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Tabakabhängigkeit – die unterschätzte Sucht

<p class="article-intro">Die Rauchprävalenz in Österreich liegt bei 30 % .<sup>1</sup> Die gesellschaftliche Norm hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Obwohl die Nichtraucherschutzgesetze ausge&shy;weitet wurden, hat sich die Sichtweise, dass Rauchen eine individuelle Freiheit ist, weit verbreitet. Rauchen als persönliche Entscheidung, als kleines Laster (weil man sich ja sonst nichts gönnt) oder auch als schlechte Gewohnheit – so wird es immer wieder dargestellt. Dem Großteil der Raucher wird diese Sichtweise nicht gerecht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Meist handelt es sich beim Rauchen um eine klare Nikotinabh&auml;ngigkeit, die zu beenden nicht einfach ist, vor allem wenn sie sich &uuml;ber Jahre verfestigt hat. In Bezug auf die Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht bew&auml;hrt sich ein biopsychosozialer Blickwinkel. Neben den biologischen Aspekten, den vielf&auml;ltigen Auswirkungen des Nikotins auf k&ouml;rperlicher Ebene, sind vor allem auch die psychischen Aspekte des Rauchens relevant. Durch die tausendfache Wiederholung wird das Rauchen als Mittel zur Entspannung, zur Stimmungskontrolle, als Hilfe beim Pausenmachen etc. konditioniert. Mehr als bei anderen Krankheitsbildern spielt auch der soziale Aspekt eine Rolle. Die Verf&uuml;gbarkeit und Preisgestaltung von Zigaretten, die gesetzlichen Rahmenbedingungen (z.B. Altersgrenzen und rauchfreie Gastronomie), Rauchen in den Medien &ndash; das alles tr&auml;gt dazu bei, dass sich individuelles Rauchverhalten entwickelt und verfestigt, der Ausstieg erschwert wird und R&uuml;ckf&auml;lle provoziert werden.</p> <h2>Diagnose Tabakabh&auml;ngigkeit</h2> <p>Die Tabakabh&auml;ngigkeit entwickelt sich nach den ersten Rauchversuchen, meist im Jugendalter. Da Zigaretten leicht verf&uuml;gbar und legal sind, das Rauchen gesellschaftlich toleriert wird und Rauchen im Gesundheitswesen auch bei jungen Menschen kaum als Risikofaktor behandelt wird, etabliert sich das individuelle Rauchverhalten und die Tabakabh&auml;ngigkeit verfestigt sich. Die Diagnostik und Dokumentation der Tabakabh&auml;ngigkeit sind in unserem Gesundheitswesen noch nicht ausreichend verankert. Es w&auml;re f&uuml;r das Gesundheitswesen relevant, diese chronische Erkrankung zu dokumentieren, um die entsprechende wirksame Behandlung umzusetzen. Die Klassifizierung nach ICD-10 bietet mit der Codierung F17.- die M&ouml;glichkeit, &bdquo;Psychische und Verhaltensst&ouml;rungen durch Tabak&ldquo; zu diagnostizieren.<sup>2</sup> Unter F17.2 werden sechs Kriterien angef&uuml;hrt, von denen drei in den letzten 12 Monaten in Erscheinung getreten sein m&uuml;ssen, damit die Diagnose &bdquo;Tabak&shy;abh&auml;ngigkeit&ldquo; gestellt werden kann:<br />&bull; starker Wunsch oder Zwang, Tabak zu konsumieren.<br />&bull; eingeschr&auml;nkte Kontrolle &uuml;ber Beginn, Beendigung und Menge des Konsums.<br />&bull; Entzugserscheinungen bei Reduktion oder Beendigung des Konsums sowie Konsum, um die Entzugserscheinungen zu mildern.<br />&bull; Toleranzentwicklung: Um eine gleichbleibende Wirkung zu erzielen, sind zunehmend h&ouml;here Dosen erforderlich.<br />&bull; zunehmende Vernachl&auml;ssigung anderer Aktivit&auml;ten und Interessen zugunsten des Konsums.<br />&bull; anhaltender Konsum trotz des Nachweises von Folgesch&auml;den.<br />Mehr als die H&auml;lfte der Raucher weisen &ndash; werden sie nach der ICD-10 diagnostiziert &ndash; eine Abh&auml;ngigkeit auf.