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PneumoUpdate 2018

Atypische Mykobakteriosen: Was verstehen wir darunter und warum erkranken wir?

<p class="article-intro">In der Natur weit verbreitet sind nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM). Die Mehrzahl ist für den Menschen ungefährlich und nur einige wenige lösen Infektionskrankheiten aus. Die Lunge ist ein häufig betroffenes Organ. Anfällig sind insbesondere Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist. Die Diagnose gestaltet sich oft schwierig und die Behandlung einer Erkrankung ist langwierig.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Nichttuberkul&ouml;se Mykobakterien (NTM) (veraltet: atypische Mykobakterien) sind eine heterogene Gruppe von Mikroorganismen, die in der Erde sowie in Oberfl&auml;chenund Trinkwasser vorkommen.</li> <li>NTM verursachen klinische Manifestationen in der Lunge, an der Haut und in Lymphknoten (&Uuml;bertragung durch Aerosole oder Staubpartikel).</li> <li>Haupts&auml;chlich betroffen sind Menschen mit geschw&auml;chtem Immunsystem.</li> <li>Klinische Bedeutung hat in den 1980er-Jahren durch Aids der M.-avium-Komplex erlangt.</li> <li>Es findet keine Mensch-zu- Mensch-&Uuml;bertragung statt. Ausnahme: M.-abscessus- Komplex bei Mukoviszidosepatienten</li> <li>Besondere Eigenschaften dieser Bakteriengruppe erschweren deren Nachweis und verleihen ihnen eine hohe Antibiotikaresistenz (z.B. M. abscessus).</li> </ul> </div> <p>&bdquo;Atypische Mykobakterien&ldquo; sind eine heterogene Gruppe von Mikroorganismen mit unterschiedlicher Virulenz und pathogenem Potenzial. In ihrer gro&szlig;en Vielfalt zeichnen sie sich durch ihre Umweltanpassung aus. Klinische Manifestationen betreffen die Lunge, Haut und Lymphknoten. Die Erkrankungen k&ouml;nnen aber auch disseminiert auftreten. W&auml;hrend der Erreger Mycobacterium tuberculosis als Ursache der Lungentuberkulose (Phthise) bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch Robert Koch (Koch&rsquo;sche Postulate) eindeutig nachgewiesen werden konnte, r&uuml;ckten die sogenannten atypischen Mykobakterien erst zu Beginn der Aidsepidemie in den 80er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in den Fokus des medizinischen Interesses. So wurde bei Aidspatienten im fortgeschrittenen Stadium vermehrt das Auftreten von disseminierten Infektionen mit dem M.-avium- Komplex beobachtet. Der Begriff &bdquo;atypische Mykobakterien&ldquo; ist nicht mehr gebr&auml;uchlich und sollte durch die Bezeichnung &bdquo;nichttuberkul&ouml;se Mykobakterien (NTM)&ldquo; ersetzt werden.<sup>1</sup><br /> Bereits seit einigen Jahrzehnten wird &uuml;ber eine Zunahme der Zahl von Erkrankungen mit diesen Mikroorganismen berichtet, und zwar weltweit. M&ouml;gliche Gr&uuml;nde daf&uuml;r sind eine alternde Bev&ouml;lkerung mit vermehrten Komorbidit&auml;ten, HIV-Infektion sowie aggressive immunsuppressive Therapien mit TNF-Blockern. Auch eine geringere kreuzreaktive Immunit&auml;t durch die Abnahme von Infektionen mit M. tuberculosis wird diskutiert. Schlussendlich hat sich auch die Diagnostik sowohl in der Klinik als auch im mikrobiologischen Labor verbessert. Im Unterschied zu Erkrankungen mit M. tuberculosis sind jedoch Erkrankungen mit NTM nicht meldepflichtig, was eine exakte Beurteilung der Krankheitsh&auml;ufigkeit erschwert.