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Sind neue Biologika ihren Preis wert?

<p class="article-intro">Eine US-amerikanische Studie legt nahe, dass neue Biologika bei rheumatoider Arthritis überschätzt werden. In der Tat bergen Biologika etliche Nachteile: Patienten leiden unter Nebenwirkungen, die Therapie ist teuer, und manche Behandler fürchten Regresse. Doch Patienten und Gesundheitssystem können enorm profitieren, wenn die richtigen Patienten rechtzeitig behandelt werden. Wir haben führende Rheumatologen und einen Gesundheitsökonomen gefragt, wie man welche Medikamente bei rheumatoider Arthritis einsetzt – zum Wohl des Patienten und zum Wohl des Gesundheitssystems.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Therapie der rheumatoiden Arthritis (RA) hat sich in den vergangenen 30 Jahren grundlegend ge&auml;ndert. Davor gab es nur wenige Medikamente, deren Wirkung war h&auml;ufig unzureichend und die Behandlung wurde meist erst sp&auml;t im Verlauf der Erkrankung gestartet. Als 1998 das erste Biologikum und damit ein gezielt gegen die Entz&uuml;ndung wirkendes Medikament auf den Markt kam, sei das ein Segen f&uuml;r die Patienten gewesen, erinnert sich Prof. Dr. Oliver Distler, Direktor der Klinik f&uuml;r Rheumatologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich: &bdquo;Zum ersten Mal konnten wir den Entz&uuml;ndungsprozess wirklich bremsen. Heute sehen wir nur noch wenige Patienten mit schweren Gelenkzerst&ouml;rungen.&ldquo; (Abb. 1)<br /> Biologika geh&ouml;ren inzwischen zur Standardtherapie bei starker RA. F&uuml;r Verwirrung sorgte daher eine im Vorjahr erschienene Studie von Nick Bansback von der Universit&auml;t British Columbia: Mit einem Biologikum f&uuml;hlten sich die Patienten im Vergleich zur Standardtherapie insgesamt nur wenige Wochen &ndash; auf ihr ganzes Leben berechnet &ndash; besser, und dieser Gewinn kostete 77 290 US-amerikanische Dollar.<sup>1</sup> Biologika seien ihren hohen Preis nicht wert, so das Fazit der Studie. &bdquo;Die Studie kann man nicht auf Europa &uuml;bertragen&ldquo;, behauptet dagegen Prof. Dr. Klaus Kr&uuml;ger, Rheumatologe in M&uuml;nchen. &bdquo;Hierzulande bekommen die Patienten viel zu selten Biologika.&ldquo; Au&szlig;erdem lohne sich das Geld, meint auch Prof. Dr. Christian Gissel, Gesundheits&ouml;konom an der Universit&auml;t Gie&szlig;en. &bdquo;Dank Biologika k&ouml;nnen viele Patienten wieder ihren Beruf aus&uuml;ben, was von entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung ist.&ldquo; Knapp zehn Lebensjahre an guter Lebensqualit&auml;t gewinnen Patienten in Deutschland hinzu, hat er ausgerechnet, bei der herk&ouml;mmlichen Therapie sind es hingegen lediglich sieben.<sup>2</sup> Die drei Jahre kosten 20 900 Euro, die Ersparnis durch einen Arbeitsausfall mit einberechnet.</p> <h2>Neue Therapieempfehlungen nicht umgesetzt</h2> <p>Dass in der amerikanischen Studie die Biologika nicht so gut abschnitten, habe auch daran gelegen, dass die Forscher bei Studienbeginn noch nicht die neuen Therapieempfehlungen gekannt haben, sagt Prof. Dr. Gerd Burmester von der Charit&eacute; in Berlin. &bdquo;In der Studie wurden die Patienten unabh&auml;ngig von ihrem Risikoprofil behandelt. Wenn auch Patienten ohne Risikofaktoren Biologika bekommen, ist klar, dass die Pr&auml;parate nicht viel besser waren als die Standardtherapie, denn die wirkt hier ebenfalls gut.&ldquo; Ein Biologikum sollten vor allem Patienten mit bestimmten Risikofaktoren bekommen, etwa mit hohen Entz&uuml;ndungswerten oder mehreren geschwollenen Gelenken.