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DGP 2018

Das „schwierige“ Tracheostoma

<p class="article-intro">Die Tracheostomie und die eventuell anschließende außerklinische Versorgung von Patienten mit einer Trachealkanüle erfolgen zur Sicherung des Atemwegs, z.B. bei fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren, aber auch als Folge eines Weaningversagens oder bei elektiver Anlage bei progredienten neuromuskulären Erkrankungen mit schwerer ventilatorischer Insuffizienz. Zur elektiven Anlage führen hier meist schwerwiegende Sekretretention und/oder chronische Aspiration.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der direkte Zugang zu den Atemwegen verbessert die M&ouml;glichkeiten zur bronchialen Reinigung, z.B. durch endotracheale Absaugung oder den Einsatz von mechanischen Insufflatoren/Exsufflatoren (MI-E), und stellt einen sicheren Beatmungszugang dar. Eine Trachealkan&uuml;le ist aber zugleich ein st&ouml;render Fremdk&ouml;rper. Zu den bekannten unerw&uuml;nschten Langzeiteffekten einer Tracheostomie z&auml;hlen insbesondere Schluckst&ouml;rungen, das Unverm&ouml;gen zu sprechen, tracheale Granulome und Tracheomalazie.<sup>1, 2</sup> Auch lebensbedrohliche Blutungen kommen vor.</p> <h2>Kan&uuml;lenauswahl</h2> <p>F&uuml;r viele Patienten findet sich in der gro&szlig;en Auswahl der verf&uuml;gbaren Standardkan&uuml;len verschiedener Hersteller eine passende Kan&uuml;le (bronchoskopische Lagekontrolle: freie Lage in der Trachea, ausreichender Abstand zur Bifurkation) als zentrales Element der Atmung, Beatmungs- und Atemtherapie und der Lebensqualit&auml;t.<br />Allgemeine Kan&uuml;leneigenschaften:</p> <ul> <li>Material: weiches PVC (Polyvinylchlorid) + Edelstahlspirale; semiflexibles PVC: thermosensibel; Polyurethan: thermosensibel, Silikon, Silber, metallfreie Kan&uuml;len f&uuml;r MRT/Radiatio</li> <li>feste oder variable L&auml;nge (auch proximale bzw. distale Verl&auml;ngerung m&ouml;glich)</li> <li>mit oder ohne Cuff (Gr&ouml;&szlig;e, Material, Art)</li> <li>mit oder ohne Fensterung bzw. Siebung</li> <li>mit oder ohne Innenkan&uuml;le (Seele)</li> <li>mit oder ohne subglottische Absaugung</li> <li>Biegewinkel (90&ndash;110&deg;, 120&deg; bei Kindern)</li> <li>Schild: beweglich oder fest; Kan&uuml;lenfl&uuml;gel: beweglich oder fest; bzw. Individualanfertigung</li> </ul> <h2>Anforderungen an die Trachealkan&uuml;le</h2> <p>Eine f&uuml;r die au&szlig;erklinische Versorgung vorgesehene Trachealkan&uuml;le muss eine gute Atemqualit&auml;t (spontan/unter Beatmung) und ein effizientes Sekretmanagement (Husten, endotracheales Absaugen, MI-E) sicherstellen und darf keine Schmerzen verursachen.<br />Falls urs&auml;chlich m&ouml;glich, sollten die Sprechf&auml;higkeit und Schluckf&auml;higkeit erhalten bleiben. Der au&szlig;erklinische Wechsel einer Trachealkan&uuml;le muss gefahrlos m&ouml;glich sein.</p> <h2>Komplikationen beim Kan&uuml;lenwechsel</h2> <p>Blutung, Verlust des Atemwegs und Via falsa sind die h&auml;ufigsten Ursachen f&uuml;r Tracheotomie-assoziierte Todesf&auml;lle.<sup>3</sup><br /><strong>Kulissenph&auml;nomen</strong></p> <p>Der erste und/oder schwierige Kan&uuml;lenwechsel nach einer Tracheostomie sollte in Seldinger-Technik &uuml;ber eine F&uuml;hrungsschiene (z.B. Absaugkatheter, gek&uuml;rzt) erfolgen, um dem Risiko des &bdquo;Kulissenph&auml;nomens&ldquo; vorzubeugen.