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DGP 2018

Palliativmedizin bei fortgeschrittener und terminaler COPD

<p class="article-intro">Bedingt durch ihren phasenhaften Verlauf stellt die COPD andere Anforderungen an die Palliativmedizin als etwa terminale Tumorerkrankungen. Dennoch sollte die Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener und terminaler COPD so interdisziplinär und so zeitig wie möglich angewendet werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In der Palliativmedizin stehen die Ziele und W&uuml;nsche des Patienten im Vordergrund. Gemeinsam mit der Familie und den Angeh&ouml;rigen soll die bestm&ouml;gliche Lebensqualit&auml;t erhalten werden.</li> <li>Unsicherheiten auf Patientenund &Auml;rzteseite f&uuml;hren dazu, dass zu wenige COPD-Patienten der Palliativmedizin zugef&uuml;hrt werden.</li> <li>Patienten und deren Angeh&ouml;rige sollten in Intervallen &uuml;ber den Erkrankungsverlauf sowie die Behandlungsoptionen aufgekl&auml;rt werden.</li> <li>Bei fortschreitender, deutlich symptomlastiger Erkrankung sollte dem Patienten bereits die Palliativmedizin zur Verf&uuml;gung stehen und ein interdisziplin&auml;res Behandlungsteam sollte ihn von Anfang an (mit)betreuen.</li> </ul> </div> <p>Palliativmedizin ist die umfassende Betreuung von Patienten, deren Erkrankung nicht auf kurative Behandlung anspricht. Sie ist die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung. Die Beherrschung von Krankheitssymptomen, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen hat h&ouml;chste Priorit&auml;t. Ziel ist der Erhalt der bestm&ouml;glichen Lebensqualit&auml;t, nicht die Verl&auml;ngerung der Lebenszeit um jeden Preis. Ziele und W&uuml;nsche des Patienten stehen im Vordergrund. Wichtig ist die Einbeziehung der Familie und der Angeh&ouml;rigen.</p> <p>Zum Behandlungskonzept der Palliativmedizin geh&ouml;ren die qualifizierte Schmerzbehandlung, die begleitende Symptomtherapie, die individuelle Palliativpflege, die begleitenden Dienste mit Physiotherapie, Sozialdienst, Seelsorge, Psychoonkologie und ehrenamtlichem Hospizdienst einschlie&szlig;lich einer Trauerbegleitung.</p> <p>Analog zur Einbeziehung der Palliativmedizin bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, bei der es gute Erfolge gibt, sollte die Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener und terminaler COPD so interdisziplin&auml;r und so zeitig wie m&ouml;glich angewendet werden.</p> <p>Wir haben es bei der COPD mit einer Volkskrankheit zu tun. Etwa 6 bis 8 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer COPD, j&auml;hrlich sterben ca. 35 000 Menschen daran. H&auml;ufig liegt Multimorbidit&auml;t vor mit schweren kardiovaskul&auml;ren Begleiterkrankungen, Diabetes, Osteoporose oder Depressionen. Der Krankheitsverlauf der COPD ist schleichend, er beginnt h&auml;ufig in &uuml;berwiegend asymptomatischen bzw. &bdquo;bronchitischen&ldquo; Stadien &uuml;ber Phasen mit Husten und Auswurf sowie zili&auml;rer Dysfunktion. Der Beginn bronchialer Obstruktion, der zunehmende Umbau bronchialer Strukturen, der Verlust von Alveolarfl&auml;che und schlie&szlig;lich die Ausbildung einer Lungen&uuml;berbl&auml;hung und die St&ouml;rung des pulmonalen Gasaustausches werden h&auml;ufig erst sp&auml;t wahrgenommen bzw. diagnostiziert. Cor pulmonale, Hypox&auml;mie und Hyperkapnie sind bereits Zeichen einer weit fortgeschrittenen Erkrankung.