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Studie: „cost of illness“ bei Multipler Sklerose

Endstation Frühpension wegen MS

<p class="article-intro">Laut der jüngsten Studie zu „cost of illness“ bei Multipler Sklerose arbeiten 54 % aller Betroffenen im erwerbsfähigen Alter nicht. Und das schon ab einem relativ geringen Behinderungsgrad. Das führt zu finanzieller und sozialer Benachteiligung, aber auch zu erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten. Experten fordern mehr Aufklärung und eine konsequentere Umsetzung vorhandener Unterstützungsmöglichkeiten.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Schweregrade und Arbeitsf&auml;higkeit h&auml;ngen nur bedingt zusammen</h2> <p>In &Ouml;sterreich gibt es etwa 13 500 von Multipler Sklerose Betroffene.<sup>1</sup> &bdquo;Der Schweregrad der Erkrankung sagt jedoch nur bedingt etwas &uuml;ber die Arbeitsf&auml;higkeit aus&ldquo;, erl&auml;utert Priv.-Doz. Dr. J&ouml;rg Kraus, Neurologe in Zell am See und Pr&auml;sident der &Ouml;sterreichischen Multiple Sklerose Gesellschaft. &bdquo;Bei rein k&ouml;rperlichen T&auml;tigkeiten ist eine Arbeitsunf&auml;higkeit nat&uuml;rlich deutlich schneller erreicht als bei einem B&uuml;rojob. Gerade bei geistigen T&auml;tigkeiten k&ouml;nnen MS-Patienten aber auch dann oft noch t&auml;tig sein, wenn sie k&ouml;rperlich bereits deutlicher eingeschr&auml;nkt sind.&ldquo;</p> <h2>Erkrankte fallen schnell aus dem Arbeitsprozess heraus</h2> <p>In der Praxis arbeiten Personen mit MS aber oft nicht. Das zeigen die aktuellen Daten aus der europaweit durchgef&uuml;hrten &bdquo;Cost of illness&ldquo;(COI)-Studie mit insgesamt knapp 17 000 Patienten, die auch in &Ouml;sterreich durchgef&uuml;hrt wurde. Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, MSc, von der Medizinischen Universit&auml;t Wien hat die &ouml;sterreichischen Daten<sup>2</sup> analysiert und berichtet: &bdquo;54 Prozent aller Studienteilnehmer im erwerbsf&auml;higen Alter arbeiten nicht, 43 Prozent davon gaben MS als Grund daf&uuml;r an. Erschreckend ist auch, dass bereits 50 Prozent der Patienten mit einem leichten Behinderungsgrad (EDSS 0 bis 3) nicht mehr berufst&auml;tig sind.&ldquo; Weitere Ergebnisse der Studie: 73 % der arbeitenden MS-Patienten berichteten, dass die Krankheit ihre Produktivit&auml;t bei der Arbeit beeintr&auml;chtigt. Besonders unangenehm sind Fatigue (krankheitsbedingte vorzeitige Ersch&ouml;pfung) (60 %), gefolgt von eingeschr&auml;nkter Mobilit&auml;t (30 %), kognitiven Problemen (25 %), Schmerzen (19 %) und getr&uuml;bter Stimmung (18 %).</p> <h2>Fr&uuml;hpension ist teuer</h2> <p>Die Kosten der Erkrankung pro betroffener Person schwanken laut Studie zwischen 25 100 (Gruppe der wenig eingeschr&auml;nkten Patienten) und 73 800 Euro (Gruppe der schwer beeintr&auml;chtigten Patienten) pro Jahr. Auff&auml;llig ist der hohe Kostenanteil f&uuml;r die Fr&uuml;hpensionen. Bereits bei Personen mit mildem Krankheitsverlauf machen Fr&uuml;hpensionen knapp ein Viertel der Gesamtkosten aus. Bei h&ouml;herem Behinderungsgrad steigen sie weiter an, hier kommen jedoch auch noch weitere starke Kostentreiber wie Pflege und Sozialdienste dazu. Auch europaweit zeigte sich, dass der Verlust der Arbeitskraft die Volkswirtschaft teuer zu stehen kommt: Der gr&ouml;&szlig;te Teil der von der Erkrankung verursachten Kosten (33 %) kommt n&auml;mlich durch den Ausfall der Produktivit&auml;t der betroffenen Patienten zustande.<sup>3</sup></p> <h2>Krankheitsverlauf verlangsamen, Arbeitskraft erhalten</h2> <p>&bdquo;Die Daten zeigen also eindeutig auf, wo Handlungsbedarf herrscht. Zum einen m&uuml;ssen wir &Auml;rzte versuchen, durch die individuell beste Therapie f&uuml;r den Patienten den Krankheitsfortschritt zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Zum anderen m&uuml;ssen wir uns mehr als bisher der Behandlung und Vorbeugung der Fatigue, der kognitiven Dysfunktion und der Depression widmen&ldquo;, appelliert Berger. Au&szlig;erdem m&uuml;sse es auch ein wichtigeres Ziel als bisher sein, die Arbeitsf&auml;higkeit der Betroffenen zu erhalten, nicht nur durch medizinische Versorgung, sondern auch durch unterst&uuml;tzende Ma&szlig;nahmen am Arbeitsplatz. Dies k&ouml;nne nur gelingen, wenn alle zust&auml;ndigen Stellen optimal zusammenarbeiten.