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Operative Behandlungsmöglichkeiten bei Fazialisparese

<p class="article-intro">Die idiopathische Fazialisparese ist die häufigste Hirnnervenläsion. In 70 % bilden sich die Symptome vollständig zurück. Bleiben Störungen der motorischen Funktion mit funktioneller und ästhetischer Einschränkung zurück, kann dem Patienten mit operativen Behandlungsmöglichkeiten geholfen werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die h&auml;ufigste Form der peripheren Fazialisparese ist die idiopathische Fazialisparese, deren Entstehungsmechanismus nicht eindeutig gekl&auml;rt ist.</li> <li>Die idiopathische Fazialisparese heilt in 70 % innerhalb von 3&ndash;6 Monaten vollst&auml;ndig aus.</li> <li>Zur Gesichtsreanimation ist ein zweizeitiges Verfahren mit &bdquo;Cross-face&ldquo;-Nerventransplantation und Temporalistransfer f&uuml;r den Lidschluss und einer freien funktionellen mikrochirurgischen Muskeltransplantation (z.B. freier M.-gracilis-Lappen) m&ouml;glich.</li> </ul> </div> <h2>Anatomie</h2> <p>Der Nervus facialis entspringt als VIII. Hirnnerv und versorgt als motorischer Gesichtsnerv die mimische Muskulatur. Im inneren Geh&ouml;rgang vereinigt er sich mit dem N. intermedius, der parasympathische Fasern f&uuml;r die Speicheldr&uuml;sen au&szlig;er der Glandula parotis, Geschmacksfasern f&uuml;r die vorderen zwei Drittel der Zunge und sensible Fasern enth&auml;lt, zum N. intermediofacialis. Gemeinsam mit dem N. vestibulocochlearis ziehen sie durch den Meatus acusticus internus in das Felsenbein, und treten danach in den Fazialiskanal ein. Er verl&auml;uft sodann im tympanalen und mastoidalen Abschnitt, bevor er im Foramen stylomastoideum aus dem Sch&auml;del austritt. Der N. intermedius strahlt in die Chorda tympani ein und versorgt die Glandula sublingualis und submandibularis sekretorisch und die Zunge sensibel.<br /> In der Glandula parotis teilt sich der N. facialis in zwei Hauptstamm&auml;ste auf, die sich weiter in seine End&auml;ste verzweigen:</p> <ul> <li>Rami temporales: pr&auml;aurikul&auml;re Muskeln, M. frontalis, M. orbicularis oculi und Muskulatur der Glabella;</li> <li>Rami zygomatici: M. orbicularis oculi, M. zygomaticus major und minor;</li> <li>Rami buccales: M. buccinator, M. levator labii superioris, Muskeln der seitlichen Nasenwand und der Oberlippe;</li> <li>Ramus marginalis mandibulae: am Unterkieferrand entlang zur Muskulatur des Mundwinkels;</li> <li>Ramus colli: motorische Fasern f&uuml;r das Platysma.<sup>1</sup></li> </ul> <h2>Klinische Symptomatik</h2> <p>Man unterscheidet die zentrale von der peripheren Fazialisparese. Bei der zentralen Fazialisparese ist ein Stirnrunzeln und selten auch ein Lidschluss m&ouml;glich, da die Stirnmuskeln supranukle&auml;r von beiden Hemisph&auml;ren versorgt werden. Dadurch tritt die Parese kontralateral ohne Beteiligung des Stirnastes auf. Hingegen ist bei der peripheren Fazialisparese die komplette mimische Muskulatur auf der homolateralen Seite, abh&auml;ngig von der H&ouml;he der Sch&auml;digung, betroffen. Ein Stirnrunzeln ist nicht m&ouml;glich, beim Versuch, das Auge zu schlie&szlig;en, verdreht sich der Augapfel nach oben (Bell-Ph&auml;nomen).</p> <h2>Symptomatik<sup>1, 2</sup></h2> <ul> <li>Gesichtsasymmetrie</li> <li>Bell-Ph&auml;nomen</li> <li>einseitige schlaffe L&auml;hmung der mimischen Muskulatur</li> <li>verstrichene Nasolabial- und/oder Stirnfalten</li> <li>unvollst&auml;ndiger Lidschluss: Bell-Ph&auml;nomen; Hornhautsch&auml;den</li> <li>ipsilaterale retroaurikul&auml;re Schmerzen</li> <li>Dys&auml;sthesien an der ipsilateralen Wange</li> <li>Mundtrockenheit durch Abnahme der Speichelsekretion</li> <li>Hyperakusis: Funktionsst&ouml;rung des M. stapedius</li> <li>Abnahme der Tr&auml;nensekretion</li> <li>Geschmackst&ouml;rung: vordere zwei Drittel der Zunge</li> <li>Artikulationsst&ouml;rungen: Atrophie der Wangenmuskulatur</li> </ul> <p>Folgen einer St&ouml;rung der motorischen Funktion sind somit eine fehlende Schutzwirkung f&uuml;r das Auge, Behinderung der Nasenatmung, orale Inkontinenz und Fehlen der emotionalen mimischen Steuerung.