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Balance zwischen Thrombose und Blutung

Antikoagulation bei Patienten mit Malignom-assoziierten venösen Thromboembolien

<p class="article-intro">Krebspatienten weisen sowohl ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien als auch für Blutungen unter Antikoagulation auf. Bis anhin wurden zur Behandlung Tumor-assoziierter Thrombosen primär niedermolekulare Heparine empfohlen. Neuere Daten zeigen, dass die direkten oralen Antikoagulanzien Rivaroxaban und Edoxaban in dieser Indikation den niedermolekularen Heparinen weitgehend ebenbürtig sind. Einziger relevanter Nachteil ist eine höhere Rate an gastrointestinalen Blutungen bei Patienten mit entsprechendem Risiko. </p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Thromboserisiko bei Krebspatienten</h2> <p>Tiefe Beinvenenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) werden als einheitliches Krankheitsbild verstanden und in der Gruppe der ven&ouml;sen Thromboembolien (VTE) zusammengefasst. In der generellen Population betr&auml;gt die j&auml;hrliche Inzidenz f&uuml;r klinisch manifeste VTE rund 1&ndash;2 pro 1000 Personenjahre.<sup>1</sup> <br />Bei Patienten mit einer aktiven Krebserkrankung ist dieses Risiko um das 4&ndash;7-Fache erh&ouml;ht,<sup>2</sup> was bedeutet, dass etwa 10&ndash;20 % der Patienten im Verlauf ihrer Krebserkrankung eine VTE erleiden. Krebspatienten mit VTE haben im Vergleich zu Krebspatienten ohne VTE eine deutlich k&uuml;rzere Lebenserwartung und leiden mit gr&ouml;sserer Wahrscheinlichkeit an einer fortgeschritteneren Tumorerkrankung. VTE sind bei Krebspatienten die zweith&auml;ufigste Todesursache nach der Krebserkrankung selbst.<sup>3</sup><br />Das VTE-Risiko wird sowohl durch das Malignom selbst als auch durch diverse Begleitumst&auml;nde determiniert (Abb. 1). Tumorzellen wirken prothrombogen durch die Expression von Gewebsfaktor, aber auch &uuml;ber inflammatorische Zytokine und &uuml;ber die Freisetzung von Tumormikropartikeln. Die wichtigsten begleitenden Risikofaktoren f&uuml;r VTE sind Tumorchirurgie, Hospitalisation, liegende zentrale Venenkatheter sowie auch die medikament&ouml;sen antitumoralen Therapien (Chemothera&shy;pien, Hormontherapien, Angiogenesehemmer etc.). Es ist somit offensichtlich, dass nicht alle Krebspatienten ein gleich hohes VTE-Risiko aufweisen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1803_Weblinks_39_1.jpg" alt="" width="1454" height="1025" /></p> <p>&nbsp;</p> <h2>Entwicklung der VTE-Therapie bei Krebspatienten</h2> <p>Unter der fr&uuml;her &uuml;blichen VTE-Therapie mit unfraktioniertem Heparin, gefolgt von einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA; z.B. Phenprocoumon), zeigte sich bei Krebspatienten nicht nur ein rund 3-fach erh&ouml;htes VTE-Rezidivrisiko, sondern auch ein 6-fach erh&ouml;htes Blutungsrisiko im Vergleich zu VTE-Patienten ohne Krebserkrankung.<sup>4</sup> Mit ein Grund f&uuml;r diese Tatsache sind diverse Schwierigkeiten beim Einsatz von VKA bei Krebspatienten wie Medikamenteninteraktionen, Thrombozytopenien, Leberinsuffizienz aufgrund von Therapien oder Metastasen sowie verminderte Vitamin-K-Aufnahme wegen Inappetenz, Nausea oder Emesis.<sup>5</sup><br />Die 2003 publizierte CLOT-Studie war zweifellos ein Meilenstein f&uuml;r die Entwicklung der VTE-Behandlung bei Krebspatienten.