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10 Jahre Vulvaerkrankungen

Ein vernachlässigtes Organ rückt in den Fokus

<p class="article-intro">War die Vulva in der Vergangenheit ein Mysterium, zu dem es wenig gute Weiterbildungen und Literatur gab, so ist dieses Organ durch das Bedürfnis einer jüngeren Generation an Gynäkologen, die Bildung von Selbsthilfegruppen und nicht zuletzt auch durch die Laienpresse heute viel mehr präsent. Längst gibt es vielerorts spezialisierte interdisziplinäre Sprechstunden, und Vulvaerkrankungen werden als Hauptthema bei Symposien aufgenommen. Dennoch gibt es bei vielen alltäglichen Symptomen in der Praxis viele Unklarheiten und die rasant ansteigende Inzidenz des Vulvakarzinoms und seiner Vorstufen konfrontiert uns mit Unsicherheit hinsichtlich Präventionsstrategien.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Was war gestern aktuell?</h2> <p>Vulvaerkrankungen wurden meist wenig differenziert betrachtet, die Vulva war selten Gegenstand wissenschaftlicher Fragestellungen und allzu leichtfertig wurden Symptome mit Pilzinfektionen oder hormonellen Umstellungen in Zusammenhang gebracht. Wenn die Salben gegen Pilzerkrankungen oder die lokal applizierten &Ouml;strogene nicht halfen, dann konnte noch ein Dermatologe konsultiert werden. Ein Mapping der Vulva mit multiplen Biopsien war vor wenigen Jahren noch sehr verbreitet. Das Vulvakarzinom war eine Rarit&auml;t und betraf fast ausschliesslich &auml;ltere Frauen. Beschwerden an der Vulva bei der postmenopausalen Frau wurden als vulvovaginale Atrophie zusammengefasst und man war &uuml;berzeugt, dass eine Hormonersatztherapie hier Besserung bringt. Die Vulva wurde im klinischen Alltag der Gyn&auml;kologie oft nicht routinem&auml;ssig untersucht, an der Universit&auml;t und an Symposien wurden &uuml;berwiegend die klassischen Krankheitsbilder der Venerologie behandelt. Vulvasprechstunden und internationale Arbeitsgruppen gab es nur vereinzelt, meist wurden Vulvaerkrankungen in Dysplasiesprechstunden behandelt oder leider auch h&auml;ufig &uuml;bersehen, weil sie nicht Gegenstand der Ausbildung waren. Die Vulva existierte medizinisch praktisch kaum oder wenn, dann als &auml;usserer Teil der Vagina.</p> <h2>Was ist heute aktuell?</h2> <p>Durch sehr unterschiedliche Aufkl&auml;rungskampagnen, aufgrund feministischer Bewegungen oder auch Arbeitsgruppen gegen Genitalbeschneidung sowie des vereinfachten Zugangs zu Medien und damit insbesondere der Pornographie, hat sich die Anschauung der Vulva in den letzten Jahren ver&auml;ndert. Kurzweilig sind die B&uuml;cher zur Vulva von Mithu Sanyal (2009 erschienen) und Liv Str&ouml;mquist (2017 erschienen), die sich dem Organ auf historisch- wissenschaftliche und auch soziokulturelle Art widmen. Der sehr facettenreiche und wertungsfrei gestaltete Dokumentarfilm &laquo;Vulva 3.0&raquo; betrachtet die Welt der Vulva aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und stimmt nachdenklich. Fach&auml;rzte f&uuml;r plastische Chirurgie legen den Standard der Normvulva fest und publizieren ihre Ergebnisse zu Korrekturoperationen, w&auml;hrend gyn&auml;kologische Fachgesellschaften dringend vor solchen Korrekturoperationen abraten. In einer Umfrage der Frauenklinik des Luzerner Kantonsspitals konnten wir feststellen, dass Frauen &uuml;ber 50 Jahre in weniger als 20 % der F&auml;lle ihr &auml;usseres Genitale korrekt benennen k&ouml;nnen, bei jungen Frauen zwischen 15 und 34 Jahren sind es immerhin knapp 40 % (Abb. 1). Zudem eroberten Pflege- und Hygieneprodukte wie auch Schmuck den Markt f&uuml;r den Intimbereich, was zu neuen Problemen in Form von Ekzemen und Lichen simplex chronicus, basierend auf gesteigerter K&ouml;rperhygiene und Kontaktallergenen, f&uuml;hrte. Der rezeptfreie Zugang zu Arzneimitteln gegen Pilze oder Kombinationspr&auml;paraten f&uuml;hrte zur Resistenzentwicklung und potenziell zur Verschleppung der Diagnose anderer Erkrankungen. Ver&auml;nderte Sexualpraktiken sind daf&uuml;r verantwortlich, dass HPV-assoziierte Pr&auml;kanzerosen im Genitalbereich erheblich zugenommen haben. Das Pendant dazu findet sich in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde beim HPV-assoziierten Larynxkarzinom, ein prominentes Beispiel mit dieser Erkrankung ist Michael Douglas.