</p> <h2>Mit Unterst&uuml;tzung l&auml;nger arbeitsf&auml;hig</h2> <p>&bdquo;Oft muss man mit diesen Symptomen aber nur richtig umgehen, um trotzdem arbeiten zu k&ouml;nnen&ldquo;, so Kraus. &bdquo;Entscheidend f&uuml;r die Arbeitsf&auml;higkeit ist, wie sehr Unternehmen ihren Mitarbeitern unterst&uuml;tzend entgegenkommen. Kann jemand, der oft von Fatigue geplagt wird, h&auml;ufiger Pause machen oder Teilzeit arbeiten, wird er auch l&auml;nger im Erwerbsleben bleiben k&ouml;nnen.&ldquo; Damit Arbeitgeber ihren Mitarbeitern zuk&uuml;nftig besser helfen k&ouml;nnen, braucht es Aufkl&auml;rung, ist Karin Krainz-Kabas, Gesch&auml;ftsf&uuml;hrerin der MS Gesellschaft Wien, &uuml;berzeugt. &bdquo;Mehr Information f&uuml;hrt zu mehr Verst&auml;ndnis. Die Verantwortlichen in den Firmen w&uuml;rden dann zum Beispiel wissen, dass MS meist in Phasen verl&auml;uft und dass nach schwierigen auch wieder gute Phasen kommen, in denen die Mitarbeiter produktiver sind.&ldquo; Marlene Schmid von der Multiple Sklerose Gesellschaft Tirol regt auch ganz praktische Hilfe wie die M&ouml;glichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, oder den vor&uuml;bergehenden Einsatz von Arbeitsassistenten an. &bdquo;Arbeitsassistenten unterst&uuml;tzen die Patienten am Arbeitsplatz und damit in weiterer Folge auch die Unternehmen. Sie geben beispielsweise praktische Hilfestellungen oder setzen sich f&uuml;r Ruhepausen ein, wenn jemand an Fatigue leidet.&ldquo; Die Kosten dieser Arbeitsassistenten werden von der &ouml;ffentlichen Hand getragen.</p> <h2>Experten sind f&uuml;r Ausbau bestehender Programme</h2> <p>Auch Programme zur Unterst&uuml;tzung chronisch kranker oder behinderter Menschen nach l&auml;ngeren Krankenst&auml;nden g&auml;be es ja schon, erg&auml;nzt Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA. Sie m&uuml;ssten nur noch weiter ausgebaut und verfeinert werden. &bdquo;Unternehmen, die sich daf&uuml;r entscheiden, Personen mit Einschr&auml;nkungen einzustellen oder weiterzubesch&auml;ftigen, k&ouml;nnen auf Antrag &ndash; genau wie die Betroffenen selbst &ndash; vielf&auml;ltige finanzielle F&ouml;rderungen von der &ouml;ffentlichen Hand erhalten&ldquo;, erl&auml;utert Rupp. &bdquo;Verschiedene relativ junge Instrumente wie etwa fit2work oder die befristete Arbeitszeitreduktion nach den Regeln des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes sind sehr gute Ans&auml;tze, um das in anderen L&auml;ndern bereits erprobte ,disability management&lsquo; f&uuml;r &Ouml;sterreich zu adaptieren.&ldquo; Es gibt allerdings keinen Rechtsanspruch daf&uuml;r. Die Unternehmen m&uuml;ssen freiwillig mitmachen. F&uuml;r die Betroffenen ist das ein gro&szlig;er Nachteil.&ldquo;</p> <h2>Beratung f&uuml;r junge Patienten nach Erstdiagnose von entscheidender Bedeutung</h2> <p>&bdquo;Die Diagnose MS wird oft um das 20. Lebensjahr herum gestellt. Das ist gleichzeitig ein ganz entscheidendes Alter, in dem viele berufliche und private Weichenstellungen vorgenommen werden&ldquo;, betont Rupp. &bdquo;Heute wei&szlig; man, dass Ausbildungs- und Berufsentscheidungen, die ohne fachliche Beratung, unter dem Eindruck von schwerwiegenden Diagnosen getroffen werden, h&auml;ufig dem intellektuellen Potenzial und den Krankheitsverlaufsprognosen f&uuml;r die Betroffenen widersprechen. Fehlentscheidungen in dieser Phase k&ouml;nnen f&uuml;r die Betroffenen zu unnotwendig eingeschr&auml;nkten Lebensentw&uuml;rfen und zu erheblichen finanziellen Nachteilen, die bis in die Pensionsbemessung hineinwirken, f&uuml;hren.&ldquo;<em> (red)</em></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Pressegespräch „Vereinbarkeit von Multipler Sklerose und Beruf: Was kann man tun?“, 21. November 2018 </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Baumhackl U (Hg.): Multiple Sklerose; Pr&auml;valenz &amp; Therapie im 12-Jahres-Vergleich in &Ouml;sterreich. Wien: Facultas, 2014 <strong>2</strong> Berger T et al.: Mult Scler 2017; 23: 17-28. doi: 10.1177/1352458517708099 <strong>3</strong> Kobelt G et al.: New insights into the burden and costs of multiple sclerosis in Europe. Mult Scler 2017; 23(8): 1123-36</p> </div> </p>
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