©
sturti
E+
Mehr Studien mit älteren und weniger fitten Patienten gefordert
Jatros
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Auf dem diesjährigen European Lung Cancer Congress wurde in mehreren Educational Sessions das Spektrum der möglichen Behandlungen bei verschiedenen Lungentumorentitäten in den unterschiedlichen Stadien aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass nach wie vor nur wenig fundierte Informationen zu den Möglichkeiten bei älteren und weniger fitten Patienten vorliegen. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die diesjährige Ausgabe des European Lung Cancer Congress (ELCC) schien etwas im Schatten des Jahresmeetings der American Association for Cancer Research (AACR) zu stehen, das unmittelbar nach dem ELCC in den USA stattfand. So wurden die neuesten Updates mehrerer wichtiger Studien nicht in Genf, sondern ein paar Tage später in Chicago präsentiert. Nichtsdestotrotz bot der Kongress eine gute Zusammenstellung relevanter Themen aus dem Bereich der Diagnose und Therapie von Lungenkarzinomen.</p> <h2>Dürftige Datenlage bei speziellen Patientenpopulationen</h2> <p>In der Educational Session zur Erstlinientherapie der „non-oncogen addicted“ Lungenkarzinome ging Prof. Dr. Elisabeth Quoix, Straßburg/F, spezifisch auf den aktuellen Wissensstand zur Behandlung älterer Patienten und von Patienten mit Performance Status (PS) 2 ein. „Ein PS von 2 bedeutet, dass der Patient gehfähig ist und für sich selbst sorgen kann. Er ist aber nicht mehr arbeitsfähig“, erläuterte sie dazu einleitend. Sie betonte, dass die Erhebung des PS von größter Bedeutung sei, da dieser bei Patienten mit fortgeschrittenen Lungentumoren als wichtigster prognostischer Faktor anzusehen ist. Ein schlechter PS kann dabei entweder durch Komorbiditäten oder durch den Tumor bedingt sein. „Diese zwei Populationen sind womöglich sehr verschieden und sollten auch unterschiedlich behandelt werden“, so die Referentin. Hinsichtlich des Alters erklärte sie, dass das mediane Alter zum Zeitpunkt der Diagnose eines Lungentumors bei 65–70 Jahren liege. „Ältere Patienten machen daher einen bedeutenden Anteil unserer Patientenklientel aus.“</p> <p>Im Anschluss präsentierte Prof. Quoix einen Überblick über die aktuell vorliegende Evidenz zur Induktionstherapie bei Patienten mit PS 2 bzw. älteren Patienten mit fortgeschrittenen Lungentumoren. Gemäß der Studie von Zukin et al. profitieren Patienten mit PS 2 von einer Carboplatin-basierten Doublette.1 So lag das mediane Gesamtüberleben (OS) unter Pemetrexed bei 5,3 Monaten, unter Pemetrexed plus Carboplatin (4 Zyklen) jedoch bei 9,3 Monaten (HR: 0,62; p=0,001).</p> <p>„Hinsichtlich der Induktionsbehandlung älterer Patienten mit einem fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkarzinom sprachen sich 2010 publizierte Empfehlungen für eine Monotherapie aus“, erläuterte die Referentin weiter. In einer eigenen Studie mit 451 Patienten im Alter von 70–89 Jahren und einem nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) im Stadium III–IV konnte Prof. Quoix jedoch für die Kombination aus Carboplatin und Paclitaxel gegenüber einer Monotherapie mit Vinorelbin oder Gemcitabin einen signifikanten Überlebensvorteil nachweisen (medianes OS von 10,3 vs. 6,2 Monate, HR: 0,64; p<0,0001).2 „Gemäß Subgruppenanalysen profitierten auch Patienten mit PS 2 und über 80-Jährige von der Doublette“, ergänzte Prof. Quoix.