<br /> Auch das Vulvakarzinom ist eines der Malignome mit der am schnellsten ansteigenden Inzidenz weltweit, und zwar beide Varianten, HPV- und Lichen-sclerosusassoziiert.<br /> Das Bed&uuml;rfnis nach Verbesserung der Diagnostik und Therapie vonseiten der Patientinnen wie auch von &auml;rztlicher Seite f&uuml;hrte zu einer raschen Entwicklung in der Gyn&auml;kologie. Dermatologie und Gyn&auml;kologie sind einander n&auml;her gekommen und vielerorts werden Kooperationen gepflegt und interdisziplin&auml;re Sprechstunden angeboten. Auch hat sich die Qualit&auml;t der Ausbildung und der vorhandenen Fachliteratur deutlich verbessert. Der Zugang zu Leitlinien in der Behandlung von Vulvaerkrankungen wurde dank Internet vereinfacht und die Qualit&auml;t dieser Leitlinien folgt hohen Anspr&uuml;chen. Gab es bis vor wenigen Jahren nur eine Selbsthilfegruppe f&uuml;r Vulvamalignome, so bestehen inzwischen Gruppen f&uuml;r Vulvodynie wie auch f&uuml;r Lichen sclerosus (www.lichensclerosus. ch). Beckenbodensymposien widmen sich interdisziplin&auml;r auch der Vulva und Physiotherapeutinnen wie auch Sexualtherapeutinnen geh&ouml;ren in das Kooperationsnetzwerk von Vulvasprechstunden. Die Bereitschaft von niedergelassenen Gyn&auml;kologen, betroffene Frauen zur Zweitmeinung in eine Spezialsprechstunde zu schicken, ist viel gr&ouml;sser geworden. Insofern sind Gyn&auml;kologen l&auml;ngst sensibilisiert f&uuml;r Erkrankungen der Vulva und sie haben den Anspruch, weiterhelfen zu wollen, sei es durch Weiterbildung und Verbesserung der eigenen Kompetenz oder durch Anbindung an eine spezialisierte Sprechstunde. Es erfolgte zudem eine Vereinheitlichung der Nomenklatur bei den Pr&auml;kanzerosen seitens der federf&uuml;hrenden internationalen Gesellschaften wie WHO und ISSVD, sodass den Frauen unn&ouml;tige Biopsien und &Uuml;bertherapien erspart werden (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s8_abb1.jpg" alt="" width="1051" height="753" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s9_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="884" /></p> <h2>Was wird in Zukunft aktuell sein?</h2> <p>Die wesentliche und dringliche Herausforderung an die Gyn&auml;kologie besteht in der Etablierung und Validierung einer Fr&uuml;herkennung von chronischen Erkrankungen der Vulva und der Pr&auml;vention von Malignomen und deren Pr&auml;kanzerosen. Zur Pr&auml;vention von HPV-assoziierten L&auml;sionen k&ouml;nnte neben der Impfung ein HPV-basiertes Screening analog zum Zervixkarzinom eine Option sein. F&uuml;r die Lichen- sclerosus-assoziierten Malignome scheinen nach Daten aus Australien eine Fr&uuml;herkennung und eine Erhaltungstherapie mit Kortikoiden pr&auml;ventiv zu sein, eine Bestimmung der p53-Mutation w&uuml;rde helfen, die Patientinnen mit Risiko f&uuml;r Malignome zu erkennen. Allerdings ist die Fr&uuml;hdiagnostik des Lichen sclerosus noch immer eine Herausforderung, f&uuml;r den Kliniker ebenso wie f&uuml;r den Pathologen. Zwar kann ein Score die Wahrscheinlichkeit f&uuml;r einen Lichen sclerosus ermitteln und den Frauen oft eine Biopsie ersparen, es m&uuml;ssen aber bereits deutliche Ver&auml;nderungen am Genitale vorliegen, um eine Diagnose stellen zu k&ouml;nnen (Tab. 2).<br /> Die Vulva wird sich als eigenst&auml;ndiges Organ mehr in der kulturellen Wahrnehmung behaupten, allerdings h&auml;lt sie ihren Einzug in die Aufkl&auml;rung oder den Sexualunterricht nur z&ouml;gerlich. F&uuml;r die &Auml;rzte gibt es durchaus noch Basisarbeit zu leisten, wie z.B. die Erstellung eines Leitfadens zur Diagnostik, auch wenn sich die Fachliteratur zur Vulva in den letzten Jahren bereits deutlich verbessert hat. Interdisziplin&auml;re Sprechstunden werden sich zunehmend etablieren, da viele Vulvaerkrankungen mit Ver&auml;nderungen der Haut auch ausserhalb des Genitales einhergehen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s9_tab2.jpg" alt="" width="1418" height="1304" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Kreklau A et al.: 2018, eingereicht zur Publikation <strong>2</strong> G&uuml;nthert AR et al.: Physician-administered clinical score of vulvar lichen sclerosus: a study of 36 cases. J Sex Med 2012; 9(9): 2342-50 <strong>3</strong> Naswa S, Marfatia YS: Physician-administered clinical score of vulvar lichen sclerosus: a study of 36 cases. Indian J Sex Transm Dis 2015; 36(2): 174-7</p> </div> </p>
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