© Catalin Rusnac iStockphoto

Der Stellenwert der Radiotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom

<p class="article-intro">Die Radiatio konnte im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte bei verschiedenen Tumorentitäten einen Organerhalt gewährleisten. Einige Beispiele sind das Mamma-, das Larynx- oder das Analkarzinom. Lässt die Radiotherapie ein organerhaltendes Vorgehen auch beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom zu? Dieser Beitrag soll eine kurze Übersicht über die aktuelle Evidenz zu diesem Thema geben.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Radio-Chemotherapie erm&ouml;glicht bei mehr als 70 % der selektionierten Patienten einen langfristigen Harnblasenerhalt bei mit der Operation vergleichbarer Tumorkontrolle.</li> <li>Dieser Therapieansatz ist eine valable Alternative zur radikalen Zystektomie, insbesondere f&uuml;r Patienten, die eine Organerhaltung w&uuml;nschen oder nicht f&uuml;r die Operation qualifizieren.</li> <li>Eine entsprechende Diskussion sollte interdisziplin&auml;r unter Einbezug der entsprechenden Fachexperten gef&uuml;hrt werden.</li> <li>Es braucht weitere Anstrengungen, um die Patientenselektion und die Therapieeffektivit&auml;t zu optimieren.</li> </ul> </div> <p>Pro Jahr erkranken in der Schweiz rund 1190 Personen an Harnblasenkrebs, circa 550 sterben daran.<sup>1</sup> In rund drei Viertel der F&auml;lle ist die Harnblasenmuskulatur nicht betroffen und die Therapie der Wahl ist die vollst&auml;ndige transurethrale Resektion des Blasentumors (TURBT), oft gefolgt von einer Instillation eines Chemotherapeutikums oder eines Immunmodulators (Bacillus Calmette-Guerin, BCG). Bei aggressiven Formen oder wenn vor allem die Muskulatur infiltriert ist, gilt dieser Therapieansatz aber als unzureichend. Die Zystektomie (in der Regel nach neoadjuvanter Cisplatin-basierter Kombinationschemotherapie) wird als Goldstandard in der Lokaltherapie angesehen. In den letzten Jahren mehren sich aber Berichte, welche den Organerhalt propagieren. Dies gelingt in einem hohen Prozentsatz (&gt;70 % ) mittels eines multimodalen Therapieansatzes. Zum Einsatz kommt eine perkutane Radiotherapie kombiniert mit Chemotherapie als Radiosensitizer. Die Zystektomie wird in Reserve gehalten, sie erfolgt als Salvage bei ungen&uuml;gendem Therapieansprechen.</p> <h2>Was wissen wir von grossen Datenbankanalysen?</h2> <p>Es gibt keine prospektiv randomisierte Studie (der SPARE-Trial musste vorzeitig abgebrochen werden), welche die radikale Zystektomie mit einem multimodalen organerhaltenden Therapiekonzept verglichen hat. Zwei retrospektive Analysen, welche Daten der National Cancer Database (NCD) der USA benutzten, zeigten einen &Uuml;berlebensvorteil durch die Zystektomie.<sup>2, 3</sup> In diesen Analysen wurde aber der Performance-Status &ndash; ein etablierter Prognosefaktor! &ndash; nicht ber&uuml;cksichtigt, weshalb ein Bias zugunsten der Operation zu vermuten ist (Patienten, welche f&uuml;r eine Operation nicht fit genug erschienen, wurden nicht chirurgisch therapiert). Wenn man den Allgemeinzustand mitber&uuml;cksichtigt, waren sowohl krankheitsspezifisches &Uuml;berleben als auch Gesamt&uuml;berleben bei Operation und organerhaltendem Vorgehen vergleichbar.<sup>4</sup> Unter diesem Gesichtspunkt wurde die NCD nochmals analysiert.