</p> <p>Palliativmedizin bei chronischen pulmonalen oder anderen Organerkrankungen ist anders zu verstehen als bei prim&auml;r b&ouml;sartigen Erkrankungen, bei denen es einen &bdquo;eindeutigeren Schnitt&ldquo; gibt. Organerkrankungen verlaufen h&auml;ufig phasenhaft, es gibt z.T. dramatische Einbr&uuml;che, z.B. im Rahmen der Exazerbationen, von denen sich die Patienten wieder gut erholen k&ouml;nnen und dann &uuml;ber l&auml;ngere Zeit zwar auf etwas niedrigem Niveau, aber sonst noch selbstbestimmt ihr Leben fortsetzen. Ziel sollte es sein, dass Palliativmedizin bereits bei fortschreitender Erkrankung, die schon deutlich symptomlastig ist, f&uuml;r Patienten zur Verf&uuml;gung steht, um erst recht dann eingesetzt werden zu k&ouml;nnen, wenn die Patienten tats&auml;chlich in der Terminalphase sind. Dies erfordert ein interdisziplin&auml;res Behandlungsteam, das die Patienten von Anfang an &uuml;ber den ganzen Behandlungszeitraum (mit)betreut.</p> <p>Bei der palliativen Betreuung von onkologischen Patienten konnte bewiesen werden, dass Patienten, die einer fr&uuml;hen palliativen F&uuml;hrung unterzogen wurden, eine signifikante Verl&auml;ngerung der &Uuml;berlebenszeit hatten und am Lebensende eine wesentlich bessere Lebensqualit&auml;t aufwiesen, weniger Angst und Depressionen hatten und viel h&auml;ufiger zu Hause sterben konnten.<sup>1</sup></p> <p>Einen gro&szlig;en &Uuml;berblick &uuml;ber die Literatur zum Thema &bdquo;Palliative and end-oflife care conversations in COPD&ldquo; haben Tavares et al. zusammengetragen.<sup>2</sup> Vor dem Hintergrund, dass zwar signifikante Daten vorliegen, die f&uuml;r einen zeitigen Einsatz von Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener COPD sprechen, war es dennoch f&uuml;r sie entt&auml;uschend, wie wenig &Auml;rzte tats&auml;chlich Patienten in die Palliativmedizintherapie eingeschlossen haben. Das lag auf Patientenseite an Unwissen &uuml;ber ihre Erkrankung und Unsicherheit in Bezug auf den Erkrankungsverlauf sowie an Unwissen &uuml;ber die Inhalte von Palliativmedizin. Die &Auml;rzte wussten nicht genau, wann der richtige Zeitpunkt sei, Palliativmedizin zu beginnen, und wie man die Patienten darin einschlie&szlig;en k&ouml;nnte. Von Vorteil f&uuml;r beide Seiten war, wenn beide schon einmal gute Erfahrungen mit Palliativmedizin bei fortgeschrittener COPD bei anderen Patienten gemacht hatten und insgesamt ein gutes Arzt-Patienten- Verh&auml;ltnis bestand.</p> <p>Auch wurde in der &Uuml;bersicht klar, dass sich Patienten h&auml;ufig mit den Fragen des Sterbens auf der Intensivstation und am Beatmungsger&auml;t besch&auml;ftigten, aber viele andere Fragen zum Leben und Lebensende, zu ihren wirklichen W&uuml;nschen und zu vielem mehr offenblieben.</p> <p>B&uuml;kki und Bausewein fragten Palliativpatienten, wo sie bevorzugt sterben w&uuml;rden. 34 % der Befragten benannten als bevorzugten Sterbeort ihr Zuhause, tats&auml;chlich starben aber 38 % im Krankenhaus und nur 18 % zu Hause.<sup>3</sup></p> <p>Es gibt gro&szlig;e Anstrengungen, das Palliativkonzept f&uuml;r Patienten mit terminaler COPD wirklich umzusetzen. Ein neues Modell zeigen Vermylen et al., die ganz klar darstellen, dass neben einer grundlegenden medizinischen Behandlung sehr zeitig eine spezielle unterst&uuml;tzende palliative Therapie als Basiselement greifen muss.