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EASD-Kongress 2018

Die Netzhaut als Indikator für kardiovaskuläres Risiko

<p class="article-intro">Der Augenhintergrund ist ein aussagekräftiger und möglicherweise zu wenig genützter Indikator für den Zustand des Gefässsystems und damit für das kardiovaskuläre Risiko. Dies zeigen Studien, die über die letzten 150 Jahre in der diabetischen und nicht diabetischen Population durchgeführt wurden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Dass die Netzhaut etwas mit dem Gesamtzustand des Gef&auml;sssystems zu tun haben k&ouml;nnte, ahnte man bereits im 19. Jahrhundert, wie Dr. Massimo Porta von der Universit&auml;t Turin ausf&uuml;hrt. Schon in einer Arbeit aus dem Jahr 1898 wies der Autor darauf hin, dass Ver&auml;nderungen an den Gef&auml;ssen der Netzhaut Anzeichen einer weiter reichenden vaskul&auml;ren Erkrankung sind, die auch Nieren und Gehirn betrifft und mit einer ung&uuml;nstigen Prognose vergesellschaftet ist.<sup>1</sup> Diese Assoziation wurde 40 Jahre sp&auml;ter in einer Kohorte von Hypertonikern quantifiziert. Eine ausgepr&auml;gte Verengung von Arteriolen in der Retina erwies sich in einer Studie mit 200 Patienten als Pr&auml;diktor f&uuml;r hohe Mortalit&auml;t.<sup>2</sup> Porta: &laquo;Die Autoren stratifizierten die Patienten in vier Risikogruppen und gelangten zu Kaplan-Meier-Kurven, wie man sie auch in modernen Publikationen findet. Bemerkenswert an dieser Studie war nicht zuletzt die extrem schlechte Prognose der Patienten mit dem h&ouml;chsten Risiko. Diese Daten geben einen Eindruck vom Verlauf einer schweren Hypertonie vor der Zeit wirksamer Antihypertensiva. &raquo;</p> <h2>Mannigfaltige Sch&auml;den an den Gef&auml;ssen der Netzhaut</h2> <p>Im Anschluss an diese Publikationen geriet das Thema jedoch in Vergessenheit und stiess erst vor wenigen Jahren wieder auf verst&auml;rktes Interesse. So zeigte die HOORN-Studie sowohl bei Diabetikern als auch bei Nichtdiabetikern signifikante Zusammenh&auml;nge zwischen Retinopathie auf der einen und kardiovaskul&auml;rer sowie Gesamtmortalit&auml;t auf der anderen Seite.<sup>3</sup> Vaskul&auml;re Zeichen an der Retina k&ouml;nnen, so Porta, in fokale und generalisierte Zeichen gegliedert werden. Zu den fokalen Zeichen geh&ouml;ren fokale Verengungen von Arteriolen, arterioven&ouml;ses Nicking, isolierte Mikroaneurysmen, Blutungen, Exsudate und Cotton-Wool-Herde. Generalisierte Zeichen sind beispielsweise allgemeine Ver&auml;nderungen der Gef&auml;sskaliber im Sinne einer Verengung der Arterien und Weitung der Venen sowie die Opazifizierung der Gef&auml;ssw&auml;nde (&laquo;silver wiring &raquo;). Am h&auml;ufigsten werden in der Allgemeinbev&ouml;lkerung fokale Gef&auml;ssverengungen gefunden. Porta verweist auf mehrere weitere Studien, die zeigen, dass vaskul&auml;re Sch&auml;den an der Netzhaut unabh&auml;ngig sowohl von Diabetes mellitus als auch von Hypertonie als kardiovaskul&auml;rer Risikofaktor gewertet werden m&uuml;ssen. Diese Sch&auml;den sind h&auml;ufig und werden bei rund 15 % der vermeintlich gesunden, nicht