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Auf dem Weg von gestern zu morgen

Grundlegende Änderungen im operativen Management des Brustkrebses

<p class="article-intro">Die Behandlung des Brustkrebses hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundlegend verändert. «Weniger Chirurgie und mehr Medikamente»: So könnte man – zugegebenermassen zu kurz gefasst – die aktuelle Situation in wenigen Worten zusammenfassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte der folgende Artikel die wesentlichsten Änderungen und vor allem die sich wandelnde Rolle der Chirurgie im Therapiekonzept beleuchten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der nordamerikanische Chirurg William S. Halsted beschrieb 1882 erstmals die Mastektomie als effektive Behandlungsmethode f&uuml;r nicht metastasierten Brustkrebs. Und obwohl ebenfalls bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Beobachtung gemacht wurde, dass eine beidseitige Adnexektomie zu einer Verkleinerung von Brusttumoren und Metastasen f&uuml;hren konnte, wurde Brustkrebs &uuml;ber die n&auml;chsten 100 Jahre ausschliesslich chirurgisch und stets durch eine Mastektomie behandelt. Erst gegen Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die brusterhaltende Therapie in Kombination mit der Bestrahlung. In den 1990er-Jahren erfolgte die Einf&uuml;hrung der Sentinellymphonodektomie (SLN), welche seit Ende des letzten Jahrtausends als Standardtherapie bei klinisch und bildgebend negativen axill&auml;ren Lymphknoten etabliert ist. Und dies ist in etwa die Situation, wie sie sich zur Jahrtausendwende darstellte. Gem&auml;ss internationalen Leitlinien sollte Brustkrebs prim&auml;r chirurgisch (wann immer m&ouml;glich brusterhaltend) behandelt werden, bei Hormonrezeptorpositivit&auml;t gefolgt von einer antihormonellen Therapie und gegebenenfalls einer adjuvanten Chemotherapie.<sup>1</sup> In den USA wurde Frauen unter 70 Jahren ab einer Tumorgr&ouml;sse von 1cm unabh&auml;ngig vom Nodalstatus zur Durchf&uuml;hrung einer adjuvanten Chemotherapie geraten.<sup>2</sup></p> <h2>Operative Behandlung in der adjuvanten Therapiesituation</h2> <p>Mit Einf&uuml;hrung der brusterhaltenden Therapie und der Sentinellymphonodektomie ist die operative Radikalit&auml;t bereits Ende des letzten Jahrtausends deutlich gesunken. Doch auch Patientinnen, welche &laquo;nur&raquo; eine Sentinellymphonodektomie erhalten, erleiden in ca. 5&ndash;15 % ein Lymph&ouml;dem des Armes, welches die Lebensqualit&auml;t relevant einschr&auml;nken kann. Hinzu kann bei Brusterhaltung, insbesondere bei Einsatz ausgedehnter onkoplastischer Verschiebeplastiken und verst&auml;rkt durch die postoperative Strahlentherapie, ein Lymph&ouml;dem der Brust kommen. Die 2011 ver&ouml;ffentlichte ACOSOG-Z-0011- Studie zeigte, dass bei Frauen mit einem Mammakarzinom kleiner 5cm und 1&ndash;2 befallenen Sentinellymphknoten auf eine Axilladissektion verzichtet werden kann, wenn die Patientin eine postoperative Radiotherapie und eine &laquo;leitliniengerechte &raquo; systemische Nachbehandlung erh&auml;lt.<sup>3</sup> Die 10-Jahres-Daten wurden auf dem ASCO-Kongress 2016 pr&auml;sentiert. Weder in Bezug auf die axill&auml;re Rezidivrate (0,5 % bei Patientinnen mit Axilladissektion vs. 1,5 % bei Patientinnen mit SLN) noch auf das Gesamt&uuml;berleben (83,6 vs. 86,3 % ) zeigen sich signifikante Unterschiede.<sup>4</sup> Die Studie ist zumindest in den USA und in Mitteleuropa als &laquo;practice changing&raquo; zu bezeichnen &ndash; dies trotz bekannter methodischer M&auml;ngel (insbesondere sind die unzureichend dokumentierten Bestrahlungsprotokolle zu nennen) &ndash; und wurde rasch in den Alltag integriert. Neue Ans&auml;tze gehen sogar noch weit hier&uuml;ber hinaus. Der deutsche INSEMA Trial<sup>5, 6</sup> randomisiert Patientinnen mit T1- und T2-Tumoren mit klinisch und bildgebend negativen axill&auml;ren Lymphknoten im Verh&auml;ltnis 1:4 in zwei Gruppen: Eine Gruppe erh&auml;lt eine Sentinellymphonodektomie, wie es Standard ist, die andere Gruppe erh&auml;lt keinerlei Axillachirurgie. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten, aber eventuell kann in Zukunft in einem ausgew&auml;hlten Patientinnenkollektiv auf eine operative Intervention in der Axilla vollst&auml;ndig verzichtet werden.</p> <h2>Neoadjuvante Chemotherapie (NACT) und ihre Auswirkungen auf die operative Behandlung</h2> <p>W&auml;hrend noch vor 10 Jahren die meisten Chemotherapien adjuvant verabreicht wurden, wird heute immer h&auml;ufiger neoadjuvant therapiert. Das neoadjuvante Setting stellt einen In-vivo-Test f&uuml;r das Ansprechen auf die Therapie dar. Durch die neoadjuvante Therapie kann die Rate an brusterhaltenden Therapien erh&ouml;ht werden, denn die Resektionsgrenzen werden durch die bildgebende und klinische postneoadjuvante Ausdehnung des Tumors bestimmt.<sup>7, zitiert nach 4</sup> Und auch die Axillachirurgie kann unter Umst&auml;nden reduziert werden. 20&ndash;40 % der vor Beginn der neoadjuvanten Chemotherapie nodal-positiven Patientinnen konvertieren unter der Therapie zu einem klinisch und bildgebend negativen Nodalstatus.<sup>4</sup> Bis vor zwei Jahren wurden diese Patientinnen aufgrund einer zu hohen Falsch-negativ-Rate und einer unzureichenden Detektionsrate des Sentinellymphknotens trotzdem mit einer Axilladissektion behandelt.<sup>8, 9</sup> 2016 f&uuml;hrte die Publikation des Konzeptes der &laquo;targeted axillary dissection&raquo; zu einem Paradigmenwechsel.<sup>10</sup> Die histologisch gesicherten Lymphknotenmetastasen werden vor Beginn der Chemotherapie mit einem Clip markiert und m&uuml;ssen im Rahmen der Sentinellymphonodektomie nach Abschluss der neoadjuvanten Chemotherapie zwingend mit entfernt werden. Werden im Rahmen dieses Therapiekonzeptes mindestens 3 Sentinellymphknoten entfernt, l&auml;sst sich die Falsch-negativ- Rate auf ein akzeptables Niveau senken. Allerdings ist es nicht einfach, die geclippten Lymphknoten intraoperativ aufzufinden. Die in Deutschland initiierte SenTA-Studie<sup>11</sup> &uuml;berpr&uuml;ft die Umsetzbarkeit und Praktikabilit&auml;t des Konzeptes der &laquo;targeted axillary dissection&raquo;.</p> <h2>Neoadjuvante Chemotherapie und pathologische Komplettremission (pCR)</h2> <p>Die pathologische Komplettremission, definiert als Tumorfreiheit in Brust und Lymphknoten, stellt einen wichtigen neuen Prognoseparameter dar. Insbesondere bei tripelnegativen und HER2/neu-positiven Mammakarzinomen kann das Erreichen einer pCR als Marker f&uuml;r ein verl&auml;ngertes krankheitsfreies &Uuml;berleben (DFS) und ein verl&auml;ngertes Gesamt&uuml;berleben (OS) angesehen werden.<sup>12</sup> Es stellt sich die Frage, ob bei Erreichen einer pCR nach NACT &uuml;berhaupt noch eine operative Intervention in der Brust notwendig ist, denn von der Entfernung eines St&uuml;ckchens Brustdr&uuml;sengewebe ohne maligne Zellen ist mit grosser Wahrscheinlichkeit kein Benefit zu erwarten. Jedoch k&ouml;nnen heute weder die Bildgebung (MRI) noch Stanzbiopsien mit ausreichender Sicherheit eine pCR vorhersagen.