</p> <p>Zur Erhaltungstherapie liegen für Patienten mit PS 2 bisher keine Daten vor, für ältere Patienten lediglich Resultate aus Subgruppenanalysen. So ergab die PARAMOUNT-Studie, dass auch über 70-Jährige von einer Erhaltungstherapie mit Pemetrexed und bester Supportivtherapie profitieren können.3 Prof. Quoix wies darauf hin, dass die IFCT (Intergroupe Francophone de Cancérologie Thoracique) aktuell in einer Studie das Thema der Erhaltungstherapie (mit Pemetrexed bei plattenepithelialen bzw. Gemcitabin bei nicht plattenepithelialen Tumoren) untersucht. „Wir hoffen, die Resultate auf dem diesjährigen ESMO präsentieren zu können“, meinte sie.</p> <h2>Plädoyer für entsprechende Studien</h2> <p>Im Weiteren ging sie auf den Einsatz von Bevacizumab ein. „Bevacizumab sollte bei älteren Patienten nicht eingesetzt werden“, erklärte sie. So ergab eine retrospektive Subgruppenanalyse der ECOG-4599-Studie bei Patienten ≥70 Jahre zwar ein vergleichbar langes OS für Bevacizumab zusätzlich zu Carboplatin/Paclitaxel (BCP) wie für Carboplatin/Paclitaxel allein, jedoch wies der BCP-Arm ein signifikant höheres Risiko für Toxizitäten der Grade 3–5 auf (p<0,001).4 „Angaben zum Einsatz von Bevacizumab bei Patienten mit PS 2 liegen uns leider nicht vor“, ergänzte Prof. Quoix.</p> <p>Ähnlich sieht die Situation hinsichtlich der Checkpoint-Inhibitoren aus. Auch hier sind keine publizierten Resultate zu Patienten mit PS 2 verfügbar. „Reviews klinischer Daten aus der zweiten Therapielinie bestätigen in Subgruppenanalysen den Nutzen einer Immuntherapie bei den über 65-Jährigen. Bei über 75 Jahre alten Patienten ist die Situation jedoch nicht eindeutig“, führte Prof. Quoix weiter aus. Sie plädierte daher dafür, dringend mehr Studien durchzuführen, in denen spezifisch Patienten mit einem PS 2 und ältere Patienten eingeschlossen werden. „Der Cut-off hinsichtlich der Definition eines ‚älteren‘ Patienten sollte dabei eher bei 70 als bei 65 Jahren liegen“, betonte sie abschließend.</p> <h2>3-Jahres-Überlebensdaten zu Atezolizumab</h2> <p>Dr. Julien Mazières, Toulouse/F, präsentierte in Genf die 3-Jahres-Überlebensdaten der Phase-II-Studie POPLAR.5 In dieser Studie wurden 287 Patienten mit einem vorbehandelten, fortgeschrittenen NSCLC entweder zum Anti-PD-L1-Antikörper Atezolizumab (1200mg) oder zu Docetaxel (75mg/m2) i.v. alle 3 Wochen randomisiert. Sowohl nach zwei als auch nach drei Jahren war die Überlebensrate im Atezolizumab-Arm signifikant höher als unter Docetaxel. Fast ein Drittel (32,2 % ) der Patienten unter Atezolizumab war nach zwei Jahren noch am Leben (vs. 16,6 % unter Docetaxel; p=0,0027). Nach drei Jahren betrugen die Überlebensraten 18,7 % und 10,0 % (p=0,0419). Dr. Mazières erläuterte hierzu: „Mit dieser 3-Jahres-Überlebensrate gehört Atezolizumab zu den Substanzen mit dem längsten Gesamtüberleben bei vorbehandelten Lungentumorpatienten.“ Der Langzeitnutzen einer Therapie mit Atezolizumab zeigte sich dabei unabhängig von der Tumorhistologie (plattenepithelial und nicht plattenepithelial) und der PD-L1-Expression. So profitierten auch noch Patienten mit einer PD-L1-Expression von unter 1 % (Tumorzellen und tumorinfiltrierende Immunzellen). Die objektive Ansprechrate betrug in beiden Therapiegruppen 15 % , die mediane Ansprechdauer war mit 22,3 Monaten unter Atezolizumab jedoch dreimal länger als unter Docetaxel mit 7,2 Monaten. Die Behandlung mit dem Antikörper wurde zudem gut vertragen. „Die Tatsache, dass in unserer Studie alle Patientensubgruppen in einem vergleichbaren Maß von der Therapie profitiert haben, spricht dafür, dass Atezolizumab grundsätzlich bei allen Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC eingesetzt werden kann. Allerdings bedeutet es auch, dass wir nicht in der Lage sind, vorherzusagen, welche Patienten die höchste Wahrscheinlichkeit für ein Langzeitüberleben aufweisen. Dazu benötigen wir einen entsprechenden Biomarker, denn wie es aussieht, eignet sich die PD-L1-Expression dafür nicht.