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Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus

(Wie) Kann unser Gesundheitssystem eine adäquate Versorgung gewährleisten?

<p class="article-intro">Unter dem Motto „Jeder Mensch mit Diabetes hat das Recht auf kompetente Betreuung!“ diskutierten Stakeholder aus den unterschiedlichen Bereichen, die in die Versorgung chronisch kranker Patienten – insbesondere solcher mit Diabetes mellitus – involviert sind, die bestehenden Herausforderungen und erarbeiteten Lösungsansätze.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das &ouml;sterreichische Gesundheitssystem ist in mehrfacher Hinsicht im Umbruch begriffen. Konkret sind Spitalsambulanzen nicht mehr in der Lage, weiterhin alle Leistungen, die sie vor langer Zeit &uuml;bernommen haben, zu erbringen; andererseits fehlen in der derzeitigen Struktur des niedergelassenen Bereichs &ndash; nicht zuletzt wegen des drohenden Mangels an Haus&auml;rzten &ndash; die Ressourcen, um diese zu &uuml;bernehmen. In diesem auf die Akutversorgung ausgerichteten System wird es immer wichtiger, das Management chronischer Erkrankungen zu gew&auml;hrleisten. Dies trifft besonders auf so komplexe und vielschichtige Erkrankungen wie Diabetes zu, f&uuml;r deren Versorgung ad&auml;quate Strukturen verf&uuml;gbar sein m&uuml;ssen. In einer offenen Diskussion wurden &ndash; dem Konzept der Veranstaltung entsprechend &ndash; zun&auml;chst die Problemfelder identifiziert, um darauf basierend Ans&auml;tze zur Umsetzung bzw. Aufrechterhaltung einer ad&auml;quaten Versorgung f&uuml;r Patienten mit Diabetes zu erarbeiten.</p> <h2>Diabetes-Strategie: Umsetzung gefordert</h2> <p>Die vom Bundesministerium f&uuml;r Gesundheit und Frauen beauftragte und im Jahr 2017 vorgestellte &ouml;sterreichische Diabetes-Strategie wurde von den Diskussionsteilnehmern prinzipiell f&uuml;r sehr gut befunden. Allerdings bestand Einigkeit &uuml;ber den dringenden Wunsch, die Umsetzung voranzutreiben. Dabei priorisierten die Stakeholder unterschiedlicher Bereiche unterschiedliche Wirkungsziele.</p> <h2>Information, Information, Information!</h2> <p>Die Umsetzung von Wirkungsziel 3 der Diabetes-Strategie (Erkrankte zum eigenst&auml;ndigen und kompetenten Umgang mit Diabetes bef&auml;higen) ist besonders Vertretern von Selbsthilfegruppen, Gesundheitsund Krankenpflege sowie Diabetesberatung auf allen Versorgungsebenen ein wichtiges Anliegen. So sei eine entsprechende Patientenschulung derzeit weitgehend auf Krankenh&auml;user mit einem Schwerpunkt f&uuml;r Diabetesversorgung beschr&auml;nkt, die aber in Zukunft aufgrund der Verringerung von Ressourcen nicht mehr in der Lage sein werden, diese in ausreichendem Ma&szlig; anzubieten. Die Reform der Pflegeausbildung lasse zwar mittel- bis langfristig Verbesserungen erwarten, k&ouml;nne jedoch kurzfristig zu Personalengp&auml;ssen f&uuml;hren. Auf der anderen Seite wurde auch eine &bdquo;Schulungskrise&ldquo; bei den Patienten (vor allem mit Typ-2-Diabetes), die das Angebot nicht ausreichend wahrnehmen, geortet. Als m&ouml;gliche Barriere ergab die Diskussion, dass die Kosten f&uuml;r die Schulungen von den Betroffenen selbst zu &uuml;bernehmen sind, wenn diese von freiberuflichen Anbietern durchgef&uuml;hrt werden.