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Migräne und CGRP im Fokus – wo geht die Reise hin?

<p class="article-intro">Mitte des Jahres wurde in Österreich und der Schweiz der erste CGRP-Antagonist zur Prophylaxe der Migräne zugelassen. Zeit für einen Rück- und Ausblick.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Reise beginnt vor 35 Jahren mit der Erstbeschreibung des &laquo;calcitonin generelated polypeptide&raquo; (CGRP) durch M. Rosenfeld.<sup>1</sup> Das Neuropeptid ist einer der st&auml;rksten Vasodilatatoren und in die Schmerzverarbeitung involviert. Ende der 1980er-Jahre konnten Goadsby und Edvinsson eine vermehrte CGRP-Freisetzung im Jugularvenenblut bei Schmerzen zeigen, sowohl im Tierexperiment wie auch bei Patienten mit Migr&auml;ne.<sup>2</sup><br /> N&auml;chste Etappen waren d&auml;nische Studien, welche zeigten, dass die Infusion von CGRP einerseits bei Migr&auml;nepatienten Attacken ausl&ouml;sen und andererseits die Infusion des CGRP-Antagonisten BIBN 4096BS Migr&auml;nekopfschmerzen behandeln kann.<sup>3, 4</sup> Nachfolgende Studien mit oralen CGRP-Antagonisten (&laquo;small molecules&raquo;, &laquo;gepants&raquo;) waren der n&auml;chste Schritt. Obwohl sich unerw&uuml;nschte Wirkungen zeigten, die zun&auml;chst der Substanzklasse zugeschrieben wurden, waren sie aus heutiger Sicht keine Sackgasse, aber ein l&auml;ngerer Umweg. Bei guter Vertr&auml;glichkeit f&uuml;r die Patienten und im Gegensatz zu Triptanen ohne vasokonstriktorische Effekte fanden sich jedoch bei h&auml;ufiger oder, als Pr&auml;vention eingesetzt, bei t&auml;glicher Einnahme Zeichen einer Lebertoxizit&auml;t.<sup>5</sup> Die weitere Entwicklung wurde durch die beteiligten Firmen gestoppt. Erst seit Kurzem werden neue &laquo;gepants&raquo; in Studien zur Akutbehandlung untersucht, bisher ohne Hepatotoxizit&auml;t.</p> <h2>Monoklonale Antik&ouml;rper</h2> <p>Durch die medizinische Entwicklung im Bereich der Antik&ouml;rpertherapie konnte nun direkter in das CGRP-System eingegriffen und dieses bei guter Vertr&auml;glichkeit nachhaltig blockiert werden. Vier Substanzen wurden entwickelt und untersucht, drei humanisierte monoklonale Antik&ouml;rper, welche an den Liganden CGRP binden (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab), sowie ein humaner monoklonaler Antik&ouml;rper, der direkt am CGRP-Rezeptor wirkt (Erenumab). Die Anwendung erfolgt alle 1&ndash;3 Monate zur Migr&auml;neprophylaxe, subkutan oder intraven&ouml;s. Inzwischen liegen die Phase-IIIStudien von drei verschiedenen CGRPA-Antik&ouml;rpern vor, die die Wirkung in der Behandlung der episodischen Migr&auml;ne belegen (vgl. Abb. 1).<sup>6&ndash;8</sup> Direkte Vergleichsstudien zu den bisherigen Standardmedikamenten gibt es nicht, die Wirksamkeit liegt im &auml;hnlichen Bereich. Es finden sich Patienten ohne jegliches Ansprechen (10&ndash;30 % ), auf der anderen Seite jedoch ein Anteil von 100 % -Respondern (10&ndash;20 % ), d.h. Patienten, die nach der Therapie &uuml;berhaupt keine Migr&auml;nekopfschmerzen mehr hatten. Auch therapierefrakt&auml;re Patienten k&ouml;nnen eine signifikante Reduktion der Migr&auml;netage zeigen. Die therapeutische Bandbreite ist gross. Neben der Wirksamkeit bei der niedrigund h&ouml;herfrequenten episodischen Migr&auml;ne liegen auch positive Studien zur chronischen Migr&auml;ne mit oder ohne Medikamenten&uuml;bergebrauch sowie bei episodischen Clusterkopfschmerzen vor.<br /> Die Entdeckungsreise in der Welt der Migr&auml;neprophylaktika scheint aktuell an einem sch&ouml;nen Ort angelangt zu sein: Die Sicherheits- und Vertr&auml;glichkeitsdaten stimmen im Gegensatz zu vielen der bisher verwendeten Prophylaktika hoffnungsvoll. W&auml;hrend wir bisher meist lange &uuml;ber Nebenwirkungen informieren mussten, das &laquo;kleinste &Uuml;bel&raquo; w&auml;hlten und mit den &laquo;Nebenwirkungen zielten&raquo;<sup>9</sup>, sind in den drei Jahren bisheriger Verwendung der neuen Substanzklasse nur milde unerw&uuml;nschte Wirkungen beschrieben worden: Abgesehen von Obstipation, vor&uuml;bergehendem Juckreiz oder Muskelkr&auml;mpfen und lokalen Reizzeichen an der Einstichstelle finden sich keine Unterschiede zu Placebo. Insbesondere wurde keine Lebertoxizit&auml;t festgestellt und die kardiovaskul&auml;re Vertr&auml;glichkeit ist gut. Im Unterschied zur Antik&ouml;rpertherapie bei entz&uuml;ndlichen oder onkologischen Erkrankungen wird nicht ins Immunsystem eingegriffen. Die grossen Molek&uuml;le k&ouml;nnen die Bluthirnschranke nicht passieren, was zentralnerv&ouml;se Nebenwirkungen minimiert.