<sup>6</sup> In dieser randomisierten Studie wurde bei Krebs-assoziierten VTE (&laquo;cancer-associated thrombosis&raquo;, CAT) &uuml;ber 6 Monate eine Antikoagulation mit dem niedermolekularen Heparin (LMWH) Dalteparin (Fragmin&reg;) (erster Monat 200E/kg KG, dann Reduktion auf 150E/kg KG) mit einer Antikoagulation mit VKA (Ziel-INR 2&ndash;3; bis zum Erreichen der Ziel-INR Antikoagulation mit Dalteparin) verglichen. Dabei traten unter Dalteparin bei &auml;hnlicher Blutungsrate signifikant weniger VTE-Rezidive auf (relative Risikoreduktion: 0,52; p&lt;0,002). In Nachfolgestudien konnten diese Daten auch mit anderen LMWH wie beispielsweise Enoxaparin (Clexane&reg;) reproduziert werden.<sup>7</sup><br />Diese &Uuml;berlegenheit der LMWH bildet sich auch in den relevanten Guidelines ab:<br />LMWH werden als erste Wahl f&uuml;r die Behandlung von VTE zumindest in den ersten 3&ndash;6 Monaten der Antikoagulationsbehandlung empfohlen. Zudem sind sich alle Guidelines einig, dass die Antikoagulation bei CAT weitergef&uuml;hrt werden sollte, solange eine aktive Krebserkrankung besteht.<sup>7</sup><br />Bei gewissen Patienten ergeben sich so sehr lange Behandlungsphasen mit LMWH mit unz&auml;hligen unangenehmen subkutanen Injektionen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die neueren direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) hier einen Platz haben k&ouml;nnten. Der Einsatz von DOAK bei CAT w&auml;re naheliegend, weil sie einerseits eine ganz &auml;hnliche Pharmakokinetik aufweisen wie LMWH und andererseits in der Anwendung deutlich unkomplizierter sind als VKA (z.B. praktisch keine Abh&auml;ngigkeit von der Nahrungsaufnahme, deutlich weniger Medikamenteninteraktionen).<sup>8</sup></p> <h2>Studienlage f&uuml;r DOAK bei CAT</h2> <p>In den Phase-III-Zulassungsstudien f&uuml;r die verschiedenen DOAK (Rivaroxaban [Xarelto&reg;], Apixaban [Eliquis&reg;], Edo&shy;xaban [Lixiana&reg;], Dabigatranetexilat [Pradaxa&reg;]) wurden insgesamt &uuml;ber 30 000 Patienten eingeschlossen, davon ungef&auml;hr 5 % mit Krebserkrankung. Subgruppenanalysen von Patienten mit CAT zeigten dabei f&uuml;r die Therapie mit DOAK im Vergleich zu VKA tendenziell (aber nicht signifikant) weniger VTE-Rezidive bei einem &auml;hnlichen Risiko f&uuml;r gr&ouml;ssere Blutungsereignisse.<sup>7</sup> Leider sind diese Subgruppen f&uuml;r Patienten mit CAT jedoch nicht wirklich repr&auml;sentativ, da nur maximal 30 % der Patienten eine metastasierte Krebserkrankung aufwiesen und nur 30 % der Patienten eine Chemotherapie erhielten.<sup>9</sup><br />Ende 2017 wurden nun erstmals Daten aus Studien, die spezifisch den Einsatz von DOAK bei CAT pr&uuml;ften, ver&ouml;ffentlicht. Die Select-D-Studie verglich Riva&shy;roxaban mit Dalteparin f&uuml;r die Behandlung von CAT &uuml;ber 6 Monate. Eigentlich w&auml;re danach bei gewissen Patienten noch eine zweite Randomisierungsphase f&uuml;r eine verl&auml;ngerte Behandlung vorgesehen gewesen, diese musste allerdings wegen mangelnder Rekrutierung geschlossen werden.