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Genussmittelmissbrauch in der Schwangerschaft

<p class="article-intro">Werden „Genussmittel“ wie Tabakrauch und Alkohol während der Schwangerschaft konsumiert, kann das schwere Schädigungen des Ungeborenen bewirken. Die betroffenen Kinder sind häufig für das ganze Leben gezeichnet und müssen mit schwerwiegenden Folgen leben.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Evidenz f&uuml;r den sch&auml;digenden Einfluss von m&uuml;tterlichem Rauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft auf das Ungeborene ist in vielen Bereichen sehr gut belegt.</li> <li>Die Epigenetik zeigt, dass Rauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft das Erbgut des Ungeborenen beeinflusst und der Fetus sogar ein erh&ouml;htes Asthmarisiko hat, wenn seine Gro&szlig;mutter in der Schwangerschaft mit seiner Mutter geraucht hat.</li> <li>Das Vollbild des fetalen Alkoholsyndroms ist nur die Spitze des Eisbergs, weitaus h&auml;ufiger sind partielle fetale Alkoholspektrumst&ouml;rungen.</li> <li>Es gibt keine &bdquo;sichere&ldquo; Grenze der Alkoholmenge w&auml;hrend der Schwangerschaft.</li> </ul> </div> <p>Das Deutsche W&ouml;rterbuch der Gebr&uuml;der Grimm definiert &bdquo;Genussmittel&ldquo; als &bdquo;... <em>Lebensmittel, deren Verzehr weniger der Ern&auml;hrung als vielmehr dem Genuss dient</em>&ldquo;.<sup>1</sup> Dazu z&auml;hlen u.a. Kaffee, Tee, Eis oder S&uuml;&szlig;igkeiten, Gew&uuml;rze und vieles mehr. Gerne werden auch Alkohol und Zigaretten den Genussmitteln zugerechnet, hier impliziert der Begriff &bdquo;Genussmittel&ldquo; vor allem im Zusammenhang mit Konsum in der Schwangerschaft eine nicht angebrachte Harmlosigkeit. Aufgrund des gro&szlig;en Schadenspotenzials durch den Konsum dieser Substanzen w&auml;hrend der Schwangerschaft wird im Folgenden nur auf diese beiden eingegangen.</p> <h2>Rauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft</h2> <p>Nikotin als der entscheidende Inhaltsstoff von Tabak mit seinen psychoaktiven Wirkungen kann hochgradig abh&auml;ngig machen. Nikotinabh&auml;ngigkeit erf&uuml;llt alle Kriterien einer klassischen Drogenabh&auml;ngigkeit mit Toleranzentwicklung und Kontrollverlust, k&ouml;rperlichem Entzugssyndrom, Konsum trotz sch&auml;dlicher Folgen, R&uuml;ckf&auml;llen nach Abstinenz oder Vernachl&auml;ssigung von Interessen zugunsten des Tabakkonsums. In &Ouml;sterreich rauchen ca. 16 % der Frauen zu Beginn der Schwangerschaft. Von diesen raucht bis zu ein Drittel weiter ohne Unterbrechung oder Reduktion, ein Drittel h&ouml;rt auf. Von diesen Frauen beginnt ein Drittel nach der Schwangerschaft und Stillzeit wieder zu rauchen.<sup>2</sup><br /> Das <em>fetale Tabaksyndrom</em> als Oberbegriff f&uuml;r pr&auml;natal entstandene Sch&auml;digungen eines Embryos oder Fetus durch Tabakrauchen der Mutter oder Passivrauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft beschreibt eine Reihe von zum Teil gravierenden Auswirkungen. Eine zuverl&auml;ssige und umfassende Datenlage zu den Zusammenh&auml;ngen mit Rauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft zeigt sich bei den folgenden Sch&auml;digungen:<sup>3</sup></p> <p><strong>Fetales Wachstum und Geburtsgewicht</strong><br /> Ein deutlicher Zusammenhang zwischen verringertem fetalem Wachstum sowie Geburtsgewicht und Tabakkonsum in der Schwangerschaft ist klar belegt, dabei ist der Zusammenhang zwischen Rauchen und Geburtsgewicht noch deutlicher als jener zwischen Rauchen und K&ouml;rperl&auml;nge. Es besteht eine Dosis-Wirkungs- Beziehung zwischen der Anzahl der gerauchten Zigaretten und einem geringeren Geburtsgewicht (mit einer Reduktion um ca. 100&ndash;260g) und auch bei nur geringem Zigarettenkonsum zeigen sich bereits deutliche Einschr&auml;nkungen.</p> <p><strong>Vorzeitige Plazental&ouml;sung und Placenta praevia</strong><br /> Diese beiden Ereignisse sind f&uuml;r den Gro&szlig;teil der m&uuml;tterlichen und kindlichen perinatalen Mortalit&auml;t verantwortlich. Das Risiko erh&ouml;ht sich weiter, wenn mehr als 10 Zigaretten pro Tag geraucht werden.</p> <p><strong>Totgeburt</strong><br /> Definitionsgem&auml;&szlig; ist dies der fetale intrauterine Tod mit einem Geburtsgewicht von 500g oder mehr, etwa ab der 23./24. Schwangerschaftswoche. Daten zeigen eine sehr starke Evidenz f&uuml;r ein erh&ouml;htes Risiko, einige Studien ergaben einen Schwellenwert von 10 Zigaretten pro Tag.</p> <p><strong>Pl&ouml;tzlicher Kindstod, Sudden Infant Death Syndrome (SIDS)</strong><br /> Rauchen in und nach der Schwangerschaft hat unabh&auml;ngige starke und konsistente Effekte auf das Risiko f&uuml;r den pl&ouml;tzlichen Kindstod. Das relative Risiko ist 2- bis 3-fach erh&ouml;ht, wobei es schwierig ist, den Einfluss des postnatalen von jenem des pr&auml;natalen Rauchens zu trennen.</p> <p><strong>Lungenfunktion</strong><br /> Rauchen ist mit einer verringerten Lungenfunktion beim Neugeborenen und Kind assoziiert, in der Folge sind die Risiken f&uuml;r Pneumonie, Bronchitis und bronchiale Hyperreagibilit&auml;t erh&ouml;ht. Signifikante Lungenfunktionsverluste bei Schulkindern liegen zwischen 1 % und 6 % .</p> <p><strong>Asthma</strong><br /> Es besteht ein substanziell und signifikant erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r das sp&auml;tere Auftreten von Asthma vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter, wobei eine genetische Pr&auml;disposition eine Rolle zu spielen scheint. Die H&auml;ufigkeit von Asthma bei Kindern von Raucherinnen ist um 40 % bis 80 % gesteigert.<sup>4</sup> Die Epigenetik zeigt, dass Rauchen w&auml;hrend der Schwangerschaft sogar das Erbgut des Ungeborenen beeinflusst. Der Begriff &bdquo;Epigenetik&ldquo; wird f&uuml;r die Beschreibung von Abl&auml;ufen verwendet, die (teilweise auch vererbbare) Ver&auml;nderungen der Aktivit&auml;t von Genen bei gleichzeitig unver&auml;nderter DNA-Sequenz verursachen, und sie gilt als das Bindeglied zwischen den Genen und Umwelteinfl&uuml;ssen. Die Epigenetik bestimmt, unter welchen Gegebenheiten Gene an- bzw. abgeschaltet werden, und steuert so die Expression der Gene. Das Genom repr&auml;sentiert einen starren Zustand, das Epigenom ver&auml;ndert sich st&auml;ndig sowohl durch intrazellul&auml;re Steuerungsvorg&auml;nge als auch durch &auml;u&szlig;ere Einfl&uuml;sse.