<sup>4</sup> Dabei k&ouml;nnen sich Schilddr&uuml;se, Muskel oder Fettgewebe &uuml;ber den Tracheostomakanal legen und diesen im schlimmsten Fall verschlie&szlig;en. Unter Umst&auml;nden kann das Kulissenph&auml;nomen aber auch im sp&auml;teren Verlauf, z.B. durch akzidentelle Dekan&uuml;lierung, auftreten und bei Rekan&uuml;lierung zu schweren Komplikationen, wie z.B. Pneumothorax, Pneumomedia&shy;stinum, subkutanem Emphysem, f&uuml;hren.<sup>5</sup><br />Im Equipment tracheotomierter Patienten m&uuml;ssen daher Trachealspreizer vorgehalten werden, um im Notfall das Tracheostoma wiederer&ouml;ffnen zu k&ouml;nnen.<br /><strong>Tracheobronchiale Instabilit&auml;t</strong></p> <p>Eine tracheobronchiale Instabilit&auml;t verursacht, dass sich w&auml;hrend der (forcierten) Ausatmung die elastische Hinterwand der Trachea (Pars membranacea) unphysiologisch eng bis hin zum totalen Kollaps an die Knorpelspangen anlegen kann. Die Kan&uuml;le sollte beim Wechsel daher w&auml;hrend der Inspiration eingelegt werden bzw. sollte man bei Zwischenatmung innehalten bis zur n&auml;chsten Inspiration, um Verletzungen zu vermeiden. Das &bdquo;Eindrehen&ldquo; der Kan&uuml;le von lateral nach dorsal-kaudal vermindert zudem das Touchieren der trachealen Hinterwand.<br />Auch die endotracheale Sekretabsaugung sollte w&auml;hrend der Inspiration durchgef&uuml;hrt werden, damit sich der Katheter nicht an der Bronchialschleimhaut ansaugt.<br />Eine einfach durchzuf&uuml;hrende digitale Palpation des Tracheostomas beim Kan&uuml;lenwechsel unter Verwendung von wasserl&ouml;slichen Gleitmitteln oder Lokalan&auml;sthetika (z.B. Xylocain&reg; Gel 2 % ) kann unter anderem Hinweise auf verletzte Knorpelspangen, Stomaverlauf und Engstellen im Stoma geben und erm&ouml;glicht deren schonende Dilatation. W&auml;hrend der vor&uuml;bergehenden Dekan&uuml;lierung werden die Sprechf&auml;higkeit, Hustensto&szlig;- und Kehlkopfbeweglichkeit therapeutisch &uuml;berpr&uuml;ft.</p> <h2>Granulationsgewebe und &ouml;demat&ouml;se Schwellungen</h2> <p>Einige Patienten entwickeln nach l&auml;ngerer Tracheostomie vor allem oberhalb des Tracheostomas an der ventralen Wand Granulationsgewebe und/oder &ouml;demat&ouml;se Schwellungen. Dies kann zu einer Obs&shy;truktion f&uuml;hren, die einer endg&uuml;ltigen Dekan&uuml;lierung entgegensteht. Mithilfe von Platzhaltern, z.B. Primasafe&reg;, kann das Gewebe zusammengepresst und das tracheale Lumen wieder erweitert werden.<sup>6</sup> Der Luftstrom der physiologischen Atmung und abschwellende Inhalationen, z.B. von Epinephrin&reg;, k&ouml;nnen wirksam sein. Ansonsten gibt es die M&ouml;glichkeit der Entfernung des Gewebes, z.B. durch Argonplasmakoagulation, oder der Anlage eines Silikon-Stents (z.B. Dumon&reg;, Leufen Medical), um das Lumen wieder zu er&ouml;ffnen.</p> <h2>Pr&auml;ventionsma&szlig;nahmen nach Tracheostomie</h2> <p>Einige gravierende Folgesch&auml;den am Tracheostoma, wie z.B. Ausweitung des Tracheostomas, Druckstellen oder Verletzungen der Schleimhaut, k&ouml;nnen durch achtsame Pflege und Krankenbeobachtung h&auml;ufig vermieden werden.