“</p> <p>Prof. Dr. Solange Peters, Lausanne/CH, deren Aufgabe es war, die von Dr. Mazières präsentierten Daten zu kommentieren, meinte: „In der Zeit vor der Immuntherapie lag die Langzeitüberlebensrate von Patienten mit einem fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkarzinom bei annähernd null Prozent. Die Resultate der POPLAR-Studie, die sich weitgehend mit den Drei- und Fünfjahresdaten der Phase-I-Studien mit den beiden Anti-PD-1-Antikörpern Nivolumab und Pembrolizumab decken, sind ein starkes Argument für den Einsatz einer Immuntherapie bei jedem Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC.“ Auch sie betonte die Notwendigkeit eines guten Biomarkers. „Ich denke aber, dass es sich schließlich um eine ganze Signatur an Biomarkern handeln wird – darunter auch die Mutationslast des Tumors –, die uns dabei helfen wird, diejenigen Patienten zu identifizieren, die nicht profitieren würden und die wir daher nicht mit einer Immuntherapie behandeln sollten.“</p> <h2>ALK-positive Tumoren: längere Symptomkontrolle mit Alectinib</h2> <p>In der Phase-III-Studie ALEX wurde bei Patienten mit ALK-positivem NSCLC Alectinib, ein Tyrosinkinasehemmer (TKI) der neuen Generation, direkt mit der bisherigen Crizotinib-Standardtherapie verglichen.6 Dabei erreichte Alectinib eine signifikant bessere Rate an progressionsfreiem Überleben (Rate des ereignisfreien 12-Monats-Überlebens: 68,4 % vs. 48,7 % ) mit einer eindrücklichen Hazard-Ratio für Progress oder Tod von 0,47 (p<0,001). Bei signifikant weniger Patienten der Alectinib-Gruppe kam es zu einem Progress im ZNS (12 % vs. 45 % , HR: 0,16; p<0,001). Zudem erwies sich die Behandlung mit Alectinib als besser verträglich. Toxizitäten von Grad 3–5 traten unter Alectinib seltener auf als unter Crizotinib (41 % vs. 50 % ).</p> <p>Am ELCC wurden nun erstmals auch Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) und zu den lungentumorassoziierten Symptomen der an ALEX teilnehmenden Patienten präsentiert.7 Zur Erhebung der HRQoL wurde der EORTC-QLQ-C30-Fragebogen und zur Erfassung der tumorassoziierten Symptome der EORTC-QLQ-LC13-Fragebogen eingesetzt (auszufüllen zu Studienbeginn, dann alle vier Wochen sowie innerhalb von vier Wochen nach Studienende). In beiden Behandlungsgruppen füllten etwa zwei Drittel der Patienten die Fragebogen aus. Sowohl unter Alectinib als auch unter Crizotinib kam es zu einer klinisch relevanten Verbesserung der HRQoL. Allerdings hielt die Verbesserung bei den mit Alectinib behandelten Patienten länger an (88 Wochen) als bei den Patienten in der Crizotinib-Gruppe (68 Wochen). Hinsichtlich der Tumorsymptome ergab sich ein ähnliches Bild. Beide Behandlungsgruppen profitierten auch in dieser Hinsicht. Jedoch hielt der Effekt bei den mit Alectinib behandelten Patienten länger an.</p> <p>Von den Patienten mit ZNS-Metastasen zu Studienbeginn berichtete ab der vierten Behandlungswoche ein geringerer Anteil der Patienten unter Alectinib-Behandlung über eine Verschlechterung der Lebensqualität (10,8 % vs. 20,6 % unter Crizotinib). Dieser Effekt zeigte sich bei den meisten Erhebungen bis hin zur Woche 84 (0 % vs. 16,7 % ). Zudem kam es bei einem kleineren Anteil der Patienten unter Alectinib bis zur Woche 32 zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktion (17,9 % vs. 34,6 % ). Der Studienleiter Dr. Maurice Pérol, Lyon/F, erklärte in Genf: „Unsere Resultate unterstützen den Einsatz von Alectinib als neuen Therapiestandard in der ersten Linie bei Patienten mit fortgeschrittenen ALK-positiven Lungentumoren.