<br /> Aus medizinischer Sicht wurde festgestellt, dass spezifische Anforderungen bei der Versorgung chronisch kranker Menschen in der &auml;rztlichen Ausbildung vernachl&auml;ssigt werden; dies betrifft auch psychologische Aspekte wie etwa &Auml;ngste der Patienten vor diabetischen Komplikationen wie Erblindung oder Amputation, die neben Zeit auch ein hohes Ma&szlig; an Empathie erfordern.<br /> Als gro&szlig;es Problemfeld wurde generell die Finanzierung dieser zeitintensiven T&auml;tigkeit au&szlig;erhalb des Spitalsbereichs identifiziert.</p> <h2>Strukturen: alt/neu/fehlend?</h2> <p>Im Zentrum der Struktur-Diskussion standen das Setting f&uuml;r die Ebene 2 und deren m&ouml;gliche &Uuml;berf&uuml;hrung in den extramuralen Bereich. Den daraus entstehenden Bedarf unterst&uuml;tzt Wirkungsziel 4 der &Ouml;sterreichischen Diabetes-Strategie, welches vorsieht, die integrierte Versorgung zu konzipieren, zu implementieren und sicherzustellen. Die Umsetzung im Sinne des Disease- Management-Programms &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; wird besonders seitens der Gebietskrankenkasse forciert, jedoch nach wie vor nicht im gew&uuml;nschten Ausma&szlig; angeboten. M&ouml;gliche Barrieren sind die Komplexit&auml;t der Datenerfassung und -verarbeitung, der Umstieg auf ein anderes EDV-System, die notwendige organisatorische Umstellung im Praxisbetrieb &ndash; und nicht zuletzt die zwar vorhandene, aber immer noch zu geringe finanzielle Abgeltung, die den zeitlichen Mehraufwand nicht abdeckt.<br /> Vorerst offen blieben die Fragen, in welche (zus&auml;tzlich zu schaffenden) Strukturen die integrierte Versorgung, die f&uuml;r den niedergelassenen Bereich konzipiert wurde, zus&auml;tzlich eingebettet werden kann und wie es gelingt, mehr &Auml;rzte und Patienten f&uuml;r die Teilnahme zu motivieren.</p> <h2>Strukturen schaffen</h2> <p>Der erkl&auml;rte Anspruch der Diskussionsteilnehmer lautete, Versorgungsstrukturen zu schaffen, die in der Lage sind, zu verhindern, dass eine chronische Erkrankung wie Diabetes in ein Akutstadium gelangt. In der Frage nach der Ausgestaltung dieser Strukturen waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass die Versorgungsebene 3 unumstritten weiter dem station&auml;ren Bereich zugeordnet wird. Ebenso einstimmig wurde daf&uuml;r pl&auml;diert, die Versorgungsebene 1 weitgehend in der derzeitigen Form zu belassen. Bez&uuml;glich Ebene 2 wurde prinzipiell dem Vorhaben, diese vom intramuralen in den extramuralen Bereich zu verlagern, zugestimmt. Allerdings wurde nachdr&uuml;cklich gefordert, die daf&uuml;r n&ouml;tigen Ressourcen im extramuralen Bereich zu schaffen, um diese Versorgungsl&uuml;cke, die einen gro&szlig;en Teil der Patienten betrifft, zu schlie&szlig;en. Ein m&ouml;glicher Ansatz daf&uuml;r ist die fl&auml;chendeckende Einrichtung &bdquo;extramuraler Diabeteszentren&ldquo;, in die zus&auml;tzlich die integrierte Versorgung &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; implementiert wird. Essenziell sei hier die enge Kooperation zwischen &auml;rztlichem und pflegerischem Bereich.<br /> Weniger klar war zun&auml;chst die Verantwortlichkeit f&uuml;r die Patientenschulung, die unbestritten den Ebenen 1 und 2 zugeordnet wurde. Breite Zustimmung fand der Vorschlag, die Patientenschulung in beiden Ebenen von der &auml;rztlichen Versorgung zu entkoppeln und in den Bereich der Pflege und Beratung zu &uuml;bertragen, wie dies bereits h&auml;ufig praktiziert wird.