<br />Dazu geh&ouml;ren die korrekte Fixierung des Kan&uuml;lenbands und Beatmungsschlauchs bei Bedarf sowie die Kontrolle der Kan&uuml;lenlage (besonders bei flunschbaren Kan&uuml;len). Die sorgf&auml;ltige Justierung beweglicher Kan&uuml;lenfl&uuml;gel optimiert z.B. die Kan&uuml;lenlage, indem sich der Druck auf den oberen Trachealrand vermindern l&auml;sst und so einer Ausdehnung des Tracheostomas vorbeugt.</p> <h2>Ausgedehntes Tracheostoma</h2> <p>Ung&uuml;nstige Zugkr&auml;fte und Hebelwirkungen beg&uuml;nstigen die Ausdehnung des Tracheostomas (&bdquo;Wanderstoma&ldquo;). Die entstehenden Undichtigkeiten f&ouml;rdern Wundheilungsst&ouml;rungen (feuchte Kammer). Hustensto&szlig;- und Sprechf&auml;higkeit sind bei entblockter Kan&uuml;le vermindert. Dauerhaft beatmete Patienten k&ouml;nnen zum Sprechen nicht mehr sicher &bdquo;entblockt&ldquo; werden, da ansonsten zu viel Luft w&auml;hrend der Inspiration aus dem Tracheostoma entweicht. Die Luft flie&szlig;t nicht mehr ausreichend entlang der Stimmb&auml;nder und die Beatmung wird bei entblockter Kan&uuml;le zunehmend insuffizient. Ein zus&auml;tzliches Problem ist die Austrocknung der Schleimh&auml;ute, bedingt durch die hohen Luftfl&uuml;sse aufgrund der Leckagekompensation der Heimbeatmungsger&auml;te in den druckgesteuerten Beatmungsmodi. Hier werden im Bedarfsfall individualisierte Kan&uuml;len bzw. Tracheostoma-Epithesen (Silikon in verschiedenen H&auml;rtegraden) eingesetzt.</p> <h2>Kan&uuml;lenspezifische Probleme bei anatomischen Abnormit&auml;ten</h2> <p>Bei anatomischen Abnormit&auml;ten kann es bereits unmittelbar nach der Anlage des Tracheostomas und sp&auml;ter au&szlig;erklinisch zu schweren kan&uuml;lenspezifischen Problemen kommen. Ein Beispiel daf&uuml;r ist die Kyphoskoliose mit erheblicher Verziehung der Trachea sowie verk&uuml;rztem Abstand von Sternum und Brustwirbels&auml;ule. Bereits fr&uuml;h nach der Tracheostomie kann eine unpassende Kan&uuml;le Schmerzen, Hypersalivation sowie Druckstellen am Tracheostoma und in der Trachea verursachen. M&ouml;gliche, h&auml;ufig lageabh&auml;ngige, gravierende Folgen sind eine verringerte Beatmungsqualit&auml;t und erschwertes Sekretmanagement, z.B. durch bronchialen Kollaps. Auch initial passende Kan&uuml;len erweisen sich in der Langzeitversorgung unter Umst&auml;nden als problematisch.</p> <h2>K&ouml;nnen Voruntersuchungen absehbare Probleme verhindern?</h2> <p>Bei absehbaren Problemen geben Voruntersuchungen wie Bronchoskopie, R&ouml;ntgen oder (Low-Dose-)Computertomografie Hinweise auf die erforderlichen Kan&uuml;leneigenschaften. Aufgrund der dynamischen Prozesse z.B. beim Wechsel der K&ouml;rperposition oder Husten k&ouml;nnen jedoch meist nicht alle Aspekte erfasst werden. Die Vorhaltung bzw. Vorabherstellung individueller Kan&uuml;len ist deshalb wenig sinnvoll. Bei Problemen sollte das behandelnde Krankenhaus aber die Notwendigkeit der weiteren Kan&uuml;lenanpassung im &Uuml;berleitprozess deutlich formulieren. Die Entlassung in die H&auml;uslichkeit erfolgt bei &bdquo;schwierigem Tracheostoma&ldquo; h&auml;ufig vorl&auml;ufig mit dem Provisorium einer Standardkan&uuml;le. Dieses darf allerdings nicht zu Sch&auml;den f&uuml;hren. Ein gewissenhaftes Entlassungsmanagement und eine sorgf&auml;ltige Schulung des &uuml;bernehmenden Pflegeteams sind unabdingbar. Infolgedessen sollten nach der Entlassung das Pflegeteam, Versorger und Fachklinik in engem Kontakt zueinander stehen.