diabetischen und nicht hypertensiven Allgemeinbev&ouml;lkerung gefunden. Kommt Diabetes mellitus hinzu, wird allerdings alles schlimmer. So fand eine 2009 publizierte Arbeit, dass Personen ohne Diabetes, aber mit Retinopathie das gleiche kardiovaskul&auml;re Sterberisiko aufweisen wie Diabetespatienten ohne Retinopathie, dass die Kombination von Diabetes und Retinopathie jedoch mit der deutlich h&ouml;chsten kardiovaskul&auml;ren Mortalit&auml;t verbunden ist (Abb. 1).<sup>4</sup> In jedem Fall m&uuml;sse, so die Autoren, die Diagnose einer Retinopathie die Alarmglocken l&auml;uten lassen. Porta: &laquo;Das erinnert an altbekannte Daten. Seit rund 20 Jahren wissen wir ja, dass das kardiovaskul&auml;re Risiko des Diabetespatienten jenem eines Nichtdiabetikers nach dem ersten Myokardinfarkt entspricht. Eine Retinopathie ist also fast so gef&auml;hrlich wie ein Herzinfarkt. &raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1806_Weblinks_s34_abb1.jpg" alt="" width="1470" height="779" /></p> <h2>Hohe Pr&auml;diktionskraft in Bezug auf Schlaganfall</h2> <p>Vaskul&auml;re Ver&auml;nderungen an der Netzhaut deuten auch auf ein deutlich erh&ouml;htes Schlaganfallrisiko hin. In der ARIC-Studie erwiesen sich unterschiedliche Formen von L&auml;sionen als unterschiedlich ausgepr&auml;gte Risikomarker. Als am ung&uuml;nstigsten erwiesen sich Cotton-Wool-Herde, die mit einer Erh&ouml;hung des Schlaganfallrisikos um mehr als den Faktor 6 vergesellschaftet waren. Auch Mikroaneurysmen und Blutungen wirkten sich sehr ung&uuml;nstig aus. Fokale Gef&auml;ssverengungen hatten hingegen lediglich einen minimalen Effekt.<sup>5</sup> Die ARIC-Studie zeigte auch, dass eine Retinopathie ein besserer Pr&auml;diktor f&uuml;r einen Schlaganfall ist als L&auml;sionen in der weissen Substanz (&laquo;white matter lesions&raquo; &ndash; WML) in der Bildgebung. Extrem ung&uuml;nstig ist die Kombination von WML und Retinopathie, die das Schlaganfallrisiko um den Faktor 18 erh&ouml;ht.<sup>6</sup> <br />Auch das bei Diabetes mellitus generell erh&ouml;hte Risiko, eine Herzinsuffizienz zu entwickeln, steht in Zusammenhang mit den Ver&auml;nderungen in der Netzhaut. Retinopathie erwies sich als unabh&auml;ngiger Pr&auml;diktor einer Herzinsuffizienz &ndash; bei Diabetikern, aber auch bei Personen ohne Diabetes, Hypertonie oder koronare Herzerkrankung. Die Autoren empfehlen daher, asymptomatische Patienten mit Retinopathie gr&uuml;ndlich kardiovaskul&auml;r abzukl&auml;ren.<sup>7</sup> Porta: &laquo;Die Netzhaut zeigt uns also etwas, das wir anhand anderer Risikomarker nicht so einfach finden.&raquo; Eine inverse Assoziation von diabetischer Retinopathie und kardialer Struktur und Funktion wurde beschrieben. In einer Kohortenstudie mit mehr als 500 Patienten mit Typ-2-Diabetes erwies sich Retinopathie als assoziiert mit Hypertonie, kardiovaskul&auml;rer Erkrankung, h&ouml;herem HbA<sub>1c</sub> und ausgepr&auml;gterer Albuminurie. Mit zunehmender Retinopathie nahmen Masse und Durchmesser des linken Ventrikels zu und die linksventrikul&auml;re Auswurffraktion und die fraktionelle Verk&uuml;rzung des linken Ventrikels ab.