<br /> Lange Zeit standen f&uuml;r die RA-Therapie nur Goldsalze, D-Penicillamin und Sulfasalazin zur Verf&uuml;gung. Diese Pr&auml;parate verursachten deutliche Nebenwirkungen, vor allem Goldsalze und D-Penicillamin. &bdquo;Aus Vorsicht und weil keine anderen wirksamen Medikamente zur Verf&uuml;gung standen, wurden die Patienten zu sp&auml;t oder nicht gen&uuml;gend behandelt, was zu dauerhaften Gelenkzerst&ouml;rungen f&uuml;hrte&ldquo;, erz&auml;hlt Burmester. 1948 wurde der erste RA-Patient erfolgreich mit Kortison behandelt. Allerdings f&uuml;hrten die dauerhafte Gabe und die hohe Dosis ebenfalls zu erheblichen Nebenwirkungen. Die zweite fundamentale Entwicklung war Methotrexat (MTX) in den sp&auml;ten 1980er-Jahren. Heute gelten MTX und Kortison &ndash; nunmehr in niedriger Dosierung und &uuml;ber einen m&ouml;glichst kurzen Zeitraum &ndash; als Grundpfeiler der Behandlung. Sich regelm&auml;&szlig;ig &uuml;ber die aktuellen Behandlungsleitlinien zu informieren lohne sich immer, meint Prof. Dr. Josef Smolen, Leiter der Klinischen Abteilung f&uuml;r Rheumatologie an der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin in Wien.</p> <h2>Treat to target</h2> <p>&bdquo;Bei der Versorgung von RA-Patienten sind drei Punkte essenziell&ldquo;, sagt Prof. Dr. Diego Kyburz, Pr&auml;sident der Schweizerischen Gesellschaft f&uuml;r Rheumatologie. &bdquo;Erstens: nach Stellung der Diagnose m&ouml;glichst rasch mit der Basistherapie beginnen. Zweitens: ein Behandlungsziel setzen; und drittens: die Krankheitsaktivit&auml;t h&auml;ufig kontrollieren und die Therapie gegebenenfalls anpassen &ndash; wir nennen das ,treat to targetʻ.&ldquo; Das Behandlungsziel sei in erster Linie eine Remission. Bei l&auml;nger bestehender Erkrankung kann aber auch &bdquo;low disease activity&ldquo; ein Ziel sein.<br /> In der 2016 aktualisierten EULAR-Behandlungsleitlinie<sup>3</sup> sind 4 allgemeine Prinzipien &ndash; A bis D &ndash; (Tab. 1) und 12 Behandlungsempfehlungen beschrieben. Das Prinzip B war in der alten EULAR-Leitlinie von 2013 noch als Empfehlung Nr. 14 eingeordnet. &bdquo;Wir haben entschieden, dass es sich dabei doch eher um ein generelles Prinzip als um eine Behandlungsempfehlung handelt&ldquo;, sagt Smolen. &bdquo;Es ist enorm wichtig, bei der Therapieentscheidung nicht nur die Krankheitsaktivit&auml;t zu ber&uuml;cksichtigen, sondern auch andere Faktoren, insbesondere Kontraindikationen. Die Remission ist aber das Behandlungsziel, denn die Krankheitsaktivit&auml;t f&uuml;hrt zu Gelenkdestruktion und Komorbidit&auml;ten.&ldquo; MTX ist weiterhin das Medikament der ersten Wahl. &bdquo;Es wird eine Steigerung der Dosis auf bis zu 25 bis 30mg/Woche empfohlen, sofern von den Patienten toleriert&ldquo;, sagt Kyburz.</p> <h2>JAK-Inhibitoren fr&uuml;hzeitiger einsetzbar</h2> <p>Neu an der Leitlinie ist auch, dass Januskinase(JAK)-Inhibitoren wie Tofacitinib nicht mehr als eine Art Ultima Ratio angesehen werden, sondern ein fr&uuml;hzeitigerer Einsatz angeraten ist. &bdquo;Wir haben zu Tofacitinib jetzt mehr Langzeitdaten, die keine neuen oder unerwarteten Nebenwirkungen zeigten&ldquo;, erkl&auml;rt Prof. Smolen. &bdquo;Auch zu einem weiteren JAK-Inhibitor, Baricitinib, sind die Phase-III-Studien beendet worden, er hat eine gute Wirksamkeit ohne neue Sicherheitsbedenken gezeigt.&ldquo; Beide Medikamente sind f&uuml;r die RA zugelassen.<br /> JAK-Hemmer seien eine gute Alternative zu Biologika: &bdquo;Die Patienten k&ouml;nnen sie als Tablette einnehmen. So k&ouml;nnten sie sich zum Beispiel besonders f&uuml;r diejenigen eignen, denen Spritzen unangenehm sind&ldquo;, so Smolen.