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Besonderheiten von Hirnmetastasen

<p class="article-intro">Durch eine verbesserte Kontrolle primärer Tumorerkrankungen und längeres Überleben werden vermehrt Patienten mit Hirnmetastasen diagnostiziert. In der Schweiz und in Österreich ist mit etwa 6000 Neuerkrankungen pro Jahr zu rechnen, in Deutschland sind es zehnmal mehr. Betroffen sind hauptsächlich Patienten mit fortgeschrittenem Melanom, Lungen- und Mammakarzinom, aber auch Patienten mit Tumoren im Gastrointestinaltrakt. Um eine Therapie planen zu können, soll die individuelle Prognose eines Patienten zum Zeitpunkt des Auftretens von Hirnmetastasen mit einem Prognose-Score möglichst genau geschätzt und das Therapieansprechen nach standardisierten Kriterien beurteilt werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Neben lokalen Therapiemodalit&auml;ten (Operation, fokussierte Bestrahlung) hat auch die Systemtherapie einen Stellenwert bei Hirnmetastasen. Sie richtet sich nach der Empfindlichkeit des Prim&auml;rtumors, ber&uuml;cksichtigt aber auch erworbene Resistenzen durch Vortherapien. Die Ganzhirnbestrahlung hat inzwischen an Bedeutung verloren.</p> <h2>Individuelle Prognose nach Tumorentit&auml;t und -subtyp</h2> <p>Eine Datenbankanalyse der RTOG (Radiation Therapy Oncology Group) mit knapp 4000 Patienten war die Grundlage f&uuml;r einen Prognose-Score, der f&uuml;r die h&auml;ufigsten Tumoren, welche zu Hirnmetastasen neigen, vorliegt. Das DS-GPA (Diagnosis-Specific Graded Prognostic Assessment) ist im Internet unter www.brainmetgpa.com einfach zug&auml;nglich.<sup>1</sup><br />Die Prognose eines Patienten mit Hirnmetastasen variiert von einer Tumor(sub)-entit&auml;t zur anderen und wird durch klinische Faktoren mitbestimmt. Beim Lungenkarzinom zum Beispiel spielen das Alter des Patienten, sein Karnofsky-Performance-Status, das Ausmass der extrakraniellen Erkrankung und die Anzahl der Hirnmetastasen eine Rolle f&uuml;r die Berechnung des Scores. Vier prognostische Klassen k&ouml;nnen alleine mit diesen Faktoren berechnet werden und lassen eine Spannweite des medianen &Uuml;berlebens zwischen 3 und 14,8 Monaten erwarten. Dieselbe Studiengruppe hat k&uuml;rzlich zus&auml;tzliche molekulare Kriterien beim Lungenkarzinom definiert und zeigen k&ouml;nnen, dass Patienten mit einem NSCLC und einer EGFR- oder ALK-Alteration eine deutlich bessere Prognose aufweisen (medianes &Uuml;berleben bis 4 Jahre) im Vergleich zu solchen ohne entsprechende Marker. In der Zwischenzeit wurde der originale DS-GPA Score erweitert mit dem Lung-molGPA (Tab. 1).<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1803_Weblinks_36_1.jpg" alt="" width="1420" height="2118" /></p> <h2>RANO-Kriterien bei Hirnmetastasen</h2> <p>2015 wurden RANO(Response Assessment Neuro Oncology)-Kriterien f&uuml;r Hirnmetastasen publiziert (Tab. 2).<sup>3</sup> Die Kriterien helfen, Metastasen-bedingte von Therapie-verursachten radiologischen Ver&auml;nderungen zu unterscheiden, vermindern Fehlbeurteilungen und erm&ouml;glichen Vergleichbarkeit therapeutischer Massnahmen. Wichtige Komponenten sind das Ausmessen und Zusammenz&auml;hlen von Target-L&auml;sionen, welche mindestens 1cm L&auml;nge aufweisen, aber auch Best&auml;tigungsbilder zu definierten zeitlichen Abst&auml;nden, um Pseudoresponse und Pseudoprogression auszuschliessen. Zus&auml;tzlich werden der Steroidbedarf eines Patienten und sein klinisch-neurologischer Status ber&uuml;cksichtigt. Zystische L&auml;sionen und Resektionsh&ouml;hlen sollen nicht ausgemessen werden, ebenso sind L&auml;sionen mit nekrotischen Komponenten nur in Ausnahmef&auml;llen f&uuml;r die Response-Beurteilung zugelassen. Der Tumorload ausserhalb des ZNS wird weiterhin nach RECIST-Kriterien beurteilt.