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U.S. Preventive Services Task Force

Sport statt Vitamin D für gesunde Senioren?

<p class="article-intro">Ältere Menschen haben öfter Osteoporose und stürzen schneller – was lag näher, als Vitamin D zur Prophylaxe zu propagieren? Denn das Vitamin schützte in früheren Studien vor Stürzen und Frakturen. Doch eine Analyse grosser Studien zeigt jetzt: Vitamin D schützt gesunde Senioren, die zu Hause leben, nicht vor Stürzen oder Knochenbrüchen. Senioren sollten besser Kraft und Gleichgewicht trainieren, Stolperfallen vermeiden und dafür sorgen, dass sie gut sehen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Es gibt kaum ein Thema, bei dem die Meinung so gespalten ist wie bei der Vitamin-D-Prophylaxe. Bef&uuml;rworter sagen, Vitamin-D-Supplemente sch&uuml;tzen Senioren vor St&uuml;rzen und Knochenbr&uuml;chen. Kritiker halten dagegen, die Evidenz sei zu schwach. Wer hat recht? J&uuml;ngst hat die US Preventive Services Task Force (USPSTF), die das amerikanische Gesundheitsministerium ber&auml;t, ein Fazit gezogen:<sup>1</sup> Prof. Dr. med. David Grossman vom Kaiser Permanente Washington Health Research Institute in Seattle und seine Kollegen von der Task Force sprechen sich gegen eine Supplementierung mit Vitamin D aus. Vitamin D sch&uuml;tze gesunde Senioren, die zu Hause leben, nicht vor St&uuml;rzen oder Knochenbr&uuml;chen. &laquo;Wenn sich ein Senior regelm&auml;ssig bewegt und ins Freie geht, ben&ouml;tigt er keine Vitamin-D-Supplementierung&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Helmut Schatz, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Endokrinologie und emeritierter Professor der Ruhr-Universit&auml;t in Bochum. &laquo;Die USPSTF-Empfehlung bezieht sich aber nur auf Menschen ohne Osteoporose und ohne nachgewiesenen Vitamin-D-Mangel.&raquo;<br /> Wegen der zunehmenden Lebenserwartung werden osteoporotische Frakturen ein immer gr&ouml;sseres Problem &ndash; nicht nur f&uuml;r die Betroffenen, sondern wegen der Kosten f&uuml;r Therapie und Nachbetreuung auch f&uuml;r das Gesundheitssystem. Vitamin D sorgt bekanntermassen daf&uuml;r, dass Kalzium im Darm resorbiert und in den Knochen eingebaut wird, wodurch die Knochen stabil bleiben. Ausserdem spielt es eine Rolle bei der Muskelkraft und bei der Koordination. Senioren haben &ouml;fter br&uuml;chige Knochen und Gleichgewichtsprobleme, was ein grosses Risiko f&uuml;r St&uuml;rze und Knochenbr&uuml;che birgt. Was lag also n&auml;her, als Vitamin D zur Vorbeugung zu probieren? So zeigten denn auch erste Studien, dass Vitamin-D-Supplemente vor St&uuml;rzen und Frakturen sch&uuml;tzen, aber andere best&auml;tigten dies nicht. Die U.S. Task Force hatte deshalb zwei Expertengruppen gebeten, die Literatur zu sichten und dar&uuml;ber zu berichten.<br /> Die erste Gruppe<sup>2</sup> fand f&uuml;nf Studien mit insgesamt 3496 Teilnehmern &uuml;ber 64 Jahre, die zu Hause lebten. Nur in einer Studie st&uuml;rzten diejenigen, die Vitamin D erhielten, seltener, in einer anderen war es unter einer hoch dosierten j&auml;hrlichen Vitamin-D-Therapie sogar zu einem Anstieg der Zahl von St&uuml;rzen und Knochenbr&uuml;chen gekommen. In den &uuml;brigen drei Studien beeinflusste Vitamin D das Risiko f&uuml;r St&uuml;rze nicht. Auch die zweite Expertengruppe<sup>3</sup>, die vier Studien mit insgesamt 10 606 Erwachsenen auswertete, sprach sich anhand der Ergebnisse gegen Vitamin D aus. Niedrig dosiertes Vitamin D, also t&auml;glich 400 IE oder weniger, senkte das Risiko f&uuml;r Knochenbr&uuml;che nicht. In den beiden anderen Studien mit 800 IE senkte Vitamin D in einer das Risiko, in der anderen nicht. Ebenso erzielte die Kombination mit Vitamin D plus Kalzium keine &uuml;berzeugende Wirkung. Nicht vergessen d&uuml;rfe man zudem das Risiko f&uuml;r potenzielle Nebenwirkungen, sagt Prof. Schatz. So bekamen in einer der Studien, der Women&rsquo;s Health Initiative, Frauen im Behandlungsarm mit Vitamin D und Kalzium h&auml;ufiger Nierensteine.