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Flüssigkeitstherapie

Balancierte Kristalloide vs. NaCl 0,9%

<p class="article-intro">Zwei kürzlich im «New England Journal of Medicine» veröffentlichte Studien haben die Diskussion um die Vor- und Nachteile von NaCl 0,9 % resp. balancierten Elektrolytlösungen neu entfacht.<sup>1, 2</sup> Wir haben die wichtigsten Resultate der Studien für Sie zusammengefasst. Lesen Sie dazu auch den Kommentar der erfahrenen Intensivmediziner Dr. med. Alexander Kaserer und PD Dr. med. Alain Rudiger vom Universitätsspital Zürich im Anschluss an die Studienzusammenfassung.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Fl&uuml;ssigkeitstherapie mit Elektrolytl&ouml;sungen (Kristalloiden) ist eine der h&auml;ufigsten Interventionen auf Notfallund Intensivpflegestationen, w&auml;hrend operativer Eingriffe und auch bei nicht kritisch kranken hospitalisierten Patienten. Am h&auml;ufigsten wird 0,9 % ige NaCl-L&ouml;sung verwendet, die auch als physiologische Kochsalzl&ouml;sung bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist allerdings irref&uuml;hrend, da NaCl 0,9 % ausser Natrium und Chlorid keine anderen Elektrolyte enth&auml;lt und sowohl die Natrium- als vor allem auch die Chloridkonzentration wesentlich h&ouml;her ist als im Plasma (Cl: 154mmol/l vs. 94&ndash;111mmol/l). Besonders diesem letzteren Umstand wurde in den letzten Jahren vermehrt Beachtung geschenkt. Die Verabreichung von NaCl 0,9 % kann n&auml;mlich zu einer hyperchlor&auml;men metabolischen Azidose und in der Folge zu einer Beeintr&auml;chtigung der Nierenfunktion bis hin zum akuten Nierenversagen und Tod f&uuml;hren.<br /> Als Alternative zu NaCl 0,9 % bieten sich sogenannte balancierte Kristalloide wie z.B. Ringer-Laktat-, Ringer-Acetatoder Ringer-Malat-L&ouml;sung mit einer wesentlich geringeren Chloridkonzentration an. Verschiedene Beobachtungsstudien lassen vermuten, dass die Verwendung von balancierten Kristalloiden anstelle von NaCl 0,9 % bei kritisch kranken Erwachsenen mit niedrigeren Raten an Nierenversagen, Nierenersatztherapie und Tod assoziiert ist.<sup>3&ndash;5</sup> In zwei neueren Pilotstudien, der SPLIT-<sup>6</sup> und der SALT-Studie,<sup>7</sup> ergab sich im Hinblick auf das Outcome jedoch kein Unterschied zwischen balancierten Elektrolytl&ouml;sungen und NaCl 0,9 % .<br />Kritisch kranke Patienten sind zwar besonders anf&auml;llig f&uuml;r m&ouml;gliche sch&auml;dliche Auswirkungen einer Fl&uuml;ssigkeitstherapie, in Anbetracht der grossen Zahl an nicht kritisch Kranken, denen Kristalloide verabreicht werden, k&ouml;nnten aber auch geringe Unterschiede im Hinblick auf das Outcome einen grossen Einfluss auf die &ouml;ffentliche Gesundheit haben. Um Klarheit &uuml;ber den Einfluss der Wahl der Infusionsl&ouml;sung auf das Outcome von kritisch, aber auch nicht kritisch kranken Erwachsenen zu erlangen, f&uuml;hrte eine Forschergruppe vom Vanderbilt University Medical Center, Nashville (Tennessee), zwei pragmatische, offene, clusterrandomisierte, multiple Cross-over-Studien durch, in welchen NaCl 0,9 % und balancierte Elektrolytl&ouml;sungen einerseits bei kritisch kranken und andererseits bei nicht kritisch kranken Erwachsenen miteinander verglichen wurden.<sup>1, 2</sup></p> <h2>SMART-Studie: balancierte Kristalloide vs. NaCl 0,9 % bei kritisch kranken Erwachsenen<sup>1</sup></h2> <p>In die SMART-Studie (Isotonic Solutions and Major Adverse Renal Events Trial) wurden 15 802 Erwachsene (&ge;18 Jahre) aufgenommen, die zwischen Juni 2015 und April 2017 auf einer von f&uuml;nf medizinischen oder chirurgischen Intensivpflegestationen des o.g. Zentrums behandelt worden waren. Gem&auml;ss Protokoll musste auf den verschiedenen Intensivpflegestationen als Infusionsl&ouml;sung entweder w&auml;hrend der geraden Monate NaCl 0,9 % und w&auml;hrend der ungeraden Monate ein balanciertes Kristalloid (Ringer-Laktat-L&ouml;sung oder Plasma-Lyte A) verwendet werden oder umgekehrt. Bei Vorliegen von relativen Kontraindikationen f&uuml;r balancierte Kristalloide (Hyperkali&auml;mie, Hirnverletzung) konnte NaCl 0,9 % verabreicht werden.