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SGP-Jahresversammlung

Das Potenzial von E-Health-Interventionen liegt in der personalisierten Medizin

<p class="article-intro">In den letzten Jahren hat die Zahl von E-Health-Interventionen wie Smartphone-Apps rasant zugenommen. Nur die wenigsten integrieren wissenschaftliche Evidenz und wurden in Studien auf ihre Wirksamkeit getestet.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Am 24. und 25. Mai fand in St. Gallen die gemeinsame Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft f&uuml;r Pneumologie (SGP) und ihrer Partnerorganisationen, darunter auch die European Respiratory Society (ERS), statt. Nach der Er&ouml;ffnungsrede des SGP-Pr&auml;sidenten Prof. Dr. med. Martin Brutsche und den Grussworten der Partnergesellschaften ging Prof. Dr. med. Nils Chavannes von der Universit&auml;t Leiden den Themen &laquo;E-Health&raquo; und &laquo;Big Data&raquo; in der Gesundheitsversorgung auf den Grund.<br />&laquo;F&uuml;r den Hype um Big Data und den revolution&auml;ren Einfluss auf die Gesundheitsversorgung sind vor allem Firmen verantwortlich&raquo;, sagte Chavannes. Dabei gehe es vor allem um &laquo;Big Business&raquo;: Allein dem US-amerikanischen Gesundheitssystem werden mithilfe von &laquo;Big Data&raquo; Einsparungen in der H&ouml;he von 300&ndash;450 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Parallel zu den Prognosen boomt die Entwicklung von E-Health-Technologien, also internetbasierten Informations- und Kommunikationstechnologien, deren Ziel eine verbesserte Gesundheit und Gesundheitsversorgung der Bev&ouml;lkerung ist. &laquo;Bei den Interventionen handelt es sich in der Regel um recht bodenst&auml;ndige Dinge wie beispielsweise Smartphone-Applikationen (Apps) und nicht wie oftmals postuliert um Roboter oder Drohnen&raquo;, so Chavannes. Besonders die Zahl der gesundheitsbezogenen Apps ist in den letzten Jahren rasant gewachsen: Diese belief sich bei der letzten Erhebung auf 325 000. Ein grosses Problem dieser Entwicklung ist, dass die Behauptungen der Hersteller oft k&uuml;hn sind. &laquo;Bislang gibt es aber nur wenige Studien, die den gesundheitlichen Nutzen solcher Interventionen belegen&raquo;, so Chavannes. Zu diesem Schluss kommt auch die American Heart Association, die darauf hinweist, dass gesundheitsbezogene Apps generell nicht auf wissenschaftlicher Evidenz aufbauen und nicht gr&uuml;ndlich auf ihre Wirksamkeit getestet wurden.</p> <h2>E-Health als Teil der personalisierten Patientenversorgung</h2> <p>Potenzial f&uuml;r die E-Health-Technologien sah der Experte vor allem im Bereich der personalisierten Medizin. Allerdings gilt auch hier &laquo;one size does not fit all&raquo;. &laquo;F&uuml;r den Einsatz im Rahmen der personalisierten Medizin m&uuml;ssen Faktoren, wie der Patiententyp, pers&ouml;nliche Pr&auml;ferenzen, der Bildungsstand, das soziale Netzwerk und Komorbidit&auml;ten, ber&uuml;cksichtigt werden&raquo;, sagte Chavannes. Eine wichtige Rolle spiele zudem die &laquo;burden of disease&raquo;. In Studien habe sich gezeigt, dass diese oft mit der Patientenmotivation verlinkt sei. Je fortgeschrittener die Erkrankung, desto eher sind die Patienten zu einer Verhaltens&auml;nderung bereit.<br />Wie wichtig es ist, die Behandlungsangebote an den Patienten anzupassen, demonstrierte Chavannes an folgenden Fallbeispielen. <br />Im 1. Fall handelt es sich um einen 70-j&auml;hrigen Mann mit Typ-2-Diabetes, der seine Arzttermine nur unregelm&auml;ssig wahrnimmt, weil er sich selbst nicht als Patient f&uuml;hlt. Der Patient kommuniziert gerne via iPad und benutzt Videospiele. F&uuml;r ihn ist das als Teil der integrierten Versorgung in Leiden angebotene Home Care System, bei dem er online in Kontakt mit einer Pflegekraft steht, ideal. Das Home Care System wird in Leiden von ca. 70 000 &auml;lteren Menschen in Anspruch genommen. &laquo;Ein Grund f&uuml;r die grosse Beliebtheit ist, dass die involvierten Personen die M&ouml;glichkeit haben, einmal w&ouml;chentlich an einem virtuellen Bingospiel teilzunehmen&raquo;, sagte Chavannes. Auf diese Weise versuche man, die Leute in die Gesundheitsversorgung einzubinden und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. <br />Im 2. Fall handelt es sich um eine 54-j&auml;hrige alleinstehende Frau mit einer COPD, niedrigem Bildungsstand und schlechtem sozialem Netzwerk, die sich im Umgang mit dem Computer unsicher f&uuml;hlt. &laquo;Diese Frau w&auml;re total ungl&uuml;cklich, wenn sie nicht mehr zu den &auml;rztlichen Sprechstunden gehen k&ouml;nnte&raquo;, so Chavannes. Denn das seien die wenigen Momente, in denen sie sich mit anderen COPD-Betroffenen austauschen k&ouml;nne und sozialen Kontakt habe.</p> <h2>Erfolgreichere Tabakentw&ouml;hnung durch Unterst&uuml;tzung von E-Health-Interventionen?