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SGPP-Kongress 2018

Neue Therapieempfehlungen: Depression im Alter

<p class="article-intro">Die Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP) hat aktuelle Empfehlungen für die Behandlung von Depressionen im Alter herausgegeben.<sup>1</sup> Diesen war beim Jahreskongress der SGPP ein Symposium gewidmet, in dem namhafte Experten die Empfehlungen präsentierten und diskutierten. Darüber hinaus befasste sich eine «State of the Art Lecture» mit der Diagnose und Therapie von Demenzkrankheiten.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Im Alter tritt die Depression h&auml;ufig auf und ist oft mit Komorbidit&auml;ten verbunden.</li> <li>Die Depressionstherapie umfasst Psychotherapie, Psychopharmakotherapie und psychosoziale Massnahmen.</li> <li>Die Psychopharmakotherapie &auml;lterer Patienten muss nach strenger Indikation erfolgen und das Nebenwirkungsprofil sowie die Interaktionen mit anderen Medikamenten ber&uuml;cksichtigen.</li> <li>Demenzen sollten fr&uuml;hzeitig anhand klinischer (Anamnese, kognitives Profil) und neuropathologischer Befunde diagnostiziert werden.</li> <li>Antidementiva sind wirksam und bei guter Vertr&auml;glichkeit indiziert.</li> </ul> </div> <h2>Diagnose von Depressionen im Alter</h2> <p>Prof. Dr. med. Egemen Savaskan, Direktor a. i. und Chefarzt der Klinik f&uuml;r Alterspsychiatrie an der Psychiatrischen Universit&auml;tsklinik Z&uuml;rich, sprach &uuml;ber die Diagnostik und Differenzialdiagnostik von Depressionen im Alter. Differenzialdiagnostisch sei es wichtig, vor allem eine Demenz auszuschliessen, erkl&auml;rte er (Tab. 1).<sup>2</sup> Bei Depressionen, die sich erst im Alter manifestieren, handele es sich h&auml;ufig um Vorboten einer Demenz, so Savaskan. Auf der anderen Seite m&uuml;ssen somatische Ursachen einer Depression abgekl&auml;rt und Komorbidit&auml;ten, die in der Regel mit einer Polypharmazie einhergehen, ber&uuml;cksichtigt werden. Die Polypharmazie ist ein grosses Problem im Alter, denn manche der Medikamente k&ouml;nnen auch eine Depression ausl&ouml;sen oder verst&auml;rken. Dazu geh&ouml;ren unter anderem Analgetika wie Opioide, blutdrucksenkende Mittel wie Betablocker oder auch Parkinsonmedikamente wie Levodopa.<sup>1</sup> Daher sei eine ausf&uuml;hrliche Anamnese, die die eingenommenen Medikamente einschliesst, die Basis der Diagnostik, betonte Savaskan. Dabei sollte immer die Indikation &uuml;berpr&uuml;ft und bei Medikamenten, die nicht mehr indiziert sind, ein Auslassversuch gestartet werden. Neben der Anamnese sind internistische, neurologische, neuroradiologische, neuropsychologische und Laboruntersuchungen notwendig. Ausserdem ist die Bildgebung, vor allem MRT und CT, bei der Erstmanifestation einer Depression im Alter Standard, um organische Ursachen wie Tumoren oder Alzheimerdemenz auszuschliessen. Eine Liquoruntersuchung ist dagegen nicht Teil der Routinediagnostik, sondern nur bei einem bestimmten Verdacht zur Abgrenzung neurodegenerativer, entz&uuml;ndlicher oder infekti&ouml;ser Prozesse etc. angezeigt.<sup>1</sup><br /> Es gibt eine Reihe von Untersuchungsinstrumenten, von denen die geriatrische Depressionsskala (GDS) und die &laquo;Depression im Alter&raquo;-Skala (DIA-S) am weitesten verbreitet sind. Letztere orientiert sich an den Diagnosekriterien des ICD-10. Ausserdem kann f&uuml;r das Screening Erwachsener unterschiedlichen Alters das Beck-Depressions- Inventar II (BDI II) auch f&uuml;r &auml;ltere Menschen genutzt werden.