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Das Delir und seine Folgen – darum ist Intervention obligat

<p class="article-intro">Eine Vielzahl von körperlichen Erkrankungen kann Delirien auslösen. Die Vulnerabilität älterer Menschen gegenüber diesen Auslösern bewirkt, dass sie besonders häufig von einem Delir betroffen sind. Präventive Maßnahmen und eine effiziente Intervention haben bei der Vermeidung von Langzeitfolgen und der Reduktion der gesundheitsökonomischen Belastung besondere Bedeutung.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Delir ist ein hochrelevantes Zustandsbild, das neben einer erh&ouml;hten Komplikationsrate h&auml;ufig kognitiv und funktionell schlechte Outcomes definiert.</li> <li>Es bedeutet zudem eine enorme &ouml;konomische Belastung f&uuml;r das Gesundheitssystem.</li> <li>Evidenzbasierte Ma&szlig;nahmen k&ouml;nnen die Inzidenz senken und den Verlauf mildern.</li> </ul> </div> <h2>Begriffsbestimmung, Symptome</h2> <p>Der Begriff Delir leitet sich vom Lateinischen &bdquo;de lira ire = aus der Spur geraten&ldquo; ab und wurde von Aulus Cornelius Celsus etwa 100 nach Christus gepr&auml;gt. Bereits 500 Jahre fr&uuml;her findet sich im Corpus Hippocraticum die Beschreibung zweier psychischer St&ouml;rungen, die bei hohem Fieber und schweren k&ouml;rperlichen Erkrankungen auftreten: &bdquo;Phrenitis&ldquo; (Erregung) und &bdquo;Lethargus&ldquo; (Lethargie).</p> <p>Als Kernsymptome des Delirs sind St&ouml;rungen von Kognition und Bewusstsein anzusehen, wobei die m&ouml;gliche Auspr&auml;gung bis zum Koma reicht. Diagnostisch wegweisend ist die Unf&auml;higkeit, Aufmerksamkeit zu richten, zu fokussieren und zu halten; die eingeschr&auml;nkte Wahrnehmung von Umweltreizen und das inad&auml;quate Reagieren auf solche Reize sind ebenfalls charakteristisch. Unter den kognitiven St&ouml;rungen stehen Auffassungs- und Ged&auml;chtnisst&ouml;rungen neben der h&auml;ufig besonders auff&auml;lligen situativen Desorientiertheit im Vordergrund. Als Wahrnehmungsst&ouml;rungen sind Verkennungen und optische, gelegentlich auch szenische Halluzinationen anzuf&uuml;hren; inhaltliche Denkst&ouml;rungen im Sinne einer paranoiden Symptomatik sind im zeitlichen Verlauf meist fluktuierend. Psychomotorisch dominiert oft als Leitsymptom die Unruhe, es kann aber auch eine ausgepr&auml;gte Antriebsst&ouml;rung vorliegen, wobei ein Wechsel zwischen diesen Auspr&auml;gungen h&auml;ufig anzutreffen ist. Anhand der Auspr&auml;gung der Psychomotorik wird versucht, die hyperaktiven Delirien den hypoaktiven gegen&uuml;berzustellen, wobei die hypoaktiven Varianten h&auml;ufig verkannt werden. Bis zu 40 % der Betroffenen weisen ein gemischtes Bild auf, tageszeitlich gibt es allenfalls eine geringe Akzentuierung in den Nachtstunden, aber keine eindeutige Pr&auml;ferenz. Daneben imponiert oft eine erheblich gesteigerte Schreckhaftigkeit, die besonders im Zusammenhang mit &auml;rztlichen oder pflegerischen Interventionen auff&auml;llig wird. Der Beginn eines Delirs ist definitionsgem&auml;&szlig; akut bis subakut (Stunden bis Tage) und steht nicht selten im Zusammenhang mit dem Auftreten einer k&ouml;rperlichen Erkrankung. Dabei ist anzumerken, dass die definitive Identifikation eines ausl&ouml;senden Faktors h&auml;ufig nicht gelingt, auch die Abgrenzung therapieassoziierter Delirien vom delirogenen Potenzial der Grundkrankheit ist nicht immer klar m&ouml;glich. Die Dauer ist sehr variabel und reicht von wenigen Stunden bis zu Monaten, wobei die maximale Dauer der St&ouml;rung definitionsgem&auml;&szlig; 6 Monate betr&auml;gt. Meistens klingen delirante Zust&auml;nde innerhalb von 1&ndash;2 Wochen wieder ab. Der Begriff &bdquo;Delir&ldquo; wird im klinischen Alltag h&auml;ufig durch synonyme Begriffe ersetzt: organisches Psychosyndrom, hirnorganisches Syndrom, akuter exogener Reaktionstyp, akute zerebrale Insuffizienz, Durchgangssyndrom oder Verwirrtheitssyndrom.