<br /> Der Preis ist deutlich h&ouml;her als der von bisher zugelassenen Migr&auml;neprophylaxen. Entsprechend ist eine Selektion der Patienten umso wichtiger, um eine m&ouml;glichst hohe individuelle Wirksamkeit bei guter Vertr&auml;glichkeit zu erreichen. Aus allen bisherigen Studien darf mit einem raschen Ansprechen auf die Therapie &ndash; innerhalb des ersten, maximal des dritten Monats &ndash; gerechnet werden. Bei fehlendem Ansprechen bringt die weitere Behandlung nichts, was l&auml;ngerfristig zu einer vertretbaren Kosteneffizienz f&uuml;hren sollte. Hinsichtlich der Dauer der Therapie stehen wir noch etwas in einem dunklen Tunnel, hier fehlen die Daten.<br /> F&uuml;r Patienten, die auf die neuen Medikamente nicht ansprechen, ist nicht Endstation: Einerseits befinden sich andere Molek&uuml;le dieser und anderer Substanzklassen in der Entwicklung und andererseits k&ouml;nnen wir weiterhin auf die bekannten, lange bew&auml;hrten (ambulanten und station&auml;ren) unimodalen und multimodalen Therapiekonzepte zur&uuml;ckgreifen, deren Zahl mittlerweile betr&auml;chtlich ist. Die erste Substanz, Erenumab, ist seit diesem Sommer auch in der Schweiz und in &Ouml;sterreich (Europa) zugelassen. Weitere Substanzen (Galcanezumab und Fremanezumab) wurden soeben von der FDA in den Vereinigten Staaten und/oder der EMA in Europa zugelassen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Migr&auml;nebehandlung f&uuml;hrte ein bekannter pathophysiologischer Mechanismus zur Entwicklung eines migr&auml;neprophylaktischen Medikaments. Die Reise geht weiter &hellip;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1805_Weblinks_lo_neuro_1805_s14_abb1.jpg" alt="" width="1430" height="921" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Rosenfeld MG et al.: Production of a novel neuropeptide encoded by the calcitonin gene via tissue-specific RNA processing. Nature 1983; 304: 129-35 <strong>2</strong> Goadsby PJ, Edvinsson L: The trigeminovascular system and migraine: studies characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Ann Neurol 1993; 33: 48-53 <strong>3</strong> Lassen LH et al.: CGRP may play a causative role in migraine. Cephalalgia 2002; 22: 54-61 <strong>4</strong> Olesen J et al.: Calcitonin gene-related peptide receptor antagonist BIBN 4096 BS for the acute treatment of migraine. NEJM 2004; 350: 1104-10 <strong>5</strong> Ho TW et al.: Randomized controlled trial of the CGRP receptor antagonist telcagepant for migraine prevention. Neurology 2014; 83: 958-66 <strong>6</strong> Goadsby PJ et al.: A controlled trial of erenumab for episodic migraine. N Engl J Med 2017; 377(22): 2123-32 <strong>7</strong> Dodick DW et al.: Effect of fremanezumab compared with placebo for prevention of episodic migraine: a randomized clinical trial. JAMA 2018; 319(19): 1999-2008 <strong>8</strong> Skljarevski V et al.: Efficacy and safety of galcanezumab for the prevention of episodic migraine: results of the EVOLVE-2 phase 3 randomized controlled clinical trial. Cephalalgia 2018; 38(8): 1442-54 <strong>9</strong> Sandor PS, Gantenbein AR: Positive Nebenwirkungen und komorbidit&auml;tsbezogene Therapie. Psychiatrie &amp; Neurologie 2013; 1: 13-5 <strong>10</strong> Dodick D et al.: Safety and efficacy of ALD403, an antibody to calcitonin gene-related peptide, for the prevention of frequent episodic migraine: a randomised, double-blind, placebo-controlled, exploratory phase 2 trial. Lancet Neurology 2014; 13: 1100-7</p> </div> </p>
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