<sup>3</sup><br />Nicht nur f&uuml;rs Gesundheitswesen, auch f&uuml;r die Betroffenen selbst h&auml;tte es Vorteile, die Diagnose schwarz auf wei&szlig;, z.B. im Patientenbrief, zu lesen. Sich die Sucht einzugestehen ist nicht einfach, die Abh&auml;ngigkeit wird h&auml;ufig heruntergespielt: &bdquo;Ich k&ouml;nnte ja aufh&ouml;ren, wenn ich wollte!&ldquo; Wird jedoch im Patientenakt die Erkrankung dokumentiert, ist es leichter, das Rauchen als Sucht anzuerkennen und f&uuml;r die Behandlung Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da die Erkrankung chronisch ist, ist es notwendig, die Aufmerksamkeit auch st&auml;rker auf die langfristige R&uuml;ckfallprophylaxe zu legen.</p> <h2>Der Rauchstopp als negativ besetztes Therapieziel</h2> <p>In einem Punkt unterscheidet sich die Behandlung der Tabakabh&auml;ngigkeit von der Behandlung vieler anderer Erkrankungen. Bei den meisten Krankheitsbildern ist das Therapieziel Schmerzfreiheit, verbessertes Wohlbefinden oder bessere Funktionst&uuml;chtigkeit. Das Ziel, also der Rauchstopp und die darauffolgende Zeit, ist f&uuml;r viele Betroffene vorerst nicht positiv besetzt. Beim Rauchstopp dominieren oft die Angst vor Entzugssymptomen, vor Gewichtszunahme, die Sorge um den Verlust einer Entspannungsm&ouml;glichkeit oder auch das Gef&uuml;hl, sich dann keine Belohnung oder Pause mehr g&ouml;nnen zu k&ouml;nnen. Dazu kommt auch die Angst vor Misserfolg, gerade wenn schon mehrere Rauchstoppversuche unternommen wurden. Auch bisherige schlechte Erfahrungen mit dem Entzug tragen dazu bei, einen neuerlichen Rauchstopp hinauszuz&ouml;gern oder erst gar nicht zu probieren. Hinter dem Eindruck fehlender Motivation steckt oft mangelndes Vertrauen, den Rauchstopp &uuml;berhaupt schaffen zu k&ouml;nnen.<br />Zu den vielen negativen Erwartungen an den Rauchstopp kommt, dass durch die Rauchfreiheit einiges wegf&auml;llt. Die Zigarette erf&uuml;llt f&uuml;r den Raucher im Alltag viele Funktionen, meist mehrere gleichzeitig: Pausengestaltung, Stimmungsaufhellung, Appetitz&uuml;gelung, Verdauungsf&ouml;rderung, Entspannung, Stressabbau oder Hilfe bei der Kommunikation sind nur einige davon. F&auml;llt das Rauchen weg, braucht es Ver&auml;nderungen, Ersatzhandlungen und Alternativen im t&auml;glichen Leben. Jahrelange Gewohnheiten m&uuml;ssen &uuml;ber Bord geworfen werden.<br />Der vielf&auml;ltige kurzfristige Nutzen und Gewinn durch das Rauchen sind also positiv belegt und einfach. Die kurzfristigen Folgen des Rauchstopps (Entzugssymptome, Verluste, notwendige &Auml;nderungen im Verhalten etc.) sind hingegen negativ belegt und anstrengend. Das erkl&auml;rt auch, warum der Rauchstopp oft jahrelang hinausgeschoben wird oder nach einem erfolglosen Rauchstoppversuch kein weiterer unternommen wird. Angebote zur Entw&ouml;hnung werden aus diesen Gr&uuml;nden oft nicht oder nur z&ouml;gerlich in Anspruch genommen.<br />Die innerliche Ambivalenz &ndash; zu wissen, dass Rauchen einerseits sch&auml;digt, teuer und ungesund ist, dass es gleichzeitig aber wichtige Funktionen im Alltag und f&uuml;r das pers&ouml;nliche Erleben hat &ndash; ist neben dem negativ besetzten Therapieziel ein wichtiger Ausgangspunkt f&uuml;r die Beratung und Behandlung von Rauchern.