<sup>5</sup> Insgesamt wurden 7322 Patienten mit Blasenkarzinom im Stadium II&ndash;IV M0 mit Zystektomie/Chemotherapie (n=5664) oder definitiver Radio-/Chemotherapie (n=1658) behandelt. Operierte Patienten waren signifikant j&uuml;nger und gem&auml;ss Charlson/Deyo-Comorbidity-Score auch ges&uuml;nder. Es mag deshalb nicht verwundern, dass das Gesamt&uuml;berleben der operierten Patienten l&auml;nger war. Nach umfangreicher Propensity-Score-Matched-Pair- Analyse war das Gesamt&uuml;berleben aber vergleichbar (nach 5 Jahren: 41,0 % vs. 40,1 % ; p=0,5). Erw&auml;hnenswert ist, dass fast 30 % der Patienten mit Zystektomie postoperativ ein h&ouml;heres Stadium aufwiesen. Diese Diskordanz zwischen klinischem und pathologischem Stadium und das Problem des Selektionsbias machen einen direkten Vergleich zwischen Zystektomie und trimodaler organerhaltender Therapie unm&ouml;glich.</p> <h2>Datenlage aus prospektiven Serien</h2> <p>Die gr&ouml;sste Serie bzgl. Organerhaltung mittels kombinierter Radio-Chemotherapie wurde vom Massachusetts General Hospital publiziert.<sup>6</sup> Zwischen 1986 und 2013 wurden 475 Patienten nach TURBT innerhalb von neun prospektiven Protokollen (oder analog dazu) einer Radio-Chemotherapie unterzogen. Bei fehlender Komplettremission erfolgte die Salvage-Zystektomie. F&uuml;r den Behandlungszeitraum 2005&ndash;2013 betrug die Rate des krankheitsspezifischen 5-Jahres-&Uuml;berlebens 84 % und ist damit vergleichbar mit Daten der radikalen Zystektomie. Eine Salvage-Zystektomie innert 5 Jahren musste lediglich in 16 % der F&auml;lle vorgenommen werden. Diese Ergebnisse best&auml;tigen Daten aus Erlangen<sup>7</sup> und gepoolte Daten aus RTOG-Studien.<sup>8</sup></p> <h2>Organerhalt: falls ja, um welchen Preis?</h2> <p>Grunds&auml;tzlich muss bei einer Bestrahlung zwischen Akut- (Entz&uuml;ndung) und Sp&auml;ttoxizit&auml;t (Vernarbung) unterschieden werden. W&auml;hrend Entz&uuml;ndungsreaktionen w&auml;hrend der Therapie selten schwer und in der Regel passager sind, k&ouml;nnen sich Langzeittoxizit&auml;ten erst im Laufe von Monaten oder Jahren entwickeln und dauerhaft sein. Generell haben Nebenwirkungen durch den Einsatz intensit&auml;tsmodulierter und bildgef&uuml;hrter Bestrahlungstechniken abgenommen. In der oben erw&auml;hnten Studie<sup>6</sup> kam es bei 475 Patienten zu 6 behandlungsbedingten Todesf&auml;llen (5 h&auml;matologisch/infekti&ouml;s; 1 Herzstillstand nach Salvage-Zystektomie). Zudem musste ein Patient aufgrund einer radiogenen Zystitis mit persistierender H&auml;maturie zystektomiert werden. Weitere Daten best&auml;tigen eine gute Blasenfunktion und den Erhalt der Sexualit&auml;t.<sup>9, 10</sup> Ausserdem legt eine neuere Studie nahe, dass Patienten mit Organerhaltung eine bessere Langzeit-Lebensqualit&auml;t aufweisen als nach Zystektomie.<sup>11</sup></p> <h2>Therapierichtlinien und Empfehlungen</h2> <p>Gem&auml;ss Behandlungsrichtlinie der NCCN<sup>12</sup> (Version 1.2019) stellt die Radiotherapie im multimodalen Therapiekonzept eine valable Alternative zur Zystektomie dar. Wichtig bei diesem Konzept ist die Reevaluation des Tumoransprechens: Gem&auml;ss NCCN-Richtlinie wird dies nach zwei bis drei Monaten empfohlen. Sollte noch Resttumor gefunden werden, ist die Salvage-Zystektomie angezeigt. Bei lediglich Tis, Ta oder T1 im Re-Staging wird die intravesikale BCG-Applikation als Alternative zur Salvage-Zystekomie angesehen.