</p> <h2>Lokale Therapiemodalit&auml;ten</h2> <p>Die Resektion von Hirnmetastasen ist die bevorzugte Therapiemodalit&auml;t bei symptomatischen Metastasen mit raumfordernder Wirkung, ausgepr&auml;gter &Ouml;dembildung oder kritisch bedrohlicher Lage. Wenn kein Prim&auml;rtumor bekannt ist und eine Histologie nicht von einer anderen Lokalisation erhalten werden kann, soll die Hirnmetastase nach M&ouml;glichkeit auch reseziert werden. Eine postoperative stereotaktische Bestrahlung (SRS) senkt das Rezidivrisiko deutlich und soll bei Vorhandensein technischer Voraussetzungen bei 1&ndash;4 Metastasen angeboten werden.<br />Bei fehlender Indikation f&uuml;r eine Resektion soll eine SRS, auch bei mehreren Hirnmetastasen angeboten werden (bis 10 Hirnmetastasen). Mehrere neuere randomisierte Studien haben gezeigt, dass die Ganzhirnbestrahlung gegen&uuml;ber der SRS das Gesamt&uuml;berleben bei Hirnmetastasen nicht verbessern kann, kognitive F&auml;higkeiten verschlechtern sich jedoch bereits nach 3 Monaten. Da nur die intrazerebrale Tumorkontrolle g&uuml;nstig beeinflusst wird, verzichtet man heute eher auf eine Ganzhirnbestrahlung, ausser bei disseminierten Hirnmetastasen.<sup>4, 5</sup> An einigen Zentren wird die Hippocampus-schonende Ganzhirnbestrahlung angeboten, von der man sich weniger kognitive Einbussen erhofft. Wenn auf eine Ganzhirnbestrahlung verzichtet wird, werden regelm&auml;ssig MR-Nachkontrollen (alle 3 Monate) empfohlen mit der Option einer Salvage-Therapie. Bei Patienten mit sehr vielen Hirnmetastasen oder schlechtem Performance-Status kann eine palliative Ganzhirnbestrahlung erwogen werden, bei einem schlechten DS-GPA ist auch &laquo;best supportive care&raquo; alleine eine Option.</p> <h2>Systemtherapie</h2> <p>Es ist bekannt, dass eine intakte Blut-Hirn-Schranke (BHS) ein Hindernis f&uuml;r eine Systemtherapie in pr&auml;ventiver Absicht darstellen kann, hingegen ist die BHS bei manifesten Hirnmetastasen nicht mehr funktionell und auch schwerere Molek&uuml;le (z.B. Antik&ouml;rper) erreichen zumindest das Zentrum einer Metastase. Allerdings ist zu beachten, dass Hirnmetastasen einiger Tumorentit&auml;ten nicht abgegrenzt, sondern infiltrativ ins gesunde Hirnparenchym wachsen, &auml;hnlich den Gliomen. Dies gilt insbesondere f&uuml;r Lungenkarzinommetastasen (SCLC und NSCLC) und f&uuml;r Melanommetastasen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass eine Systemtherapie in der Infiltrationszone nicht wirken kann, da dort die BHS noch intakt ist.<sup>6</sup> Ein weiteres Problem f&uuml;r die Systemtherapie ist die &laquo;branched evolution&raquo; von Metastasen im Gehirn. Der Prim&auml;rtumor und die Hirnmetastasen zeigen genetisch unterschiedliche Alterationen (sogenannte &laquo;private Mutationen&raquo;), welche wiederum nicht identisch sein m&uuml;ssen mit anderen Metastasen in der Peripherie, die somit kein gut zug&auml;ngliches Surrogat f&uuml;r die Therapiewahl darstellen.<sup>7</sup> Hirnmetastasen scheinen unter sich aber dieselben Alterationen zu haben. Eine Konkordanz von Biomarkern (z.B. Hormonrezeptoren, HER2-Status, PD-L1) zwischen dem Prim&auml;rtumor und den Hirnmetastasen ist nicht immer gegeben. Die Gewinnung einer neuen Histologie oder einer &laquo;liquid biopsy&raquo; (aus dem Liquor) sind hier, falls durchf&uuml;hrbar, w&uuml;nschenswert.