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1805_Weblinks_lo_neuro_1805_s35_tab1.jpg" alt="" width="1560" height="1070" /></p> <h2>Komorbidit&auml;ten der Depression</h2> <p>Prof. Dr. med. Martin Hatzinger, Direktor der Psychiatrischen Dienste Solothurn und Chefarzt der Kliniken f&uuml;r Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, ging auf die Pathogenese und die Komorbidit&auml;ten bei Depression im Alter ein. Depressionen treten h&auml;ufig im Zuge k&ouml;rperlicher Krankheiten auf, zum Beispiel bei bis zu 50 % aller Patienten mit chronischen Schmerzen. Auch bei COPD leiden bis zu 50 % der Betroffenen an Depressionen, bei Herzkrankheiten sind es mehr als ein Viertel und bei Typ-2-Diabetes bis zu 15 % der Patienten. Bei Parkinsonpatienten tritt sogar in bis zu 70 % der F&auml;lle eine Depression auf.<sup>1</sup><br /> Umgekehrt beeinflusst die Depression den Verlauf dieser Krankheiten negativ, erkl&auml;rte Hatzinger. So steige das Risiko f&uuml;r eine koronare Herzkrankheit bei Depressionen durchschnittlich um das Zweifache, das kardiovaskul&auml;re Mortalit&auml;tsrisiko sogar um das 2,3-Fache.<sup>1</sup> Studien h&auml;tten aber auch gezeigt, dass die Behandlung der Depression das Risiko wieder senken k&ouml;nne, betonte er.</p> <h2>Therapie von Depressionen im Alter</h2> <p>PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter, Chefarzt Alters- und Neuropsychiatrie der Psychiatrie St. Gallen Nord, erl&auml;uterte die Therapiegrunds&auml;tze. Generell raten die Behandlungsempfehlungen abh&auml;ngig von der Schwere der Depression zu individuellen psychosozialen Interventionen, einer psychotherapeutischen Behandlung und einer Psychopharmakotherapie. Bei geriatrischen Patienten m&uuml;ssen zudem die Komorbidit&auml;ten ber&uuml;cksichtigt und behandelt werden. Wichtig sei es, auch die Angeh&ouml;rigen in die Therapie einzubeziehen, so Hemmeter.<sup>1</sup><br /> Eine medikament&ouml;se Therapie ist indiziert bei einer mittelschweren bis schweren Depression, wobei gerade bei &auml;lteren Patienten eine Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen muss, die den Allgemeinzustand des Patienten und die Komorbidit&auml;ten ber&uuml;cksichtigt. Die bei j&uuml;ngeren Erwachsenen untersuchten Antidepressiva seien auch im Alter wirksam, wobei die Dosierung hier meist nur 30 bis 40 % der Erwachsenendosis betrage, sagte Hemmeter. Es gilt der Grundsatz: &laquo;Start low, go slow&raquo; &ndash; also mit einer niedrigen Dosis beginnen und diese bei guter Vertr&auml;glichkeit vorsichtig steigern.<sup>1</sup><br /> F&uuml;r die Auswahl des geeigneten Medikaments ist eine exakte Diagnostik wichtig, zum Beispiel ob es sich um eine unipolare oder eine bipolare Depression handelt. Das klinische Bild (Suizidalit&auml;t, &auml;ngstlich-agitiert, gehemmt, atypische Symptomatik, wahnhaft) spielt ebenso eine Rolle wie die Eigenschaften des Medikaments, etwa m&ouml;gliche Neben- und Wechselwirkungen.<sup>1</sup> So k&ouml;nnen laut Hemmeter im Alter Nebenwirkungen, die normalerweise eher selten beobachtet werden, h&auml;ufiger auftreten. Ausserdem sollten nat&uuml;rlich keine Pr&auml;parate eingesetzt werden, die die kognitiven F&auml;higkeiten beeintr&auml;chtigen, betonte er.<br /> Neben der Pharmakotherapie k&ouml;nnen auch spezifische Psychotherapieverfahren bei Depressionen im Alter Erfolge erzielen. Dies war Thema des Vortrags von Prof. Dr. med. Thomas Leyhe, Chefarzt Alterspsychiatrie am Felix-Platter-Spital, Basel. Untersuchungen h&auml;tten eine gute Effektivit&auml;t gezeigt, erkl&auml;rte er. Eingeschr&auml;nkt wird die Anwendung durch normale altersbedingte Prozesse wie sensorische Probleme, etwa Schwerh&ouml;rigkeit, abnehmende geistige Funktionen, zum Beispiel Kognition, sowie strukturelle Ver&auml;nderungen, beispielsweise die Selbst- und Beziehungsregulation.<sup>3</sup> Allerdings k&ouml;nnen Lebenserfahrung und Reife (&laquo;Altersweisheit&raquo;), emotionale Ver&auml;nderungen im Alter und eine angepasste Wohlbefindensregulation die Therapie auch erleichtern.