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Update zur Epidemiologie diffuser Gliome

<p class="article-intro">Diffuse Gliome zählen zu den seltenen Krebserkrankungen mit wenigen bislang bekannten Risikofaktoren. Dieser Beitrag gibt einen aktuellen epidemiologischen Abriss zur Erkrankung und beleuchtet die Hintergründe, die zu einer Adaptierung der WHO-Diagnoserichtlinien geführt haben, sowie deren konkrete Auswirkungen für Neuropathologen (Testung molekularer Marker) und auf Krebsregister (standardisiertes Erfassen dieser molekularen Marker).</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Diffuses Gliom, eine seltene Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen</h2> <p>In &Ouml;sterreich erkranken jedes Jahr etwa 600 Personen an einem diffusen Gliom.<sup>1</sup> Das entspricht etwa einem Viertel aller Hirntumorpatienten und einem Vierhundertstel aller Krebspatienten. W&auml;hrend das Krankheitsaufkommen in Europa und Nordamerika praktisch ident ist, findet sich eine deutlich geringere Inzidenz in Teilen Asiens und Afrikas.<sup>2</sup> Diese Unterschiede k&ouml;nnten durchaus auf ethnische Unterschiede in der Pr&auml;disposition hinweisen, sind bislang jedoch kaum systematisch untersucht. Das diffuse Gliom ist eine heterogene Erkrankung, die sich aus mehreren histologischen und molekularen Subtypen zusammensetzt.<sup>3</sup> Mit etwa 50 % ist das Glioblastom, WHO-Grad IV, dabei der h&auml;ufigste Subtyp, der im Gegensatz zu niedriggradigen Gliomen, WHO Grad II &amp; III, bevorzugt im h&ouml;heren Erwachsenenalter (~65&ndash;70 Jahre) auftritt.<sup>1</sup> Mit einem mittleren &Uuml;berleben von nur 11 Monaten ist die Prognose f&uuml;r Betroffene besonders ung&uuml;nstig (Roetzer et al., unpublished ABTR research data set). Dennoch sehen wir in den letzten Jahren eine schrittweise Zunahme des &Uuml;berlebens in der allgemeinen Bev&ouml;lkerung, die einem verbesserten Patientenmanagement mit Innovationen in Neurochirurgie und Diagnostik sowie Strahlen- und Chemotherapie zuzuschreiben ist (Abb. 1).<sup>4</sup> Trotz allem sterben Gliompatienten im Durchschnitt 20&ndash;25 Jahre zu fr&uuml;h; das bedeutet f&uuml;r die Gesellschaft einen h&ouml;heren Verlust in sozialer und &ouml;konomischer Hinsicht als durch die meisten anderen Krebserkrankungen.<sup>5</sup> Nicht zuletzt deshalb konzentrierte sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten intensiv darauf, potenzielle Ursachen zu identifizieren, um langfristig das Entstehen der Erkrankung verhindern zu k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1807_Weblinks_jatros_onko_1807_s8_abb1.jpg" alt="" width="2150" height="1190" /></p> <h2>Wenige bislang bekannte Risikofaktoren erkl&auml;ren nur einen Bruchteil der F&auml;lle</h2> <p>Ionisierende Strahlung vorwiegend therapeutischer Natur z&auml;hlt zu den am l&auml;ngsten bekannten und in unabh&auml;ngigen Studien gegenbest&auml;tigten Risikofaktoren.<sup>6</sup> Betroffene entwickeln meist mit einer Latenz von 5&ndash;10 Jahren Zweittumoren wie diffuse Gliome oder Meningeome. Entscheidend ist dabei nicht nur die Strahlendosis, sondern auch das Alter der Betroffenen; je h&ouml;her die Dosis und je j&uuml;nger die Patienten, umso h&ouml;her das Risiko f&uuml;r einen Zweittumor.<sup>7, 8</sup> Neben ionisierender Strahlung z&auml;hlen auch seltene, autosomal rezessiv vererbte Tumorsyndrome wie Neurofibromatose (NF1- oder NF2-Gen), tuber&ouml;se Sklerose (TSC1, TSC2) oder das Li-Fraumeni-Syndrom (TP53) zu den etablierten Risikofaktoren.<sup>3</sup> Im Erwachsenenalter sind allerdings nur ~1 % aller diffusen Gliome auf ein derartiges Syndrom zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. Mit knapp 5 % etwas h&auml;ufiger sind famili&auml;re Gliomf&auml;lle (definiert als zwei oder mehr Betroffene pro Familie).