<sup>4</sup> Au&szlig;erdem sollte zeitig eine pulmonale Rehabilitation eingesetzt werden und parallel bereits bei therapierefrakt&auml;rer Dyspnoe eine entsprechende pharmakologische Therapie erfolgen. Parallel zu dem gesamten Behandlungsprozess sind zunehmend Kommunikation, vorausschauende Planung, Krankheitsmanagement und Koordination essenziell. Die Patienten und ihre Angeh&ouml;rigen sollten in einer Art &bdquo;Zukunftsgespr&auml;ch&ldquo;, das mehrzeitig erfolgen sollte, &uuml;ber die Erkrankung, ihre Diagnose, den Verlauf und die Behandlung aufgekl&auml;rt werden. Sie brauchen einen Behandlungsplan und es muss auch klar dar&uuml;ber gesprochen werden, wie man sterben k&ouml;nnte. Die medizinischen Ziele wie die Linderung der Atemnot, die Verbesserung der Funktionalit&auml;t und die Verbesserung der Lebensqualit&auml;t m&uuml;ssen definiert werden und f&uuml;r den Notfall muss ein &bdquo;Notfallplan&ldquo; erstellt werden. Mit den Patienten m&uuml;ssen auch die Ziele, die Pr&auml;ferenzen und W&uuml;nsche f&uuml;r das Lebensende besprochen werden, die in eine Patientenverf&uuml;gung m&uuml;nden sollten. Am Ende dieses Gespr&auml;ches sollte ganz klar hinterfragt werden, ob auch alles geh&ouml;rt und verstanden wurde.<sup>5, 6</sup></p> <p>Dass so ein Konzept der fr&uuml;hen palliativen F&uuml;hrung gut funktionieren kann, haben Higginson und Bausewein 2014 in einer Studie ganz klar zeigen k&ouml;nnen.<sup>7</sup> 53 Patienten, denen sie einen &bdquo;breathlessness support service&ldquo; zur Seite stellten, hatten im Vergleich zu nach &bdquo;Standard&ldquo; versorgten Patienten wesentlich bessere Befindensdaten.</p> <p>In der Praxis stellt sich tats&auml;chlich immer wieder die Frage, wann man mit der palliativen F&uuml;hrung beginnt. Screeningfragen k&ouml;nnten sein: Liegt eine fortgeschrittene chronische Erkrankung, eine progrediente lebensbedrohende Erkrankung oder beides vor? W&auml;ren Sie &uuml;berrascht, wenn der Patient in den kommenden 6 bis 12 Monaten versterben w&uuml;rde? Wenn nicht, dann werden andere klinische Indikatoren bem&uuml;ht wie schlechter Funktionszustand, eingeschr&auml;nkte Selbstversorgung (Zubringen im Bett oder auf einem Stuhl mehr als 50 % des Tages), allgemeine Verschlechterung oder stetiger Gewichtsverlust (&gt;10 % in den letzten 6 Monaten), mehr als zwei ungeplante Krankenhauseinweisungen in den letzten 6 Monaten oder zunehmender Betreuungsbedarf im Pflegeheim oder zu Hause.<br /> Daneben gibt es krankheitsspezifische Indikatoren wie schwere Obstruktion (FEV<sub>1</sub> &lt;30 % ) oder Restriktion (Vitalkapazit&auml;t &lt;60 % , Transferfaktor &lt;40 % ), Indikation zur Sauerstofflangzeittherapie (pO<sub>2</sub> &lt;55mmHg), Dyspnoe bei Belastung im exazerbationsfreien Intervall, schwere therapierefrakt&auml;re Symptomatik, symptomatische Herzinsuffizienz, Body-Mass- Index &lt;21, Zunahme notfallm&auml;&szlig;iger station&auml;rer Aufnahmen wegen Infektexazerbation und/oder respiratorischer Insuffizienz.