<br />Das Gehirn wurde lange als immunprivilegierter Ort betrachtet. Im Bereich des Plexus choroideus gibt es aber ein sogenanntes &laquo;immunomodulating gate&raquo;, &uuml;ber dessen Epithel selektiver Immunzelltransport m&ouml;glich scheint, und zwar unabh&auml;ngig von einem entz&uuml;ndlichen Zustand. Somit ergeben sich M&ouml;glichkeiten f&uuml;r Immuntherapien, deren Wirksamkeit auch bei Vorliegen von Hirnmetastasen k&uuml;rzlich in Studien gezeigt werden konnte.<sup>8</sup><br />Das sind die wichtigsten Erkenntnisse in letzter Zeit im Hinblick auf Erwartungen an eine erfolgreiche Systemtherapie bei Hirnmetastasen. W&auml;hrend die Prophylaxe von Hirnmetastasen mit Systemtherapien bislang schwierig war, erwarten wir diesbez&uuml;glich Verbesserungen mit &laquo;Next generation&raquo;-Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), welche eine intakte BHS &uuml;berwinden k&ouml;nnen.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Die Medikamentenwahl bei manifesten, jedoch noch asymptomatischen Hirnmetastasen richtet sich nach der Sensitivit&auml;t und den erworbenen Resistenzen des Prim&auml;rtumors. Am eindr&uuml;cklichsten sehen wir g&uuml;nstige Verl&auml;ufe beim ALK-positiven NSCLC, wo das mediane &Uuml;berleben mit Hirnmetastasen bereits 4 Jahre erreicht hat.<sup>9</sup><br />Medikamente, welche am Gef&auml;sskompartiment angreifen, wirken unabh&auml;ngig von einer intakten BHS. F&uuml;r Bevacizumab gibt es inzwischen gen&uuml;gend Evidenz, dass keine Sicherheitsprobleme bei Hirnmetastasen bestehen, in Einzelf&auml;llen kann eine l&auml;nger dauernde Symptomfreiheit durch Beeinflussung des Hirn&ouml;dems vor allem bei Radionekrosen erreicht werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Sperduto PW et al.: Summary report on the graded prognostic assessment: an accurate and facile diagnosis-specific tool to estimate survival for patients with brain metastases. J Clin Oncol 2012; 30(4): 419-25 <strong>2</strong> Sperduto PW et al.: Estimating survival in patients with lung cancer and brain metastases. An update of the graded prognostic assessment for lung cancer using molecular markers (Lung-molGPA). JAMA Oncol 2017; 3(6): 827-31 <strong>3</strong> Lin NU et al.: Response assessment criteria for brain metastases: proposal from the RANO group. Lancet Oncol 2015; 16: e270-8 <strong>4</strong> Kocher M et al.: Adjuvant whole-brain radiotherapy versus observation after radiosurgery or surgical resection of one to three cerebral metastases: results of the EORC 22952-26001 study. J Clin Oncol 2011; 29(2): 134-41 <strong>5</strong>&nbsp;Brown PD et al.: Effect of radiosurgery alone vs. radiosurgery with whole brain radiation therapy on cognitive function in patients with 1 to 3 brain metastases: a randomized clinical trial. JAMA 2016; 316(4): 401-09 <strong>6</strong>&nbsp;Siam L et al.: The metastatic infiltration at the metastasis/brain pa&shy;renchyma-interface is very heterogeneous and has a significant impact on survival in a prospective study. Oncotarget 2015; 6(30): 29254-67 <strong>7</strong>&nbsp;Brastianos PK et al.: Genomic characterization of brain metastases reveals branched evolution and potential therapeutic targets. Cancer Discov 2015; 5(11): 1164-77 <strong>8</strong>&nbsp;Goldberg S et al.: Pembrolizumab for patients with melanoma or non-small-cell lung cancer and untreated brain metastases: early analysis of a non-randomised, open-label, phase 2 trial. Lancet Oncol 2016; 17: 976-83 <strong>9</strong>&nbsp;Johung KL et al.: Extended survival and prognostic factors for patients with ALK-rearranged non-small-cell lung cancer and brain metastasis. J Clin Oncol 2016; 34(2): 123-9</p> </div> </p>
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