<br /> Prim&auml;rer Endpunkt war der Anteil an Patienten, die innerhalb von 30 Tagen eines oder mehr Kriterien f&uuml;r ein schweres renales Ereignis (&laquo;major adverse kidney events&raquo;, MAKE30) erf&uuml;llten. MAKE wurde definiert als Tod, neue Nierenersatztherapie oder persistierende Niereninsuffizienz (definiert als letzter im Spital gemessener Kreatininwert &ge;200 % des Ausgangswerts).<br /><br /><strong> Resultate</strong></p> <ul> <li>Das mittlere Volumen an infundierter Fl&uuml;ssigkeit w&auml;hrend des Aufenthalts auf der Intensivpflegestation lag bei den balancierten Kristalloiden bei 1000ml (Interquartilbereich: 0&ndash;3210) und bei NaCl 0,9 % bei 1020ml (Interquartilbereich: 0&ndash;3500).</li> <li>Im Vergleich mit der NaCl-0,9 % -Gruppe wurde in der Gruppe mit balancierten Kristalloiden bei signifikant weniger Patienten eine Chloridkonzentration &gt;110mmol/l (35,6 vs. 24,5 % ; p&lt;0,001) oder eine Bikarbonatkonzentration &lt;20mmol/l (42,1 vs. 35,2 % ; p&lt;0,001) festgestellt (Abb. 1).</li> <li>14,3 % der Patienten, die balancierte Kristalloide erhielten, und 15,4 % der Patienten in der NaCl-0,9 % -Gruppe erlitten ein MAKE30 (OR: 0,91; 95 % CI: 0,83&ndash;0,99; p=0,04).</li> <li>Die Autoren haben errechnet, dass durch die Gabe eines balancierten Kristalloids anstelle von Kochsalzl&ouml;sung bei 1 von 94 Intensivpatienten das Auftreten eines MAKE30 verhindert werden kann.</li> <li>In der Subgruppenanalyse zeigte sich, dass der Unterschied in Bezug auf die H&auml;ufigkeit des prim&auml;ren Endpunkts zwischen den beiden Behandlungsgruppen bei Patienten mit Sepsis gr&ouml;sser war (OR: 0,80; 95 % CI: 0,67&ndash;0,94; p=0,01), ebenso bei solchen, die gr&ouml;ssere Fl&uuml;ssigkeitsvolumina erhalten hatten.</li> <li>Weiter zeigte sich, dass Patienten, die fr&uuml;her schon einmal eine Form von Nierenersatztherapie ben&ouml;tigt hatten, besonders von den balancierten L&ouml;sungen profitierten (OR: 0,61; 95 % CI: 0,41&ndash;0,91; p=0,01).</li> </ul> <p><strong>Schlussfolgerung</strong><br /> Bei kritisch kranken Patienten hatte die Fl&uuml;ssigkeitstherapie mit balancierten Kristalloiden einen signifikant g&uuml;nstigeren Einfluss auf den zusammengesetzten prim&auml;ren Endpunkt aus Tod, neuer Nierenersatztherapie oder persistierender Niereninsuffizienz (MAKE30) als die Gabe von NaCl 0,9 % . Besonders ausgepr&auml;gt war der positive Effekt von balancierten Elektrolytl&ouml;sungen bei kritisch kranken Patienten mit Sepsis, bei solchen, die gr&ouml;ssere Fl&uuml;ssigkeitsvolumina ben&ouml;tigt hatten, und bei solchen, die fr&uuml;her schon einmal eine Nierenersatztherapie ben&ouml;tigt hatten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s68_abb1.jpg" alt="" width="1414" height="866" /></p> <h2>SALT-ED-Studie: balancierte Kristalloide vs. NaCl 0,9 % bei nicht kritisch kranken Erwachsenen<sup>2</sup></h2> <p>In die SALT-ED-Studie (Saline against Lactated Ringer&rsquo;s or Plasma-Lyte in the Emergency Department) wurden 13 347 &uuml;ber 18-j&auml;hrige Patienten aufgenommen, die auf der Notfallstation mindestens 500ml einer Elektrolytl&ouml;sung erhalten hatten und anschliessend ausserhalb der Intensivpflegestation hospitalisiert worden waren. Gem&auml;ss Studienprotokoll wurde &uuml;ber eine Gesamtdauer von 16 Monaten als Infusionsl&ouml;sung abwechslungsweise jeweils einen Monat lang NaCl 0,9 % oder ein balanciertes Kristalloid (Ringer-Laktat- L&ouml;sung oder Plasma-Lyte A) verwendet. Die Wahl der Infusionsl&ouml;sung nach der Verlegung von der Notfallstation auf eine andere Abteilung war nicht Gegenstand der Studie.<br /> Prim&auml;rer Endpunkt war die Anzahl spitalfreier Tage bis Tag 28 nach der Aufnahme auf die Notfallstation. F&uuml;r Patienten, die w&auml;hrend der 28 Tage verstorben waren oder l&auml;nger als 28 Tage im Spital bleiben mussten, wurden 0 spitalfreie Tage berechnet. Als wesentliche sekund&auml;re Endpunkte wurden schwere renale Ereignisse innerhalb von 30 Tagen (MAKE30), eine akute Niereninsuffizienz Grad 2 oder h&ouml;her sowie Tod w&auml;hrend der Hospitalisation definiert.