© Lars Neumann iStockphoto

ESC-Kongress 2018

Aktualisierte Leitlinien zur Hypertonietherapie und weitere Highlights

<p class="article-intro">Mit mehr als 31 000 Teilnehmern aus 150 Ländern war der diesjährige Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), der von 25. bis 29. August in der Messe München stattfand, erwartungsgemäss einer der weltweit grössten Medizinkongresse. Neben dem Fortbildungsprogramm wurden im «Abstract-based Programme» 4500 Studien vorgestellt, die vom Programmkomitee aus etwa 11 000 von Forschern aus der ganzen Welt für diesen Kongress eingereichten Beiträgen ausgewählt wurden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wir haben wirksame Therapien und theoretisch sollten 90 bis 95 Prozent aller Hypertoniepatienten ihren Blutdruck unter Kontrolle haben. In der Realit&auml;t erreichen jedoch nur 15 bis 20 Prozent die Zielwerte. Die neuen Leitlinien haben das Ziel, dies zu verbessern, indem sie eine Behandlungsstrategie einf&uuml;hren, die einfach ist und leichter befolgt werden kann&raquo;, sagte Prof. Dr. med. Giuseppe Mancia von der Universit&auml;t Milano-Bicocca in Mailand, ESH-Vorsitzender der Leitlinien-Task-Force.<br /> Die aktuellen Hypertonieleitlinien<sup>1</sup> empfehlen, die meisten Patienten sofort mit zwei blutdrucksenkenden Medikamenten zu behandeln. Fr&uuml;here Leitlinien hatten noch dazu geraten, mit einem Medikament zu beginnen und die Therapie schrittweise zu eskalieren. Allerdings waren viele &Auml;rzte sehr vorsichtig mit der Zugabe eines zweiten oder dritten Mittels, selbst wenn der Patient den Zielblutdruck nicht erreichte. Ein zweites Problem dabei war, dass viele Patienten ihre Medikamente nicht wie verschrieben einnahmen. Je mehr Medikamente sie einnehmen m&uuml;ssen, umso geringer wird die Compliance. Diesem Umstand hat die Leitlinienkommission der ESC nun Rechnung getragen und die Empfehlungen angepasst: &laquo;Die grosse Mehrheit der Hypertoniepatienten sollte die Behandlung mit zwei Medikamenten in einer Kombinationspille beginnen &raquo;, erkl&auml;rte dazu Prof. Dr. med. Bryan Williams vom University College London, ESC-Vorsitzender der Leitlinien-Task- Force. Diese Medikamente seien bereits verf&uuml;gbar und k&ouml;nnten den Erfolg der Blutdrucktherapie massiv verbessern. Damit einher ginge eine Reduktion der Zahl an Schlaganf&auml;llen, Herzkrankheiten und fr&uuml;hen Todesf&auml;llen, erg&auml;nzte er.</p> <h2>Blutdrucksenkung schon bei hochnormalem Blutdruck</h2> <p>Neu ist auch, dass die medikament&ouml;se Blutdrucksenkung in den aktuellen Leitlinien bereits bei Patienten mit geringem bis moderatem Risiko empfohlen wird, denen bislang lediglich zu einer Ver&auml;nderung ihres Lebensstils geraten wurde. Das sind Patienten mit einer Grad-1-Hypertonie, d.h. Blutdruckwerten von 140&ndash;159/ 90&ndash;99mmHg, einschliesslich der 65- bis 80-J&auml;hrigen, sowie Patienten mit einem hochnormalen Blutdruck von 130&ndash;139/ 85&ndash;89mmHg. Das Alter per se sollte keine Limitation f&uuml;r eine Behandlung sein. Grunds&auml;tzlich sind die Zielwerte f&uuml;r den Blutdruck in den aktuellen Leitlinien im Vergleich zu den fr&uuml;heren niedriger. So sollte der systolische Blutdruck bei unter 65-J&auml;hrigen bei 120&ndash;129mmHg liegen, bei &uuml;ber 65-J&auml;hrigen bei 130&ndash;139mmHg. Werte unter 120mmHg sollten nicht angestrebt werden, da hier die Risiken den m&ouml;glichen Nutzen &uuml;berwiegen. Bei Patienten mit resistenter Hypertonie, die auch mit einer Dreierkombination von Blutdrucksenkern den Zielbereich nicht erreichen, sollte ein Diuretikum dazugegeben werden.</p> <h2>Herzinsuffizienz</h2> <p><strong>R&uuml;ckschlag f&uuml;r den MitraClip</strong><br /> Die Pr&auml;sentation der Ergebnisse der MITRA.fr-Studie,<sup>2</sup> die die Effekte der perkutanen Interventionen an der Mitralklappe mittels MitraClips bei Patienten mit Herzinsuffizienz und mitraler Regurgitation untersucht hat, wurde mit grosser Spannung erwartet.