Tellermodells&raquo;: 1/3 Eiweiss (Fisch, Fleisch), 1/3 Kohlenhydrate (St&auml;rke: Reis, Teigwaren, Kartoffeln; Milchprodukte; Fr&uuml;chte) und mind. 1/3 Fasern (Salat, Gem&uuml;se). Ziel ist es, etwa 40 % der Kalorien mit Kohlenhydraten abzudecken. Sehr wenig Kohlenhydrate k&ouml;nnen zu Keton&auml;mie/ Ketonurie f&uuml;hren und beg&uuml;nstigen wahrscheinlich eine diskrete kognitive Entwicklungsst&ouml;rung des Kindes. Es sollte auf einen niedrigen glyk&auml;mischen Index der Kohlenhydrate geachtet werden (z. B. Vollkornbrot besser als Weissbrot). Es wird empfohlen, drei regelm&auml;ssige Hauptmahlzeiten, evtl. auch kleine Zwischenmahlzeiten und einen kleinen &laquo;Bedtime-Snack&raquo; einzunehmen. Isst man Zwischenmahlzeiten, sollten die BZ-Ziele mittags/abends als postprandial beurteilt werden.</p> <p>Der Effekt von Lifestylemassnahmen (Ern&auml;hrung und Bewegung) soll in den ersten zwei Wochen nach der Diagnose beurteilt werden (ausser bei einem BZWert n&uuml;chtern &gt; 6,5 mmol/l, dann sofort Insulin). In dieser Zeit soll der BZ h&auml;ufig (tgl. 4&ndash;7-Punkte-Tagesprofile, das heisst 3x vor/nach der Hauptmahlzeit und 1x &laquo;bedtime&raquo;) gemessen werden. Die subkutanen Dauermessungen sind in der SS noch nicht evaluiert.<br /> Bei guter Einstellung des Blutzuckers und einer Perzentile des Bauchumfangs des Fetus im Zielbereich k&ouml;nnen die BZMessungen nach dieser zweiw&ouml;chigen Lifestyleumsetzungsphase etwas weniger h&auml;ufig durchgef&uuml;hrt werden, beispielsweise mittels 4-Punkte-Tagesprofilen (n&uuml;chtern morgens, postprandial mittags/ abends und &laquo;bedtime&raquo;) alle zwei Tage oder auch seltener bei BZ-Werten deutlich unter dem Zielbereich.</p> <p>Die weitere Beurteilung des GDM sollte w&auml;hrend der SS alle vier Wochen (h&auml;ufiger bei Werten, die noch nicht im Zielbereich liegen), idealerweise in Zusammenarbeit mit einem Diabetologen, stattfinden. Kommuniziert wird interprofessionell am einfachsten &uuml;ber Eintragungen in das BZ-B&uuml;chlein, das die Patientin jeweils vorzeigen soll. Dort k&ouml;nnen auch Meldungen unabh&auml;ngig vom BZ eingetragen werden (z. B. Bauchumfang des Fetus, Ketonurie). Bei jeder dieser Kontrollen wird Folgendes analysiert: Lifestyleadh&auml;renz, BZ ven&ouml;s im &laquo;Praxis&raquo;-Labor (Vergleich mit Eigenmessung kapill&auml;r zur Kontrolle der &laquo;Point to care&raquo;-Ger&auml;te), Blutdruck, Gewichtsverlauf, Ketonurie (Uristix), Perzentile des Bauchumfangs (ab 24. SS-Woche) sowie die BZ-Tagesprofile. Die Gewichtszunahme pro Woche sollte bei einem BMI von &lt; 18 kg/m<sup>2</sup> vor der SS etwa 600 g/Woche, bei einem BMI von 18&ndash;25 kg/m<sup>2</sup> etwa 500 g/Woche und bei einem BMI &gt; 25 kg/m<sup>2</sup> 300 g/Woche betragen. Eine augen&auml;rztliche Untersuchung w&auml;hrend der SS ist bei GDM nicht notwendig, ausser es bestand bereits ein Diabetes mellitus vor der SS.<br /> Ein Therapieausbau (meist Insulin und/ oder Intensivierung der Lifestylemassnahmen) sollte erfolgen, wenn bei einem 4-Punkte-Tagesprofil 20&ndash;30 % der BZWerte f&uuml;r einige Tage &uuml;ber dem Ziel liegen. Falls der Bauchumfang des Fetus &uuml;ber der 75. Perzentile liegt, wird fr&uuml;her Insulin gegeben.</p> <h2>Es ist nie zu sp&auml;t f&uuml;r ein Screening</h2> <p>Ein Screening auf GDM soll auch bei verpasstem OGT nach der 28. SSW noch durchgef&uuml;hrt werden. Auch in den letzten SS-Tagen lohnt sich die Initiierung einer Insulintherapie noch, um den BZ in den Zielbereich zu bringen, da dann peripartale Komplikationen seltener auftreten.<br /> Insulin kann nach der Plazentaentwicklung weggelassen werden, aber die 4-Punkte-Tagesprofile des BZ sollten noch 1&ndash;2 Tage erhoben werden. Meistens normalisiert sich der BZ unmittelbar nach der Geburt. Stillen ist insbesondere bei GDM g&uuml;nstig in Bezug auf das sp&auml;tere Gewicht des Kindes. Ein OGT soll 6 Wochen postpartal durchgef&uuml;hrt werden bzw. soll ein HbA<sub>1c</sub>-Wert 12 Wochen postpartal erhoben werden. Danach werden j&auml;hrliche Kontrollen empfohlen. Ausserhalb der SS gelten &uuml;brigens h&ouml;here Therapie- und Diagnosezielwerte des BZ (Tab. 2).</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Jede Schwangere soll ein GDMScreening in der 24.&ndash;28. SS-Woche erhalten, bei Risikofaktoren fr&uuml;her. F&uuml;r die Diagnose soll ein penibles Procedere eingehalten werden und eine rasche Zuweisung zu einem Arzt, Diabetesfachberater sowie Ern&auml;hrungsfachberater mit Erfahrung im Bereich des GDM stattfinden. Lifestyleumstellung, kontrolliert mittels Tagesprofil nach zwei Wochen, gen&uuml;gt zu 80 % bei GDM, ansonsten ist Insulin n&ouml;tig. Als interprofessionelles Kommunikationsmittel soll das BZ-B&uuml;chlein herangezogen werden. Post partum sollen Glukose und HbA<sub>1c</sub> (mit anderen Zielwerten als in der SS) gemessen werden, danach je nach Resultat j&auml;hrlich, da Diabetes mellitus Typ 2 geh&auml;uft nach GDM auftritt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Innere_1901_Weblinks_lo_innere_1901_s39_tab1+2.jpg" alt="" width="2150" height="2007" /></p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Sacks DA et al.: Frequency of gestational diabetes mellitus at collaborating centers based on IADPSG consensus panel-recommended criteria: the Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome (HAPO) Study. Diabetes Care 2012; 35(3): 526-8 <strong>2</strong> DDG: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM): Diagnostik, Therapie und Nachsorge. 2. Auflage. DGG-AGG 2/2018 <strong>3</strong> Boulvain M et al.: Expertenbrief Nr. 37 der Schweizerischen Gesellschaft f&uuml;r Gyn&auml;kologie &amp; Geburtshilfe; Screening des Gestationsdiabetes, 1. 6. 2011</p> </div> </p>
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