</p> <h2>Motivation und Hilfe</h2> <p>Ein Gro&szlig;teil der Raucher ist mit dem eigenen Rauchverhalten unzufrieden. Viele haben schon einen oder mehrere Rauchstoppversuche hinter sich. Viele leiden unter der Sucht und dem Unverm&ouml;gen, alleine den Ausstieg zu schaffen, gerade dann, wenn schon tabakassoziierte Erkrankungen vorliegen. Eine besonders wichtige Rolle spielen Angeh&ouml;rige von Gesundheitsberufen. Diese besteht darin, Raucher in ihrem riskanten Suchtverhalten ernst zu nehmen und den Rauchstopp zu empfehlen, noch lange bevor Folgesch&auml;den auftreten. Zum Rauchstopp zu motivieren f&uuml;hrt h&auml;ufig dazu, dass der schon lange geplante Rauchstopp selbstst&auml;ndig durchgef&uuml;hrt wird.<sup>4</sup><br />Der Risikofaktor Rauchen soll wertfrei erhoben und der Rauchstopp klar und einfach empfohlen werden. Das ist oft der Ansto&szlig; zum Ausstieg &ndash; insbesondere f&uuml;r all jene, die den Rauchstopp alleine schaffen k&ouml;nnen. Neben der Empfehlung des Rauchstopps ist Informationsvermittlung hilfreich und notwendig. Wissen &uuml;ber die Suchterkrankung, den Einfluss des Rauchens (z.B. bei Diabetes, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw.) und die konkreten individuellen Vorteile eines Rauchstopps (z.B. geringere Medikamentendosen) ist weniger verbreitet, als angenommen wird. Raucht eine Person oder ist sie seit kurzer Zeit rauchfrei, ist es angebracht, konkrete Hilfsangebote zur Entw&ouml;hnung oder zur R&uuml;ckfallprophylaxe anzubieten und im Idealfall direkt passende Angebote zu vermitteln.</p> <h2>Mit Hilfe gelingt es leichter!</h2> <p>Viele Raucher schaffen den Ausstieg aus eigener Kraft. Der eigene Wunsch nach Ver&auml;nderung, die Kompetenzen zu Verhaltens&auml;nderungen, eigene gute Gr&uuml;nde und das Gef&uuml;hl der Dringlichkeit des Rauchstopps erm&ouml;glichen es, langfristig rauchfrei zu werden. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen erh&ouml;ht jedoch f&uuml;r viele die Wahrscheinlichkeit, rauchfrei zu werden und zu bleiben. Es gibt &ouml;sterreichweit sehr gute, evidenzbasierte Angebote der Sozialversicherungstr&auml;ger und der Bundesl&auml;nder zur Tabakentw&ouml;hnung in unterschiedlichen Settings, von der Telefonberatung durch das Rauchfrei Telefon, Einzel- oder Gruppenberatungen bis hin zu station&auml;ren mehrw&ouml;chigen Entw&ouml;hnungsprogrammen wie z.B. am Josefhof in der Steiermark. Eine &Uuml;bersicht finden Sie auf www.rauchfrei.at.<br />Viele Raucher w&uuml;rden aufh&ouml;ren, wenn sie w&uuml;ssten, dass sie es auch schaffen k&ouml;nnen. Die vielf&auml;ltigen psychischen, k&ouml;rperlichen und sozialen Aspekte machen den Ausstieg aus der Sucht nicht gerade einfach. Wohlwollende, verst&auml;ndnisvolle Unterst&uuml;tzung durch unterschiedliche Personen in verschiedenen Settings im Gesundheitswesen kann dazu beitragen, sich den Rauchstopp zuzutrauen, ihn selbstst&auml;ndig in Angriff zu nehmen oder Hilfe dabei zu nutzen, um rauchfrei zu werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> &Ouml;sterreichische Gesundheitsbefragung 2014, (Athis), Statistik Austria. Im Auftrag des Bundesministeriums f&uuml;r Gesundheit. Online: www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/1/6/8/CH1066/CMS1448449619038/gesundheitsbefragung_2014.pdf <strong>2</strong> Internationale Klassifikation psychischer St&ouml;rungen: ICD-10. Kapitel V (F); klinisch-diagnostische Leitlinien/Weltgesundheitsorganisation. Huber, 2000 <strong>3</strong> Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Nikotin. Pharmakologische Wirkung und Entstehung der Abh&auml;ngigkeit. Heidelberg 2008 <strong>4</strong> Lichtenschopf A.: Standards der Tabakentw&ouml;hnung: Konsensus der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Pneumologie &ndash; Update 2010. Wien Klin Wochenschr 2011; 123: 1-17</p> </div> </p>
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