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Krafttraining bei Krebspatienten – eine muskuloskelettale Perspektive

<p class="article-intro">Körperliches Training für Patienten – insbesondere Krebspatienten – hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel erfahren. Während es Ende der 1990er-Jahre noch Standard war, dass Krebspatienten zu „Schonung und Ruhe“ geraten wurde, ist es heutzutage selbstverständlich in der Rehabilitation onkologischer Patienten, dass diesen ein möglichst aktiver Lebensstil und körperliches Training empfohlen werden.<sup>1</sup></p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Unter Ber&uuml;cksichtigung potenzieller Kontraindikationen profitieren Krebspatienten substanziell von k&ouml;rperlichem Training.</li> <li>Die Trainingslehre muss f&uuml;r Krebspatienten nicht neu geschrieben werden. Wie auch bei gesunden Menschen sind intensive Trainingsreize wirksamer als leichte.</li> <li>An solch ein Training muss methodisch korrekt, progressiv gesteigert und individuell abgestimmt herangef&uuml;hrt werden, um die Entstehung von &Uuml;berlastungssch&auml;den am Bewegungsapparat zu verhindern.</li> </ul> </div> <p>F&uuml;r diese Kehrtwendung mitverantwortlich ist eine Reihe richtungsweisender Publikationen gewesen, die einerseits gezeigt haben, dass bef&uuml;rchtete negative Effekte von Training auf den Gesundheitszustand von Krebspatienten nicht eintreten, und andererseits, dass Patienten &uuml;ber eine Reihe unterschiedlicher Wirkungswege (Immunologie, Fatigue, Body Composition, Survival) sogar stark vom Training profitieren k&ouml;nnen.<sup>2</sup> Vor allem bei den diesbez&uuml;glich zum aktuellen Zeitpunkt am besten beforschten Krebsentit&auml;ten Prostata- und Brustkrebs zeigt sich mittlerweile eine sehr solide Datenlage, sodass hier zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr gekl&auml;rt werden muss, ob eine Trainingsintervention hilfreich ist, sondern sich die Fragestellung dahin entwickelt hat, wie denn der &bdquo;optimale&ldquo; Trainingsreiz auszusehen hat.<sup>3&ndash;5</sup></p> <h2>Historisches Umdenken</h2> <p>Historisch betrachtet war die Verbindung von Training und Krebs stark gepr&auml;gt von Angst, Unverst&auml;ndnis und einem &Uuml;berma&szlig; an Vorsicht. Das &auml;u&szlig;erte sich darin, dass die ersten systematisch geplanten, prospektiven Trainingsinterventionsstudien mit Ausdauertraining bei Krebspatienten 1989 publiziert wurden<sup>6, 7</sup> &ndash; das ist nicht einmal 30 Jahre her. 30 Jahre sind in der Wissenschaft ein sehr kurzer Zeitraum, aber noch dramatischer sieht die Situation mit Krafttraining aus. Krafttraining war zur selben Zeit aufgrund medienwirksamer Beispiele wie Arnold Schwarzenegger (&bdquo;Pumping Iron&ldquo;, &bdquo;Conan&ldquo;, &bdquo;Terminator&ldquo;), Sylvester Stallone (&bdquo;Rocky&ldquo;, &bdquo;Rambo&ldquo;) oder Lou Ferrigno (&bdquo;The incredible Hulk&ldquo;) in der &ouml;ffentlichen Wahrnehmung prim&auml;r mit Bodybuilding, d&uuml;steren Kraftkellern und Steroidmissbrauch assoziiert. Niemand mit auch nur einem Funken Vernunft w&auml;re auf die Idee gekommen, Krebspatienten Gewichte heben zu lassen. Ausdauertraining hatte den Nimbus des &bdquo;Guten&ldquo;, Krafttraining war als &bdquo;schlecht&ldquo; abgestempelt.<br /> Bis zu einem ausreichend gro&szlig;en Umdenken hat es, gemessen an der Ver&ouml;ffentlichung der ersten Ausdauer-Studie, &uuml;ber ein Jahrzehnt gedauert. Die ersten Krafttrainingsinterventionsstudien mit Krebspatienten wurden erst 2003 publiziert.