<sup>10</sup> Momentan liegen die Daten von Select-D erst als Abstract vor, die vollst&auml;ndige Publikation wird jedoch in den n&auml;chsten Monaten erwartet. In der untersuchten Patientenpopulation mit CAT bei vorwiegend soliden Tumoren, 59 % davon metastasiert, zeigten sich unter Rivaroxaban weniger VTE-Rezidive (Unterschied jedoch nicht signifikant bei lediglich 203 Patienten pro Gruppe), bei allerdings mehr gr&ouml;sseren und klinisch relevanten nicht gr&ouml;sseren Blutungsereignissen in der Rivaroxaban-Gruppe (Rivaroxaban n=36 [17 % ], Dalteparin n=12 [6 % ]). Der Unterschied ergab sich prim&auml;r durch geh&auml;ufte gastrointestinale Blutungen in der Rivaroxaban-Gruppe (&uuml;ber 10 % der Patienten in beiden Gruppen mit kolorektalen Karzinomen und entsprechendem Blutungsrisiko).<sup>11</sup><br />In der Hokusai-VTE-Cancer-Studie, welche vollst&auml;ndig publiziert ist,<sup>12</sup> wurde zur Behandlung von CAT (n=1050; Randomisierung 1:1) das DOAK Edoxaban (vorg&auml;ngig Gabe eines LMWH f&uuml;r mindestens 5 Tage gem&auml;ss Zulassung) gegen Dalteparin &uuml;ber einen Zeitraum von 12 Monaten verglichen. &Uuml;ber 50 % der Studienpatienten litten an einer metastasierten Krebserkrankung und knapp zwei Drittel der Patienten hatten Lungenembolien, w&auml;hrend rund ein Drittel isolierte tiefe Beinvenenthrombosen aufwies. In Bezug auf ein &laquo;Composite&raquo;-Outcome (VTE-Rezidive und gr&ouml;ssere Blutungen) war die Behandlung mit Edoxaban derjenigen mit Dabigatran nicht unterlegen. Aufgeschl&uuml;sselt zeigte sich unter Edoxaban eine niedrigere VTE-Rezidivrate bei allerdings etwas erh&ouml;htem Risiko f&uuml;r sowohl gr&ouml;ssere als auch klinisch relevante nicht gr&ouml;ssere Blutungsereignisse (Edoxaban: n=91 [17,4 % ], Dalteparin: n=59 [11,3 % ]). &Auml;hnlich wie unter Rivaroxaban in der Select-D-Studie kamen auch in der Hokusai-VTE-Cancer-Studie unter Edoxaban &uuml;berproportional geh&auml;uft gastrointestinale Blutungen bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren vor. Gr&ouml;ssere Blutungsereignisse unter Edoxaban wurden jedoch von den behandelnden &Auml;rzten als weniger schwerwiegend bewertet als diejenigen unter Dalteparin.</p> <h2>Konsequenzen f&uuml;r den klinischen Alltag</h2> <p>In den zitierten Studien wurden erstmals DOAK spezifisch f&uuml;r die Behandlung von CAT untersucht. Sowohl Rivaroxaban (bei allerdings knapper Fallzahl in der Studie) als auch besonders Edoxaban zeigten eine ad&auml;quate Wirksamkeit in Bezug auf die Verhinderung von VTE-Rezidiven. Die h&ouml;here Anzahl an Blutungen ist gr&ouml;sstenteils durch gastrointestinale Blutungen bei Patienten mit entsprechenden Risiken bedingt. Somit sind DOAK (aufgrund der bislang ver&ouml;ffentlichten Daten vor allem Edoxaban) ab sofort eine valable Alternative zur Behandlung von CAT, sofern einige Einschr&auml;nkungen beachtet werden (eine m&ouml;gliche Strategie f&uuml;r die Behandlung von CAT ist in Tabelle 1 dargestellt).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1803_Weblinks_39_2.jpg" alt="" width="1419" height="454" /><br />Eine Antikoagulation mit einem DOAK wird von den Patienten als deutlich weniger belastend erlebt als eine Antikoagulation mit einem LMWH. Die Patienten lassen sich dadurch auch einfacher f&uuml;r eine l&auml;ngerfristige Antikoagulation motivieren, wie sie bei Patienten mit stattgehabter CAT und weiter aktiver Tumorerkrankung in der Regel erforderlich ist.