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Compliance-Problem Osteoporosetherapie: Treat or do not treat!

<p class="article-intro">Die epidemiologische Bedeutung von osteoporosebedingten Frakturen von Wirbelkörpern und im Schenkelhalsbereich ist heutzutage unbestritten. Bedingt durch die Zunahme der Lebenserwartung und die Geriatrisierung der Bevölkerungspyramide zeigte sich in den letzten Jahren eine progrediente Zunahme der Inzidenz von osteoporoserelevanten Frakturen. Die volkswirkschaftlichen Folgen sind nicht nur im sozialmedizinischen Bereich enorm. Osteoporose und frakturbedingte Krankenhausaufenthalte sind wesentliche Kostenfaktoren in unserem Gesundheitssystem.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Bei der Osteoporose kommt es neben einem beschleunigten Knochenmasseverlust mit oft mehr als 10 % pro Jahr auch zu strukturellen Ver&auml;nderungen des Knochenger&uuml;stes. Es kommt zu einer Rarefizierung und Vergr&ouml;berung der Knochenstruktur. Die Mikroarchitektur des Knochens geht unwiderruflich verloren. In weiterer Folge kommt es zum geh&auml;uften Auftreten von Frakturen, vor allem an der Wirbels&auml;ule und im Schenkelhalsbereich. Die h&auml;ufigsten Frakturereignisse treffen Patienten in der 7. und 8. Lebensdekade und f&uuml;hren zu einer deutlich erh&ouml;hten frakturbedingten Mortalit&auml;t und zu Einschr&auml;nkungen der Lebensqualit&auml;t bis hin zur kompletten Hilfsbed&uuml;rftigkeit und Pflegeheimeinweisung. 42 % aller Frauen ab dem 65. Lebensjahr sind hievon betroffen, aber auch M&auml;nner zeigen eine steigende Tendenz von Wirbelk&ouml;rper- und Schenkelhalsfrakturen. Gem&auml;&szlig; einer Studie verursacht die Erkrankung allein in Europa j&auml;hrlich direkte Kosten in der H&ouml;he von 31,7 Milliarden Euro. Legt man der Erkrankung eine Pr&auml;valenz von 30 % zugrunde, sind in &Ouml;sterreich etwa 470 000 Frauen &uuml;ber 50 Jahre gef&auml;hrdet, eine Osteoporose zu entwickeln.<br /> Obwohl oben beschriebene Problemstellungen allgemein bekannt sind, stellen Therapieindikation, Compliance und die Therapieadh&auml;renz ein enormes Problem dar. Aber nicht nur von Patientenseite, sondern oftmals auch von &auml;rztlicher Seite wird vor allem die pr&auml;ventive frakturvermeidende Therapie vernachl&auml;ssigt und deren Notwendigkeit untersch&auml;tzt. Obwohl nach einem eingetretenen Frakturereignis das Risiko, innerhalb eines Jahres ein neuerliches Frakturereignis zu erleiden, bis um das 8-Fache gesteigert ist, wird h&auml;ufig auf eine Basistherapie mit Kalzium und Vitamin D sowie eine spezifische Therapie zur Reduktion weiterer Frakturereignisse vergessen. Die sozialmedizinischen Auswirkungen der unmittelbaren und mittelbaren Folgen von osteoporosebedingten Frakturen werden oft str&auml;flich untersch&auml;tzt. Von der Pr&auml;vention bis zur akuten spezifischen Therapie ist ein sehr differenziertes Wissen um die therapeutischen M&ouml;glichkeiten Voraussetzung.<br /> Eine Basisdiagnostik wird empfohlen, wenn das gesch&auml;tzte 10-Jahres-Risiko f&uuml;r Wirbelk&ouml;rperfrakturen und proximale Femurfrakturen 20 % &uuml;bersteigt, oder bei unmittelbaren therapeutischen oder diagnostischen Konsequenzen, sofern das Risiko aktuell besteht oder bis vor weniger als 1&ndash;2 Jahren bestand.<br /> Die Therapie der Osteoporose muss zwei Ebenen betreffen:</p> <ol> <li>die Therapie in relativ jungen Jahren, die zu einer Verhinderung der Zerst&ouml;rung der strukturellen Knochenstruktur f&uuml;hrt und</li> <li>die Therapie vor allem im h&ouml;heren Alter, die sich um die Folgen der Osteoporose k&uuml;mmert und sich in der Vermeidung von St&uuml;rzen und in der Reduktion von weiteren Frakturen widerspiegelt.</li> </ol> <p>So gibt es f&uuml;r jede Altersdekade eine optimale Therapieform. Die Auswahl obliegt im Wesentlichen einem geschulten Osteologen, der unter Zuhilfenahme der Knochendichtemessung und der osteologisch relevanten Blutparameter zusammen mit der klinischen Untersuchung und der entsprechenden Anamnese die richtige Therapieform findet. Grundlage und Voraussetzung f&uuml;r jedwede spezifische medikament&ouml;se Osteoporosetherapie sind:</p> <ol> <li>eine ausreichende Vitamin-D3-Zufuhr (400 bis 2000 IE/Tag, alternativ 1x/ Woche 40ggt Vit D<sub>3</sub> oder Vit D<sub>3</sub>K2). Die jahreszeitliche Messung des Vitamin-DSpiegels, vorzugsweise in den Wintermonaten, liefert Hinweise auf die erforderlichen Einheiten. Spiegel &uuml;ber 30ng/ml sollten auf jeden Fall erreicht werden.</li> <li>eine ausreichende Versorgung mit Kalzium oral (additiv 500&ndash;1000mg/Tag je nach aliment&auml;rer Situation).</li> </ol> <p>Vitamin D und Kalzium alleine gen&uuml;gen nicht, um eine manifeste Osteoporose zu behandeln!