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Der Hausarzt im Spannungsfeld
DAM
Autor:
Dr. Angelika Reitböck
Ärztin für Allgemeinmedizin,<br> Fachärztin für Dermatologie<br> Steyrling<br> E-Mail: ordination@angelikareitboeck.com
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Kaum ein wacher Zeitgenosse, ob Bürger, Patient oder im Gesundheitswesen Tätiger, wird heutzutage bestreiten, dass der Beruf des Allgemeinmediziners in der Kassenpraxis eine vom Aussterben bedrohte Spezies darstellt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Gründe dafür sind vielschichtig und bestehen aus extrinsischen und intrinsischen Parametern.<br /> Wenden wir uns als Erstes den extrinsischen Parametern zu. Hier muss zu Beginn die Politik genannt werden, die es sich in den letzten fünfzehn Jahren auf ihre Fahnen geschrieben hat, mit dementsprechenden „Gesundheitsreformen“ alles viel besser zu machen und damit die nachhaltige medizinische Versorgung der Bevölkerung auf einem preiswerten und hohen Niveau zu sichern. Wir hören in unregelmäßigen Abständen Slogans wie: „Wir müssen den niedergelassenen Bereich stärken!“ Ein Statement, das sich gut anhört. In scharfem Kontrast dazu vernehmen wir aber von Politik und Hauptverband zwischendurch auch immer wieder andere Töne, die an Lautstärke zunehmen. Töne, die nicht unsere tägliche intensive medizinische Arbeitstätigkeit an vorderster Front in den Mittelpunkt stellen, sondern uns in erster Linie als „Kostenverursacher“ definieren und die danach trachten, unter dem Mäntelchen eines trendigen Zeitgeistes, uns als „Gesundheitsdienstanbieter“ auf Augenhöhe mit anderen Gesundheitsberufen zu installieren. Dabei versteht es sich jedoch von selbst, dass trotz aller Nivellierungsbestrebungen die Verantwortung für alle behandlungsrelevanten Handlungsabläufe zu 100 % bei uns bleibt! Wie steht es aber mit dem fachlichen Hintergrund mancher Entscheidungsträger in unserem Gesundheitssystem? Dazu ein Zitat des nach 23 Jahren scheidenden ÖVPGesundheitssprechers und Nationalrats Dr. Erwin Rasinger (Ärztezeitung 23/24, 15. 12. 2017; S24): „Im Justizministerium kann nur jemand, der die Prüfung für die Funktion eines Richters, Staatsanwaltes oder die Rechtsanwaltsprüfung gemacht hat, einen Job kriegen. Diese Anforderungen gibt es für das Gesundheitsministerium nicht. Dort sind Ärzte kaum vorhanden. Wie auch in der übrigen Politik.“<br /> Eine weitere zunehmende Hürde, genügend Allgemeinmediziner einzusetzen, liegt in Ausbildung und Ausbildungsqualität. Durch das neue Arbeitszeitgesetz sind die Kollegen viel kürzer als früher im Krankenhaus, müssen aber zeitverdichtet dennoch unter erhöhten Anstrengungen ihre Aufgaben erfüllen. Dies führt dazu, dass für Begleitung und Ausbildung von jungen Kollegen immer weniger Zeit übrig bleibt. Zudem kam es in den letzten Jahren zu einer ausgeprägten Reduktion von Ausbildungsplätzen für Allgemeinmediziner. Dafür sind hauptsächlich zwei Gründe zu nennen: Erstens wurde ein erheblicher Teil von Ausbildungsplätzen für Allgemeinmediziner durch Stellen für Pflegepersonal ersetzt, damit dieses, den neuen Anforderungen gerecht, vermehrt Arbeitsübertragungen von vormalig den ärztlichen Bereichen zugeordneten Tätigkeiten durchführen kann. Ein weiterer signifikanter Teil der Ausbildungsplätze für Allgemeinmediziner wurde an den Abteilungen in Facharztausbildungsstellen umgewandelt. Dies ermöglichte, das Arbeitszeitgesetz und die damit einhergehende Intensivierung der zu verrichtenden Arbeit einzuhalten. Zudem wäre es an den meisten Abteilungen ohne zusätzliche Fachärzte unmöglich, das erforderliche Dienstrad und die ärztlichen Bereitschaften zu bestreiten. Ein Turnusarzt in Ausbildung zum Allgemeinmediziner ist aus besagten Gründen und der geringeren fachlichen Kompetenz für eine Fachabteilung daher bei Weitem nicht so wertvoll wie ein Assistenzarzt in Ausbildung zum Facharzt. Ein Assistenzarzt wird nach Beendigung seiner Ausbildung eventuell auch in weiterer Folge im Krankenhaus bleiben und damit auch langfristig mehr für seine Abteilung einbringen.<br /> Dahingehend gehören Stellenplan und Ausbildungspläne überarbeitet, um einen ausreichenden Nachschub an zukünftigen Allgemeinmedizinern zu garantieren. Um auch die dringend nötige formale Aufwertung und Wertschätzung zu ermöglichen, soll die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin der Facharztausbildung adäquat sein.