<br /> Die EULAR-Leitlinie &auml;u&szlig;ert sich zudem klarer als die Leitlinie des American College of Rheumatology (ACR) zum Einsatz von Kortikoiden. &bdquo;Man sollte sie immer nur vor&uuml;bergehend beim Start von csDMARDs einsetzen&ldquo;, sagt Smolen. &bdquo;Jedoch nicht nur beim ersten csDMARD, sondern auch wenn man auf ein anderes csDMARD umsteigt.&ldquo; Kyburz begr&uuml;&szlig;t die konkreteren Empfehlungen: &bdquo;Im Gegensatz zur Empfehlung von 2013 werden Glukokortikoide nicht mehr ,low doseʻ empfohlen, sondern ,short term&lsquo;. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass viele Kollegen initial h&ouml;here Kortikoiddosen geben.&ldquo;</p> <h2>Therapie gem&auml;&szlig; Risikofaktoren</h2> <p>Wie geht man nun konkret vor? Sobald die Diagnose gestellt ist, wird in einer ersten Therapiephase mit MTX begonnen, in Kombination mit Kurzzeitkortikoiden. Vertr&auml;gt der Patient MTX nicht, stehen als Alternative Leflunomid oder Sulfasalazin zur Verf&uuml;gung. Verbessert sich die Krankheitsaktivit&auml;t damit nicht innerhalb von 3 Monaten um mindestens die H&auml;lfte oder erreicht man mit der Einzeltherapie innert 6 Monaten das Therapieziel nicht, empfiehlt die Leitlinie in einer zweiten Therapiephase, anhand von Risikofaktoren vorzugehen.<br /> &bdquo;Versagt in der ersten Therapiephase zum Beispiel ein csDMARD plus Glukokortikoid, schauen wir, ob Risikofaktoren f&uuml;r eine rasche Destruktionsprogression vorliegen&ldquo;, erkl&auml;rt Smolen. Hat der Patient keine solchen Risikofaktoren, setzt man ein anderes csDMARD ein. Liegen Risikofaktoren vor, kombiniert man mit einem biologischen DMARD. &bdquo;Mit den Biosimilars haben wir hier jetzt auch wirksame und preiswertere Alternativen.&ldquo;<br /> Manche geben bei Risikofaktoren eine Kombinationstherapie aus drei Medikamenten, wie in der amerikanischen Studie. &bdquo;Das machen aber viele Patienten nicht mit&ldquo;, erz&auml;hlt Prof. Kr&uuml;ger. &bdquo;Sie m&uuml;ssen dabei mehr als eine Handvoll Tabletten pro Tag nehmen und sich einmal pro Woche MTX spritzen lassen.&ldquo;<br /> Das Problem sei nicht so sehr, dass es keine wirksamen Medikamente gebe, sagt Burmester, sondern, dass bei vielen Patienten die Therapie zu sp&auml;t begonnen werde. Zwei Jahre nach Beginn der Symptome dauert es im Schnitt, bis eine RA festgestellt wird.<sup>4</sup> &bdquo;Das ist viel zu lange&ldquo;, so Burmester. Innerhalb eines halben Jahres sollte die Diagnose gestellt sein und sofort danach therapiert werden. Manche Kollegen f&uuml;rchteten jedoch Schadensersatzforderungen der Kassen, sagt Burmester, wenn sie ein teures Biologikum verordneten. &bdquo;Aber die Angst ist unbegr&uuml;ndet, denn man kann ja gut argumentieren, wenn der Patient eines braucht.&ldquo; Doch auch Patienten w&uuml;rden manchmal einer Biologikatherapie im Wege stehen, erz&auml;hlt Kr&uuml;ger: &bdquo;Manche haben gro&szlig;e Angst vor Nebenwirkungen und wollen partout keine Biologika.&ldquo; Das muss man akzeptieren, obwohl die Medikamente in der Regel gut vertragen werden.<br /> In der amerikanischen Leitlinie wird zwischen &bdquo;established&ldquo; und &bdquo;early&ldquo; RA unterschieden. &bdquo;Auch hierzulande haben wir immer schon Behandlungsphasen unterschieden&ldquo;, sagt Smolen. &bdquo;In der jetzigen EULAR-Formulierung haben wir das nur klarer gefasst. Wir schauen, ob ein Patient csDMARD-naiv ist (Phase I), ob csDMARDs versagt haben (Phase II) oder ob ein bDMARD-Versagen vorliegt (Phase III).&ldquo; Die Leitlinie sei eine sehr hilfreiche evidenzbasierte Anleitung f&uuml;r den Alltag, sagt Kyburz: &bdquo;Leider bleiben aber auch mit dieser Richtlinie noch viele Fragen offen. Insbesondere ist damit eine individualisierte Therapie nicht oder nur sehr grob m&ouml;glich.