<br /> Laut aktuellen Guidelines der ESC kann eine perkutane Klappenreparatur bei Patienten mit sekund&auml;rer mitraler Regurgitation und Herzinsuffizienz in Erw&auml;gung gezogen werden, wenn der Zustand des Patienten keine Operation am offenen Herzen zul&auml;sst.<sup>3</sup> Die h&auml;ufigste Intervention an der Mitralklappe besteht im Setzen von Clips, mit denen die Klappensegel aneinander fixiert werden, um so einen effektiveren Klappenschluss zu erreichen. Bislang fehlt jedoch die Evidenz f&uuml;r eine Verl&auml;ngerung des &Uuml;berlebens durch diese Massnahme.<sup>4</sup><br /> In der MITRA.fr-Studie wurde untersucht, ob &uuml;ber einen Zeitraum von 12 Monaten die Gesamtmortalit&auml;t oder die Zahl ungeplanter Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz reduziert werden k&ouml;nnen, wenn zus&auml;tzlich zur optimalen medikament&ouml;sen Therapie MitraClips eingesetzt werden. In die Studie eingeschlossen waren 304 Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz mit eingeschr&auml;nkter LVEF (15&ndash;40 % ) und schwerer sekund&auml;rer mitraler Regurgitation. Die Zuweisung zum Setzen von Clips erfolgte randomisiert. Mehr als 90 % der Prozeduren verliefen erfolgreich und f&uuml;hrten zu einer substanziellen Reduktion der Regurgitation. Es gab keine signifikanten Sicherheitsprobleme. Allerdings konnte keinerlei Vorteil durch den Clip nachgewiesen werden: Im Hinblick auf das Eintreten des prim&auml;ren Endpunkts (Tod oder ungeplante Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz) gab es keine statistisch signifikante Differenz zwischen den beiden Studienarmen (Interventionsgruppe: 54,6 % , Kontrollgruppe 51,3 % ; p=0,53). Anl&auml;sslich der Pr&auml;sentation der Daten wies Studienautor Prof. Dr. med. Jean-Fran&ccedil;ois Obadia, Lyon, aber auch auf ein erfreuliches Nebenergebnis seiner Arbeit hin: Durch die in beiden Armen optimierte medikament&ouml;se Therapie verbesserte sich der Zustand vieler Patienten erheblich. Nach 12 Monaten konnten rund drei Viertel der Patienten in die NYHA-Klassen I und II klassifiziert werden. MITRA.fr habe jedoch gezeigt, dass der Clip in der untersuchten Population keine Vorteile bringt und daher keine geeignete Option f&uuml;r alle Patienten mit Herzinsuffizienz und mitraler Regurgitation sein k&ouml;nne.<br /><br /> <strong>Aussicht auf Therapie bei Transthyretin-Amyloidose</strong><br /> Die Transthyretin-Amyloidose (ATTRCM) ist eine bislang unbehandelbare Erkrankung des Herzens, die deutlich h&auml;ufiger sein k&ouml;nnte, als man bislang annahm. Die Pathophysiologie beruht auf der Akkumulation von Transthyretin zu Amyloidfibrillen. Transthyretin ist ein auf den Transport von Schilddr&uuml;senhormonen im Serum spezialisiertes Protein. Kommt es zur pathologischen Faltung des Molek&uuml;ls, bildet sich Amyloid. Die Ablagerung der Fibrillen im Herz f&uuml;hrt zu einer restriktiven Kardiomyopathie und progredienter Herzinsuffizienz. Bis vor Kurzem war f&uuml;r die Diagnose der Erkrankung eine Myokardbiopsie erforderlich. Seit die ATTR- CM mittels Knochenszintigrafie diagnostiziert werden kann, wurden die Pr&auml;valenzsch&auml;tzungen deutlich nach oben korrigiert. So fand eine Screening-Studie bei 13 % aller untersuchten hospitalisierten Patienten mit HFpEF eine ATTR-CM.<sup>5</sup> Bei unbehandelten Patienten liegt das mediane &Uuml;berleben bei 2,5 Jahren ab Diagnosestellung f&uuml;r die heredit&auml;re und bei 3,6 Jahren f&uuml;r die &laquo;Wild type&raquo;-Form.