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p><strong>Differenzialdiagnosen</strong><br /> Die zentrale Fazialisparese wird am h&auml;ufigsten durch Schlaganf&auml;lle oder Gehirntumoren verursacht.<br /> Von erworbenen peripheren Fazialisparesen sind 60&ndash;75 % idiopathischer Genese, 20&ndash;45 % k&ouml;nnen einer Ursache zugeordnet werden. Am h&auml;ufigsten davon ist die entz&uuml;ndliche Genese, wie zum Beispiel durch Neuroborreliose, Herpes zoster/oticus, Herpes simplex, Guillain-Barr&eacute;-Syndrom (beidseitige Fazialisparese m&ouml;glich) oder akute und chronische Mittelohrentz&uuml;ndungen. Weitere Ursachen k&ouml;nnen traumatisch (z.B. Felsenbeinfraktur), neoplastisch (Schwannome, Meningeome, Cholesteatome, maligne Tumoren der Sch&auml;delbasis, Parotis) oder auch durch Schwangerschaft, Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie bedingt sein.<sup>2</sup><br /> Die Basisuntersuchung umfasst die gr&uuml;ndliche klinische neurologische Untersuchung sowie die Otoskopie zum Ausschluss eines Zoster oticus. Laborchemisch soll zumindest eine Borrelioseserologie, bei klinischem Verdacht auch eine Varicella- Zoster-Serologie erfolgen (Zoster sine herpete). Die Liquorpunktion ist bei Kindern obligat, f&uuml;r Erwachsene wird sie empfohlen.<sup>2</sup><br /> Die idiopathische Fazialisparese ist die h&auml;ufigste Hirnnervenl&auml;sion. Sie tritt bei M&auml;nnern und Frauen gleich h&auml;ufig, innerhalb von Stunden und fast immer einseitig auf. Begleitsymptome, die auf andere Ursachen wie eine entz&uuml;ndliche, autogene oder neurogene Genese hinweisen, fehlen.<sup>1, 2</sup></p> <h2>Prognose</h2> <p>In 85 % der F&auml;lle kommt es zu einer R&uuml;ckbildung innerhalb von 3 Wochen, bei 10 % zu einer partiellen R&uuml;ckbildung innerhalb von 3&ndash;6 Monaten. In 70 % ist die Remission vollst&auml;ndig, bei 30 % k&ouml;nnen nicht beeintr&auml;chtigende oder wesentlich beeintr&auml;chtigende Symptome bestehen bleiben.<sup>2</sup></p> <h2>Therapie</h2> <p><strong>Konservative Therapie</strong><br /> Laut neuesten Richtlinien der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Neurologie 2017<sup>2</sup> soll die idiopathische Fazialisparese mit Glukokortikoiden behandelt werden, da die vollst&auml;ndige R&uuml;ckbildung beg&uuml;nstigt und das Risiko von Synkinesien, autonomen St&ouml;rungen sowie Kontrakturen verringert wird. Bei Schwangeren gelten die gleichen diagnostischen und therapeutischen Prinzipien. Die Glukokortikoidtherapie sollte allerdings unter station&auml;ren Bedingungen in einer spezialisierten geburtshilflichen Klinik vorgenommen werden.<sup>2</sup><br /> Eine symptomatische Therapie kann mit Tr&auml;nenersatzstoffen, Dexpanthenol- Salbe und n&auml;chtlichem Uhrglasverband zum Hornhautschutz und aufklebbaren Gewichten f&uuml;r das Oberlid erfolgen. Bei st&ouml;renden Synkinesien wie st&ouml;rendem Lidschluss beim Sprechen k&ouml;nnen Botulinum- Toxin-A-Injektionen indiziert sein.<br /><br /> <strong>Operative Therapie</strong><br /> Bleiben St&ouml;rungen der motorischen Funktion wie die o.g. fehlende Schutzwirkung f&uuml;r das Auge, orale Inkontinenz und Fehlen der emotionalen mimischen Steuerung bestehen oder sind Folgen der Fazialisparese mittels symptomatischer Therapie nicht ausreichend therapierbar, k&ouml;nnen operative Methoden angeboten werden. Diese sollten, wenn m&ouml;glich, nach 12 Monaten durchgef&uuml;hrt werden, um eine Muskelatrophie zu vermeiden. Ist bereits eine Muskelatrophie eingetreten, so ist eine Gesichtsreanimation als zweizeitiges Verfahren, welches unten beschrieben wird, m&ouml;glich.