<br />Au&szlig;erklinisch evaluiert das Pflegeteam in Zusammenarbeit mit den Therapeuten die funktionellen Probleme. Im weiteren Verlauf und in der ambulanten Weiterbetreuung durch das Fachzentrum k&ouml;nnen mithilfe des Fachhandels individuelle Kan&uuml;len angefertigt werden und auch bei schwierigen anatomischen Verh&auml;ltnissen zu guten Ergebnissen f&uuml;hren.</p> <h2>Weiterentwicklung der Diagnostik</h2> <p>W&auml;hrend die 3-D-Technologie zur etablierten Fertigung individueller Tracheostoma-Epithesen vor allem dem Ausgleich von Langzeitsch&auml;den (Ausdehnung des Tracheostomas, Wanderstoma) dient, gibt es Hinweise darauf, dass z.B. die M&ouml;glichkeit einer verbesserten Darstellung mithilfe HR-CT-Scan und Anfertigung von Stereolithografien zur Herstellung optimierter personifizierter Kan&uuml;len verwendet werden kann.<sup>7</sup></p> <h2>Fallbeispiel</h2> <p>Eine 52-j&auml;hrige Patientin mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) erh&auml;lt nach langj&auml;hriger nicht invasiver Beatmung (NIV) eine elektive Tracheotomie bei Verschlechterung der Ventilation und des Sekretmanagements. Im CT zeigt sich eine Kyphoskoliose mit erheblicher Verziehung der Trachea sowie verk&uuml;rztem Abstand von Sternum und Brustwirbels&auml;ule (Abb. 1, Abb. 2). Da die eingesetzte Standardkan&uuml;le der Patientin Probleme beim Sitzen bereitet (Abb. 3), wird in weiterer Folge ein Wechsel auf eine personalisierte Silikonkan&uuml;le vorgenommen (Abb. 4).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1803_Weblinks_s24_1.jpg" alt="" width="1417" height="744" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1803_Weblinks_s24_2.jpg" alt="" width="1411" height="820" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>Eine passgenaue Kan&uuml;le ist der &bdquo;Dreh- und Angelpunkt&ldquo; f&uuml;r die Lebensqualit&auml;t eines tracheostomierten, chronisch kranken und sp&auml;ter au&szlig;erklinisch versorgten Patienten. Um die Kan&uuml;lenanpassung zu optimieren, w&auml;re f&uuml;r die Betroffenen die Weiterentwicklung der Diagnostik w&uuml;nschenswert.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Law JH et al.: Increased frequency of obstructive airway abnormalities with long-term tracheostomy. Chest 1993; 104: 136-8 <strong>2</strong> Sue RD, Susanto I: Long-term complications of artificial airways. Clin Chest Med 2003; 24: 457-71 <strong>3</strong> Klemm E, Nowak AK: Tracheotomy-releated deaths. Deutsches &Auml;rzteblatt 2017; 4: 273-279 <strong>4</strong> Hess DR, Altobelli NP: Tracheostomy tubes. Respir Care 2014; 6: 956-971 <strong>5</strong> Saeed S et al.: Tracheostomy exchange resulting in rare combination of pneumomediastinum, pneumothorax, massive pneumoperitoneum, and subcutaneous emphysema. Cureus 2017; 7: e 1489 <strong>6</strong> K&ouml;hler D et al.: Pneumologie, ein Leitfaden f&uuml;r rationales Handeln in Klinik und Praxis. Stuttgart: Thieme-Verlag, 2014. 389 <strong>7</strong> West AJ et al.: Innovation in respiratory therapy and the use of three-dimensional printing for tracheostomy management. Can J Respir Ther 2015; 51: 69-71</p> </div> </p>
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