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Anschluss und Ausschluss

<p class="article-intro">1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Ein in der ersten Republik weitverbreiteter Wunschgedanke wurde politisch umgesetzt. Gleichzeitig wurden aber auch latente Ausschlussgelüste auf menschenverachtende Weise konkret, auf vielen Ebenen, und so auch in der Ärzteschaft.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wie schon in den letzten Jahren, so suchen auch in diesem Jahr Menschen in &Ouml;sterreich Anschluss. Unter Aufbietung aller emotionalen und k&ouml;rperlichen Kr&auml;fte und nicht minder unter Aufbietung gro&szlig;er finanzieller Mittel verlie&szlig;en sie ihre Heimatl&auml;nder, ihre Familien, ihre muttersprachliche Sicherheit, oft ihre geregelten und erf&uuml;llenden Lebensumst&auml;nde. Sie entflohen Kriegs- und Krisengebieten, viele von ihnen verloren auf dieser Flucht ihr Leben. Die hier bei uns Angekommenen aber suchen Anschluss: an unser Bildungssystem, unsere Arbeitswelt, unsere rechtsstaatliche Sicherheit.<br /> Im Anschlussgedenkjahr sollen wir uns also die Frage stellen: Bieten wir diesen Menschen einladende Voraussetzungen, sich uns anzuschlie&szlig;en, oder erschweren wir durch Gleichg&uuml;ltigkeit oder gar Ablehnung diesen Anschluss? Sind wir lediglich bereit, des vergangenen Anschlusses zu gedenken, w&auml;hrend wir den gegenw&auml;rtigen Ausschluss leben?<br /> Seit 1933 war in Deutschland durch das Inkrafttreten des &bdquo;Berufsbeamtengesetzes&ldquo; die willk&uuml;rliche Entlassung missliebiger Beamter, auch angestellter &Auml;rztinnen und &Auml;rzte, m&ouml;glich. In den Folgejahren eliminierte man durch sieben Gesetzesversch&auml;rfungen vordringlich die j&uuml;dische Kollegenschaft, bis ihr am 30. September 1938 unter Mitwirkung der eigenen Standesvertretung die Approbation aberkannt wurde.<br /> Gerade jene, die sehns&uuml;chtig zum gro&szlig;en Nachbarn blickten, schlossen die Augen vor dem absehbaren Unheil. Das geschah nicht immer aus B&ouml;sartigkeit. Mitunter war es unvorstellbare Arglosigkeit. Prof. Robert Braun, selbst Halbjude, berichtet in einer autobiografischen Skizze &uuml;ber jene Zeit:<br /> &bdquo;Vater und Mutter lebten &uuml;berhaupt ,am Mond&lsquo;. Als ob ihnen nichts geschehen k&ouml;nnte, weil mein Vater fast nur ,arische&lsquo; Patienten behandelte bzw. ,national&lsquo; gesinnt war. &Uuml;brigens hatte er den ersten Weltkrieg an der Front mitgemacht. Schon als J&uuml;ngling hatte er sich taufen lassen, eine Christin geheiratet und die Kinder christlich erzogen. Die drohenden N&uuml;rnberger Gesetze, die ihn zu einem rechtlosen Untermenschen machen w&uuml;rden, interessierten ihn nicht. Das konnte unm&ouml;glich f&uuml;r ihn Bedeutung bekommen. So lebte er mit verbundenen Augen in den Tag hinein.&ldquo;<br /> Robert Braun selbst war hellh&ouml;riger: &bdquo;1932 bis 1937, w&auml;hrend meines Studiums, gab es an den &ouml;sterreichischen Hochschulen Angriffe auf Juden.&ldquo; Auch Halbjuden und &bdquo;Mischlingen&ldquo; wurde der Bildungsweg zunehmend erschwert: &bdquo;Gejagt von Hitlers Aufstieg brachte ich das Studium als Erster von ca. 800 Gleichsemestrigen hinter mich. Alle drei Medizin-Rigorosen absolvierte ich mit Auszeichnung.&ldquo;<br /> Bereits ein Jahr sp&auml;ter wurden innerhalb weniger Wochen ungef&auml;hr tausend j&uuml;dische Medizinstudenten von der Universit&auml;t vertrieben. Jene, die im zweiten Halbjahr 1938 promoviert wurden, waren sofort mit einem Berufsverbot konfrontiert. 55 % der Hochschullehrer, Juden und auch deren Ehepartner, wurden entlassen. Der ber&uuml;hrende Briefwechsel der Eltern des ehemaligen Primararztes der urologischen Abteilung des Krankenhauses Oberwart, Lutz Elija Popper, ist ein eindrucksvolles Dokument aus dieser Zeit. Das von ihm 2008 herausgegebene Buch &bdquo;Briefe aus einer versinkenden Welt: 1938/1939&ldquo; l&auml;sst uns die allt&auml;glichen Schikanen der &ouml;sterreichischen B&uuml;rokratie gegen&uuml;ber auswanderungswilligen Juden nachvollziehen. Poppers Vater, schon in der zweiten Generation der Kultusgemeinde fernstehender Jude und Assistenzarzt an der Universit&auml;tsklinik in Wien, legte 1933, noch nicht ganz 29-j&auml;hrig, seine Habilitationsunterlagen vor. Trotz unzweifelhafter Qualifikation und pers&ouml;nlichen Engagements wird er in seiner beruflichen Karriere behindert. 1938, f&uuml;nf Jahre nach der Vorlage, wird sein Habilitationsansuchen wegen der nichtarischen Abstammung des Verfassers abgewiesen, am 12. M&auml;rz 1938 wird er selbst endg&uuml;ltig aus dem Krankenhaus entfernt. Er verl&auml;sst schweren Herzens seine Frau und den noch keine zwei Jahre alten Sohn und bringt sich bei einem Arztkollegen und Freund in der Schweiz in Sicherheit.