</p> <p>Postoperative Delirien treten regelhaft zwischen dem 1. und 7. Tag nach der Operation auf. Grunds&auml;tzlich kann man das unmittelbare postoperative Immediatdelirium und das mit einer Latenz von bis zu einer Woche auftretende Intervalldelirium unterscheiden, bei Notfalloperationen ist das Risiko im Vergleich zu elektiven Operationen deutlich erh&ouml;ht. Das Risiko eines pr&auml;operativen Delirs steigt bei h&uuml;ftnahen Frakturen mit zunehmender Latenz zwischen Verletzung und Operation.</p> <p>Die Anf&auml;lligkeit alter Menschen gegen&uuml;ber einer Vielzahl ausl&ouml;sender St&ouml;rungen macht das Delir in hohem Ausma&szlig; zu einer Erkrankung des Alters &ndash; das Delir ist die h&auml;ufigste psychische St&ouml;rung bei alten Menschen, ein typisches geriatrisches Syndrom, dem unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen k&ouml;nnen.</p> <p>Neben dem Alter ist als zweiter hochrelevanter Risikofaktor eine neurokognitive Beeintr&auml;chtigung (Demenz) zu nennen. Ein Delir gilt als h&auml;ufigste Komplikation bei hospitalisierten alten Menschen, die Pr&auml;valenz wird mit 11&ndash;42 % angegeben, f&uuml;r h&uuml;ftnahe Frakturen findet sich in Alterskollektiven eine Delirinzidenz von 10&ndash;65 % , am h&ouml;chsten ist das Risiko auf Intensivstationen, wo 70 bis 87 % der alten Menschen ein Delir entwickeln.</p> <h2>Folgen</h2> <p>Die richtige Diagnose und ein ad&auml;quates Management sind f&uuml;r die Prognose der Betroffenen entscheidend. Die Pr&auml;vention dieses komplexen, potenziell lebensgef&auml;hrlichen Problems umfasst das Erkennen von Risikopatienten, Vermeiden von kausalen Faktoren sowie ein rechtzeitiges Reagieren auf Prodromalsymptome. Eine kausale Therapie, d.h. die Behandlung der ausl&ouml;senden Erkrankung, ist ebenso unumg&auml;nglich wie pflegerische und milieutherapeutische Ma&szlig;nahmen sowie gegebenenfalls eine symptomatische Behandlung.</p> <p>Ein Delir beeintr&auml;chtigt die Prognose der Betroffenen: Je l&auml;nger ein Delir besteht und je schwerer der Verlauf ist, desto h&ouml;her ist das Risiko f&uuml;r kognitive Folgesch&auml;den: Insbesondere Patienten mit vorbestehendem neurokognitivem Defizit (Demenz) erreichen nach einer Delirepisode h&auml;ufig nicht mehr das kognitive Ausgangsniveau.</p> <p>Ein Delir verl&auml;ngert die Krankenhausaufenthaltsdauer aufgrund der Indexerkrankung durchschnittlich um eine Woche. Ebenso steigen das Risiko von St&uuml;rzen mit Verletzungsfolgen und das Risiko krankenhausassoziierter Infektionen. Die Letalit&auml;t aufgrund der Indexerkrankung erh&ouml;ht sich durch ein Delir auf das Doppelte. Patienten mit einem Delir haben nach der Krankenhausentlassung einen h&ouml;heren Bedarf an Betreuung und ein h&ouml;heres Risiko f&uuml;r die Aufnahme in ein Pflegeheim.</p> <p>Auch f&uuml;r Intensivstationen liegen Zahlen vor: Bei Vorliegen eines Delirs ist die Letalit&auml;t w&auml;hrend der Hospitalisierung (aber auch danach) mehr als doppelt so hoch (&Oslash; 2,19x; p&lt;0,001), es verl&auml;ngern sich die Dauer des Aufenthalts auf einer ICU (&Oslash; 1,38 d; p&lt;0,001), die Krankenhausaufenthaltsdauer (&Oslash; 0,97 d; p&lt;0,001) und die Beatmungsdauer (&Oslash; 1,79 d; p&lt;0,001), zudem imponiert ein h&ouml;herer Grad kognitiver Beeintr&auml;chtigung 3 und 12 Monate nach der Hospitalisierung.</p> <p>Ein Delir kann vollst&auml;ndig ausheilen, allerdings k&ouml;nnen die Symptome bei bis zu einem Drittel der Betroffenen persistieren, was Indikator einer schlechten Prognose ist.