<sup>4</sup> &laquo;Alle Studienteilnehmer durften zur Studienmedikation aber zus&auml;tzlich Vitamin D und Kalzium einnehmen&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari, Direktorin der Klinik f&uuml;r Geriatrie am Universit&auml;tsspital und am Stadtspital Waid in Z&uuml;rich. &laquo;Das f&uuml;hrte dazu, dass viele Teilnehmerinnen 2000 Milligramm und mehr Kalzium nahmen, was das erh&ouml;hte Nierensteinrisiko erkl&auml;ren k&ouml;nnte.&raquo; Das Fazit der amerikanischen Expertengruppe ist dennoch klar: &Auml;ltere Menschen, die zu Hause leben, k&ouml;nnten sich am besten mit regelm&auml;ssigem Sport vor St&uuml;rzen und Knochenbr&uuml;chen sch&uuml;tzen. Denn in den Studien verletzten sich Senioren seltener, wenn sie k&ouml;rperlich aktiv waren.</p> <h2>Risikolose Vitamin-D-Bildung durch Sonne</h2> <p>Prof. Bischoff-Ferrari ist jedoch kritisch: &laquo;Dem k&ouml;nnte ich nur zustimmen, wenn Senioren keinen Vitamin-D-Mangel und kein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Knochenbr&uuml;che haben&raquo;, sagt die Altersmedizinerin. &laquo;Das ist aber bei einigen der Fall.&raquo; So geht das Bundesamt f&uuml;r Gesundheit davon aus, dass jeder Zweite einen Vitamin-D-Spiegel von weniger als 20ng/ml hat. Was klar ist: Bei schwerem Mangel bekommen Kinder eine Rachitis und Erwachsene eine Osteomalazie. Weniger als 20ng/ml gelten gem&auml;ss dem unabh&auml;ngigen American Institute of Medicine als unzureichend f&uuml;r die Knochen und die allgemeine Gesundheit. Werte zwischen 20ng/ml und 50ng/ml werden als ad&auml;quat erachtet (Tab. 1).<sup>5</sup> Die Vitamin-D-Grenzwerte sind jedoch nicht gem&auml;ss einem wissenschaftlichen Konsensusprozess festgelegt worden und es ist bisher nicht klar bewiesen, ab welchem Wert gesundheitliche Auswirkungen zu bef&uuml;rchten sind.<br /> Weniger als 20ng/ml, aber noch &uuml;ber 12ng/ml sei bei einem gesunden Senior ohne irgendwelche Beschwerden kein Grund f&uuml;r eine Therapie, sagt Prof. Schatz. &laquo;Voraussetzung ist allerdings, dass man gen&uuml;gend in die Sonne geht, damit das Vitamin D in der Haut aktiviert wird.&raquo; Zwischen M&auml;rz und Oktober sollte man Gesicht, H&auml;nde und Teile von Armen und Beinen t&auml;glich f&uuml;r etwa 15 Minuten unbedeckt der Sonne aussetzen. Sorgen machen sich &Auml;rzte gleichzeitig aber wegen des erh&ouml;hten Hautkrebs-Risikos. Eine risikolose Vitamin-D-Bildung durch die Sonne ist aber m&ouml;glich, so eine Einsch&auml;tzung des Bundesamtes f&uuml;r Gesundheit.<sup>6</sup> Die f&uuml;r die Bildung von 600 IE Vitamin D jeweils notwendige Aufenthaltsdauer an der Sonne ist deutlich k&uuml;rzer als die Zeit, ab der mit einem Sonnenbrand gerechnet werden muss (Tab. 2 und 3). Es ist somit m&ouml;glich, an sonnigen Tagen von Mitte M&auml;rz bis Mitte Oktober &uuml;ber die ungesch&uuml;tzte Haut von Gesicht, Armen und H&auml;nden gen&uuml;gend Vitamin D ohne Sonnenbrandrisiko zu bilden. In der Mittagssonne ist das ben&ouml;tigte Vitamin D in weniger als 10 Minuten produziert. Empfohlen wird wegen der Sonnenbrandgefahr allerdings die Sonnenbestrahlung am Vor- oder Nachmittag &ndash; dann dauert es im Sommer bis zu einer halben