<sup>13, 14</sup> Minimal invasive Biopsietechniken (ultraschallgesteuerte oder stereotaktische Vakuumbiopsien) k&ouml;nnten jedoch durchaus das Potenzial haben, eine pCR zu diagnostizieren. Laufende Studien, z.B. der Responder-Trial<sup>15</sup>, &uuml;berpr&uuml;fen dieses Konzept. Auch wenn es heute noch kaum vorstellbar klingt, so ist es doch durchaus m&ouml;glich, dass wir in Zukunft bei Erreichen einer pCR nach NACT die Brust nicht mehr operieren. Was noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war, w&auml;re dann zumindest bei einem Teil der Brustkrebspatientinnen Realit&auml;t: Auf eine Operation der Brust k&ouml;nnte verzichtet werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Guideline zur adjuvanten Systemtherapie (AST) des Mammakarzinoms der Frau. Schweiz &Auml;rztezt/Bulletin des m&eacute;decins suisses/Bollettino dei medici svizzeri 2003; 84: 38 <strong>2</strong> Adjuvant Therapy for Breast Cancer, National Institutes of Health, Consensus Development Conference Statement, November 1&ndash;3, 2000 <strong>3</strong> Giuliano AE et al.: Axillary dissection vs no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: a randomized clinical trial. JAMA 2011; 305(6): 569-75 <strong>4</strong> K&uuml;hn T: Therapie beim fr&uuml;hen Mammakarzinom, Kapitel 5: Lokale Therapie: Operation. Colloquium Senologie 2017/1018: 109-17 <strong>5</strong> Intergroup-Sentinel-Mamma( INSEMA)-Trial &ndash; GBG 75: Vergleich einer Sentinel-Lymphknoten- Biopsie versus keine Sentinel-Lymphknoten Biopsie bei Patientinnen mit fr&uuml;hem invasiven Brustkrebs und geplanter brusterhaltender Operation: eine prospektive, randomisierte Operative Studie <strong>6</strong> Reimer T et al.: Restricted axillary staging in clinically and sonographically nodenegative early invasive breast cancer (c/iT1-2) in the context of breast conserving therapy: first results following commencement of the Intergroup-Sentinel-Mamma (INSEMA) Trial. Geburtsh Frauenheilk 2017; 77: 149-57 <strong>7</strong> Bossuyt V et al.: Recommendations for standardized pathological characterization of residual disease for neoadjuvant clinical trials of breast cancer by the BIG-NABCG collaboration. Ann Oncol 2015; 26(7): 1280-91 <strong>8</strong> Kuehn T et al.: Sentinel-lymph-node biopsy in patients with breast cancer before and after neoadjuvant chemotherapy (SENTINA): a prospective, multicenter cohort study. Lancet Oncol 2013; 14: 609-18 <strong>9</strong> Boughey JC et al.: Sentinel lymph node surgery after neoadjuvant chemotherapy in patients with node-positive breast cancer: the ACOSOG Z1071 (Alliance) clinical trial. JAMA 2013; 310: 1455-61 <strong>10</strong> Caudle AS et al.: Improved axillary evaluation following neoadjuvant therapy for patients with node-positive breast cancer using selective evaluation of clipped nodes: implementation of targeted axillary dissection. J Clin Oncol 2016; 34(10): 1072-9 <strong>11</strong> SenTa-Studie, GBG: Prospektive, multizentrische Registerstudie zur Anwendungsh&auml;ufigkeit und Durchf&uuml;hrbarkeit einer gezielten, axill&auml;ren Lymphknoten- Exzision (Targeted Axillary Dissection) nach Stanzbiopsie und Clipmarkierung beim prim&auml;ren Mammakarzinom mit klinisch suspekten Lymphknoten <strong>12</strong> Cortazar P et al.: Pathological complete response and long-term clinical benefit in breast cancer: the CTNeoBC pooled analysis. Lancet 2014; 384 (9938): 164-72 <strong>13</strong> Weber JJ et al.: MRI and prediction of pathologic complete response in the breast and axilla after neoadjuvant chemotherapy for breast cancer. J Am Coll Surg 2017; 225(6): 740-6 <strong>14</strong> Heil J et al.: Diagnose der pathologischen Komplettremission nach neoadjuvanter Chemotherapie bei Brustkrebs mittels minimal invasiver Biopsietechniken. Senologie &ndash; Zeitschrift f&uuml;r Mammadiagnostik und -therapie 2015; 12-A53 <strong>15</strong> Heil J et al.: RESPONDER &ndash; diagnosis of pathological complete response by vacuum-assisted biopsy after neoadjuvant chemotherapy in breast cancer &ndash; a multicenter, confirmative, one-armed, intra-individually-controlled, open, diagnostic trial. BMC Cancer 2018; 18: 851</p> </div> </p>
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