<br />Die Antikoagulation bei Krebspatienten bleibt jedoch nach wie vor anspruchsvoll. Neben einem grunds&auml;tzlich hohen Risiko sowohl f&uuml;r Blutungen als auch f&uuml;r (Rezidiv-)VTE m&uuml;ssen auch unter einem DOAK potenzielle Interaktionen mit der antitumoralen Medikation, ein Abfall der Thrombozytenzahl bei zytoreduktiver Therapie sowie sich ver&auml;ndernde renale und hepatische Funktionen ber&uuml;cksichtigt werden.<br />Beim Einsatz von LMWH und DOAK sind die unter www.swissmedicinfo.ch erw&auml;hnten Kontraindikationen und Vorsichtsmassnahmen zu beachten. Die in der Schweiz zugelassenen DOAK sind grunds&auml;tzlich alle f&uuml;r die Behandlung von ven&ouml;sen thromboembolischen Ereignissen und die Prophylaxe danach zugelassen (cave: Dabigatranetexilat und Edoxaban nur nach einer mindestens f&uuml;nft&auml;gigen Vorbehandlung mit einem Heparin). In Bezug auf den Einsatz von DOAK bei CAT liegen momentan f&uuml;r Edoxaban die besten Daten vor (Hokusai-VTE-Cancer ist die einzige bislang vollst&auml;ndig publizierte Studie).</p> <p>&nbsp;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong>&nbsp;Goldhaber SZ: Venous thromboembolism: epidemiology and magnitude of the problem. Best Pract Res Clin Haematol 2012; 25: 235-42 <strong>2</strong>&nbsp;Barsam SJ et al.: Anticoagulation for prevention and treatment of cancer-related venous thromboembolism. Br J Haematol 2013; 161: 764-77 <strong>3</strong>&nbsp;Laporte S et al.: Clinical predictors for fatal pulmonary embolism in 15,520 patients with venous thromboembolism: findings from the Registro Informatizado de la Enfermedad TromboEmbolica venosa (RIETE) Registry. Circulation 2008; 117: 1711-6 <strong>4</strong>&nbsp;Prandoni P et al.: Recurrent venous thromboembolism and bleeding complications during anticoagulant treatment in patients with cancer and venous thrombosis. Blood 2002; 100: 3484-8 <strong>5</strong>&nbsp;Hutten BA et al.: Incidence of recurrent thromboembolic and bleeding complications among patients with venous thromboembolism in relation to both malignancy and achieved international normalized ratio: a retrospective analysis. J Clin Oncol 2000; 18: 3078-83 <strong>6</strong>&nbsp;Lee AY et al.: Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer. N Engl J Med 2003; 349: 146-53 <strong>7</strong>&nbsp;Ay C et al.: Antithrombotic therapy for prophylaxis and treatment of venous thromboembolism in patients with cancer: review of the literature on current practice and emerging options. ESMO Open 2017; 2: e000188 <strong>8</strong>&nbsp;Graf L, Korte W: [Direct oral anticoagulants and drug-drug interactions]. Ther Umsch Revue Th&eacute;rapeutique 2015; 72: 99-104 <strong>9</strong>&nbsp;Posch F et al.: Treatment of venous thromboembolism in patients with cancer: a network meta-analysis comparing efficacy and safety of anticoagulants. Thromb Res 2015; 136: 582-9 <strong>10</strong>&nbsp;Young A et al.: OC-11 - anticoagulation therapy in selected cancer patients at risk of recurrence of venous thromboembolism. Thromb Res 2016; 140(Suppl 1): S172-3 <strong>11</strong>&nbsp;Young A et al.: ASH 2017, Abstract 625 <strong>12</strong>&nbsp;Raskob GE et al.: Edoxaban for the treatment of cancer-associated venous thromboembolism. N Engl J Med 2018; 378: 615-24</p> </div> </p>
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