<sup>9</sup> Genetische Untersuchungen dieser Familien konnten zeigen, dass Verwandte ersten Grades ein doppelt so hohes Risiko aufweisen, ebenfalls an einem Gliom zu erkranken.<sup>10, 11</sup> W&auml;hrend die vererbten Mutationen interessanterweise spezifisch f&uuml;r die jeweiligen Familien sein d&uuml;rften, neigen Patienten innerhalb einer Familie dazu, Tumoren desselben Subtyps zu entwickeln.<sup>12</sup> 2017 wurde zudem eine der bis dato gr&ouml;&szlig;ten genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) zum genetischen Risiko bei sporadischen Gliomen publiziert.<sup>13</sup> Mithilfe beeindruckender 12 496 F&auml;lle und 18 190 Kontrollen konnten dreizehn neue &bdquo;Risikogene&ldquo; f&uuml;r Glioblastome und niedriggradige Gliome gefunden werden, die allesamt mit einem jeweils gering erh&ouml;hten Risiko einhergehen (Odds-Ratios, OR, meist zwischen 1,1 und 1,5). Umgekehrt f&uuml;hren Allergien und atopische Erkrankungen zu einem etwas verminderten Risiko (OR 0,7).<sup>14</sup><br /> Zu den nach wie vor kontroversiell diskutierten Risikofaktoren z&auml;hlen nicht ionisierende Strahlen durch Mobiltelefone. W&auml;hrend die gr&ouml;&szlig;te Fall-Kontroll-Studie (Interphone) hier ein gering erh&ouml;htes Risiko nach einem kumulativen Gebrauch von &uuml;ber 1500h aufzeigte,<sup>15, 16</sup> blieben prospektive Kohortenstudien bisweilen negativ.<sup>17</sup> Auch epidemiologische Beobachtungen aus mehreren L&auml;ndern konnten bis dato keinen Anstieg der Zahl von Tumoren wie Vestibularis-Schwannomen oder temporal gelegenen Gliomen nachweisen.<sup>18</sup></p> <h2>Gro&szlig; angelegte genetische Tumorstudien untermauern molekulare Subtypisierung</h2> <p>Im Jahr 2015 wurden die Ergebnisse zweier umfangreicher genetisch-epidemiologischer Studien zeitgleich im renommierten &bdquo;New England Journal of Medicine&ldquo; publiziert: einerseits das &bdquo;The Cancer Genome Atlas&ldquo;-Projekt zu niedriggradigen Gliomen<sup>19</sup> und andererseits die kombinierten Fallserien der University of California, San Francisco, sowie der Mayo Clinic, Rochester.<sup>20</sup> Beide Studien zusammen untersuchten weit &uuml;ber 1000 diffuse Gliome und kamen unabh&auml;ngig voneinander zu demselben Ergebnis: Im Vergleich zu einer histologisch basierten Klassifikation erlauben molekulare Marker eine Subtypisierung in noch homogenere Krankheitsgruppen, die wiederum eine bessere Prognoseabsch&auml;tzung erlauben.</p> <h2>2016 Update der WHO-Hirntumor-Klassifikation</h2> <p>Seit der ersten Ausgabe im Jahr 1979 basierte die WHO-Klassifikation der Hirntumoren auf einer rein histologischen Klassifikation der Tumortypen. Zu den wichtigsten Merkmalen z&auml;hlten dabei die histologische &Auml;hnlichkeit des Tumors zu nicht neoplastischem Gewebe, der Grad der Dedifferenzierung der Tumorzellen und die Zellteilungsaktivit&auml;t. Mit diesem histologischen Grundprinzip wurde nun im Rahmen des 2016er-Updates zur 4. Edition gebrochen.<sup>3</sup> Nicht zuletzt aufgrund der geballten Evidenz der oben genannten Studien werden jetzt molekulare Marker verst&auml;rkt in den diagnostischen Prozess integriert. Im Detail wurden drei molekulare Marker, i.e. Mutationen im IDH1/2-Gen, Deletionen der Chromosomenarme 1p und 19q sowie Mutationen im Histon Protein H3K27, in die Diagnostik der diffusen Gliome aufgenommen. Zusammen mit dem histologischen Ph&auml;notyp ergibt sich daraus ein eleganter diagnostischer Algorithmus, der zu &bdquo;integrierten&ldquo; Diagnosen f&uuml;hrt (Abb. 2). Insbesondere in der komplexen Abgrenzung astrozyt&auml;rer von oligodendroglialen Tumoren bedeutet die neue Klassifikation einen gro&szlig;en Schritt vorw&auml;rts. Im Gegensatz zu fr&uuml;her ist es nun deutlich pr&auml;ziser m&ouml;glich, Gliome eindeutig der einen oder der anderen Kategorie zuzuweisen. F&uuml;r die Betroffenen handelt es sich dabei um eine entscheidende Fragestellung, da sich die Prognose der beiden Subtypen um mehrere Jahre voneinander unterscheidet (g&uuml;nstigere Prognose f&uuml;r Patienten mit Oligodendrogliomen).