</p> <h2>Multimorbidit&auml;t</h2> <p>Patienten, die an mehr als zwei Erkrankungen gleichzeitig leiden, sind eine gro&szlig;e medizinische Herausforderung. Eine besondere Problemstellung durch Multimorbidit&auml;t ergibt sich f&uuml;r die Osteoporosetherapie. Mit zunehmendem Alter steigen die Zahl der Erkrankungen und daher auch oft die Notwendigkeit einer medikament&ouml;sen Therapie. Nicht weniger als sieben Pillen nehmen &uuml;ber 75-J&auml;hrige durchschnittlich pro Tag ein. Laut der Berliner Altenstudie ist dabei aber nur ein Drittel der Senioren therapeutisch richtig eingestellt. Ein gutes Drittel ist medikament&ouml;s unter-, ein weiteres Drittel &uuml;berversorgt. Gerade Letztere gehen damit aber ein erhebliches Risiko ein: Einerseits weisen zahlreiche Arzneimittelgruppen, welche von Senioren besonders h&auml;ufig konsumiert werden, vielf&auml;ltige Nebenwirkungen und auch Wechselwirkungen mit anderen Pillen auf. Andererseits sind beim &auml;lteren Menschen viele physiologische Kapazit&auml;ten reduziert, was die Wirkungsweise der Pillen zus&auml;tzlich beeinflusst.</p> <h2>Die gr&ouml;&szlig;ten Risken</h2> <p>Falsch eingenommene oder falsch kombinierte Pr&auml;parate lassen nicht nur die Gefahr f&uuml;r schwere St&uuml;rze deutlich steigen, sie k&ouml;nnen auch auf andere Weise zur erheblichen Verminderung der Lebensqualit&auml;t f&uuml;hren: So steigt etwa die Verwirrtheit bisweilen deutlich an. Morbus Parkinson, Harninkontinenz oder schwere Stuhlverstopfungen k&ouml;nnen gef&ouml;rdert werden, ganz zu schweigen von Bauchweh, starker M&uuml;digkeit und allgemeiner Unlust.</p> <h2>Die h&auml;ufigsten Fallstricke</h2> <p>Wo wirkt sich unkontrollierter Arzneimittelkonsum am st&auml;rksten aus? Speziell Blutdruckmittel, Medikamente gegen hohen Blutzucker, Beruhigungs- und Schlafmittel sowie Schmerz- und Rheumapr&auml;parate haben beim &auml;lteren Menschen oft erhebliche Wechsel- und Nebenwirkungen. Hauptfehler sind einerseits die Einnahme &bdquo;falscher&ldquo; Arzneimittel (zweifelhaft wirksame Substanzen, nicht sinnvoll kombinierte Pr&auml;parate), andererseits die falsche Anwendung (richtiges Pr&auml;parat, falsche Dosierung und Einnahmedauer). Dosierungsempfehlungen auf Beipackzetteln sind n&auml;mlich f&uuml;r &auml;ltere Menschen nicht immer zutreffend. Beipackzettel orientieren sich &uuml;blicherweise an einem &bdquo;Normmenschen&ldquo;. Wichtig ist jedoch die individuelle k&ouml;rperliche Verfassung eines Patienten, und die kann am besten ein kompetenter Arzt beurteilen. Dieser kann nicht nur den richtigen Behandlungs- und Dosierungsplan aufstellen, sondern auch &uuml;ber potenzielle Nebenwirkungen und ihre Bewertung aufkl&auml;ren.</p> <h2>Warum weniger oft mehr ist</h2> <p>Ziel muss die Optimierung der Lebensqualit&auml;t sein. Man kann nicht alles gleichzeitig behandeln, sondern muss sich bei Multimorbidit&auml;t des Patienten als verantwortungsbewusster Arzt die Frage stellen: Was braucht der Patient am dringendsten, was fallweise und worauf kann und sollte er sogar verzichten?</p> <h2>Individuelle risikobezogene Osteoporosetherapieindikation</h2> <p>Der vor Kurzem erstmals vorgestellte neue WHO-Risiko-Score bedeutet nun eine Abkehr vom reinen T-Score-Pragmatismus der Knochendichte hin zum individuellen &bdquo;case-finding&ldquo;. Als Entscheidungsgrundlage f&uuml;r eine therapeutische Intervention wird demnach in Zukunft das individuelle absolute 10-Jahres-Frakturrisiko einer Person herangezogen werden. Dieses errechnet sich einerseits aus dem Knochendichtemessergebnis, andererseits aber auch aus dem Vorliegen oder Nichtvorliegen weiterer Frakturisikofaktoren (Tab. 1).</p> <h2>Schlussbemerkung</h2> <p>Die Osteoporose ist gerade im obigen Kontext oft nur eine Nebendiagnose, aber mit schwerwiegenden Folgen. Erst nach einem Frakturereignis bekommt die spezifische Therapie Relevanz. Neben einer kritischen Hinterfragung der medikament&ouml;sen Therapie hinsichtlich Sturzrisiko, Frakturpr&auml;vention durch Wohnungssanierungsma&szlig;nahmen und Verbesserung der muskul&auml;ren Koordination und Funktion sind vor allem neue nebenwirkungsarme und in ihrer Applikationsform lang wirksame Medikamente zu bevorzugen. Das Ziel der Behandlung einer manifesten Osteoporose besteht in der weiteren Frakturverhinderung &uuml;ber eine Verbesserung der Knochenqualit&auml;t, einer ad&auml;quaten Schmerzbehandlung sowie der Rehabilitation, um eine altersgem&auml;&szlig;e soziale Reintegration zu erm&ouml;glichen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1901_Weblinks_jatros_ortho_1901_s28_abb1-4.jpg" alt="" width="1420" height="1588" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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