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Narkolepsie und andere zentrale Hypersomnolenzen

<p class="article-intro">Tagesschläfrigkeit, Hypersomnie, Müdigkeit oder Erschöpfung sind häufige Symptome in der Praxis jedes Arztes. Für eine gezielte Therapie sind eine möglichst gute Differenzierung und genaue Diagnostik erforderlich. Nach dem Ausschluss internistischer und neurologischer Ursachen und dem polysomnografischen Ausschluss eines Schlafapnoe-Syndroms oder anderer Ursachen eines nicht erholsamen Schlafes bleibt schlussendlich die differenzialdiagnostisch schwierige Gruppe der zentralen Hypersomnolenzen, zu welchen nebst der Narkolepsie die idiopathische und die nichtorganische Hypersomnie gehören. Wegen der therapeutischen Konsequenzen müssen diese Ursachen so gut wie möglich unterschieden und auch vom banalen Schlafmanko und vom chronischen Erschöpfungssyndrom abgegrenzt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Neben vielen internistischen und neurologischen Ursachen von Schl&auml;frigkeit bis M&uuml;digkeit m&uuml;ssen sowohl die Ursachen eines nicht erholsamen Schlafes wie auch die Formen der zentralen Hypersomnolenzen abgekl&auml;rt werden.</li> <li>Die m&ouml;glichst genaue Differenzierung der subjektiven Angaben von Schl&auml;frigkeit, Hypersomnie bis M&uuml;digkeit und Ersch&ouml;pfbarkeit unterst&uuml;tzt wesentlich die gezielte Diagnostik.</li> <li>Die Abgrenzung der unterschiedlichen Ursachen innerhalb der zentralen Hypersomnolenzen hat therapeutische Konsequenzen.</li> </ul> </div> <h2>Terminologie</h2> <p>Die vom Patienten ben&uuml;tzten Begriffe zu seinen Beschwerden wie &laquo;Tagesschl&auml;frigkeit &raquo;, &laquo;Hypersomnie&raquo;, &laquo;M&uuml;digkeit&raquo; oder &laquo;Ersch&ouml;pfung&raquo; (Fatigue), werden selbst in der wissenschaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet,<sup>1</sup> weshalb hier die Bedeutung einiger wichtiger Begriffe erkl&auml;rt wird.<br /> Der englische Begriff&raquo; &laquo;hypersomnolence &raquo; wird in der ICSD(International Classification of Sleep Disorders)-3-Klassifikation<sup>2</sup> im Titel zum Kapitel &laquo;central disorders of hypersomnolence&raquo; verwendet, welches sowohl Krankheiten mit Tagesschl&auml;frigkeit (&laquo;excessive daytime sleepiness&raquo;) als auch Krankheiten mit Hypersomnie im Sinne des verl&auml;ngerten Schlafbedarfs pro 24 Stunden enth&auml;lt.<br /> Der Begriff &laquo;Tagesschl&auml;frigkeit&raquo; wird f&uuml;r den erh&ouml;hten Schlafdruck am Tag mit erh&ouml;hter Wahrscheinlichkeit des Einschlafens in passiven und eventuell sogar in aktiven Situationen verwendet. Im Gegensatz zu der M&uuml;digkeit bessert sich die Schl&auml;frigkeit in der Regel bei k&ouml;rperlichen T&auml;tigkeiten. Eine Tagesschl&auml;frigkeit widerspiegelt sich grunds&auml;tzlich in einem erh&ouml;hten Wert (&gt;10/24 Punkte) im Epworth- Fragebogen<sup>3</sup> und in einer verk&uuml;rzten mittleren Einschlaflatenz (&lt;10 Minuten) im multiplen Schlaflatenztest (MSLT).