</p> <p><strong>Resultate<br /></strong></p> <ul> <li>Das Infusionsvolumen lag im Median bei 1079ml (Interquartilbereich: 1000&ndash; 2000). Das am h&auml;ufigsten verabreichte balancierte Kristalloid war Ringer-Laktat- L&ouml;sung (95,3 % vs. 4,7 % f&uuml;r Plasma-Lyte A).</li> <li>Patienten, die eine balancierte Elektrolytl&ouml;sung erhalten hatten, wiesen niedrigere Chlorid- und h&ouml;here Bikarbonatkonzentrationen auf als die Patienten in der Kochsalzgruppe (Abb. 2). Bei Ersteren fanden sich seltener eine Hyperchlor&auml;mie (Serumchlorid &gt;110mmol/l) und eine Azidose (Serumbikarbonat &lt;20mmol/l) als bei Letzteren.</li> <li>In Bezug auf die spitalfreien Tage gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen (Median: 25 Tage).</li> <li>Von den Patienten, die eine balancierte Elektrolytl&ouml;sung erhalten hatten, erlitten signifikant weniger ein MAKE30 als von den Patienten in der NaCl-0,9 % -Gruppe (4,7 % vs. 5,6 % ; OR: 0,82; 95 % CI: 0,70&ndash; 0,95; p=0,01; NNT 111), wobei die Rate f&uuml;r jede der drei Komponenten (Tod, neue Nierenersatztherapie, persistierende Niereninsuffizienz) niedriger war.</li> <li>In der Gruppe mit einem balancierten Kristalloid trat bei 8,0 % der Patienten eine akute Niereninsuffizienz Grad 2 oder h&ouml;her auf, in der Gruppe mit NaCl 0,9 % bei 8,6 % (OR: 0,91; 95 % CI: 0,80&ndash; 1,03; p=0,14).</li> <li>Gem&auml;ss Subgruppenanalyse profitieren diejenigen Patienten am meisten von der balancierten Elektrolytl&ouml;sung, die bereits bei Aufnahme auf die Notfallstation eine Niereninsuffizienz (Kreatinin &ge;133&mu;mol/l) oder eine Hyperchlor&auml;mie (Chlorid &gt;110mmol/l) aufgewiesen hatten.</li> <li>Von den Patienten, die bei Aufnahme auf die Notfallstation die Kriterien f&uuml;r eine akute Niereninsuffizienz Grad 2 oder h&ouml;her erf&uuml;llt hatten, erfuhren in der Gruppe mit dem balancierten Kristalloid mehr Patienten w&auml;hrend des Spitalaufenthalts eine Erholung der Nierenfunktion als in der Gruppe mit der Kochsalzl&ouml;sung (Inzidenz MAKE30 28,0 vs. 37,6 % ; p&lt;0,001).</li> </ul> <p><strong>Schlussfolgerung</strong><br />Bei nicht kritisch kranken Patienten, die auf der Notfallstation eine Fl&uuml;ssigkeitstherapie erhalten haben, ging die Gabe von balancierten Kristalloiden mit einer niedrigeren Inzidenz an MAKE30 (zusammengesetzt aus Tod, neuer Nierenersatztherapie oder persistierender Niereninsuffizienz) einher als die Gabe von NaCl 0,9 % . Auf die L&auml;nge der Hospitalisation hatte die Wahl der Infusionsl&ouml;sung keinen Einfluss.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s68_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="895" /></p> <p>Studienzusammenfassung: <br />Dr. med. <strong>Sabina Ludin</strong> <br />Chefredaktorin</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Semler MW et al.: Balanced crystalloids versus saline in critically ill adults. N Engl J Med 2018; 378: 829-39 <strong>2</strong> Self WH et al.: Balanced crystalloids versus saline in noncritically ill adults. N Engl J Med 2018; 378: 819-28 <strong>3</strong> Raghunathan K et al.: Association between the choice of IV crystalloid and in-hospital mortality among critically ill adults with sepsis. Crit Care Med 2014; 42: 1585-9 <strong>4</strong> Shaw AD et al.: Association between intravenous chloride load during resuscitation and inhospital mortality among patients with SIRS. Intensive Care Med 2014; 40: 1897-905 <strong>5</strong> Shaw AD et al.: Major complications, mortality, and resource utilization after open abdominal surgery: 0.9 % saline compared to Plasma-Lyte. Ann Surg 2012; 255: 821-9 <strong>6</strong> Young P et al.: Effect of a buffered crystalloid solution vs saline on acute kidney injury among patients in the intensive care unit: the SPLIT randomized clinical trial. JAMA 2015; 314: 1701-10 <strong>7</strong> Semler MW et al.: Balanced crystalloids versus saline in the intensive care unit: the SALT randomized trial. Am J Respir Crit Care Med 2017; 195: 1362- 72</p> </div> </p>
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