<sup>12</sup> Bei Patienten, welche nicht f&uuml;r eine Operation qualifizieren, sollte ohnehin die M&ouml;glichkeit der kombinierten Radio-Chemotherapie (oder ggf. der alleinigen Radiotherapie bei Kontraindikation zur Chemotherapie) erwogen werden. &Auml;hnlich &auml;ussert sich die ESMO zum Einsatz der Radiotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom.<sup>13</sup> Zudem kann die Radiatio als Palliativmassnahme indiziert sein. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt, dass den Patienten mit einem radikalen Therapieansatz sowohl die Zystektomie als auch die Radiotherapie kombiniert mit einem Radiosensitizer zur Wahl gestellt und dass die Entscheidung nach Diskussion mit den jeweiligen Fachpersonen (Operateur, Radioonkologe, Pflegefachperson) gef&auml;llt werden soll.<sup>14</sup> Die perkutane Radiotherapie sollte idealerweise intensit&auml;tsmoduliert und bildgef&uuml;hrt erfolgen: Die angestrebte Gesamtdosis betr&auml;gt ca. 55&ndash;65 Gray, was einer Gesamtbehandlungszeit von rund 6&ndash;7 Wochen entspricht.</p> <h2>Bei welchen Patienten ist der Blasenerhalt am wahrscheinlichsten?</h2> <p>Klinische Kriterien k&ouml;nnen helfen: Fr&uuml;here Tumorstadien, eine makroskopisch komplette TURBT, das Fehlen einer assoziierten CIS-Komponente sowie einer Ureterobstruktion und eine ad&auml;quate Blasenkapazit&auml;t/- funktion sind prognostisch g&uuml;nstig daf&uuml;r, dass die Harnblase durch eine kombinierte Radio-Chemotherapie erhalten werden kann.<sup>13</sup></p> <h2>Wie kann der Effekt der Radiotherapie gesteigert werden?</h2> <p>Nur Patienten mit Komplettremission nach kombinierter Radio-Chemotherapie haben eine g&uuml;nstige Prognose f&uuml;r einen zufriedenstellenden Organerhalt. Deshalb ist die Etablierung von Biomarkern, welche eine Komplettremission voraussagen k&ouml;nnen, von enormer Bedeutung. Die Datenlage ist in einer aktuellen &Uuml;bersichtsarbeit zusammengefasst.<sup>15</sup> Der Proliferationsmarker Ki-67 oder auch erbB2 scheinen diesbez&uuml;glich von Bedeutung zu sein. Als Beispiel f&uuml;r einen kombinierten Therapieansatz darf Trastuzumab erw&auml;hnt werden. Zudem laufen multiple Studien, in denen die simultane Gabe von Checkpoint-Inhibitoren evaluiert wird. Der Einschluss einer neoadjuvanten, adjuvanten oder mit der Radiotherapie kombinierten Immuntherapie in das organerhaltende Behandlungskonzept wird in laufenden klinischen Studien getestet (&Uuml;bersicht in Aragon-Ching JB et al.).<sup>16</sup> Radioonkologisch interessant ist die Frage, ob durch eine simultane Hyperthermie (Erw&auml;rmung der zu bestrahlenden Region ist eine bekannte radiosensibilisierende Massnahme!) die Effektivit&auml;t der Bestrahlung beim Blasenkarzinom gesteigert werden kann.<sup>17</sup> Ein klinisches Forschungsprojekt wurde auch in der Schweiz initiiert. Eine erste Auswertung an 20 Patienten zeigt nach 3 Jahren eine Rate an Harnblasenerhalt von 86 % .<sup>18</sup> Weitere Ergebnisse m&uuml;ssen abgewartet werden, bevor einer dieser Therapieans&auml;tze in die klinische Routine &uuml;bernommen werden kann.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> <a href="https://www.krebsliga.ch/ueber-krebs/zahlen-fakten/-dl-/fileadmin/downloads/sheets/zahlen-krebs-in-der-schweiz.pdf" target="_blank">www.krebsliga.ch/ueber-krebs/zahlen-fakten/-dl-/ fileadmin/downloads/sheets/zahlen-krebs-in-der-schweiz.pdf</a> (Zugriff am 12. 1. 