<br /> Der Begriff &laquo;Hypersomnie&raquo; wird in erster Linie im Zusammenhang mit spezifischen Diagnosen wie &laquo;idiopathische&raquo; oder &laquo;nichtorganische Hypersomnie&raquo; verwendet. Auf Symptomebene sollte dieser Begriff nicht als Synonym f&uuml;r Tagesschl&auml;frigkeit, sondern prim&auml;r bei &laquo;verl&auml;ngertem Schlafbed&uuml;rfnis pro 24 Stunden&raquo; (&gt;10 Stunden) ben&uuml;tzt werden. Die beste Methode, um diese Beschwerde zu quantifizieren, ist die Polysomnografie (PSG) &laquo;ad libitum&raquo;, bei welcher der Patient ausschlafen darf.<br /> Der Begriff &laquo;M&uuml;digkeit&raquo; wird f&uuml;r das Gef&uuml;hl einer ausgepr&auml;gten Energielosigkeit und fehlender Initiative verwendet, welches bei mentalen, aber auch bei k&ouml;rperlichen T&auml;tigkeiten noch zunimmt. Der Epworth-Score ist normal oder leicht erh&ouml;ht, die Einschlaflatenz im MSLT meistens normal (&gt;10 Minuten), der Fatigue- Score<sup>4</sup> aber deutlich erh&ouml;ht.<br /> Der Begriff &laquo;Ersch&ouml;pfung&raquo; (Fatigue) beschreibt die Leistungsabnahme im Verlauf einer mentalen oder k&ouml;rperlichen Anstrengung, meistens gefolgt von einer stark verl&auml;ngerten Erholungszeit (&gt;1 Stunde) in Form von Ruhe, aber nicht unbedingt Schlaf.</p> <h2>Die Ursachen</h2> <p>Tagesschl&auml;frigkeit, Hypersomnie im Sinne eines verl&auml;ngerten Schlafbed&uuml;rfnisses, M&uuml;digkeit oder Ersch&ouml;pfung (Fatigue) sind Symptome, welche eine m&ouml;glichst gute Differenzierung und genaue Diagnostik erfordern, bevor eine gezielte Therapie m&ouml;glich ist.<sup>5</sup> Neben der detaillierten Anamnese einschliesslich L&auml;ngsverlauf und allf&auml;lligen Assoziationen zu somatischen oder psychiatrischen Erkrankungen und einer klinischen Untersuchung wird der Hausarzt zum Ausschluss internistischer Ursachen auch ein breites Labor abnehmen (Tab. 1).<br /> Sozial bedingte Ursachen wie z.B. absolute oder &ndash; bei Langschl&auml;fertypen &ndash; auch eine relative Schlafinsuffizienz, eine ung&uuml;nstige Schlafhygiene mit variablen Bettgeh- und Aufstehzeiten und ein verschobener Schlaf-wach-Rhythmus m&uuml;ssen in einer Testperiode &uuml;ber einige Wochen mit regelm&auml;ssigem und ausreichendem Schlaf gekl&auml;rt werden. Eine Tagesschl&auml;frigkeit kann sich bereits ab einer chronischen Verk&uuml;rzung des Schlafes um eine Stunde pro Nacht im Vergleich zum individuellen Schlafbedarf entwickeln. Die chronische Insomnie hat oft eine M&uuml;digkeit, aber nur selten eine Schl&auml;frigkeit zur Folge, beim Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist beides m&ouml;glich. Der verschobene Schlaf-wach-Rhythmus ist durch das gleichzeitige Auftreten einer Einschlafinsomnie und eines erschwerten Erwachens gekennzeichnet, was in den Ferien bei einem &laquo;freilaufenden&raquo; Rhythmus fehlt.<br /> In einem n&auml;chsten Schritt werden mittels PSG die h&auml;ufigsten Ursachen des nicht erholsamen Schlafes wie Schlafapnoe, periodische Beinbewegungen im Schlaf (&laquo;periodic leg movements in sleep&raquo;, PLMS) und diverse Parasomnien inkl. epileptischer Anf&auml;lle im Schlaf abgekl&auml;rt.