Stunde und im Fr&uuml;hling und Herbst bis zu einer Stunde, um ausreichend Vitamin D zu bilden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s58_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="729" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s58_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="978" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s58_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="1062" /></p> <h2>Kraft und Gleichgewicht zur Sturzprophylaxe trainieren</h2> <p>Allerdings sei die Sonne keine verl&auml;ssliche Quelle, sagt Prof. Bischoff-Ferrari: &laquo;Mit zunehmendem Alter nimmt die hauteigene Vitamin-D-Produktion ab, und oftmals ist die Haut mit Kleidung bedeckt oder man tr&auml;gt Sonnenschutz auf. Hinzu kommt, dass Vitamin D nur einige Wochen im K&ouml;rper bleibt und die Werte &uuml;ber den Winter sinken.&raquo; Das Thema Vitamin D bei gesunden Menschen ist f&uuml;r die Z&uuml;rcher Professorin noch nicht abgehakt. &laquo;Wir haben noch zu wenige Daten in der Pr&auml;vention.&raquo; In den kommenden Jahren werden die Ergebnisse dreier grosser Studien herauskommen (DO-HEALTH, VITAL und D-Health). &laquo;Dann werden wir mehr wissen.&raquo;<br /> Klar f&uuml;r eine Vitamin-D-Substitution spricht, wenn ein &auml;lterer Erwachsener bereits einmal gest&uuml;rzt ist oder eine Osteoporose oder einen Vitamin-D-Mangel hat oder wenn er im Pflegeheim lebt und kaum ins Freie geht. &laquo;F&uuml;r diese Menschen gelten die Empfehlungen der Amerikaner nicht&raquo;, sagt Bischoff-Ferrari. &laquo;Hier haben wir gute Daten, dass 800 bis 1000 IE Vitamin D pro Tag vor St&uuml;rzen und Knochenbr&uuml;chen sch&uuml;tzen.&raquo; Wichtig sei aber, dass man das Vitamin nicht als einmalige hohe Jahresdosis bekomme. &laquo;Diese hohen Einmaldosierungen erh&ouml;hen wiederum das Risiko &ndash; deshalb empfehlen wir das seit 2012 nicht mehr.&raquo;<br /> Zur Sturzprophylaxe solle man Senioren noch andere Tipps geben, r&auml;t Bischoff-Ferrari: Kraft und Gleichgewicht trainieren, daf&uuml;r sorgen, dass man gut sieht, feste Schuhe tragen, gen&uuml;gend Proteine essen, um dem Muskelabbau vorzubeugen, die Wohnung von Sturzfallen wie losen Teppichen oder Badematten befreien und gen&uuml;gend Licht machen. &laquo;Damit senkt man sein Sturzrisiko enorm&raquo;, so Bischoff-Ferrari.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Grossman DC et al.: Interventions to prevent falls in community-dwelling older adults. US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA 2018; 319(16): 1696-704 <strong>2</strong> Guirguis-Blake JM et al.: Interventions to prevent falls in older adults: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force: Evidence Synthesis No. 159. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; 2018. AHRQ publication 17-05230- EF-1 <strong>3</strong> Kahwati LC et al.: Vitamin D, calcium, or combined supplementation for the primary prevention of fractures in community-dwelling adults. Evidence report and systematic review for the US Preventive Services Task Force. JAMA 2018; 319: 1600-12 <strong>4</strong> Jackson RD et al.: Women&rsquo;s Health Initiative Investigators. Calcium plus vitamin D supplementation and the risk of fractures. N Engl J Med 2006; 354: 669-83 <strong>5</strong> https://ods.od.nih.gov/factsheets/ VitaminD-HealthProfessional/#en1 <strong>6</strong> Bundesamt f&uuml;r Gesundheit: Faktenblatt Vitamin D und Sonnenstrahlung. 10. 3. 2017, online unter https://www.bag.admin.ch (letzter Aufruf 28. 7. 2018)</p> </div> </p>
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