<sup>2</sup></p> <h2>Pathogenese und Infektionsweg</h2> <p>Allen Mykobakterien gemeinsam ist der besondere Aufbau der Zellwand, der sich durch den hohen Lipidgehalt von dem der anderen Mikroorganismen grundlegend unterscheidet. Er verleiht den Zellen eine wachsartige Oberfl&auml;che, die f&uuml;r eine Reihe von besonderen Eigenschaften verantwortlich ist: So macht z.B. die S&auml;ure- und Alkoholfestigkeit spezielle F&auml;rbungen notwendig (Ziehl-Neelsen- F&auml;rbung, Auramin-F&auml;rbung), um Mykobakterien unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Weitere zellwandvermittelte Eigenschaften sind die Hydrophobizit&auml;t, die Resistenz gegen Austrocknung und eine ausgepr&auml;gte Resistenz gegen Antibiotika. Zus&auml;tzlich besitzt die Zellwand selbst auch immunstimulierende F&auml;higkeiten, die bei einer Infektion mit Mykobakterien eine Rolle spielen.<sup>3</sup> Bislang wurden bereits &uuml;ber 150 verschiedene Spezies der NTM beschrieben. Bedingt durch immer bessere molekularbiologische Differenzierungsmethoden sind bald weitere zu erwarten. Nur ein geringer Teil der NTM ist bekannterma&szlig;en menschenpathogen. Je nach Wachstumsgeschwindigkeit in Kulturmedien werden sie in schnell (ca. 1 Woche) oder langsam wachsende (&gt;1 Woche) Mykobakterien eingeteilt: Von den letzteren (Teilung alle 12 bis 24 Stunden; im Vergleich dazu E. coli: Teilung alle 20 Minuten) seien die wichtigsten genannt: M.-avium-Komplex, M. kansasii, M. marinum, M. ulcerans. Vertreter der schnell wachsenden Mykobakterien sind z.B. der M.-abscessus-Komplex, M. chelonae und das weitgehend apathogene M. fortuitum.</p> <h2>Infektionswege</h2> <p>NTM k&ouml;nnen menschliche Epithelien vor&uuml;bergehend ohne Krankheitswert besiedeln. Im Gegensatz zu den obligat parasit&auml;r lebenden Vertretern des M.-tuberculosis- Komplexes und M. leprae sind ihr nat&uuml;rliches Habitat B&ouml;den und Gew&auml;sser (M.-avium-Komplex, Mycobacterium abscessus- Komplex). Dort sind NTM entweder frei lebend, Biofilm-assoziiert oder in bestimmten Am&ouml;ben (Akantham&ouml;ben, einzellige, tierische Lebewesen; k&ouml;nnen die gef&uuml;rchtete Akantham&ouml;benkeratitis hervorrufen) zu finden, wie wir es ja auch von den Legionellen kennen. Diese Am&ouml;benart weist eine gewisse &Auml;hnlichkeit mit menschlichen Makrophagen auf, was ihr Fressverhalten und die Ausstattung mit bestimmten Enzymen anbelangt. Dadurch ergibt sich auch ein &Uuml;berlebensvorteil der Mykobakterien im Menschen, da es einige dieser NTM schaffen, eine Zeit lang in Akantham&ouml;ben zu &uuml;berleben und einer Zelllyse zu entgehen. Dabei scheint die komplexe, lipidreiche Zellwand eine gro&szlig;e Rolle zu spielen. Daraus resultiert eine nat&uuml;rliche Selektion von NTM, die dann auch f&uuml;r das &Uuml;berleben im Makrophagen beim Menschen bestens ger&uuml;stet sind.<sup>4</sup> Die Infektion des Menschen erfolgt somit haupts&auml;chlich durch die Aufnahme von Aerosolen (Staub, Wasser) beim Baden, Duschen oder auch bei der Gartenarbeit. Eine &Uuml;bertragung von Mensch zu Mensch ist bisher nur in seltenen Ausnahmef&auml;llen (M.-abscessus-Komplex bei Mukoviszidose) nachgewiesen worden. Durch das ubiquit&auml;re Vorkommen kommen wir direkt in st&auml;ndigen Kontakt mit diesen Mikroorganismen.</p> <h2>Pulmonale Erkrankungen</h2> <p>Bei pulmonalen Erkrankungen spielen vor allem Kavernen und Bronchiektasen f&uuml;r die Entstehung einer klinisch manifesten Mykobakteriose eine Rolle. Die Raten an pulmonalen Erkrankungen im Zusammenhang mit verschiedenen NTM variieren stark. So berichtet Matthiesen 2010 von Infektionen mit M. kansasii, bei denen 100 % der Betroffenen manifest erkrankten, w&auml;hrend unter den Patienten mit einem Nachweis von M.