“ Dr. Fiona Blackhall, Manchester/UK, deren Aufgabe es war, die von Dr. Pérol präsentierten Resultate zu kommentieren, meinte: „Die Belastung durch Symptome ist bei Patienten mit fortgeschrittenen Lungenkarzinomen hoch. Es ist also nicht nur wichtig, Therapieoptionen zu finden, die ein verlängertes progressionsfreies oder Gesamtüberleben ermöglichen, sondern wir müssen auch sicherstellen, dass diese Medikamente es unseren Patienten erlauben, besser zu leben.“ Auch sie fand, dass die Ergebnisse der patientenbezogenen Endpunkte den Stellenwert von Alectinib bei den ALK-positiven Lungenkarzinomen weiter untermauern.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: European Lung Cancer Congress (ELCC), 11.–14. April 2018, Genf
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Zukin M et al.: Randomized phase III trial of single-agent pemetrexed versus carboplatin and pemetrexed in patients with advanced non-small-cell lung cancer and Eastern Cooperative Oncology Group performance status of 2. J Clin Oncol 2013; 31: 2849-53 <strong>2</strong> Quoix E et al.: Carboplatin and weekly paclitaxel doublet chemotherapy compared with monotherapy in elderly patients with advanced non-small-cell lung cancer: IFCT-0501 randomised, phase 3 trial. Lancet 2011; 378: 1079-88 <strong>3</strong> Paz-Ares L et al.: Maintenance therapy with pemetrexed plus best supportive care versus placebo plus best supportive care after induction therapy with pemetrexed plus cisplatin for advanced non-squamous non-small-cell lung cancer (PARAMOUNT): a double-blind, phase 3, randomised controlled trial. Lancet Oncol 2012; 13: 247-55 <strong>4</strong> Ramalingam SS et al.: Outcomes for elderly, advanced-stage non-small-cell lung cancer patients treated with bevacizumab in combination with carboplatin and paclitaxel: analysis of Eastern Cooperative Oncology Group Trial 4599. J Clin Oncol 2008; 26: 60-5 <strong>5</strong> Mazières J et al.: 3-year survival and duration of response in randomized phase II study of atezolizumab (atezo) vs docetaxel (doc) in 2L+ NSCLC (POPLAR). J Thorac Oncol 2018; 13(suppl): S79, Abstract 136PD_PR <strong>6</strong> Peters S et al.: Alectinib versus crizotinib in untreated ALK-Positive non-small-cell lung cancer. New Engl J Med 2017; 377: 829-38 <strong>7</strong> Pérol M et al.: Patient-reported outcomes (PROs) in ALEX: a phase III study of alectinib (ALEC) vs crizotinib (CRIZ) in non-small-cell lung cancer (NSCLC). J Thorac Oncol 2018; 13(suppl): S80-S81, Abstract 138PD_PR</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
«Nur gemeinsam können wir Therapietreue erreichen»
Eine Strategie, bestehend aus stationärem Gichtmanagement plus nachstationärer Betreuung durch Pflegende, erhöht die Chance – so eine Studie aus London–, dass Gichtpatienten ihre ...
Update Reisemedizin
Was gibt es Neues zur Malariachemoprophylaxe, wie lauten die Empfehlungen für eine Impfung gegen Dengue und wie schützt man sich bei Reisen in Risikoländern richtig gegen Polio? Wir ...
Bruxismus: harmloses Phänomen oder Ursache für schmerzhafte Verspannungen?
«Krisenmodus» war das Wort des Jahres 2023. Ein Begriff, der sich in erster Linie auf das Weltgeschehen bezog, aber auch auf politische Entscheidungen im eigenen Land und für viele auch ...