<br /> Weiters wurde der Wunsch ge&auml;u&szlig;ert, die neu geschaffenen Strukturen auch f&uuml;r die Pr&auml;vention zug&auml;nglich zu machen.<br /> F&uuml;r die St&auml;rkung der integrierten Versorgung wurde erwogen, Neueinsteiger in Form eines Kursangebots zu unterst&uuml;tzen; als Inhalte wurden die Anwendung der Datenerfassung, die Organisation des Praxisalltags sowie die Optimierung der Abrechnung der (Sekund&auml;r-)Leistungen, um die Teilnahme auch finanziell attraktiver zu machen, vorgeschlagen. Dar&uuml;ber hinaus gebe es bereits Ans&auml;tze, daf&uuml;r infrage kommende &Auml;rzte seitens der Gebietskrankenkassen pers&ouml;nlich zu kontaktieren und dabei die Barrieren bzw. Bed&uuml;rfnisse zu eruieren.</p> <h2>Attraktivit&auml;t f&uuml;r Schulende und Geschulte erh&ouml;hen</h2> <p>Um weiterhin die essenzielle Therapiekomponente der Schulung f&uuml;r Menschen mit Diabetes zu gew&auml;hrleisten, gilt es nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer, diese f&uuml;r alle Beteiligten attraktiv zu gestalten. Aus Patientensicht bedeutet dies, Inhalte und didaktische Form an das ver&auml;nderte Informationsverhalten &ndash; Stichwort &bdquo;Dr. Google&ldquo; &ndash; anzupassen und verst&auml;rkt &bdquo;Coaching&ldquo; anstelle reiner Informationsvermittlung anzubieten. W&uuml;nschenswert w&auml;re, Schulungen f&uuml;r Schulende aus unterschiedlichen Bereichen gemeinsam auf einer Ebene zu gestalten, damit einheitliches Wissen an Betroffene inklusive deren An- und Zugeh&ouml;rige weitergegeben werden kann. Ein konkreter Ansatz daf&uuml;r wurde bereits in Form einer Gruppenleiterschulung der Aktiven Diabetiker Austria umgesetzt, der aufgrund des Erfolges weitere folgen werden.<br /> Zur Attraktivit&auml;t f&uuml;r die Schulungsanbieter k&ouml;nnte eine jeweils auf die Region bezogene Bedarfsanalyse f&uuml;r Gesundheitsberufe in der Prim&auml;rversorgung basierend auf einem Leistungskatalog beitragen, wie dies in Form eines Pilotprojekts in der Steiermark durchgef&uuml;hrt wird.<br /> Eine Herausforderung besteht darin, entsprechend geeignete und ausgebildete Personen zu nominieren und die Schulungs- und Ausbildungst&auml;tigkeit finanziell so abzugelten, dass sie von den Patienten kostenlos in Anspruch genommen werden k&ouml;nnen.</p> <h2>F&uuml;r Kostenwahrheit sorgen</h2> <p>Gerade vor dem Hintergrund der Umbr&uuml;che zwischen muralem und extramuralem Bereich wurde die eindringliche Forderung nach Kostenwahrheit im Gesundheitswesen gestellt und die Finanzierung aus einem &bdquo;Topf&ldquo; angeregt.</p> <h2>Problem-Beispiel diabetischer Fu&szlig;</h2> <p>Am Beispiel des diabetischen Fu&szlig;-Syndroms wurde die Bedeutung der umfassenden Kompetenz veranschaulicht, die alle Aspekte vom rechtzeitigen Erkennen einer Neuropathie (auch durch den entsprechend geschulten Patienten selbst) bis zur fachgerechten, komplexen und aktiven Behandlung eines Fu&szlig;- Ulkus &ndash; die den reinen Verbandwechsel weit &uuml;bersteigt &ndash; umfassen muss. Nur so k&ouml;nnten dadurch bedingte Amputationen verhindert werden. Einer im Jahr 2016 ver&ouml;ffentlichten Erhebung der OECD zufolge liegt die Rate an Amputationen als Folge eines diabetischen Fu&szlig;-Syndroms in &Ouml;sterreich im Vergleich zu anderen europ&auml;ischen L&auml;ndern wie England oder Schweden etwa doppelt so hoch.