-avium-Komplex in der Lunge lediglich 57 % der Betroffenen erkrankten. Vor allem Frauen &uuml;ber 65 Jahre erkrankten seltener. Ein Nachweis von NTM-Kulturen ist also nicht in jedem Fall behandlungsbed&uuml;rftig und bedarf eingehender klinischer Abkl&auml;rung.<br /> Im Gegensatz dazu berichteten Reich und Johnson 1992 vom sog. &bdquo;Lady Windermere&ldquo;-Syndrom, einer pulmonalen Infektion mit dem M.-avium-Komplex mit Befall des rechten Mittellappens oder der Lingula. Dieses Syndrom wurde bei sechs &auml;lteren Damen ohne vorbestehende Risikofaktoren wie Rauchen oder chronische Lungenerkrankungen festgestellt. Als vermeintliche Ursache wurde bei allen eine willentliche Unterdr&uuml;ckung des Hustenreizes angenommen (&bdquo;ladies don&rsquo;t spit!&ldquo;), was zu einem Sekretstau in verschiedenen Lungenbereichen f&uuml;hrt.<sup>5</sup></p> <h2>Antibiotikaresistenz</h2> <p>Ein antibiotischer Albtraum ist der M.-abscessus-Komplex, der eigentlich aus drei verschiedenen, aber eng miteinander verwandten Spezies besteht, die alle drei &auml;hnliche Krankheitsbilder beim Menschen verursachen k&ouml;nnen, wie z.B. pulmonale Infektionen bei Mukoviszidosepatienten. Weiters wird er f&uuml;r epidemische Haut- und Weichgewebsinfektionen verantwortlich gemacht, die durch kontaminierte Nadeln und Skalpelle ausgel&ouml;st werden k&ouml;nnen (bei Tsunamiopfern oder sog. &bdquo;Lipotouristen&ldquo;, die sich Fettabsaugungen im Ausland unterzogen haben).<br /> Unter den bisher beschriebenen NTM hat M. abscessus wohl die ausgepr&auml;gteste Antibiotikaresistenz, was die Behandlung von Erkrankungen mit den Keimen des M.-abscessus-Komplexes extrem schwierig gestaltet.<sup>6</sup> Auch f&uuml;r die Therapie der meisten Erkrankungen aufgrund anderer NTM trifft dies zu. Eine Standardtherapie bei Erkrankungen mit NTM gibt es nicht. Meist werden Kombinationen von Makroliden, Fluorchinolonen und Aminoglykosiden eingesetzt. Die Behandlungsmisserfolge sind einerseits in den Bakterien (Permeabilit&auml;t der Zellwand), andererseits aber auch in der Pharmakodynamik/Pharmakokinetik der antibiotischen Substanzen begr&uuml;ndet, da der Wirkspiegel am Ort der Infektion zu niedrig ist.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Mykobakterien sind eine gro&szlig;e, sehr heterogene Gruppe von Mikroorganismen mit unterschiedlicher Virulenz. Einerseits kommen sie weit verbreitet in der Umwelt vor, k&ouml;nnen andererseits aber auch als harmlose Besiedler von Schleimh&auml;uten gefunden werden und verschiedenartige Krankheitsbilder hervorrufen. Durch Fortschritte in der molekularen Diagnostik werden laufend neue Spezies beschrieben, deren klinische Bedeutung nicht immer klar ist. Sollte aber doch eine manifeste klinische Erkrankung mit einem gleichzeitigen Nachweis von nichttuberkul&ouml;sen Mykobakterien erfolgen, so gestaltet sich eine medikament&ouml;se Therapie besonders schwierig und zeitintensiv.</div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>1 Sch&ouml;nfeld N et al.: Pneumologie 2013; 67: 605-33 2 Stout JE et al.: Int J Infect Dis 2016; 45: 123-34 3 Kieser KJ et al.: Nat Rev Microbiol 2014; 12: 550-62 4 Claeys TA et al.: J Bacteriol 2018; 200: e00739-17 5 Reich JM et al.: Chest 1992; 101: 1605-9 6 Medjahed H et al.: Trends Microbiol 2010; 18: 117-23</p> </div> </p>
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