<sup>1</sup><br /> Wenn die sekund&auml;ren Formen von Tagesschl&auml;frigkeit ausgeschlossen wurden, bleibt eine kleine Gruppe von prim&auml;ren Hypersomnolenzen &uuml;brig, zu welchen nebst der Narkolepsie mit und ohne Kataplexie die idiopathische Hypersomnie (IH) und die nichtorganische Hypersomnie (NOH) geh&ouml;ren. Wegen der therapeutischen Konsequenzen m&uuml;ssen diese Ursachen unterschieden und auch vom chronischen Ersch&ouml;pfungssyndrom (&laquo;chronic fatigue syndrome&raquo;, CFS) abgegrenzt werden, wozu oft eine interdisziplin&auml;re Abkl&auml;rung mit objektiven Messungen der beklagten Symptome erforderlich ist. Die pr&auml;zise Anamnese bleibt aber zur Differenzierung dieser schwierig abgrenzbaren Erkrankungen essenziell (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1804_Weblinks_lo_neuro_1804_s7_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="1372" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1804_Weblinks_lo_neuro_1804_s8_tab2.jpg" alt="" width="2151" height="1945" /></p> <h2>Narkolepsie</h2> <p>Die Narkolepsie ist mit einer Pr&auml;valenz von 1:3000 in der Normalbev&ouml;lkerung gar nicht so selten, wie oft gedacht. Man unterscheidet eine monosymptomatische Narkolepsie (Typ 2) von der polysymptomatischen Form (Typ 1), welche auch Narkolepsie-Kataplexie genannt wird.<sup>1, 2, 6</sup> Die Narkolepsie-Kataplexie ist eine potenziell invalidisierende St&ouml;rung der &laquo;Schlaf- und Wachstruktur&raquo;, charakterisiert durch die Pentade 1. Schlafattacken, 2. affektive Tonusverluste (Kataplexie), 3. hypnagoge Halluzinationen, 4. Schlafl&auml;hmungen und 5. gest&ouml;rter Nachtschlaf einschliesslich belastender Tr&auml;ume. Die Krankheit beginnt oft in einer wichtigen Lebensperiode w&auml;hrend der Lehre oder in der Schule im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, seltener aber auch erst viel sp&auml;ter. Meistens tritt die Tagesschl&auml;frigkeit zuerst auf und die Kataplexien oft im Verlauf der folgenden Monate, selten aber auch erst Jahre sp&auml;ter. Hypnagoge Halluzinationen und/oder Schlafl&auml;hmungen werden nur von ca. 60 % der Patienten beschrieben. Der gest&ouml;rte Nachtschlaf, die REM-Schlaf-Verhaltensst&ouml;rung oder ein RLS bzw. PLMS sind Sp&auml;tsymptome. Bei vielen Patienten wird zu Beginn der Krankheit eine deutliche Gewichtszunahme beobachtet, was auch die h&ouml;here Inzidenz (ca. 10 % ) der Schlafapnoe erkl&auml;ren d&uuml;rfte.<br /> Die Diagnose wird grunds&auml;tzlich anhand der typischen klinischen Beschwerden und der typischen Resultate aus den Zusatzuntersuchungen wie PSG, MSLT, multiplem Wachhalte-Test (MWT) und Aktigrafie gestellt (Tab. 2). F&uuml;r eine eindeutige Diagnose, v.a. f&uuml;r die Forschung, aber auch beim Fehlen von klassischen Kataplexien, ist ein stark reduzierter Hypokretin- Wert im Liquor ganz entscheidend. Wichtig ist die Abgrenzung der typischen Kataplexien von den sogenannten Pseudokataplexien, welche auch bei gesunden Personen auftreten und sich in der Regel als Schw&auml;che in den Knien nach l&auml;ngerem herzhaftem Lachen oder in Stresssituationen &auml;ussern. Pathognomonischer f&uuml;r die Narkolepsie sind emotionell ausgel&ouml;ste Schw&auml;cheanf&auml;lle der Kopfhaltemuskulatur, der Augenlider, des Unterkiefers oder eine Dysarthrie, und zwar in den ersten Sekunden der Emotion.