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International AIDS Conference 2018

„Voices of the communities“

<p class="article-intro">Im Rahmen der International AIDS Conference 2018 wurden neue Studiendaten zum Nebenwirkungsspektrum antiretroviraler Therapeutika ebenso diskutiert wie die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zum Erreichen der WHO-90-90-90-Ziele. Mit besonderer Spannung wurden Ergebnisse zu dualen Therapieregimen aufgenommen sowie die Resultate der PARTNER-2-Studie zum Übertragungsrisiko bei serodiskordanten Paaren, die bei effektiver Virussupprimierung ungeschützten Sex praktizieren.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>&bdquo;We must invest in communities, if we don&rsquo;t want to leave anyone behind&ldquo;</h2> <p>Rezente Studienergebnisse aus Botswana &uuml;ber die m&ouml;glichen Folgen einer Einnahme von Dolutegravir (DTG) w&auml;hrend der Konzeption bzw. Schwangerschaft im Sinne eines geh&auml;uften Auftretens von Neuralrohrdefekten und die daraus resultierende Empfehlung der WHO, DTG bei Frauen im geb&auml;rf&auml;higen Alter ohne verl&auml;ssliche Kontrazeption zu vermeiden, f&uuml;hrten w&auml;hrend der International AIDS Conference 2018 zu mehreren Protesten.<br /> So st&uuml;rmten u.a. Patientenvertreter und Aktivisten w&auml;hrend der Session &bdquo;What&rsquo;s new in WHO treatment guidelines?&ldquo; das Podium, um ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Die betroffenen Frauen verliehen ihrer Entt&auml;uschung Ausdruck, nicht am Entscheidungsfindungsprozess beteiligt worden zu sein. Zudem wurde kritisiert, dass durch die vorgegebene WHO-Empfehlung das Wohl des ungeborenen Kindes &uuml;ber jenes der Mutter gestellt wird. Im Vordergrund muss die Aufkl&auml;rung der Betroffenen stehen, einerseits &uuml;ber m&ouml;gliche Langzeitnebenwirkungen des in den meisten L&auml;ndern verf&uuml;gbaren alternativen Core Agent Efavirenz (EFV) auf die betroffene Frau, andererseits &uuml;ber die Risiken einer DTG-Einnahme ohne Kontrazeption f&uuml;r das ungeborene Kind. So sollte es jeder Patientin erm&ouml;glicht werden, die potenziellen Gefahren und Risiken abzuw&auml;gen und eine eigene Wahl zu treffen. Hervorzuheben ist n&auml;mlich, dass in L&auml;ndern in Subsahara- Afrika vor Therapiebeginn oftmals keine Resistenztestung durchgef&uuml;hrt wird und dass dadurch das Risiko einer vertikalen Transmission bei m&ouml;glicherweise unzureichender virologischer Supprimierung durch EFV ebenso ber&uuml;cksichtigt werden muss. Patientenvertreter und Aktivisten forderten schlie&szlig;lich Entscheidungstr&auml;ger der WHO, die ma&szlig;geblich an der Entwicklung neuer Guidelines beteiligt sind, dazu auf, den Zugang zu DTG gemeinsam mit einer leistbaren und verf&uuml;gbaren Kontrazeption zu erm&ouml;glichen.</p> <h2>Herausforderungen der 90-90-90-Ziele</h2> <p>Die seitens der UNAIDS vorgegebenen 90-90-90-Ziele gehen mit zahlreichen Herausforderungen einher, die im Rahmen der Session &bdquo;Together we can stop the virus&ldquo; von Dr. Laura Waters vom Mortimer Market Centre for Sexual Health in London n&auml;her erl&auml;utert wurden.<br /> Dem ersten 90-Ziel, das vorsieht, dass 90 % aller HIV-Infizierten &uuml;ber ihren HIVStatus Bescheid wissen sollen, stehen weiterhin weltweit hohe Zahlen nicht diagnostizierter HIV-Infektionen gegen&uuml;ber. Dr. Waters betonte die Notwendigkeit der Aufkl&auml;rung von Kollegen, deren Arbeitsfokus nicht prim&auml;r den HIV-Bereich umfasst. Einen wichtigen Teil zur Erreichung des Ziels tragen Allgemeinmediziner bei, die bei Patienten z.B. mit niedriger Thrombozytenzahl oder persistierender seborrhoischer Dermatitis auch eine HIV-Testung veranlassen. Zudem sollte bei jedem station&auml;ren Patienten in Gebieten mit hoher HIV-Pr&auml;valenz, also auch in Teilen Europas, ein HIV-Test durchgef&uuml;hrt werden, um damit Infektionen fr&uuml;hzeitig detektieren zu k&ouml;nnen.