<sup>4</sup> Sie m&uuml;sse jedoch den Bedingungen angepasst werden, auch hinsichtlich ambulanter und klinischer Strukturen. Es sei zu &uuml;berlegen, ob nicht psychotherapeutische Angebote in Alten- und Pflegeheimen geschaffen werden k&ouml;nnen, regte Leyhe an.</p> <h2>Demenz: Diagnostik und Therapie</h2> <p>Mit zunehmendem Alter treten auch Demenzen h&auml;ufiger auf.<sup>5</sup> Daher stand auch ein &laquo;State of the Art&raquo;-Vortrag zur Diagnose und Behandlung von Demenzen auf dem Programm der SGPP-Tagung. Pr&auml;sentiert wurde er von Prof. Dr. med. Stefan Kl&ouml;ppel, Direktor und Chefarzt der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Alterspsychiatrie und Psychotherapie der Universit&auml;t Bern. Er sprach sich f&uuml;r eine fr&uuml;hzeitige Diagnostik von Demenzerkrankungen aus. Sie sei die Grundlage f&uuml;r die Behandlung und biete zudem den Betroffenen und ihren Angeh&ouml;rigen die M&ouml;glichkeit, Vorsorge f&uuml;r die Zukunft zu treffen, erkl&auml;rte er. Dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen behandelbare Ursachen, die f&uuml;r rund 5 % der Demenzen verantwortlich sind, so rascher identifiziert werden. Dazu geh&ouml;ren unter anderem Depressionen.<br /> Zu den diagnostischen Minimalkriterien geh&ouml;ren die Anamnese, einschliesslich der Fremdanamnese von Familienmitgliedern, und das Ermitteln der Alltagsselbst&auml;ndigkeit. Klinisch sollten geriatrische, neurologische und internistische Untersuchungen, einschliesslich Routinelaborwerten, TSH, Vitaminstatus und Lipidwerten, vorgenommen werden. Essenziell sind neuropsychologische Tests und bei atypischen Verl&auml;ufen und Patienten unter 65 Jahren neuroradiologische Verfahren (MRT, CT, PET). Ein in der Schweiz etabliertes Diagnoseinstrument ist die CERADTestbatterie. Sie umfasst Tests zur verbalen Fl&uuml;ssigkeit, den Boston Naming Test (15 Items), die &laquo;Mini Mental Status Examination &raquo;, das Lernen, Abrufen und Wiedererkennen einer Wortliste sowie das Abzeichnen und Abrufen von Figuren.<sup>6, 7</sup><br /> F&uuml;r die Therapie stehen medikament&ouml;se und nicht medikament&ouml;se Optionen zur Verf&uuml;gung. Bei den nicht medikament&ouml;sen liegt der Schwerpunkt auf der kognitiven Stimulation, zum Beispiel durch Reminiszenzverfahren (Fotos anschauen, Lieder aus der Kindheit h&ouml;ren etc.). F&uuml;r die medikament&ouml;se Therapie sind Acetylcholinesterasehemmer Mittel der Wahl.<sup>5</sup> Sie k&ouml;nnen den Mini-Mental-Status um einen Punkt verbessern, reduzieren Verhaltensauff&auml;lligkeiten und bessern die Alltagskompetenz. Ihr Nachteil sei, dass sie lediglich symptomatisch wirken und nicht die Neuropathologie ver&auml;ndern k&ouml;nnen, erkl&auml;rte Kl&ouml;ppel.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: S03-09: Symposium «Depression im Alter – die Schweizer Behandlungsempfehlungen», SOA02-02: State of the Art der Diagnostik und Behandlung von Demenzerkrankungen. Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), 5. bis 7. September 2018, Bern </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hatzinger M et al.: Praxis 2018; 107: 127-44 <strong>2</strong> Hatzinger M: SANP 2011; 162: 179-89 <strong>3</strong> Bailey PE et al.: Aging Ment Health 2008; 12: 499-503 <strong>4</strong> Maercker PA et al.: Z Gerontol Geriat 2004; 37: 265-71 <strong>5</strong> S3-Leitlinie &laquo;Demenzen&raquo;, Stand Januar 2016 (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-013. html) <strong>6</strong> B&uuml;rge M et al.: Praxis 2018; 107: 435-51 <strong>7</strong> Ehrensperger MM et al.: J Int Neuropsychol Soc 2010; 16: 910-20</p> </div> </p>
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