<sup>8, 9</sup> Alleine wenn man diese Zeitr&auml;ume betrachtet und in Bezug zueinander setzt, wird einerseits offensichtlich, dass die Erforschung von k&ouml;rperlichem Training bei Krebspatienten prinzipiell eine sehr junge Disziplin ist, und andererseits, dass in diesem kurzen Zeitraum Ausdauertraining mit Krebspatienten fast doppelt so lange beforscht ist wie Krafttraining. Was sich in den letzten 15 Jahren der Erforschung von Krafttraining bei Krebspatienten getan hat und welche Konsequenzen das f&uuml;r die muskuloskelettale Perspektive hat, darauf wird in den n&auml;chsten Zeilen eingegangen.</p> <h2>Dekonditionierung verhindern &hellip;</h2> <p>Eine &uuml;ber alle Krebsentit&auml;ten &auml;hnlich problematische Entwicklung ist, dass die Prim&auml;rtherapie &ndash; so erfolgreich sie bei manchen Krebserkrankungen mittlerweile ist &ndash; oft mit einer massiven Dekonditionierung der Patienten einhergeht. Dazu kommt, dass der nat&uuml;rliche Reflex der Patienten ist, sich &ndash; speziell was die k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t betrifft &ndash; zur&uuml;ckzunehmen. Dieser Verhaltensreflex wird einerseits durch die k&ouml;rperlichen Strapazen der Prim&auml;rbehandlung noch unterst&uuml;tzt und andererseits durch eine zentrale Nebenwirkung der Prim&auml;rtherapie, das Ersch&ouml;pfungssyndrom, verschlimmert. Das f&uuml;hrt zu einer weiteren Immobilisierung der Patienten, was in weiterer Folge die k&ouml;rperliche Dekonditionierung weiter voranschreiten l&auml;sst. Das bedeutet unter anderem einen massiven Verlust von Muskelmasse, die nicht nur funktionell fehlt (ehemals selbstverst&auml;ndliche Alltagst&auml;tigkeiten wie das Aufstehen aus einem tiefen Stuhl, das &Ouml;ffnen einer schweren T&uuml;r oder das Tragen einer schweren Tasche werden dann zu un&uuml;berwindbaren Hindernissen im Alltag), sondern es fehlt an Muskelmasse, die als gr&ouml;&szlig;tes stoffwechselaktives Organ eine protektive Wirkung vor der Entstehung metabolischer Erkrankungen hat. Das beste Negativbeispiel dazu sehen wir bei Prostatakrebspatienten, bei denen gut die H&auml;lfte zumindest einmal in ihrem Behandlungsprozess eine Hormonentzugstherapie erf&auml;hrt. Bei dieser Therapie wird das k&ouml;rpereigene Testosteron, das zentrale Sexualhormon des Mannes, welches sehr wichtig f&uuml;r den Aufbau und die Erhaltung von Muskelmasse ist, komplett heruntergefahren. Diese Patienten zeigen durch die Hormonentzugstherapie eine deutliche Verschlechterung der K&ouml;rperzusammensetzung. Sie verlieren massiv an Muskelmasse, w&auml;hrend sie an K&ouml;rperfett zunehmen. Die Behandlung der prim&auml;ren Krebserkrankung ist hingegen so erfolgreich, dass die Patienten schlussendlich nicht mehr an ihrem Prostatakarzinom sterben, sondern an kardiovaskul&auml;ren und metabolischen Sekund&auml;rerkrankungen, die auf die deutliche Verschlechterung der k&ouml;rperlichen Verfassung zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind.<br /> Auch wenn durch die spezielle Rolle des Testosterons beim Mann diese Problematik der Verschlechterung des kardiovaskul&auml;ren und metabolischen Risikoprofils bei dieser Subpopulation von Prostatakrebspatienten am extremsten ausgepr&auml;gt ist, trifft sie aufgrund der Dekonditionierung letztlich auf alle Krebspatienten zu.<sup>2</sup> Was sich dagegen nach der aktuellen Studienlage als sehr positiv zeigt, ist, dass diese Patienten empf&auml;nglich sind f&uuml;r Krafttrainingsreize: Muskelmasse kann nicht nur erhalten, sondern auch geringf&uuml;gig aufgebaut werden. Ebenfalls zeigt sich, dass f&uuml;r Krebspatienten die Trainingslehre nicht umgeschrieben werden muss: Wenn ein Krebspatient einen intensiven Krafttrainingsreiz k&ouml;rperlich vertr&auml;gt und mental umsetzen kann, dann wird er auch st&auml;rker davon profitieren, als wenn er mit einer niedrigen Intensit&auml;t trainiert.