<br /> Die Herausforderungen des zweiten 90-Ziels, wonach 90 % aller HIV-Infizierten eine antiretrovirale Therapie erhalten sollen, liegen in der &bdquo;retention in care&ldquo;. Dr. Waters f&uuml;hrte an, dass die Flexibili&auml;t und die Verf&uuml;gbarkeit von Serviceleistungen in der HIV-Versorgung evaluiert werden sollten, um eine anhaltende Therapietreue seitens der Patienten gew&auml;hrleisten und somit Therapieunterbrechungen mit einem Anstieg der Morbidit&auml;t und Mortalit&auml;t, aber auch eine potenzielle Weitergabe der Infektion verhindern zu k&ouml;nnen.<br /> Die Probleme in Zusammenhang mit dem dritten 90-Ziel, n&auml;mlich die virologische Supprimierung bei 90 % aller HIVpositiven Patienten zu erreichen, liegen oftmals in einer falschen Herangehensweise der &Auml;rzte bei Patienten mit fehlender Adh&auml;renz. HIV-Behandler sollten laut Dr. Waters stets auf individualisierte Behandlungsstrategien und verf&uuml;gbare Ressourcen zur&uuml;ckgreifen, um Patienten zur Einnahme ihrer Medikation zu motivieren.<br /> Die Ergebnisse einer im Zuge des Vortrags gezeigten und von Gilead Sciences unterst&uuml;tzten Befragung von 24 000 Teilnehmern in zw&ouml;lf europ&auml;ischen L&auml;ndern mit dem Titel &bdquo;Is HIV sorted?&ldquo; zeigten, dass rund die H&auml;lfte aller Befragten in Europa der Meinung sind, dass HIV-positive Menschen nicht im Gesundheitswesen arbeiten sollten. Etwa ein Drittel der befragten M&auml;nner und Frauen waren zudem der Ansicht, dass die Infektion auch bei nicht nachweisbarer Viruslast &uuml;bertragen werden kann.<br /> Diese Resultate spiegeln die weiterhin bestehende Stigmatisierung HIV-infizierter Menschen wider und verdeutlichen zugleich die Notwendigkeit von mehr Aufkl&auml;rung.</p> <h2>Paradigmenwechsel in der antiretroviralen Therapie</h2> <p>Im Rahmen der International AIDS Conference 2018 wurden auch die aktuellsten Daten der SWORD-1- und SWORD- 2-Studien pr&auml;sentiert. Hierbei handelt es sich um zwei ident designte, randomisierte, multizentrische, &bdquo;open-label&ldquo;, Non-Inferiority- Studien (8 % Non-Inferiority Margin f&uuml;r gepoolte Daten) der Phase III, die die Wirksamkeit von Juluca<sup>&copy;</sup> (Dolutegravir/ Rilpivirin, DTG/RPV) als 2-Drug-Regimen im &bdquo;Switch&ldquo;-Setting untersuchten. Die Studien beinhalteten einen &bdquo;Early switch&ldquo;- und einen &bdquo;Late switch&ldquo;-Arm. Im &bdquo;Early switch&ldquo;-Arm erhielten die Patienten ab Tag 1 der Studie DTG/RPV. Im &bdquo;Late switch&ldquo;-Arm erfolgte nach 52 Wochen bei den Kontrollpatienten des &bdquo;Early switch&ldquo;- Arms ein Wechsel der bestehenden antiretroviralen Therapie auf DTG/RPV.<br /> Einschlusskriterium war eine etablierte antiretrovirale Kombinationstherapie (cART, 2 NRTI + INI, NNRTI oder PI) seit mindestens 6 Monaten, bei der es sich um die erste oder zweite cART der Patienten ohne vorhergehendes virologisches Versagen handelte. Als prim&auml;rer Endpunkt wurde eine Viruslast unter 50 Kopien/ml nach 48 Wochen angef&uuml;hrt.