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1807_Weblinks_jatros_onko_1807_s9_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="1190" /></p> <h2>Unmittelbare Auswirkungen f&uuml;r Neuropathologen und auf Krebsregister</h2> <p>Gerade wenn es um &Auml;nderungen diagnostischer Kriterien geht, sind (Neuro-) Pathologen naturgem&auml;&szlig; unmittelbar gefordert. Das aktuelle Update der WHOKlassifikation und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der molekularen Testung stellen allerdings eine besondere Herausforderung dar, die sich f&uuml;r H&auml;user mit geringerer Fallzahl oder anderer Schwerpunktsetzung als H&uuml;rde entpuppt. Noch unver&ouml;ffentlichte Daten einer Querschnittserhebung an &ouml;sterreichischen Diagnosezentren zeigen eine verz&ouml;gerte, jedoch kontinuierlich steigende Zunahme der molekularen Testungen nach Erscheinen der neuen Richtlinien (Bandke D. et al., unpublished data). Das Endergebnis wird zeigen, inwieweit der neue diagnostische Standard bereits in allen Diagnosezentren erfolgreich umgesetzt werden konnte. Die inner&ouml;sterreichischen Herausforderungen spiegeln die internationale Situation wider. Ein Survey von 130 Kollegen aus 40 L&auml;ndern unterstreicht zwar einerseits die klinische Relevanz, die der Markertestung zugeschrieben wird, zeigt andererseits jedoch eine Reihe ungel&ouml;ster Probleme auf, wie etwa fehlende Guidelines zur Testmethode bzw. Interpretation des Testergebnisses, fehlende Ringversuche zwischen den Labors, ungen&uuml;gend untersuchte analytische Test-Performance oder auch fehlende finanzielle Ressourcen zur Implementierung.<sup>21</sup><br /> Dass nicht nur Neuropathologen gefordert sind, sondern auch Krebsregister an sich, zeigt eine rezente Studie aus den USA.<sup>22</sup> Anhand von Krebsregisterdaten konnte dort gezeigt werden, dass etwa der WHO-Grad (als Teil der Diagnose) in nur 60 % der F&auml;lle korrekt registriert wird. Andere molekulare Marker wie die 1p19q- Kodeletion werden dabei noch deutlich seltener standardm&auml;&szlig;ig erhoben (in weniger als 5 % der F&auml;lle). Der Handlungsbedarf ist hier also enorm, und das betrifft nicht nur die USA, sondern auch L&auml;nder wie &Ouml;sterreich, die &uuml;ber ein eigenes Hirntumorregister verf&uuml;gen. Denn nur wenn aktuelle Diagnosen und Hirntumor-spezifische Marker prospektiv m&ouml;glichst l&uuml;ckenlos erfasst werden, k&ouml;nnen zuk&uuml;nftig verl&auml;ssliche Aussagen zu Krankheitsaufkommen und &Uuml;berleben get&auml;tigt werden.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Diffuse Gliome z&auml;hlen zu den seltenen Krebserkrankungen, die jedoch zu mehr &bdquo;verlorenen Lebensjahren&ldquo; beitragen als alle anderen Tumore. Zu den bekannten Risikofaktoren z&auml;hlen ionisierende Strahlen und genetische Faktoren, die insgesamt jedoch nur einen kleinen Prozentsatz aller F&auml;lle erkl&auml;ren. Im Bereich der genetischen Tumorepidemiologie konnten gro&szlig; angelegte Studien einen Durchbruch erzielen, der dazu gef&uuml;hrt hat, dass molekulare Marker wie die IDH-Mutation und die 1p19q-Kodeletion in die WHOKlassifikation aufgenommen wurden. Durch eine Kombination von histologischem Ph&auml;notyp und Genotyp kann jetzt noch gezielter zwischen den jeweiligen Gliomsubtypen unterschieden werden, wodurch eine verbesserte Prognoseabsch&auml;tzung erlaubt wird. Die neue WHOKlassifikation und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der molekularen Testung birgt jedoch auch gro&szlig;e Herausforderungen, insbesondere f&uuml;r Neuropathologen und Krebsregister.