&ldquo; So wisse man zum Beispiel immer noch nicht, welches Medikament f&uuml;r welchen Patienten nach ungen&uuml;gender Wirkung von MTX das richtige sei. &bdquo;Es m&uuml;ssen noch Biomarker identifiziert werden, die in Zukunft eine personalisierte Therapie der RA erlauben&ldquo;, so Kyburz.</p> <p>Moderne Rheumamedikamente haben bewirkt, dass Patienten heute weitaus seltener operiert werden m&uuml;ssen. &bdquo;Fr&uuml;her konnte ich die Gelenke weder erhalten noch mit einer Prothese ersetzen, weil sie so zerst&ouml;rt waren, und es blieb nur eine Arthrodese &uuml;brig&ldquo;, erz&auml;hlt Prof. Dr. G&uuml;nter Germann, Chef-Handchirurg an der ETHIANUM- Klinik in Heidelberg. Heute operieren die Handchirurgen vor allem solche RA-Patienten, die &uuml;berhaupt nicht auf die Medikamente ansprechen. Die Entz&uuml;ndung ist zwar zur&uuml;ckgedr&auml;ngt, aber einzelne Gelenke oder Sehnen sind immer noch entz&uuml;ndet. &bdquo;Hier ist das Operieren einfacher als fr&uuml;her, weil die Biologika Knochen und Gewebe stabiler machen&ldquo;, berichtete der Z&uuml;rcher Handchirurg Dr. Daniel Herren auf dem &bdquo;Florence RA Course&ldquo; 2017. Mit Kunstgelenken in den Fingern k&ouml;nnen die Patienten wieder besser greifen, und es lassen sich entstellende Deformationen korrigieren. &bdquo;Der sch&ouml;nste Moment f&uuml;r mich ist, wenn mir ein Patient sagt, er habe nach Jahren endlich wieder im Restaurant essen k&ouml;nnen, ohne sich f&uuml;r seine H&auml;nde zu sch&auml;men&ldquo;, sagt Herren. Wichtig sei, so Germann, dass der Operateur fr&uuml;h Bescheid wisse. &bdquo;So k&ouml;nnen wir zum Beispiel rechtzeitig Sehnen, die abzugleiten drohen, in die richtige Position bringen, und der Patient bekommt nicht die typische Rheumahand, mit der er nicht mehr greifen kann.&ldquo; Bevor man einem Patienten zur Operation rate, solle man aber alle medikament&ouml;sen Ma&szlig;nahmen aussch&ouml;pfen, r&auml;t Prof. Distler. &bdquo;Wir haben heute diverse M&ouml;glichkeiten &ndash; man erreicht nicht so schnell das Ende der Fahnenstange.&ldquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s57_abb1+tab1+2.jpg" alt="" width="1419" height="2844" /></p> <h2>RA-Medikamente im &Uuml;berblick</h2> <p><em>Die krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Medikamente (&bdquo;diseasemodifying antirheumatic drugs&ldquo;, DMARDs) lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: synthetische (sDMARDs) und biologische Substanzen (bDMARDs). Bei den synthetischen Substanzen unterscheidet man konventionelle synthetische (csDMARDs) wie Methotrexat, Sulfasalazin und Leflunomid von gezielt wirkenden synthetischen (tsDMARDs), hierzu geh&ouml;ren die JAK-Inhibitoren Tofacitinib und Baricitinib. Auch bei den biologischen Pr&auml;paraten gibt es zwei Untergruppen: Originator- Biologika (boDMARDs, Tab. 2) sowie Biosimilars (bsDMARDs), von denen jene von Infliximab und Etanercept in der EU zugelassen sind.</em></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bansback N et al.: Triple therapy versus biologic therapy for active rheumatoid arthritis. A cost-effectiveness analysis. Ann Intern Med 2017; 167(1): 8-16 <strong>2</strong> Gissel C et al.: Cost-effectiveness of adalimumab for rheumatoid arthritis in Germany. Zeitschrift f&uuml;r Rheumatologie 2016; 75(10): 1006-15 <strong>3</strong> Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease modifying antirheumatic drugs: 2016 update. Ann Rheum Dis 2017; 0: 1-18 <strong>4</strong> Albrecht K et al.: Outpatient care and disease burden of rheumatoid arthritis: results of a linkage of claims data and a survey of insured persons. Z Rheumatol 2018; 77: 102-12</p> </div> </p>
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