<br /> Der &bdquo;Early switch&ldquo;-Arm umfasste 513 Patienten mit DTG/RPV und 511 Patienten als Kontrollen, die ihre aktuelle cART beibehielten. Von den 511 Kontrollpatienten waren 477 Teil des anschlie&szlig;enden &bdquo;Late switch&ldquo;-Arms. Die Ergebnisse nach 48 Wochen im &bdquo;Early switch&ldquo;-Arm zeigten, dass sowohl in der DTG/RPV- als auch in der Kontrollgruppe 95 % der Teilnehmer eine Viruslast unter 50 Kopien/ml erreicht hatten. Nach 100 Wochen war ein virologischer Erfolg bei 89 % der Patienten mit DTG/RPV erhebbar. Im Vergleich dazu konnte im &bdquo;Late switch&ldquo;-Arm in Woche 100 bei 93 % der Patienten mit DTG/RPV ein virologischer Erfolg (unter 50 Kopien/ ml) nachgewiesen werden.<br /> Drei Studienteilnehmer entwickelten nach Woche 36, 88 bzw. 100 eine oder mehrere NNRTI-Resistenzmutationen. Eine INSTI-Resistenzmutation trat bei keinem Patienten auf. Die Studien konnten keine neuen Sicherheitsrisiken f&uuml;r Juluca&copy; nachweisen.<br /> Die anhaltende Effektivit&auml;t bis zu Woche 100, eine hohe Resistenzbarriere sowie ein ansprechendes Sicherheitsprofil, das mit dem von DTG und RPV einhergeht, konnten somit in SWORD 1 und SWORD 2 dargestellt werden.</p> <h2>PARTNER 2: kein Risiko einer HIV-&Uuml;bertragung bei MSM unter suppressiver ART</h2> <p><strong>Hintergrund</strong><br /> Die PARTNER-1-Studie erhob die Rate von HIV-&Uuml;bertragungen bei serodiskordanten Paaren sowohl bei heterosexuellen Paaren als auch bei M&auml;nnern, die Sex mit M&auml;nnern haben (MSM). An dieser prospektiven Beobachtungsstudie (PARTNER ist das Akronym f&uuml;r Partners of People on ART &ndash; A New Evaluation of the Risks), die an 75 Zentren (darunter auch mehrere &ouml;sterreichische HIV-Behandlungszentren) in 14 europ&auml;ischen L&auml;ndern im Zeitraum von 2010 bis 2014 durchgef&uuml;hrt worden war, nahmen 1166 Paare teil. Bei 888 Paaren konnte eine Auswertung erfolgen, davon waren 548 (61,7 % ) heterosexuell und 340 (38,3 % ) MSM; Einschlusskriterien waren Sex (Geschlechtsverkehr) ohne Kondomgebrauch und eine Viruslast (HIV- 1-RNA) von weniger als 200 Kopien/ml. Waren diese erf&uuml;llt, so wurden nachverfolgbare &bdquo;Paarjahre&ldquo;, auf Englisch &bdquo;coupleyears of follow-up&ldquo; (CYFU), errechnet. Bei PARTNER 1 waren dies insgesamt 1238 CYFU mit erfolgten 22 000 kondomlosen Sexualakten. Wenn der initial HIV-negative Partner w&auml;hrend des Beobachtungszeitraumes eine HIV-Infektion entwickelte, wurden anonymisierte phylogenetische Analysen der HIV-1-Polymerase(pol)- und Envelope(env)-Sequenzen durchgef&uuml;hrt, um phylogenetisch verkn&uuml;pfte &Uuml;bertragungsereignisse festzustellen. Obwohl sich 11 der initial HIV-negativen Partner mit HIV-1 infizierten, war kein einziges phylogenetisch verkn&uuml;pftes &Uuml;bertragungsereignis feststellbar. Dass all diese Personen HIV au&szlig;erhalb ihrer bestehenden Partnerschaft akquirierten, wird durch die Eigenangaben dieser Personen untermauert: 8 von den 11 gaben in den Frageb&ouml;gen an, kondomlosen Sex mit anderen Personen als ihren Partnern gehabt zu haben. Bei ca. 22 000 kondomlosen Sexualakten (jeglicher analer Geschlechtsverkehr) ergab dies eine HIV-Transmissionsrate von 0,00 % mit einem oberen 95 % -Konfidenzintervall von 0,71 per 100 Paarjahren (CYFU).</p> <p><strong>Aufbau und Details</strong><br /> Die PARTNER-2-Studie lief von 2014 bis 2018 und rekrutierte nur MSM-Paare. Das prim&auml;re Ziel bestand darin, die Genauigkeit der Berechnung des HIV-Transmissionsrisikos von MSM-Paaren zu verbessern. Dieses wurde anhand der Zeitperioden berechnet, in denen kondomloser Sex praktiziert wird, w&auml;hrend der HIVpositive Partner eine HIV-1-RNA von &lt;200 Kopien/ml aufwies.