</h2> <p>Zwei E-Health-Technologien im Bereich der Atemwegserkrankungen, deren Wirksamkeit im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien (RCT) nachgewiesen wurde, waren das &laquo;ABC Burden of Disease Tool&raquo; f&uuml;r COPD-Patienten sowie zwei Rauchstopp-Interventionen. <br />F&uuml;r das &laquo;ABC Burden of Disease Tool&raquo; wurden die 5 Einflussfaktoren zur Einsch&auml;tzung der Krankheitslast und verschiedene objektivierbare Parameter wie die Lungenfunktion oder der Body- Mass-Index mit farbigen Luftballons dargestellt (Abb. 1). Ein gr&uuml;ner Ballon oben im Bild bedeutet ein zufriedenstellendes Ergebnis, ein roter Ballon unten im Bild ein ungen&uuml;gendes Ergebnis. &laquo;Dabei zeigte sich, dass die Visualisierung der Variablen ein einfacher Weg war, um die Kommunikation zwischen Patient und &lsaquo;Nurse Practi- tioner&rsaquo; zu verbessern&raquo;, so Chavannes. Die Fortschritte in der Kommunikation und die zus&auml;tzlich abgegebenen Behandlungsempfehlungen f&uuml;hrten dazu, dass die Lebensqualit&auml;t nach 18 Monaten bei 34 % der Patienten in der Interventionsgruppe klinisch relevant verbessert werden konnte, verglichen mit 22 % in der Kontrollgruppe.<sup>1</sup><br />Gem&auml;ss zwei Cochrane-Reviews k&ouml;nnen PC- und Smartphone-basierte Interventionen ein geeignetes Mittel sein, um die Tabakentw&ouml;hnung zu unterst&uuml;tzen. PC-basierte Interventionen waren vor allem dann erfolgreich, wenn die Anwendung personalisiert werden konnte und interaktiv funktionierte.<sup>2</sup> Auf diese Weise konnte der Anteil der &laquo;Quitters&raquo; nach 6 Monaten in der Interventionsgruppe auf 21 % gesteigert werden, verglichen mit 10 % in der Kontrollgruppe. Eine Nichtraucherrate von 9 % versus 5 % in der Kontrollgruppe liess sich zudem durch Smartphone-basierte Interventionen erzielen, bei denen die Betroffenen zur Unterst&uuml;tzung ihrer Motivation regelm&auml;ssig mit SMS beliefert wurden.<sup>3</sup> &laquo;Ein additiver Effekt l&auml;sst sich wom&ouml;glich durch die Kombination von E-Health-Interventionen und herk&ouml;mmlichen Methoden zur Raucherentw&ouml;hnung erzielen&raquo;, so Chavannes.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1804_Weblinks_s14.jpg" alt="" width="2150" height="1319" /></p> <h2>Untersuchungen zu E-Health-Interventionen kritisch hinterfragen</h2> <p>Auch wenn Studien zur Wirksamkeit von E-Health-Interventionen vorliegen, riet der Experte zu einem kritischen Umgang mit den Informationen. Er verwies auf ein Beispiel der in letzter Zeit zunehmend in Mode gekommenen Interventionen zum Ged&auml;chtnistraining. Bis zu 50 Millionen Downloads z&auml;hlte die &laquo;Lumosity Brain Training App&raquo; zur Pr&auml;vention der Alzheimerdemenz bis Ende 2016. Die Kosten f&uuml;r die App beliefen sich auf 12 US-Dollar (USD) pro Monat oder lebenslang 300 USD. Nachdem die f&ouml;derale Handelskommission die Firma Lumos Labs Inc. aufgefordert hatte, einen Beweis f&uuml;r die Wirksamkeit der Intervention zu liefern, erschien 2015 ein RCT dazu.<sup>4</sup> Eingeschlossen waren knapp 4000 Personen, die Studiendauer belief sich auf 10 Wochen. Untersucht wurde die Ver&auml;nderung des Grant-Index. Dieser wurde eigens f&uuml;r die Studie entwickelt und verglich die F&auml;higkeiten der Teilnehmer, Kreuzwortr&auml;tsel zu l&ouml;sen. Dabei konnte ein signifikanter Unterschied zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe gezeigt werden. &laquo;Welchen Effekt dieser Unterschied auf das Demenzrisiko hatte, liess die Studie jedoch unbeantwortet&raquo;, so Chavannes. Am kuriosesten aber sei, dass sich in der Liste der Autoren f&uuml;nf Mitarbeiter von Lumos Labs Inc. fanden, obwohl angegeben wurde, die Firma habe keinen Einfluss auf die Studie gehabt. &laquo;Man muss also sehr vorsichtig sein mit den Informationen, auch wenn sie gut dargestellt sind.&raquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie, 24. und 25. Mai 2018, St. Gallen </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Slok AH et al.: Effectiveness of the Assessment of Burden of COPD (ABC) tool on health-related quality of life in pa-tients with COPD: a cluster randomised controlled trial in primary and hospital care. BMJ Open 2016; 6: e011519 <strong>2</strong> Civljak M et al.: Internet-based interventions for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2013; (7): CD007078 <strong>3</strong> Whittaker R et al.: Mobile phone-based interventions for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2016; (4): CD006611 <strong>4</strong> Hardy JL et al.: Enhancing cognitive abilities with comprehensive training: a large, online, randomized, active-controlled trial. PLoS One 2015; 10: e0134467</p> </div> </p>
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