<br /> Gem&auml;ss der ICSD-3-Klassifikation werden entweder der erniedrigte Hypokretin- Wert oder aber eine Einschlaflatenz &lt;8 Minuten und &ge;2 SOREM (Sleep-Onset- REM-Perioden) im MSLT gefordert, wobei 1 SOREM in der vorausgehenden PSG auch z&auml;hlt.<sup>2</sup> Das positive HLA-DQB1*0602- Allel l&auml;sst sich bei der typischen Narkolepsie- Kataplexie in 98 % der F&auml;lle nachweisen, bei der monosymptomatischen Narkolepsie in ca. 40 % im Vergleich zu einer Pr&auml;valenz von ca. 24 % in der Normalbev&ouml;lkerung, was bedeutet, dass ein negativer Wert an der Diagnose etwas zweifeln lassen sollte.<br /> Als Ursache der Narkolepsie wird eine Autoimmunreaktion mit Zerst&ouml;rung der Hypokretin-bildenden Zellen im lateralen Hypothalamus angenommen, welche nur bei genetisch veranlagten Personen nach bestimmten exogenen Einfl&uuml;ssen wie z.B. einer Streptokokken-Infektion auftritt. Eine traurige Tatsache war die erh&ouml;hte Inzidenz an Narkolepsie-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen v.a. in Skandinavien, welche im Herbst 2009 prophylaktisch gegen die H1N1-Influenza geimpft wurden.<sup>7</sup><br /> Die Behandlung hat das Ziel, die Aus&uuml;bung des erlernten Berufes zu erm&ouml;glichen. Dabei werden gegen die Tagesschl&auml;frigkeit fix geplante Schlafpausen tags&uuml;ber mit Stimulanzien wie Modafinil, Methylphenidat oder &laquo;off label&raquo; auch Pitolisant oder andere Amphetamine kombiniert.<br /> Kataplexien werden nicht von allen Patienten als behandlungsbed&uuml;rftig eingestuft. Wenn diese aber st&ouml;rend in Erscheinung treten oder bei der beruflichen T&auml;tigkeit gef&auml;hrlich sein k&ouml;nnten, gilt Gammahydroxybutyrat (GHB) heute als Mittel erster Wahl. Dieses Medikament hat w&auml;hrend seiner kurzen pharmakologischen Wirkung &uuml;ber 3&ndash;4 Stunden auch einen sehr positiven Effekt auf den oft fragmentierten Nachtschlaf, auf die unangenehmen Schlafl&auml;hmungen, Halluzinationen oder Tr&auml;ume und f&uuml;hrt auch zu einer leichten Verbesserung der Tagesschl&auml;frigkeit.<br /> Antidepressiva wie z.B. Clomipramin k&ouml;nnen als Alternative zur Unterdr&uuml;ckung der kataplektischen Attacken eingesetzt werden, wenn GHB nicht vertragen wird oder wenn ein antidepressiver Effekt erw&uuml;nscht ist.</p> <p><strong>Idiopathische Hypersomnie (IH)</strong><br />Nach den ICSD-3-Kriterien2 wird entweder ein verl&auml;ngerter Schlaf &gt;11 Stunden pro 24-Stunden-Tag oder eine mittlere MSLT-Latenz &lt;8 Minuten mit &le;2 SOREMs in PSG und MSLT gefordert, nebst dem Kriterium, dass keine andere Erkl&auml;rung wie z.B. Medikamente oder Drogen, eine psychiatrische oder neurologische Erkrankung oder eine (relative) Schlafinsuffizienz vorliegen darf.