<br /> Eingeschlossen waren diskordante MSM-Paare, die kondomlosen Sex innerhalb der Partnerschaft hatten. Die HIVpositiven Partner mussten unter suppressiver ART stehen (definiert anhand der HIV-1-RNA zu allen Bestimmungszeitpunkten innerhalb der vorangehenden 12 Monate). Monitiert wurden ebenfalls die Zusammensetzung der ART, die Adh&auml;renz, die CD4+-Zahl, Diagnosen von sexuell &uuml;bertragbaren Erkrankungen (STI) und parenteraler Drogengebrauch. Die HIV-negativen Partner durften keine PrEP oder PEP einnehmen, erhoben wurden zus&auml;tzlich das Sexualverhalten mit dem Studienpartner oder anderen Personen, die HIV-Test-Historie und das Wissen bez&uuml;glich der HIV-RNA-Werte des Partners. Die phylogenetischen Testungen waren ident mit denen der PARTNER-1-Studie.</p> <p><strong>Studienpopulation</strong><br /> Die HIV-negativen M&auml;nner waren im Median 38 Jahre alt, bei ihnen wurde in 23 % eine STI diagnostiziert, 37 % berichteten von kondomlosem Sex au&szlig;erhalb der Partnerschaft. Die HIV-positiven M&auml;nner waren im Median 40 Jahre alt, eine STI w&auml;hrend des Beobachtungszeitraumes wurde bei ihnen in 27 % diagnostiziert. Die mediane Dauer einer ART betrug 4 Jahre, 98 % gaben eine Adh&auml;renz bez&uuml;glich der ART-Einnahme von &ge;90 % an. Auch w&auml;hrend des Beobachtungszeitraumes gaben nur 2 % an, die ART &uuml;ber mehr als 4 konsekutive Tage nicht eingenommen zu haben.<br /> 972 Paare wurden rekrutiert, davon konnten 783 an der Studie teilnehmen. Die Hauptausschlussgr&uuml;nde waren: kein rezenter kondomloser Sex (32 % ) oder fehlende Daten &uuml;ber das Sexualverhalten (18 % ), PEP- oder PrEP-Einnahme (24 % ) und fehlende HIV-1-RNA-Daten (18 % ).</p> <p><strong>Ergebnisse</strong><br /> In der Auswertung von 76 991 kondomlosen MSM-Sexualakten in PARTNER 2 konnte kein einziges phylogenetisch verkn&uuml;pftes &Uuml;bertragungsereignis festgestellt werden (Tab.). Das ergibt ein HIV-Transmissionsrisiko bei kondomlosem Sex innerhalb einer serodiskordanten Partnerschaft von 0,00 % , wenn der HIV-positive Partner eine suppressive ART einnimmt. Das obere 95 % -Konfidenzintervall betr&auml;gt 0,23 per 100 CYFU. Dieses reduzierte sich durch die h&ouml;here Anzahl der inkludierten MSM-Paare in PARTNER 2 im Vergleich zu PARTNER 1 damit deutlich.<br /> 15 HIV-negative M&auml;nner akquirierten w&auml;hrend der Studie eine HIV-Infektion, 11 davon gaben an, kondomlosen Sex au&szlig;erhalb der Partnerschaft gehabt zu haben, keine dieser Infektionen war jedoch in der phylogenetischen Virusanalyse mit dem Partner oder einem anderen Studienteilnehmer verkn&uuml;pft. Dies unterstreicht die wissenschaftliche Basis der w&auml;hrend der 9. IAS Conference on HIV Science (IAS 2017) in Paris gelaunchten Kampagne &bdquo;Undetectable= Untransmittable&ldquo; (&bdquo;U equals U&ldquo;). Dazu gibt es zahlreiche Publikationen im &bdquo;Lancet&ldquo; und im &bdquo;New England Journal of Medicine&ldquo; sowie einen &bdquo;Dear Colleague Letter&ldquo; der US Centers for Disease Control (CDC), datiert vom September 2017. Die Zeit ist nun reif, auch in &Ouml;sterreich die Entkriminalisierung von HIV-Infizierten in Angriff zu nehmen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1803_Weblinks_jatros_infekt_1803_s16_tab.jpg" alt="" width="2151" height="784" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 22<sup>nd</sup> International AIDS Conference, 23.–27. Juli 2018, Amsterdam </p>
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