<br /><br /> Nervenrekonstruktion<br /><br /> <em>Prim&auml;re Nervennaht:</em><br /> Nach kompletter Nervenverletzung durch Trauma wird der Nerv aufgesucht und eine prim&auml;re Nervennaht durch Endzu- End-Anastomose durchgef&uuml;hrt.<sup>1, 3</sup><br /><br /> <em>Sekund&auml;re Nervennaht:</em> Nerveninterponate: Defekte und Sch&auml;den im Verlauf des N. facialis k&ouml;nnen durch Verwendung von sensiblen Hautnerven (z.B. Entnahme des N. suralis oder N. auriculo magnus) erfolgreich &uuml;berbr&uuml;ckt werden.<sup>2</sup><br /><br /> Hypoglossus-Fazialisanastomose:<br /> Der N. hypoglossus der gleichen Seite wird teilweise oder ganz durchtrennt und mit peripheren Enden des N. facialis verbunden, um eine Reinnervation der gel&auml;hmten Muskulatur zu erzielen. Durch eine Zungenbewegung wird eine Kontraktion der jeweiligen mimischen Muskulatur aktiviert. Ein einseitiger Ausfall des N. hypoglossus bleibt meist ohne gravierende Folgen.<sup>1</sup><br /><br /> &bdquo;Cross-face nerve graft&ldquo; (CFNG):<br /> Ist kein geeigneter zentraler N.-facialis- Stumpf vorhanden, kann ein Nerventransplantat (z.B. N. suralis) an den N. facialis der Gegenseite anastomosiert werden und somit eine Innervation der gel&auml;hmten Muskulatur von der gesunden Seite erreicht werden. Die &bdquo;Cross-face&ldquo;-Nerventransplantation wird unter anderem vor der freien funktionellen Muskeltransplantation durchgef&uuml;hrt.<sup>1, 3&ndash;5</sup><br /><br /> Neuromuskul&auml;re Transposition<br /> In die gel&auml;hmte atrophe mimische Gesichtsmuskulatur wird ein innerviertes Muskeltransplantat eingebracht. Daf&uuml;r eignet sich insbesondere der M. temporalis oder der M. masseter. Faszienz&uuml;gel werden in den Lidern oder auch im Mundwinkel verankert, was einen Augenschluss oder ein Anheben des Mundwinkels erm&ouml;glicht. Bei der freien neurovaskul&auml;ren funktionellen Muskeltransplantation wird ein Muskel-Nerv-Gef&auml;&szlig;-Transplantat, z.B. aus einem Oberschenkelmuskel (M. gracilis), als Ersatz f&uuml;r die gel&auml;hmte Gesichtsmuskulatur verwendet.<sup>1, 4, 5</sup><br /> In einem zweizeitigen Verfahren erfolgen im ersten Schritt eine &bdquo;Cross-face&ldquo;- Nerventransplantation und ein Temporalistransfer f&uuml;r den Lidschluss, im zweiten Schritt nach ca. 1 Jahr wird die freie funktionelle mikrochirurgische Muskeltransplantation (z.B. freier M.-gracilis-Lappen) zur funktionellen Hebung des Mundwinkels durchgef&uuml;hrt. Diesbez&uuml;gliche modifizierte Verfahren sind ebenso m&ouml;glich. Voraussetzung f&uuml;r diese Methode ist unter anderem eine gute Compliance des Patienten.<br /><br /> Begleitende operative Verfahren<br /> Eine Keratitis oder Konjunktivitis als Folge des fehlenden Lidschlusses ist f&uuml;r den Patienten sehr unangenehm. Durch eine Tarsorrafie mit Vern&auml;hung der Lidkanten kann die Lidspalte verkleinert werden, ein optisch &auml;sthetischeres Ergebnis kann durch eine Blepharoplastik mit Kanthopexie erzielt werden.<br /> Durch das Einbringen eines Goldimplantates oder einer Platinkette in das Oberlid wird dieses nach unten gezogen. Das Anheben des Oberlides wird nicht beeintr&auml;chtigt, da die Innervierung des Lidmuskels (N. levator palpebrae) durch den N. oculomotorius (III. Hirnnerv) erfolgt.<sup>1</sup><br /> Zur Beurteilung der Reinnervation k&ouml;nnen das klinische Hoffmann-Tinel-Zeichen wie auch standardisierte Video- und Fotodokumentationen verwendet werden.<sup>2</sup></p></p>
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