<br /> Die fr&uuml;her zumindest f&uuml;r die &laquo;IH mit verl&auml;ngerter Schlafdauer&raquo; verlangte Schlaftrunkenheit beim Aufstehen wird heute nicht mehr obligat gefordert. Immerhin gilt das &laquo;erschwerte Erwachen&raquo; mit der Notwendigkeit mehrerer Wecker als unterst&uuml;tzendes Element. Die Tagesschl&auml;frigkeit zeigt sich bei der IH nicht in Form von unwiderstehlichen Schlafanf&auml;llen am Tag wie bei Narkolepsie, sondern eher durch eine chronisch vorhandene Tagesschl&auml;frigkeit haupts&auml;chlich in monotonen oder in passiven Situationen bereits unmittelbar nach dem Erwachen, welche kaum gelindert wird durch l&auml;ngeren Schlaf. Im Gegensatz zur Narkolepsie sind Power Naps am Tag praktisch nie erholsam. K&ouml;rperliche T&auml;tigkeit kann aber die Schl&auml;frigkeit analog wie bei der Narkolepsie oder sogar besser maskieren.<br /> Typischerweise findet man in der PSG auch bei einer Ableitedauer von &gt;10 Stunden eine sehr hohe Schlafeffizienz von &gt;95 % und &ouml;fters auch Tiefschlaf in der zweiten Nachth&auml;lfte, was das erschwerte Erwachen erkl&auml;rt. Im MSLT schlafen IHPatienten m&auml;ssig rasch ein und schlafen dann relativ lange, wobei nicht selten auch Tiefschlaf erreicht wird. Im MWT oder in aktiven Reaktionszeit-Tests zeigen IH-Patienten bessere Resultate als Narkolepsie- Patienten.<br /> Der aktigrafisch gemessene Inaktivit&auml;tsindex, welcher keine Differenzierung zwischen Schlaf und ruhigem Wachliegen erlaubt, ist bei der IH meistens normal, im Gegensatz zum oft erh&ouml;hten Wert bei NOH oder CFS. Bei verl&auml;sslichen IH-Patienten ist somit die anamnestische Angabe der maximalen Schlafdauer &uuml;ber mehrere N&auml;chte (Ferien) besser geeignet, um den Schlafbedarf abzusch&auml;tzen. Der Aktigrafiebefund ist aber wichtig zum Ausschluss einer (relativen) Schlafinsuffizienz, insbesondere vor der Durchf&uuml;hrung von MSLT und/oder MWT.<br /> Der verl&auml;ngerte Schlafbedarf, meist mit einer Zunahme um &ge;2 Stunden im Vergleich zum Vorzustand, beginnt nicht selten schon in der Kindheit oder zumindest vor dem 40. Lebensjahr und ca. 50 % der Betroffenen geben eine positive Familienanamnese an.<br /> Die Therapie der Tagesschl&auml;frigkeit ist bei der IH analog wie bei der Narkolepsie, wobei es wegen der Kosten&uuml;bernahme der Stimulanzien oft n&ouml;tig ist, die Krankenkassen davon zu &uuml;berzeugen, diese potenziell invalidisierende Krankheit als seltene Subgruppe der narkoleptischen Erkrankungen zu akzeptieren.<br /> Eine sehr seltene Form der Hypersomnie, welche in Abst&auml;nden von Wochen bis Monaten &uuml;ber einige Wochen oder Monate auftritt und mit psychiatrischen Auff&auml;lligkeiten und manchmal auch mit Hyperphagie und Hypersexualit&auml;t einhergeht, wird als Kleine-Levin-Syndrom bezeichnet.<sup>1</sup></p> <p><strong>Nichtorganische Hypersomnie (NOH)</strong><br /> Die NOH wird von anderen Hypersomnolenz- Syndromen durch eine zumindest zeitweise vorhandene Assoziation der Tagesschl&auml;frigkeit bzw. des verl&auml;ngerten Schlafbedarfs mit einer psychiatrischen Erkrankung abgegrenzt.