<br /> Um junge Kollegen für eine mögliche zukünftige Tätigkeit als Hausarzt begeistern zu können, ist es unbedingt erforderlich, die Lehrpraxis zu stärken und zu ermöglichen. Hier können in Zusammenarbeit mit erfahrenen Kollegen wertvolle Einblicke in die Arbeitswelt des Allgemeinmediziners gewonnen werden. Nur so kann Begeisterung für die abwechslungsreiche Tätigkeit als „family doctor“ geschürt werden. Dies erfordert innovative Finanzierungsmodelle, die den Praxisinhaber weitgehend entlasten und ihn nicht zusätzlich neben dem vermehrten Arbeitsaufwand durch Erklärungen, Nachbesprechungen, Überwachung und Aufteilung von Arbeitsabläufen belasten. Dieser Weg wurde von einzelnen Bundesländern schon erkannt und erfolgreich beschritten.<br /> Auch einige intrinsische Parameter sind einer erfolgreichen und zufriedenstellenden Tätigkeit als Allgemeinmediziner in der Rolle des Hausarztes mehr als abträglich.<br /> Wir verfügen über ein antiquiertes Honorierungssystem mit völlig überholten Leistungslimitierungen. Diese Tatsache wird auch als wesentlicher Punkt von Medizinstudenten genannt, den Beruf eines Hausarztes nicht zu ergreifen. Deshalb sollte die Honorierung der Allgemeinmediziner auch der der Facharztkollegen angeglichen werden, um dem Inhalt der medizinischen Tätigkeit und der damit notwendigen Wertschätzung gerecht zu werden.<br /> Eindämmung einer völlig überbordenden Bürokratie mit unzähligen divergierenden Details in Abrechnungsmodalitäten und diversen Verschreibungsmodalitäten in Zusammenarbeit mit den diversen Krankenkassen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht allgemein ein Bürokratieabbau gefordert wird, und kaum ein Tag vergeht, an dem wir im Alltag nicht mit neuen, zum Teil kleinlichen Details und Änderungen in unserer administrativen Tätigkeit konfrontiert werden. Damit wird unsere ärztliche Tätigkeit unnötig immer wieder massiv erschwert und belastet.<br /> Viele junge Kollegen wollen zusammenarbeiten und keine Einzelkämpfer sein. Ein hoher finanzieller Aufwand bei Beginn der Tätigkeit und die vorhersehbar hohe Arbeitsbelastung schrecken viele junge Kollegen ab. Zudem wird die Medizin immer weiblicher. Frauen haben in der Regel meist mehr als ihre männlichen Berufskollegen auch noch die zusätzlichen Belastungen und Herausforderungen von Nachwuchs und Haushaltsorganisation zu meistern und zu tragen. Deshalb müssen neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit geschaffen werden.<br /> Verbesserte Gruppenpraxismodelle mit attraktiveren Rahmenbedingungen (derzeit gesteigerte Verpflichtungen, Vorschriften und Limitierungen in vielen Bundesländern) sollten geschaffen werden.<br /> Außerdem muss nach eindeutiger Regelung der ärztlichen Vertretung die Möglichkeit der „Anstellung von Ärzten bei Ärzten“, die in so gut wie allen anderen Berufsgruppen eine völlige Selbstverständlichkeit ist, auch bei medizinischen Praxen eröffnet werden.<br /> Wen wundert es, dass diese Fülle an extrinsischen und intrinsischen Parametern, die das Dasein unserer Hausärzte massiv erschweren, letztendlich dazu führt, dass eine Vielzahl von Jungärzten lieber ins Ausland abwandert, wo bessere Ausbildung und attraktivere finanzielle Rahmenbedingungen winken, oder ihr Glück in anderen medizinischen oder verwandten Bereichen suchen.<br /> Wir hören auch gelegentlich Kommentare von Systemfunktionären, die auf die hohe Ärztedichte in Österreich hinweisen und argumentieren, dass es bei uns ja gar keinen Ärztemangel gäbe! Dies nützt uns gar nichts, wenn die Ärzte nicht dorthin gehen, wo wir sie am meisten brauchen, nämlich in den Kassenpraxen. Wir haben längst den Anschluss an die internationale Spitze verloren und rutschen in den entsprechenden Rankings von Jahr zu Jahr weiter ab.<br /> Es ist zwar bereits fünf Minuten nach zwölf, aber trotzdem noch nicht zu spät, um mit den richtigen Maßnahmen und erforderlichen Kurskorrekturen wiederum eine massive Aufwertung und Steigerung der Attraktivität des Hausarztberufes und damit einhergehend eine langfristig garantierte hochwertige medizinische Versorgung der Bevölkerung zu erwirken!</p></p>
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