</p> <p>Aus diesen Fakten ergeben sich auch klarerweise &ouml;konomische Folgen. Daten aus dem deutschen Sprachraum sind zu rar, um daraus &ouml;konomische R&uuml;ckschl&uuml;sse zu ziehen; f&uuml;r den Krankenhausbereich konnte in einer kleinen Untersuchung erhoben werden, dass Delirpatienten durchschnittlich etwa 240 Minuten an zus&auml;tzlichem Personalaufwand ben&ouml;tigen und errechnete Personal- und Sachkosten von etwa 1200 Euro w&auml;hrend des station&auml;ren Aufenthaltes anfallen. Aus den Vereinigten Staaten liegen Zahlen vor, die Mehrbelastungen f&uuml;r das gesamte Gesundheitssystem von bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr sch&auml;tzen. Untersuchungen aus Kanada zeigen, dass 48 % aller Patienten nach h&uuml;ftnahen Frakturen ein Delir erleiden. K&ouml;nnte man diese Zahl halbieren, betr&uuml;ge das Einsparungspotenzial 3 079 000 &euro; oder 45 288 Belagstage pro Jahr.</p> <h2>Pr&auml;vention</h2> <p>Aufgrund der weitreichenden Folgen kommt der Pr&auml;vention des Delirs eine herausragende Bedeutung zu. Proaktive geriatrische Konsultation konnte in einer randomisierten, kontrollierten Studie die Delirinzidenz nach h&uuml;ftnahen Frakturen von 50 % auf 28 % senken: Die Empfehlungen beinhalten ad&auml;quate Sauerstoffzufuhr, Korrektur von Fl&uuml;ssigkeits- und Elektrolytst&ouml;rungen, Behandlung von Schmerzen, Absetzen von unn&ouml;tigen Medikamenten, fr&uuml;hes Entfernen von Blasenkathetern, ad&auml;quate Kalorienzufuhr, fr&uuml;he Mobilisierung und Rehabilitation, Fr&uuml;herkennung und Behandlung von postoperativen Komplikationen, Vermeiden sensorischer &Uuml;berstimulation und medikament&ouml;se Behandlung bei hyperaktivem Delir.</p> <p>Das konsequente Vorgehen nach einem Protokoll, das Risikofaktoren wie Schlafmangel, Immobilit&auml;t, sensorische Defizite sowie Pharmakotherapie und Dehydration kontrolliert, konnte eine Reduktion des Delirrisikos um bis zu 30 % bewirken, auch eine fr&uuml;he Verlegung in eine ambulante Rehabilitation kann die Delirinzidenz signifikant verringern.</p> <p>Die Behandlung in einer spezialisierten geriatrischen Einheit reduziert das absolute Risiko um 20 % und verk&uuml;rzt die durchschnittliche Dauer des Delirs um 5 Tage. Einzelne Prodromalsyndrome treten bei H&uuml;ftfrakturen bis zu 4 Tage vor dem Vollbild des Delirs auf und erm&ouml;glichen bei zeitgerechter Identifikation eine ad&auml;quate Intervention.</p> <h2>Intervention</h2> <ul> <li>Vermeiden kausaler Faktoren: unn&ouml;tige Hospitalisierung, Polypharmakotherapie</li> <li>Rechtzeitiges Erkennen von Prodromalsymptomen: Nervosit&auml;t, lebhafte Tr&auml;ume, Schlaflosigkeit, passagere Halluzinationen</li> <li>Falls eine station&auml;re Aufnahme erforderlich ist, sollte von Anfang an geriatrisch qualifiziert betreut werden.</li> <li>Zum Standard einer guten Krankenhausbehandlung Demenzkranker, die besonders Delir-gef&auml;hrdet sind, sollte die M&ouml;glichkeit einer st&auml;ndigen Begleitung der Patienten durch ihre pflegenden Angeh&ouml;rigen oder andere nahe Bezugspersonen geh&ouml;ren. Diese Forderung bedeutet, dass alten, multimorbiden, kognitiv beeintr&auml;chtigten Menschen von der Aufnahme bis zur Entlassung eine Kontaktperson (&bdquo;Sitter&ldquo;) zur Seite gestellt werden soll, die sie m&ouml;glichst bei allen Untersuchungen, Wegen, Verlegungen etc. begleitet. So kann das Risiko f&uuml;r Delir und Desorientiertheit vermindert werden.</li> <li>Pr&auml;operativ sind Delir-Screening, Assessment von Demenz, Depression, Angsterkrankungen, Suchterkrankungen (Alkohol, Benzodiazepine, Nikotin), Identifikation von Delirien in der Vorgeschichte, geriatrisches Konsil und Medikamentencheck empfehlenswert.</li> <li>Perioperativ ist Stress so gering wie m&ouml;glich zu halten; reorientieren, f&uuml;r Fragen Zeit geben und optimale Schmerztherapie erg&auml;nzen das Repertoire.</li> </ul> <p>F&uuml;r diese Beispiele komplexer Interventionen liegen auch Ergebnisse aus einem Cochrane-Review vor, und zwar sowohl f&uuml;r konservative (RR: 0,63; 95 % CI: 0,43&ndash; 0,92) als auch f&uuml;r chirurgische Settings (RR: 0,71; 95 % CI: 0,59&ndash;0,85). F&uuml;r eine medikament&ouml;se Pr&auml;vention, z.B. mit Haloperidol, ist die Evidenz dagegen wenig belastbar.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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