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Wohrer A et al.: The Austrian Brain Tumour Registry: a cooperative way to establish a population-based brain tumour registry. J Neurooncol 2009; 95(3): 401-11 <strong>2</strong> Leece R et al.: Global incidence of malignant brain and other central nervous system tumors by histology, 2003- 2007. Neuro Oncol 2017; 19(11): 1553-64 <strong>3</strong> Louis DN et al.: The 2016 World Health Organization classification of tumors of the central nervous system: a summary. Acta Neuropathol 2016; 131(6): 803-20 <strong>4</strong> Woehrer A et al.: Glioblastoma survival: has it improved? Evidence from population-based studies. Curr Opin Neurol 2014; 27(6): 666-74 <strong>5</strong> Rouse C et al.: Years of potential life lost for brain and CNS tumors relative to other cancers in adults in the United States, 2010. Neuro Oncol 2016; 18(1): 70-7 <strong>6</strong> Sadetzki S et al.: Long-term follow-up for brain tumor development after childhood exposure to ionizing radiation for tinea capitis. Radiat Res 2005; 163(4): 424-32 <strong>7</strong> Braganza MZ et al.: Ionizing radiation and the risk of brain and central nervous system tumors: a systematic review. Neuro-Oncology 2012; 14(11): 1316-24 <strong>8</strong> Inskip PD et al.: Radiation-related new primary solid cancers in the childhood cancer survivor study: comparative radiation dose response and modification of treatment effects. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2016; 94(4): 800-7 <strong>9</strong> Andersson U et al.: Germline rearrangements in families with strong family history of glioma and malignant melanoma, colon, and breast cancer. Neuro Oncol 2014; 16(10); 1333-40 <strong>10</strong> Bainbridge MN et al.: Germline mutations in shelterin complex genes are associated with familial glioma. J Natl Cancer Inst 2015; 107(1): 384 <strong>11</strong> Jalali A et al.: Targeted sequencing in chromosome 17q linkage region identifies familial glioma candidates in the Gliogene Consortium. Sci Rep 2015; 5: 8278 <strong>12</strong> Ruiz VY et al.: Molecular subtyping of tumors from patients with familial glioma. Neuro Oncol 2018; 20(6): 810-17 <strong>13</strong> Melin BS et al.: Genome-wide association study of glioma subtypes identifies specific differences in genetic susceptibility to glioblastoma and non-glioblastoma tumors. Nat Genet 2017; 49(5); 789-94 <strong>14</strong> Amirian ES et al.: Approaching a scientific consensus on the association between allergies and Glioma Risk: A report from the Glioma International Case-Control Study. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2016; 25(2): 282-90 <strong>15</strong> INTERPHONE Study Group: Brain tumour risk in relation to mobile telephone use: results of the INTERPHONE international case-control study. Int J Epidemiol 2010; 39(3): 675-94 <strong>16</strong> Cardis E et al.: Risk of brain tumours in relation to estimated RF dose from mobile phones: results from five Interphone countries. Occup Environ Med 2011; 68(9): 631-40 <strong>17</strong> Frei P et al.: Use of mobile phones and risk of brain tumours: update of Danish cohort study. BMJ 2011; 343: d6387 <strong>18</strong> Deltour I et al.: Mobile phone use and incidence of glioma in the Nordic countries 1979-2008: consistency check. 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