<sup>8</sup> In der ARIC-Studie wurden auch die unterschiedlichen Zeichen der Retinopathie hinsichtlich ihres pr&auml;diktiven Werts in Bezug auf die Herzinsuffizienz analysiert. Wiederum waren Cotton-Wool-Spots, Blutungen und Mikroaneurysmen am deutlichsten mit erh&ouml;htem Risiko assoziiert.<sup>7</sup> <br />Porta unterstreicht jedoch, dass sich die Verengung von Arterien in der Retina in zahlreichen Studien als guter Pr&auml;diktor f&uuml;r unterschiedliche systemische Erkrankungen erwiesen hat. So zum Beispiel f&uuml;r neu aufgetretenen Diabetes, neu aufgetretene Hypertonie, f&uuml;r Amputationen und Proteinurie bei Typ-1-Diabetikern sowie f&uuml;r zerebrale Atrophie und kognitive Einschr&auml;nkung. Porta: &laquo;Offenbar k&ouml;nnen Ver&auml;nderungen der Netzhaut also dem Auftreten eines Diabetes mellitus vorausgehen.&raquo; Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Arbeit, die eine erh&ouml;hte Diabetesinzidenz bei Personen mit erweiterten Arterien in der Netzhaut fand.<sup>9</sup></p> <h2>Retinopathie und kardiovaskul&auml;rer Tod</h2> <p>In der diabetischen Population ist Retinopathie ein starker Pr&auml;diktor f&uuml;r Mortalit&auml;t. Speziell bei Patienten mit substanzieller Sehbehinderung infolge einer diabetischen Retinopathie wurde eine insgesamt sehr schlechte Prognose mit fast 40 % Sterblichkeit &uuml;ber drei Jahre gefunden, wobei kardiovaskul&auml;rer Tod der Treiber der erh&ouml;hten Mortalit&auml;t war.<sup>10</sup> Eine Metaanalyse best&auml;tigte die Assoziation von Retinopathie und Risiko, fand jedoch insgesamt in der Population von Typ-1-Diabetikern eine deutlich geringere Mortalit&auml;t als die zuvor genannte Arbeit. Dabei von Bedeutung d&uuml;rften eine generell erh&ouml;hte atherosklerotische Last, aber auch erh&ouml;hte Plaque-Vulnerabilit&auml;t und daraus resultierend h&ouml;here Inzidenz von Myokardinfarkten bei Patienten mit diabetischer Retinopathie sein. Eine Metaanalyse zeigt, dass diese Assoziation auch in prospektiven Kohortenstudien h&auml;lt. Die Autoren gelangen zu dem Schluss, dass das Vorhandensein einer Retinopathie Grund f&uuml;r eine intensivierte Therapie des Diabetes und anderer Risikofaktoren sein sollte.<sup>11</sup> Generell werden Zusammenh&auml;nge zwischen mikrovaskul&auml;ren Sch&auml;den und makrovaskul&auml;ren Ereignissen immer deutlicher. So erwiesen sich in einer italienischen Kohortenstudie mikrovaskul&auml;re Komplikationen aller Art als unabh&auml;ngige Pr&auml;diktoren des Herzinfarktrisikos. Bemerkenswerterweise war in dieser Studie ein Wohnort in S&uuml;ditalien unabh&auml;ngig und signifikant mit einer fast 30-prozentigen Reduktion des Risikos assoziiert.<sup>12</sup> Die Assoziation von mikro- und vaskul&auml;ren Komplikationen ist &laquo;dosisabh&auml;ngig&raquo;. Mit schwerer werdender mikrovaskul&auml;rer Erkrankung steigen die makrovaskul&auml;ren Inzidenzraten dramatisch an.