<sup>5</sup><br /> Rauchen in der Schwangerschaft f&uuml;hrt zu epigenetischen Ver&auml;nderungen beim Feten, die negative gesundheitliche Auswirkungen auf die sp&auml;tere Funktion von Lunge und Immunsystem haben k&ouml;nnen. Der Tabakrauch-exponierte Fetus hat ein erh&ouml;htes Asthmarisiko, wenn seine Gro&szlig;mutter in der Schwangerschaft mit seiner Mutter geraucht hatte. Das Risiko ist auch erh&ouml;ht, wenn der Fetus (also das Enkelkind) intrauterin selbst nicht Tabakrauchbelastet war.<sup>6, 7</sup></p> <p><strong>Malformationen</strong><br /> F&uuml;r einige Malformationen scheint das Risiko erh&ouml;ht zu sein, z.B. ist eine dosisabh&auml;ngige Erh&ouml;hung des Risikos f&uuml;r Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten und einen Fehlverschluss des Neuralrohres nachgewiesen, w&auml;hrend f&uuml;r andere bislang kein Zusammenhang zu finden ist.</p> <p><strong>Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2</strong><br /> Die Evidenz eines erh&ouml;hten Risikos f&uuml;r &Uuml;bergewicht in der Kindheit und Diabetes mellitus Typ 2 im sp&auml;teren Leben ist sehr gut.</p> <h2>Fetale Alkoholspektrumst&ouml;rungen (FASD)</h2> <p>Diese St&ouml;rungen umfassen bleibende physische und psychische Sch&auml;digungen unterschiedlichen Ausma&szlig;es bei Kindern, die w&auml;hrend der Schwangerschaft Alkohol ausgesetzt wurden. Die Ursache ist immer und ausschlie&szlig;lich Alkoholkonsum in der Schwangerschaft. Die FASD geh&ouml;ren zu den h&auml;ufigsten angeborenen Erkrankungen. Die Bandbreite der fetalen Sch&auml;digungen ist dabei sehr gro&szlig; und man unterscheidet vier Krankheitsbilder:<sup>8</sup></p> <ul> <li>das Vollbild &bdquo;fetales Alkoholsyndrom&ldquo; (FAS)</li> <li>das partielle fetale Alkoholsyndrom (pFAS)</li> <li>die alkoholbedingte entwicklungsneurologische St&ouml;rung</li> <li>die alkoholbedingten angeborenen Malformationen</li> </ul> <p>Der Organismus der Mutter baut Alkohol zehnmal schneller ab als jener des Embryos oder Fetus. In Abh&auml;ngigkeit vom Reifestadium des Ungeborenen und der Alkoholmenge wirkt sich der Alkoholkonsum irreversibel sch&auml;digend auf die k&ouml;rperliche, kognitive und soziale Entwicklung des Kindes aus.<br /> Im Durchschnitt trinken in Europa 25 % der Schwangeren Alkohol, das spiegelt sich auch in der weltweit h&ouml;chsten FAS-Pr&auml;valenz mit 37,4/10 000 in Europa wider; der weltweite Durchschnitt liegt bei 15 von 10 000.<sup>9</sup> Das Vollbild FAS ist nur bei ca. 10 % aller Kinder mit pr&auml;natalen Alkoholfolgesch&auml;den vorhanden, weitaus h&auml;ufiger sind die partiellen fetalen Alkoholspektrumst&ouml;rungen. Bei diesen finden sich keine oder nur geringe k&ouml;rperliche Fehlbildungen, allerdings hirnorganische Sch&auml;digungen mit geistiger oder emotionaler Behinderung und kognitive (Lernst&ouml;rungen, Beeintr&auml;chtigungen der Sprachentwicklung etc.) sowie sozioemotionale Einschr&auml;nkungen mit Verhaltensauff&auml;lligkeiten. Die Zahl der Betroffenen wird mehr als doppelt so hoch gesch&auml;tzt wie die des FAS (die FAS-F&auml;lle sind somit nur die Spitze des Eisberges). Laut einer rezenten Metaanalyse werden weltweit jedes Jahr fast 130 000 FAS-Kinder geboren.