<br /> Die Diskutanten appellierten an das Gesundheitssystem, die Ressourcen f&uuml;r entsprechende Schulung und Versorgungsleistungen zur Verf&uuml;gung zu stellen.</p> <h2>STATEMENTS</h2> <p>&bdquo;Gerade injizierbare Therapien erfordern kompetente Behandler und Patienten. Diese Tatsache war f&uuml;r Novo Nordisk die Grundlage zur Etablierung der Diabetes-Akademie.&ldquo;<br /> (Dr. Albert Brugger)</p> <p>&bdquo;Neben den auf die Patienten abgestimmten Inhalten gilt es in Diabetesschulungen auch ein hohes Ma&szlig; an Empathie zu vermitteln.&ldquo;<br /> (Karin Duderstadt)</p> <p>&bdquo;Zu den Aufgaben und Schl&uuml;sselkompetenzen der Beratung z&auml;hlt die Rolle des &sbquo;&Uuml;bersetzers&lsquo; von fundiertem medizinischem Wissen f&uuml;r die jeweilige Zielgruppe.&ldquo;<br /> (Ursula Frohner)</p> <p>&bdquo;Derzeit gilt es zu erheben, wie die Leistungen der Versorgungsebene 2 zielf&uuml;hrend vom intramuralen in den extramuralen Bereich transferiert werden k&ouml;nnen.&ldquo;<br /> (Mag. Romana Ruda)</p> <p>&bdquo;De facto existieren bereits zahlreiche ausgearbeitete Projekte, die einen Beitrag zur kompetenten Betreuung von Menschen mit Diabetes leisten k&ouml;nnen und die der Umsetzung harren. Fest steht: Bei geeigneter Steuerung der Ressourcen bleibt die Versorgung gew&auml;hrleistet.&ldquo;<br /> (Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA)</p> <p>&bdquo;Die medizinische Versorgung von Patienten mit Diabetes ist auf allen Ebenen klar dem &auml;rztlichen Bereich vorbehalten, die Schulungsaufgabe sollte jedoch von dieser entkoppelt werden.&ldquo;<br /> (Barbara Semlitsch)</p> <p>&bdquo;Es ist eine Schande, dass in &Ouml;sterreich doppelt so hohe Amputationsraten aufgrund eines nicht fachgerecht behandelten diabetischen Fu&szlig;-Syndroms verzeichnet werden wie in anderen europ&auml;ischen L&auml;ndern.&ldquo;<br /> (Dr. Adalbert Strasser)</p> <p>&bdquo;Der Umgang mit chronisch kranken Menschen wird sowohl aus medizinischer als auch aus psychologischer Sicht w&auml;hrend der Ausbildung zum Arzt stark vernachl&auml;ssigt.&ldquo;<br /> (Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher)</p> <p><br /><em>Dieser Beitrag erscheint auch in der &Auml;rzteKrone 15/16.</em></p> <p><br /><strong>Moderation:</strong><br />Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher<br /> Generalsekret&auml;r der DI&Ouml; (Diabetes Initiative &Ouml;sterreich)</p> <p><br /><strong>Teilnehmer:</strong><br />Dr. Albert Brugger, Novo Nordisk<br /> Karin Duderstadt, DI&Ouml;<br /> Ursula Frohner, Pr&auml;sidentin des &Ouml;GKV (&Ouml;sterr. Gesundheits- und Krankenpflegeverband)<br /> Mag. Romana Ruda, Abteilung Versorgungsmanagement der WGKK<br /> Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA, Hauptverband der Sozialversicherungen<br /> Barbara Semlitsch, Vorsitzende des VOED (Verband &Ouml;sterreichischer DiabetesberaterInnen)<br /> Dr. Adalbert Strasser, Pr&auml;sident der ADA (Aktive Diabetiker Austria)</p> <p>&nbsp;</p> <p><a href="http://www.diabetesinitiative.at"><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_jatros_dia_1803_s9_videobild-link.jpg" alt="" width="1417" height="468" /></a></p> <p>&nbsp;</p></p>
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