2019) <strong>2</strong> Cahn DB et al.: Contemporary use trends and survival outcomes in patients undergoing radical cystectomy or bladder-preservation therapy for muscle-invasive bladder cancer. Cancer 2017; 123: 4337-45 <strong>3</strong> Ritch CR et al.: Propensity matched comparative analysis of survival following chemoradiation or radical cystectomy for muscle-invasive bladder cancer. BJU Int 2018; 121: 745-51 <strong>4</strong> Kulkarni GS et al.: Propensity score analysis of radical cystectomy versus bladder-sparing trimodal therapy in the setting of a multidisciplinary bladder cancer clinic. J Clin Oncol 2017; 35: 2299-305 <strong>5</strong> Lin H-Y et al.: National Cancer Database comparison of radical cystectomy vs chemoradiotherapy for muscle-invasive bladder cancer: implications of using clinical vs pathologic staging. Cancer Med 2018; 7: 5370-81 <strong>6</strong> Giacalone NJ et al.: Long-term outcomes after bladder-preserving tri-modality therapy for patients with muscle-invasive bladder cancer: an updated analysis of the Massachusetts General Hospital experience. Eur Urol 2017; 71: 952-60 <strong>7</strong> Roedel C et al.: Combined-modality treatment and selective organ preservation in invasive bladder cancer: long-term results. J Clin Oncol 2002; 20: 3061-71 <strong>8</strong> Mak RH et al.: Long-term outcomes in patients with muscle-invasive bladder cancer after selective bladder- preserving combined-modality therapy: a pooled analysis of Radiation Therapy Oncology Group protocols 8802, 8903, 9506, 9706, 9906, and 0233. J Clin Oncol 2014; 32: 3801-9 <strong>9</strong> Zietman AL et al.: Organ conservation in invasive bladder cancer by transurethral resection, chemotherapy and radiation: results of a urodynamic and quality of life study on long-term survivors. J Urol 2003; 170: 1772-6 <strong>10</strong> Efstathiou JA et al.: Late pelvic toxicity after bladder-sparing therapy in patients with invasive bladder cancer: RTOG 89-03, 95-06, 97-06, 99-06. J Clin Oncol 2009; 27: 4055-61 <strong>11</strong> Mak KS et al.: Quality of life in long-term survivors of muscle-invasive bladder cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2016; 96: 1028-36 <strong>12</strong> <a href="https://www.nccn.org/store/login/login.aspx?ReturnURL=https://www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/bladder.pdf" target="_blank">www.nccn. org/professionals/physician_gls/pdf/bladder.pdf</a> (Zugriff am 12. 1. 2019) <strong>13</strong> Bellmunt J et al.: ESMO guidelines working group: Bladder cancer: ESMO Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2014; Suppl 3: iii40-8 <strong>14</strong> NICE Guidance: Bladder cancer: diagnosis and management of bladder cancer. BJU Int 2017; 120: 755-65 <strong>15</strong> Koga F et al.: Biomarkers for predicting clinical outcomes of chemoradiation-based bladder preservation therapy for muscle-invasive bladder cancer. Int J Mol Sci 2018; 19: 2777 <strong>16</strong> Aragon-Ching JB et al.: Multidisciplinary management of muscle-invasive bladder cancer: Current challenges and future directions. ASCO Educational Book 2018; 307-18; <a href="http://www.asco.org/edbook" target="_blank">www.asco.org/edbook</a> <strong>17</strong> Longo TA et al.: A systematic review of regional hyperthermia therapy in bladder cancer. Int J Hyperthermia 2016; 32: 381-9 <strong>18</strong> Datta NR et al.: Is hyperthermia combined with radiotherapy adequate in elderly patients with muscle-invasive bladder cancers? Thermo-radiobiological implications from an audit of initial results. Int J Hyperthermia 2016; 32: 390-7</p> </div> </p>
Back to top