<sup>13 </sup></p> <h2>Deep Learning f&uuml;r die Befunde der Zukunft</h2> <p>In Zukunft k&ouml;nnte die Befundung des Augenhintergrundes zu einer wichtigen Technik im Rahmen der kardiovaskul&auml;ren Risikoabsch&auml;tzung werden. Und dies k&ouml;nnte sogar automatisiert m&ouml;glich werden. So wurde auf Basis von Daten aus der UK Biobank ein Algorithmus entwickelt, mit dem anhand von Fundus-Fotografien das individuelle kardiovaskul&auml;re Risiko durch k&uuml;nstliche Intelligenz berechnet werden kann.<sup>14</sup> Porta: &laquo;Man hat dabei Deep-Learning-Algorithmen eingesetzt und innerhalb von f&uuml;nf Jahren die gleiche Sicherheit der Pr&auml;diktion erreicht, die wir mit dem SCORE-System erreichen. Allerdings war es nicht m&ouml;glich, durch Verbindung des Algorithmus mit dem SCORE die Qualit&auml;t der Pr&auml;diktion weiter zu verbessern. Aber ich denke, dass hier eine T&uuml;re ge&ouml;ffnet wurde und man sieht, was in Zukunft auf Basis des Augenhintergrundes alles m&ouml;glich werden wird.&raquo; <br />Da der Zustand der Retina einen Einblick in den Gesamtzustand des Gef&auml;sssystems gew&auml;hren d&uuml;rfte, k&ouml;nnte er sich auch als Pr&auml;diktor f&uuml;r die Erfolgschancen koronarer Revaskularisierung eignen. Eine japanische Gruppe fand einerseits, dass jeder vierte Diabetespatient, der wegen Retinopathie ophthalmologisch betreut wird, eine signifikante Koronarstenose aufweist.<sup>15</sup> Dar&uuml;ber hinaus zeigen &auml;ltere Daten dieser Gruppe jedoch auch, dass Patienten mit Retinopathie nach einer koronaren Revaskularisation langfristig ein deutlich schlechteres Outcome haben. Die Autoren schliessen aus ihren Daten, dass Retinopathie f&uuml;r die Indikationsstellung zur koronaren Bypassoperation statt perkutaner Intervention herangezogen werden kann.<sup>16</sup></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: EASD-Kongress 2018, EASDEC-Symposium «Diabetic retinopathy: a pandora’s box of diabetic complications», 1. Oktober 2018, Berlin </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Gunn M : Trans O phthalmol S oc U K 1 898; 1 8: 3 56-391 <strong>2</strong> Keith NM et al.: Am J Med Sci 1939; 197: 332-43 <strong>3</strong> Van Hecke MV et al.: Diabetes Care 2003; 26(10): 2958 <strong>4</strong> Liew G et al.: Heart 2009; 95(5): 391-4 <strong>5</strong> Wong TY et al.: Lancet 2001; 358(9288): 1134-40 <strong>6</strong> Wong TY et al.: JAMA 2002; 288(1): 67-74 <strong>7</strong> Wong TY et al.: JAMA 2005; 293(1): 63-9 <strong>8</strong> Aguilar D et al.: Am Heart J 2009; 157(3): 563-8 <strong>9</strong> Yau JW et al.: Diabetes Res Clin Pract 2012; 95(2): 265-74 <strong>10</strong> Rajala U et al.: Diabetes Care 2000; 23(7): 957-61 <strong>11</strong> Guo VY et al.: J Stroke Cerebrovasc Dis 2016; 25(7): 1688-95 <strong>12</strong> Avogaro A et al.: Diabetes Care 2007; 30(5): 1241-7 <strong>13</strong> Brownrigg JR et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4(7): 588-97 <strong>14</strong> Poplin R et al.: Nat Biomed Eng 2018; 2: 158-64 <strong>15</strong> Ohno T et al.: J Thorac Cardiovasc Surg 2010; 139(1): 92-7 <strong>16</strong> Ono T et al.: J Am Coll Cardiol 2002; 40(3): 428-36</p> </div> </p>
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