<br /> Mit Tafamidis wird nun erstmals ein krankheitsmodifizierender Ansatz bei der ATTR-CM untersucht. Die Substanz bindet mit hoher Affinit&auml;t und Selektivit&auml;t an die Thyroxin-Bindungsstellen des Transportproteins und verhindert so dessen Faltung. In die randomisierte, doppelblind placebokontrollierte Studie ATTR-ACT (&laquo;Efficacy and Safety of Tafamidis in Transthyretin Amyloid Cardiomyopathy&raquo;),<sup>6</sup> welche Wirksamkeit und Sicherheit von Tafamidis untersuchte, wurden 441 Patienten mit heredit&auml;rer oder erworbener ATTR-CM eingeschlossen und w&auml;hrend 30 Monaten entweder mit Tafamidis oder Placebo behandelt. In der prim&auml;ren Analyse waren Gesamtmortalit&auml;t und die Rate an Hospitalisationen aus kardiovaskul&auml;ren Gr&uuml;nden bei den mit Tafamidis behandelten Patienten signifikant geringer als in der Kontrollgruppe (p&gt;0,001). Studienautor Prof. Dr. med. Claudio Rapezzi von der Universit&auml;t Bologna unterstrich anl&auml;sslich der Pr&auml;sentation der Daten, dass die Kurven der Verum- und Placebogruppen ab einer Behandlungsdauer von 15 Monaten zunehmend auseinandergehen und es keine Hinweise auf einen mit der Zeit abnehmenden Therapieeffekt gibt. Tafamidis verlangsamte auch die Abnahme der Leistungsf&auml;higkeit (6-Minuten-Gehstrecke) und verbesserte die Lebensqualit&auml;t. Die Vertr&auml;glichkeit von Tafamidis war gut.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p><strong>0/1-Stunden-Algorithmus bei Verdacht auf NSTEMI bew&auml;hrt sich im klinischen Alltag</strong><br /> F&uuml;r Patienten mit Verdacht auf einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) empfiehlt die ESC f&uuml;r die schnelle Triage den 0/1-Stunden-Algorithmus mit einem hochsensitiven kardialen Troponintest. Im Rahmen des ESC-Kongresses wurden nun erstmals Daten zum Nutzen des 0/1-Stunden- Algorithmus in der realen klinischen Routine einer Notaufnahme bei unselektierten Patienten mit Verdacht auf einen NSTEMI vorgestellt.<sup>7</sup> Dabei zeigte sich, dass das Messen des 2. Troponinwerts bereits nach einer Stunde auch im klinischen Alltag eine sehr hohe Effizienz aufweist. 75 % der Patienten konnten anhand des 0/1-Stunden-Algorithmus zu Rule-out (62 % ) oder Rule-in (13 % ) triagiert werden. Die mittlere Verweildauer auf der Notaufnahme betrug dabei nur 150 Minuten. Bei 71 % der Patienten erfolgte die weitere Betreuung ambulant. Die Daten belegen auch die hohe Sicherheit des 0/1-Stunden-Algorithmus: Die 30-Tages- Inzidenz eines schweren kardialen Ereignisses (nicht t&ouml;dlicher Myokardinfarkt oder kardiovaskul&auml;rer Tod) lag in der Rule-out-Gruppe bei 0,2 % und bei den ambulant betreuten Patienten bei 0,1 % .</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ESC Congress 2018, 25. bis 29. August 2018, München </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Williams B et al.; ESC Scientific Document Group: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39: 3021-104 <strong>2</strong> Obadia JF et al.; MITRA-FR Investigators: Percutaneous repair or medical treatment for secondary mitral regurgitation. N Engl J Med 2018 [epub ahead of print] <strong>3</strong> Baumgartner H et al.: 2017 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Eur Heart J 2017; 38: 2739-91 <strong>4</strong> Ponikowski P et al.: 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2016; 37: 2129-200 <strong>5</strong> Gonz&aacute;lez-L&oacute;pez E et al.: Wild-type transthyretin amyloidosis as a cause of heart failure with preserved ejection fraction. Eur Heart J 2015; 36: 2585- 94 <strong>6</strong> Maurer MS et al.; ATTR-ACT Study Investigators: Tafamidis treatment for patients with transthyretin amyloid cardiomyopathy. N Engl J Med 2018; 379: 1007-16 <strong>7</strong> Twerenbold R et al.: Realworld outcome data of the European Society of Cardiology 0/1hour algorithm for rapid triage of suspected myocardial infarction. ESC Congress 2018, Abstract P829</p> </div> </p>
Back to top