<sup>2, 8</sup> Objektive Befunde aus PSG, MSLT oder Aktigrafie werden nicht verlangt. Immerhin wird eine verl&auml;ngerte Zeit im Bett bei fragmentiertem Schlaf oder eine verl&auml;ngerte Einschlaflatenz und erniedrigte Schlafeffizienz als charakteristisch angesehen. In unserer eigenen Erfahrung kann die Einschlaflatenz in PSG und MSLT aber auch leicht verk&uuml;rzt sein. Relativ typisch ist ein im Vergleich zum MSLT disproportional abnormer MWT-Befund, wo auch ein aktiver Augenschluss auff&auml;llt. Diese Befunde lassen erkennen, dass es sich bei der NOH um eine Kombination zwischen Tagesschl&auml;frigkeit, Tagesm&uuml;digkeit und gest&ouml;rtem Nachtschlaf handelt, wobei die Tagesschl&auml;frigkeit aber im Vordergrund steht, ganz im Gegensatz zu der gr&ouml;sseren Gruppe mit affektiven St&ouml;rungen, welche an einer Insomnie mit Tagesm&uuml;digkeit leidet. Es gilt speziell zu beachten, dass bei der Behandlung einer Depression die M&uuml;digkeit oder auch die Tagesschl&auml;frigkeit als therapieresistentes Symptom im Sinne einer NOH sehr lange persistieren kann, was auch als teilremittierte Depression bezeichnet wird.<br /> Bei der Therapie der NOH stehen neben der spezifischen Behandlung der psychiatrischen Erkrankung antriebssteigernde Antidepressiva wie z.B. Buproprion oder Venlafaxin im Vordergrund. Nicht so selten muss aber auch die sogenannte &laquo;Augmentierung &raquo; (Kombination mit Stimulanzien wie Methylphenidat oder Modasomil) eingesetzt werden.</p> <p><strong>Chronisches Ersch&ouml;pfungssyndrom (CFS)</strong><br />Patienten mit einem CFS beklagen prim&auml;r eine ausgepr&auml;gte mentale, aber vor allem auch k&ouml;rperliche Ersch&ouml;pfbarkeit.<sup>9</sup> Die M&uuml;digkeit nimmt hier unter k&ouml;rperlicher T&auml;tigkeit zu und typischerweise ben&ouml;tigen diese Patienten Stunden oder gar Tage, um sich davon zu erholen. Dazu ben&ouml;tigen sie Ruhe, aber nicht unbedingt Schlaf. Der Nachtschlaf wird aber trotzdem oft als unerholsam empfunden. In der PSG findet man entweder einen normalen bis leicht fragmentierten Schlaf, assoziiert mit einer Fehlwahrnehmung (&laquo;misperception &raquo;) eines schlechten Schlafes oder sogar eine Ein- und Durchschlafinsomnie. Im MSLT findet sich eine normale oder verl&auml;ngerte Einschlaflatenz. Die Einschlaflatenz im MWT f&auml;llt vergleichsweise kurz aus, oft nur geringf&uuml;gig l&auml;nger als die MSLT-Latenz. Typisch ist ein hoher Inaktivit&auml;tsindex (&gt;40 % ) in der Aktigrafie, welcher aber nicht Schlaf, sondern ruhiges Liegen darstellt.<br /> Bisher konnte die Wissenschaft keine organische Erkl&auml;rung f&uuml;r dieses Krankheitsbild finden, obschon verschiedentlich &uuml;ber immunologische, postinfekti&ouml;se oder hormonelle Auff&auml;lligkeiten spekuliert wurde. Die Patienten selbst beharren mit besonders auff&auml;lliger Hartn&auml;ckigkeit auf einer organischen Ursache und weisen jegliche psychische Ursache weit von sich. Eine ausgepr&auml;gte Tagesm&uuml;digkeit mit h&auml;ufigem Abliegen tags&uuml;ber mit entsprechender k&ouml;rperlicher Dekonditionierung und Verschlechterung des Nachtschlafes wurde als Rip-van-Winkle-Ph&auml;nomen beschrieben.