<br /> Die Mutter, Christin und diplomierte Krankenschwester, widersteht dem Druck, sich scheiden zu lassen, und betreibt beharrlich und mitunter verzagt den &bdquo;Familiennachzug&ldquo;. Pers&ouml;nliche Entt&auml;uschungen, eigenn&uuml;tzige Hilfsangebote, Widerwillen zelebrierende Tr&auml;gheit des Aktenlaufes k&ouml;nnen das r&auml;umlich getrennte, im gemeinsamen Ziel und in gro&szlig;er Liebe verbundene Paar nicht entmutigen. Im Juli 1939 bricht die Familie gemeinsam von Z&uuml;rich nach Bolivien auf.<br /> Nicht alle der 1938 entlassenen &Auml;rztinnen und &Auml;rzte konnten sich retten. Im M&auml;rz 1938 werden die Kolleginnen und Kollegen aus den Krankenh&auml;usern entlassen, am 1. Oktober wird den niedergelassenen j&uuml;dischen &Auml;rztinnen und &Auml;rzten die Berufsaus&uuml;bung untersagt. Insgesamt ist ein Drittel der &ouml;sterreichischen &Auml;rzteschaft betroffen. Die Wiener &Auml;rztekammer registrierte in einem Projekt zur Aufarbeitung dieser Jahre 3700 verfolgte Kolleginnen und Kollegen, davon 3500 Juden.<br /> Die Arisierungswelle rollt. Ungeniert, zun&auml;chst ungeregelt, dann mit schikan&ouml;sen, Geringsch&auml;tzung und Missgunst festschreibenden Gesetzen, wird auf j&uuml;disches Verm&ouml;gen zugegriffen. Fabriken, Wohnungen, Ordinationen und Kanzleien, H&auml;user, Sanatorien, Kunstsammlungen und jede Art von Verm&ouml;genswerten werden treuen Parteig&auml;ngern zuerkannt oder direkt von ihnen beansprucht. Denunziation und Bespitzelung treiben grausame Bl&uuml;ten. Der Neid von Jahrzehnten und der herrschende politische Wille vernichten jeden Anstand und jedes Schamgef&uuml;hl. Befasst man sich mit der Restitution, kommen auch heute noch Zweifel an der R&uuml;ckkehr dieses Anstandes hoch.<br /> Antisemitismus hat auch in &Auml;rztekreisen Tradition. Dies kam selten so ungeniert und ausdr&uuml;cklich daher wie 1875 in einer Publikation das hochber&uuml;hmten Theodor Billroth. Er schrieb &uuml;ber das &bdquo;leider nicht ganz auszurottende Unkraut der Wiener Studentenschaft&ldquo; und benannte es: &bdquo;schlimme galizische und ungarischj&uuml;dische Elemente&ldquo;. Diese &Auml;u&szlig;erung fiel bei national gesinnten Studenten auf fruchtbaren Boden. Als Billroth bei einer der n&auml;chsten Vorlesungen mit frenetischem Beifall begr&uuml;&szlig;t wurde und &bdquo;Juden raus&ldquo;-Rufe laut wurden, erschrak er, distanzierte sich vom Judenhass und trat sogar einem &bdquo;Verein zur Abwehr des Antisemitismus&ldquo; bei. 1875 wies die medizinische Fakult&auml;t 512 katholische und 421 israelitische Studenten aus.<br /> Die subtile Ablehnung alles J&uuml;dischen, das mitunter ein Synonym f&uuml;r &bdquo;modern&ldquo; war, und das neidvolle Bremsen von Hochschulkarrieren j&uuml;discher Kollegen blieben jedenfalls salonf&auml;hig. Arthur Schnitzler, Autor, Jude, Arzt, bringt in seinem St&uuml;ck &bdquo;Professor Bernardi&ldquo; diese Stimmung auf die B&uuml;hne und l&auml;sst uns in seiner unvollendeten Biografie, erschienen unter dem Titel &bdquo;Jugend in Wien&ldquo;, noch tiefer blicken. Schnitzlers Vater Johann, Professor der Laryngologie und leidenschaftlicher Publizist, Herausgeber der &bdquo;Wiener medizinischen Presse&ldquo;, war Mitbegr&uuml;nder der Wiener Allgemeinen Poliklinik. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter einer Dezentralisierung medizinischer Forschung und Lehre nach angels&auml;chsischem Vorbild. Die 1884 von vornehmlich j&uuml;dischen Universit&auml;tsdozenten gegr&uuml;ndete Poliklinik, f&uuml;r die auch Billroth sich stark machte, war nicht zuletzt eine Antwort auf die Behinderung des letzten Karriereschrittes dieser aufgeschlossenen Wissenschaftler zur Professur. Zun&auml;chst nur ambulant, ab 1892 schlie&szlig;lich auch mit Fachabteilungen und Bettenstation, stand dieses Haus f&uuml;r Aufgeschlossenheit gegen&uuml;ber dem medizinischen Fortschritt und f&uuml;r soziale Kompetenz.<br /> Es blieb dem Anschluss 1938 vorbehalten, die vernichtende Form des Antisemitismus einzul&auml;uten. Die Lehre aus den Geschehnissen der Vergangenheit, die bei diversen Gedenkstunden von diversen Rednern ganz sicher beschworen wird, kann nur lauten: Fehlentwicklungen fr&uuml;h erkennen und benennen. Anschlussgedenken soll die Besch&auml;ftigung mit der Frage sein: Wem schlie&szlig;e ich mich an, was schlie&szlig;e ich f&uuml;r mich aus?</p></p>
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