<sup>9</sup><br /> F&uuml;r die Diagnose eines FAS m&uuml;ssen folgende Kriterien zutreffen:</p> <ul> <li>Wachstumsverz&ouml;gerungen (Minderwuchs und Untergewicht; Diagnose: Geburts- oder K&ouml;rpergewicht bzw. L&auml;nge bzw. Body-Mass-Index &le; 10. Perzentile)</li> <li>faziale Auff&auml;lligkeiten (Hautfalten an den Augenecken, kleine Augen&ouml;ffnungen, tiefe Nasenbr&uuml;cke, kurze, abgeflachte Nase, schmale Oberlippe, verstrichenes Philtrum, tiefstehende Ohren, schlecht modellierte Ohrmuscheln)</li> <li>funktionelle ZNS-Auff&auml;lligkeiten (verminderte Intelligenz, Probleme der Aufnahmef&auml;higkeit und des Ged&auml;chtnisses, eingeschr&auml;nkter Erwerb intellektueller F&auml;higkeiten, Lernschwierigkeiten, gest&ouml;rte Feinmotorik, Sprechund H&ouml;rst&ouml;rungen; Diagnose: globale Intelligenzminderung mindestens 2 Standardabweichungen &lt; Norm oder signifikante kombinierte Entwicklungsverz&ouml;gerung bei Kindern &lt; 2 Jahren)</li> <li>strukturelle ZNS-Auff&auml;lligkeiten (Diagnose: Mikrozephalie &le; 10. Perzentile, &le; 3. Perzentile)</li> <li>best&auml;tigte oder nicht best&auml;tigte intrauterine Alkoholexposition (Diagnose: Wenn Auff&auml;lligkeiten in allen drei diagnostischen S&auml;ulen bestehen, soll die Diagnose ohne Best&auml;tigung des m&uuml;tterlichen Alkoholkonsums gestellt werden.)<sup>8</sup></li> </ul> <p>Es gibt keine vorgeschriebene sichere Grenze der Alkoholmenge w&auml;hrend der Schwangerschaft, und solange nicht ausreichend diesbez&uuml;gliche Daten vorhanden sind, ist die absolute Abstinenz w&auml;hrend der gesamten Schwangerschaft dringend empfohlen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Lemma: genuszmittel. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches W&ouml;rterbuch. Leipzig: 1854-1960 <strong>2</strong> Gesundheitsbericht Schwangerschaft und Geburt &ndash; Eine Studie zur Versorgungssituation in Ober&ouml;sterreich. 2015 <strong>3</strong> Horak F Jr et al.: Das Fetale Tabaksyndrom &ndash; Ein Statement der &Ouml;sterreichischen Gesellschaften f&uuml;r Allgemein- und Familienmedizin (&Ouml;GAM), Gyn&auml;kologie und Geburtshilfe (&Ouml;GGG), Hygiene, Mikrobiologie und Pr&auml;ventivmedizin (&Ouml;GHMP), Kinderund Jugendheilkunde (&Ouml;GKJ) sowie Pneumologie (&Ouml;GP). Wien Klin Wochenschr 2012; 124: 129-45 <strong>4</strong> Zacharasiewicz A: Maternal smoking in pregnancy and its influence on childhood asthma. ERJ Open Research 2016; 2: 00042- 2016; DOI: 10.1183/23120541.00042-2016 <strong>5</strong> Brune B et al.: Epigenetik: Einfluss auf die fetale Entwicklung. Neonatologie Scan 2017; 6: 51-70 6 Bauer T et al.: Environment-induced epigenetic reprogramming in genomic regulatory elements in smoking mothers and their children. Molecular Systems Biology 2016; 12: 861 <strong>7</strong> Markunas CA et al.: Identification of DNA methylation changes in newborns related to maternal smoking during pregnancy. Environ Health Perspect 2014; 122: 1147-53 <strong>8</strong> Landgraf N, Heinen F: S3-Leitlinie &ndash; Diagnose der Fetalen Alkoholspektrumst&ouml;rungen FASD. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 022025k_S3_Fetale_Alkoholspektrumstoerung_Diagnostik_ FASD_2016-06.pdf <strong>9</strong> Popova S et al.: Estimation of national, regional, and global prevalence of alcohol use during pregnancy and fetal alcohol syndrome: a systematic review an</p> </div> </p>
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