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Basler Epilepsietag 2018

Ist es wirklich Epilepsie?

<p class="article-intro">Für gewöhnlich wird beim Basler Epilepsietag über Epilepsie gesprochen. Nicht so dieses Jahr – es standen andere Erkrankungen im Mittelpunkt. Solche, die anfallsartige Ereignisse hervorrufen können, welche epileptischen Anfällen auf den ersten Blick ähnlich sehen – «epilepsy mimics». Und so diskutierten am Ende die Experten dann doch wieder über Epilepsie – wenn auch indirekt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Synkopen, kardiale und hormonelle St&ouml;rungen, Migr&auml;ne, Schlaganf&auml;lle, Schlaf- und psychische Erkrankungen: Sie alle k&ouml;nnen Anf&auml;lle ausl&ouml;sen, die epileptischen Anf&auml;llen &auml;hnlich sind, zum Teil so &auml;hnlich, dass eine eindeutige Unterscheidung sehr schwierig ist. Verst&auml;ndlich also, dass auch epileptische Anf&auml;lle initial falsch diagnostiziert werden. 20 % aller Patienten mit Einweisungsdiagnose &laquo;akuter isch&auml;mischer Schlaganfall&raquo; haben einen &laquo;stroke mimic&raquo;, berichtete Prof. Dr. med. Barbara Tettenborn, Chef&auml;rztin der Klinik f&uuml;r Neurologie am Kantonsspital St. Gallen. Da aber gem&auml;ss dem Dogma &laquo;time is brain&raquo; bei einem Schlaganfall rasches Handeln angesagt ist, hat dies zur Folge, dass viele Patienten eine intraven&ouml;se Thrombolyse erhalten, ohne dass ein Schlaganfall vorliegt: 17 % laut der European Cooperative Acute Stroke Study II.<sup>1</sup> Der epileptische Anfall war dabei der h&auml;ufigste &laquo;stroke mimic&raquo;.</p> <h2>&laquo;Stroke mimic&raquo; &ndash; im Zweifel Thrombolyse</h2> <p>Rein klinisch ist die sichere Differenzierung zwischen einer akuten zerebralen Isch&auml;mie und einem epileptischen Anfall nicht m&ouml;glich.<sup>2&ndash;4</sup> Die Computertomografie (CT) gilt als Standard-Zusatzuntersuchung in der Erstdiagnostik bei Verdacht auf einen Schlaganfall. Die prim&auml;re Intention dieser Untersuchung liegt dabei auf dem Ausschluss einer Blutung, sie ist jedoch nicht in der Lage, &laquo;stroke mimics&raquo; zu diagnostizieren. Das MRI mit Diffusionsund Perfusionsaufnahmen hingegen ist aktuell am besten zur Differenzierung geeignet:<sup>2&ndash;4</sup> Bei einem epileptischen Anfall kommt es in der Regel zu einer fokalen Hyperperfusion, bei einer zerebralen Isch&auml;mie zu einer fokalen Hypoperfusion, die noch dazu einem arteriellen Versorgungsgebiet zugeordnet werden kann. Zus&auml;tzlich sind bei einem epileptischen Anfall das zerebrale Blutvolumen und der Blutfluss fokal erh&ouml;ht und es kommt zu einer Reduktion der &laquo;mean transit time&raquo;. Zu beachten gilt allerdings: Selten findet man im Perfusions-MRI auch postiktal eine Hypoperfusion, diese ist dann aber nicht an ein arterielles Versorgungsgebiet gebunden.</p> <p>Die Bem&uuml;hungen, bei einem isch&auml;mischen Anfall den Zeitraum zwischen Symptombeginn und Thrombolyse so kurz wie m&ouml;glich zu halten, erfordern ein umgehendes und rasches Handeln. Dies birgt das Risiko von Fehlbehandlungen und damit verbundenen therapiebedingten Nebenwirkungen. Untersuchungen haben ergeben, dass Patienten, die eine Lysebehandlung bei einem &laquo;stroke mimic&raquo; erhalten, deutlich seltener Nebenwirkungen der Therapie, insbesondere Blutungen, aufweisen als Patienten mit Lysetherapie nach einem Schlaganfall.<sup>2&ndash;4</sup> Zudem sind ihre station&auml;ren Aufenthalte in der Regel k&uuml;rzer und sie haben ein besseres Outcome als die lysierten Schlaganfallpatienten. Im Zweifel sollte daher einem Patienten eine Thrombolyse nicht vorenthalten werden.</p> <h2>PNEA &ndash; eine diagnostische Herausforderung</h2> <p>Psychogene nicht epileptische Anf&auml;lle (PNEA) sind Anf&auml;lle, die wie epileptische Anf&auml;lle aussehen, aber keine sind, weil sie die f&uuml;r die Epilepsie typischen Ver&auml;nderungen im EEG nicht aufweisen.<sup>5</sup> Sie sind eine neuropsychiatrische Bedingung, treten unwillk&uuml;rlich auf und werden vom Patienten NICHT simuliert. Folglich k&ouml;nnen PNEA vom Patienten selbst auch nicht beendet oder unterbrochen werden. Es w&auml;re wichtig, dies den Patienten zu vermitteln, denn oft w&uuml;rde ihnen das Stigma der Simulation anhaften, so PD Dr. med. Martinus Hauf, Leiter der Epileptologie an der Klinik Bethesda in Tschugg.