<sup>1</sup><br /> Unabh&auml;ngig davon, ob die diagnostischen Kriterien des CFS vollst&auml;ndig oder nur teilweise erf&uuml;llt sind, gilt die Verhaltenstherapie mit langsam aufbauendem k&ouml;rperlichem Training als die am ehesten Erfolg versprechende Behandlung.</p> <h2>Beurteilung der Fahreignung</h2> <p>Nach der gezielten Diagnostik und Therapie sollte bei jedem Patienten mit Tagesschl&auml;frigkeit auch die Fahreignung explizit beurteilt, mit dem Patienten besprochen und in den Patientenakten vermerkt werden.<sup>10</sup> Bei privaten Fahrzeuglenkern, welche noch nie einen Sekundenschlaf- Unfall verursacht haben, gen&uuml;gt in der Regel die Instruktion, dass bei Schl&auml;frigkeit auf das Lenken von Motorfahrzeugen verzichtet werden muss. Auf die einzigen wirksamen Gegenmassnahmen (Anhalten f&uuml;r einen Kaffee und anschliessenden Power Nap) und auf die Konsequenzen eines Sekundenschlaf-Unfalls (Ausweisentzug, Busse und Versicherungsregress) soll ebenfalls hingewiesen werden. Bei Berufschauffeuren oder bei Lenkern, welche bereits einen Sekundenschlaf-Unfall verursacht haben, wird eine Zuweisung in ein Schlaf-wach-Zentrum zur Abkl&auml;rung der Ursache und zur Quantifizierung der Tagesschl&auml;frigkeit im MWT unter optimaler Therapie empfohlen.<sup>11</sup></p> <p><br /><em>Erstpublikation in &laquo;Praxis&raquo; 2018; 107(21).</em><br /> <em>Mit freundlicher Genehmigung durch den Hogrefe Verlag</em></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Mathis J, Hatzinger M: Praktische Diagnostik bei M&uuml;digkeit/ Schl&auml;frigkeit. Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2011; 162: 300-9 <strong>2</strong> International Classification of Sleep Disorders (ICSD). 3. Aufl., American Academy of Sleep Medicine, 2014 <strong>3</strong> Bloch KE et al.: German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration 1999; 66(5): 440-7 <strong>4</strong> Krupp LB et al.: The fatigue severity scale. Application to patients with multiple sclerosis and systemic lupus erythematosus. Arch Neurol 1989; 46: 1121-3 <strong>5</strong> Stadje R et al.: The differential diagnois of tiredness: a systematic review. BMC Family Practice 2016; 17: 1-11 <strong>6</strong> www.narcolepsy.ch <strong>7</strong> Mathis J, Strozzi S: Narkolepsie, eine Folge der H1N1-Grippeimpfung? Schweiz Med Forum 2012; 12: 8-10 <strong>8</strong> Kaplan KA, Harvey AG: Hypersomnia across mood disorders: a review and synthesis. Sleep Med Rev 2009; 13: 275-85 <strong>9</strong> Reeves WC et al.: Identification of ambiguities in the 1994 chronic fatigue syndrome research case definition and recommendations for resolution. Bio Med Central 2011; 1-19 <strong>10</strong> Mathis J, Seeger R, Ewert U: Excessive daytime sleepiness, crashes and driving capability. Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2003; 154: 329-38 <strong>11</strong> Mathis J et al.: Fahreignung bei Tagesschl&auml;frigkeit: Empfehlungen f&uuml;r &Auml;rzte und akkreditierte Zentren f&uuml;r Schlafmedizin. Swiss Med Forum 2017; 17: 442-447 und www.swiss-sleep.ch/driving</p> </div> </p>
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