<sup>3</sup></p> <p>Die medikament&ouml;se palliative Therapie erfolgt nach Aussch&ouml;pfung von Bronchodilatatoren (Betasympathomimetika, Anticholinergika), systemischen und inhalativen Glukokortikoiden, von Roflumilast, Acetylcystein und anderen Broncholytika, von Inhalationen mit 3 % iger Kochsalzl&ouml;sung und Berodual-Fertiginhalationen, Nahrungserg&auml;nzungen, Ern&auml;hrungstherapie, intensiver Physiotherapie. Mittel der Wahl zur Therapie der Dyspnoe sind schlie&szlig;lich Opioide, f&uuml;r die es die besten Daten gibt. Sie k&ouml;nnen individuell oral oder parenteral eingesetzt werden. Eine Titration muss erfolgen, h&auml;ufig sind 20mg Morphin pro Tag ausreichend. Opiate haben insbesondere bei immer vordergr&uuml;ndiger werdender Luftnot sowie Angstzust&auml;nden und Depression ihren Stellenwert, gefolgt von Benzodiazepinen, trizyklischen Antidepressiva und Neuroleptika.<sup>8, 3</sup> Sauerstoff hat ebenso seinen Stellenwert und sollte entsprechend den Leitlinien und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), aber durchaus auch der palliativen Situation angepasst, eingesetzt werden. In fortgeschrittenen Phasen kann Sauerstoff eher zu einer Austrocknung der Nasenschleimhaut f&uuml;hren, sodass mitunter Handventilatoren, frische Luft durch ein ge&ouml;ffnetes Fenster bzw. freie Sicht f&uuml;r den Patienten in der palliativen Situation hilfreicher sind.</p> <p>Hohen Stellenwert haben physiotherapeutische Ma&szlig;nahmen, neuromuskul&auml;re Stimulation und Lagerungstechniken. Mitmenschliche Zuwendung, einfaches Zuh&ouml;ren und menschliche N&auml;he sind durch nichts zu ersetzen.</p> <p>&Auml;hnlich wie in der Onkologie sollten im Rahmen eines vorausschauenden Konzeptes in der palliativen Versorgung bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittener COPD ein Palliativmediziner, ein Pneumologe, gegebenenfalls ein Arzt mit Zusatzqualifikation f&uuml;r Naturheilkunde und Akupunktur, eine Krankenschwester mit &bdquo;Palliative care&ldquo;-Ausbildung und einer Ausbildung in aktivierender therapeutischer begleitender Pflege, eine Ern&auml;hrungsberaterin, eine Physiotherapeutin und andere auf die Atemtherapie und auf Lungensport spezialisierte Teammitglieder sowie ein Sozialarbeiter, ein Psychoonkologe, ein Seelsorger und Hospizbedienstete in das Betreuungskonzept, das sowohl im station&auml;ren als auch im ambulanten Versorgungsraum greifen sollte, einbezogen werden. Das erfordert wiederum eine enge Zusammenarbeit mit den niedergelassenen &Auml;rzten und Teammitgliedern, umfassende Informationen, Beratungen, ein funktionierendes &Uuml;berleitungsmanagement und auch das Wissen aller Beteiligten um die m&ouml;glichen Strukturen, die f&uuml;r den Patienten in der Region zur Verf&uuml;gung stehen, damit hier die Patientenautonomie so weit wie m&ouml;glich unterst&uuml;tzt werden kann.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Tempel JS et al.: N Engl J Med 2 010; 3 63: 7 33-42 <strong>2</strong> Tavares N et al.: ERJ Open Res 2017; 3. pii: 00068-2016 <strong>3</strong> B&uuml;kki J et al.: Palliativmed 2013; 14: 257-67 <strong>4</strong> Vermylen JH et al.: Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2015; 10: 1543-51 <strong>5</strong> Thomas S et al.: Eur J Oncol Nurs 2011; 15(5): 459-69 <strong>6</strong> Weixler D: End of life Care bei COPD (Vortrag). 1. Internationale Sylter Palliativtage, 15. Mai 2012 <strong>7</strong> Higginson IJ et al.: Lancet Respir Med 2014; 2: 979-87 <strong>8</strong> Magnussen H et al.: Pneumologie 2009; 63: 289-95 &bull; Pinnock H et al.: BMJ 2011; 342: d142 &bull; Seamark DA et al.: J R Soc Med 2007; 100: 225-33</p> </div> </p>
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