<br /> Die Inzidenz f&uuml;r PNEA liegt bei 1,4&ndash; 4,9/100 000/Jahr, wobei Frauen deutlich h&auml;ufiger betroffen sind als M&auml;nner. PNEA treten sehr h&auml;ufig (20&ndash;50 % ) in Kombination mit der Epilepsie auf, umgekehrt jedoch eher selten (3,6 % ).<sup>6</sup> Die Zahl der mit PNEA assoziierten epileptischen Anf&auml;lle steigt aber bedeutend an, betrachtet man jene Epilepsiepatienten getrennt, die in terti&auml;ren Epilepsie-Zentren vorstellig werden. Es handelt sich dabei vor allem um schwierige Epilepsief&auml;lle wie z.B. therapierefrakt&auml;re Anf&auml;lle. In dieser ausgew&auml;hlten Kohorte werden bei 20&ndash;40 % aller Patienten PNEA als Komorbidit&auml;t diagnostiziert.<br /> PNEA stellen eine diagnostische Herausforderung dar. Als reine Ausschlussdiagnose gibt es kein Symptom und keine klinische Beobachtung, die eine eindeutige Diagnose erlaubt und es erm&ouml;glicht, Behandlungsans&auml;tze zu finden. Zur Unterst&uuml;tzung hat die ILEA Taskforce die Grade der diagnostischen Sicherheit f&uuml;r PNEA definiert und zusammengefasst.<sup>10</sup> Reuben und Eiger haben dar&uuml;ber hinaus klinische und historische Anzeichen zusammengefasst, die die Diagnose eines PNEA nahelegen.<sup>11</sup></p> <h2>Integrative Behandlungsstrategie</h2> <p>Eine fr&uuml;he Diagnose der PNEA ist wichtig. Sie kann die Gefahr einer falschen Behandlung verhindern, vor allem die Anh&auml;ufung nicht zielf&uuml;hrender oder nicht wirksamer Antiepileptika oder von Medikamenten, die Wechselwirkungen oder unerw&uuml;nschte Wirkungen hervorrufen. Nicht zu untersch&auml;tzen sind die pers&ouml;nlichen Konsequenzen, die nicht diagnostizierte und unbehandelte PNEA mit sich bringen. Sie f&uuml;hren sehr h&auml;ufig zur Isolation des Betroffenen, der dadurch verst&auml;rkt in eine psychiatrische Symptomatik geraten kann.<br /> Zur Behandlung der PNEA wird ein dreistufiges Behandlungsschema aus einem formalisierten, multidisziplin&auml;ren Diagnosegespr&auml;ch, der Anfallskontrolle und der Erhaltungstherapie vorgeschlagen. An der Klinik Bethesda Tschugg werden den Patienten im Diagnosegespr&auml;ch PNEA im Sinne einer Stressverarbeitungsst&ouml;rung oder Abrufst&ouml;rung vermittelt. Dies soll ihnen ein Konzept geben, das sie als Diagnose einfacher annehmen k&ouml;nnen und so sicherstellen, dass auch alle weiteren Massnahmen zielf&uuml;hrend sind. Im Zuge dieses Gespr&auml;chs kann man oft Antiepileptika reduzieren oder gegebenenfalls eine unterst&uuml;tzende SSRI/NSRITherapie beginnen. Da dieses Gespr&auml;ch alleine nicht zu einem dauerhaften Therapieerfolg f&uuml;hrt, sollte den Patienten zur Anfallskontrolle eine kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden.<sup>12</sup> F&uuml;r die Erhaltungstherapie gibt es aktuell keine Richtlinien. In der Klinik Bethesda Tschugg hat sich ein Massnahmenpaket aus ambulanter psychotherapeutischer Betreuung, sinnstiftender Besch&auml;ftigung, geregelter Tagesstruktur und neurologischer Weiterbetreuung als positiv erwiesen.</p> <p><br /><strong>Termin:</strong><br />11. Jahrestagung der Deutschen und &Ouml;sterreichischen Gesellschaften f&uuml;r Epileptologie und der Schweizerischen Epilepsie-Liga.<br /> 8.&ndash;11. Mai 2019 &middot; Congress Center Basel<br /> <a href="http://www.epilepsie-tagung.de">www.epilepsie-tagung.de</a></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Basler Epilepsietag 2018, 16. August 2018, Basel </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hacke W et al.: Lancet 1998; 352: 1245-51 <strong>2</strong> Webb J et al.: J Emerg Med 2017; 52: 645-53 <strong>3</strong> A lvarez V et a l.: J Neurol 2013; 260: 55-61 <strong>4</strong> Winkler DT et al.: Stroke 2009; 40: 1522-5 <strong>5</strong> Devinsky O et al.: Nat Rev Neurol 2011; 7: 210-20 <strong>6</strong> Sigurdadottir KR, Olafssonn E: Epilepsia 1998; 39(7): 749-52 <strong>8</strong> Duncan R et al.: Epilepsy and Behavior 2011; 20: 308-11 <strong>9</strong> Bodde NM et al.: Seizure 2009; 18: 543- 53 <strong>10</strong> LaFrance WC et al.: ILEA Taskforce Epilepsia 2013; 54(11): 2005-18 <strong>11</strong> Reuber M, Elger CE: Epilepsy Behav 2003; 4: 205-16 <strong>12</strong> Mayor R et al.: Epilepsy Behav 2012; 25: 676-81</p> </div> </p>
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