</p> <h2>... ohne dem Bewegungsapparat zu schaden</h2> <p>Standard in aktuellen Trainingsinterventionsstudien sind Krafttrainingsintensit&auml;ten zwischen dem Zw&ouml;lf- und Sechs- Wiederholungs-Maximum, was in etwa 65&ndash;85 % des konzentrischen Ein-Wiederholungs- Maximums darstellt. Und exakt das f&uuml;hrt nun zur muskuloskelettalen Perspektive. Wenn nach aktuellem Stand der Wissenschaft Krebspatienten mit mittelhohen bis hohen Krafttrainingsintensit&auml;ten belastet werden sollen, dann muss das entsprechende Training sorgf&auml;ltig vorbereitet und progressiv gesteigert werden, um &Uuml;berlastungen und Sch&auml;den am Bewegungsapparat zu verhindern. Die Bewegungen m&uuml;ssen bei niedrigeren Intensit&auml;ten sauber gelernt werden; gelenksstabilisierende und rumpfstabilisierende &Uuml;bungen sind vorab einzuplanen. Die Intensit&auml;tssteigerung muss dann nach dem individuellen Fortschritt erfolgen. Kann der Patient seine &Uuml;bungen methodisch korrekt durchf&uuml;hren und kann er dabei alle betroffenen Gelenke sowie die Wirbels&auml;ule korrekt stabilisieren? Erst wenn diese beiden Fragen zweifelsfrei mit &bdquo;Ja&ldquo; beantwortet werden k&ouml;nnen, darf die Trainingsintensit&auml;t gesteigert werden. Das bedeutet wiederum, dass Training noch mehr als das betrachtet werden muss, was es ist: ein Prozess. Noch nie hat ein einzelner Trainingsreiz &uuml;ber Erfolg oder Misserfolg entschieden. Sehr wohl hingegen haben einzelne bei falscher Intensit&auml;t beziehungsweise schlecht ausgef&uuml;hrte &Uuml;bungen auf dem Behandlungstisch des Neurooder Unfallchirurgen oder des Orthop&auml;den geendet.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Schmitz KH et al.: American College of Sports Medicine roundtable on exercise guidelines for cancer survivors. Med Sci Sports Exerc 2010; 42(7): 1409-26 <strong>2</strong> Bowen TS, Schuler G, Adams V: Skeletal muscle wasting in cachexia and sarcopenia: molecular pathophysiology and impact of exercise training. J Cachexia Sarcopenia Muscle 2015; 6(3): 197-207 <strong>3</strong> Keilani M et al.: Effects of resistance exercise in prostate cancer patients: a meta-analysis. Support Care Cancer 2017; 25(9): 2953-68 <strong>4</strong> Hasenoehrl T et al.: The effects of resistance exercise on physical performance and health-related quality of life in prostate cancer patients: a systematic review. Support Care Cancer 2015; 23(8): 2479-97 <strong>5</strong> Keilani M et al.: Resistance exercise and secondary lymphedema in breast cancer survivors - a systematic review. Support Care Cancer 2016; 24(4): 1907-16 <strong>6</strong> Winningham ML et al.: Effect of aerobic exercise on body weight and composition in patients with breast cancer on adjuvant chemotherapy. Oncol Nurs Forum 1989; 16(5): 683-9 <strong>7</strong> MacVicar MG, Winningham ML, Nickel JL: Effects of aerobic interval training on cancer patients&rsquo; functional capacity. Nurs Res 1989; 38(6): 348-51 <strong>8</strong> McKenzie DC, Kalda AL: Effect of upper extremity exercise on secondary lymphedema in breast cancer patients: a pilot study. J Clin Oncol 2003; 21(3): 463-6 <strong>9</strong> Segal RJ: Resistance exercise in men receiving androgen deprivation therapy for prostate cancer. J Clin Oncol 2003; 21(9): 1653-9</p> </div> </p>
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