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Brennpunkt Urologie 2017

Die Blase im Fokus

<p class="article-intro">Gibt es die «alternde Blase» wirklich oder ist sie ein Mythos? Diese Frage beantwortete Prof. Dr. med. Marcus Drake, Bristol/Grossbritannien, im Rahmen des «Brennpunkts Urologie». Prof. Dr. med. Daniel Eberli, Zürich, befasste sich mit Muskelstammzellen in der Therapie der Stressinkontinenz. Ob eine urodynamische Untersuchung vor einer invasiven Behandlung einer Prostatahyperplasie oder von Blasenentleerungsstörungen sinnvoll ist, klärte Prof. Dr. med. Stephan Madersbacher, Wien.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Behandlung von Blasenentleerungsst&ouml;rungen nimmt in einer immer &auml;lter werdenden Bev&ouml;lkerung einen breiten Raum ein. Denn: Inkontinenz oder Blockaden der Blasenentleerung aufgrund einer gutartig vergr&ouml;sserten Prostata treten mit zunehmendem Alter vermehrt auf.</p> <h2>Kein Mythos: die &laquo;alternde Blase&raquo;</h2> <p>Die Pr&auml;valenz der &uuml;beraktiven Blase (&laquo;overactive bladder&raquo;, OAB) steigt mit zunehmendem Alter an, wie Prof. Marcus Drake erkl&auml;rte. W&auml;hrend sie in der Altersgruppe der 65- bis 69-J&auml;hrigen bei 18&ndash; 24 % liege, betrage sie ab 75 Jahren 31&ndash; 42 % , sagte er. Im Vergleich zu j&uuml;ngeren Patienten haben &auml;ltere Menschen oft st&auml;rkere Beschwerden. Sie leiden h&auml;ufiger gleichzeitig an kognitiven St&ouml;rungen, die die willentliche Kontrolle der Blase erschweren oder unm&ouml;glich machen. Ausserdem weisen sie generell mehr Komorbidit&auml;ten auf, die die Miktion beeinflussen, etwa Diabetes, Herzkrankheiten oder Schlafapnoe.<sup>1&ndash;3</sup> Kohortenstudien zeigten zudem, dass die Kontraktionsf&auml;higkeit der Harnblase im Alter zwischen 50 und 80 Jahren nachl&auml;sst, was daf&uuml;r verantwortlich ist, dass die Miktion verz&ouml;gert und oft unvollst&auml;ndig ist. Dieser Effekt ist bei Frauen st&auml;rker ausgepr&auml;gt ist als bei M&auml;nnern (35 vs. 15 % ).<sup>4</sup> Dass die Blase altere, sei daher kein Mythos, sondern Realit&auml;t, betonte Drake.<br /> Gerade bei &auml;lteren Patienten liegen oft mehrere St&ouml;rungen gleichzeitig vor, etwa ein starker Harndrang kombiniert mit einem schwachen Harnstrahl und Restharnempfinden. Die Schwierigkeit sei, so Drake, eine effektive und sichere Therapie f&uuml;r diese Patienten zu finden. Bei der &uuml;blichen OAB-Behandlung mit Antimuskarinika h&auml;tten viele &Auml;rzte die Sorge, eine akute Harnretention auszul&ouml;sen. Dass dieses Problem kleiner ist als bisher angenommen, zeigten die Studien NEPTUNE und deren Verl&auml;ngerung NEPTUNE II, in denen der Muskarinrezeptor-Antagonist Solifenacin und der Alpha-Rezeptorblocker Tamsulosin bei M&auml;nnern mit Harnentleerungsst&ouml;rungen eingesetzt wurden.<sup>5, 6</sup> Innerhalb eines Jahres entwickelten weniger als 1 % der Probanden eine akute Harnretention.<sup>6</sup><br /> Therapieoptionen bei persistierender OAB untersuchte die BESIDE-Studie, in der die Kombination aus dem Beta-3-Adrenozeptor- Agonisten Mirabegron und Solifenacin gegen eine Solifenacin-Monotherapie getestet wurde.<sup>7</sup> Es zeigte sich, dass die Kombination einen positiven Effekt hat und auch bei &auml;lteren Patienten gut wirkt. Allerdings beeinflussen die Medikamente auch andere Organsysteme, z.B. den Darm, die Blutgef&auml;sse und das Gehirn, da die angesteuerten Rezeptoren nicht ausschliesslich in der Blase vorhanden sind. Vor allem bei &auml;lteren Menschen m&uuml;ssten deshalb kardiovaskul&auml;re Nebenwirkungen, etwa Bluthochdruck oder Tachykardie, beachtet werden, betonte Drake. In der BESIDE-Studie wurden kardiovaskul&auml;re Wirkungen jedoch selten beobachtet (&lt;2 % der Probanden).<sup>7</sup><br /> Wichtiger sind die Muskarinrezeptoren im Gehirn, die die kognitive Funktion beeinflussen. Eine aktuelle Studie erfasste die Auswirkungen der Antimuskarinikatherapie bei Patienten, die zu Studienbeginn keine kognitiven St&ouml;rungen aufwiesen, sowie bei Patienten mit leichten Einbussen und solchen mit bestehender Demenz. Die Autoren konnten zeigen, dass die Substanzen die Kognition aller drei Kollektive verschlechterten.<sup>8</sup> Deshalb sollten die kognitiven Funktionen bei allen Patienten unter Antimuskarinika, besonders aber bei &auml;lteren Menschen regelm&auml;ssig &uuml;berpr&uuml;ft werden, schloss Drake.</p> <h2>Muskelstammzellen bei Stressinkontinenz</h2> <p>Prof. Daniel Eberli berichtete &uuml;ber die Therapie der Stressinkontinenz mit Muskelstammzellen. Weltweit leiden etwa 200 Millionen Menschen an einer Stressinkontinenz, wobei Frauen rund f&uuml;nfmal h&auml;ufiger betroffen sind als M&auml;nner.<sup>9</sup> Therapeutisch stehen unter anderem Schlingen und Netze zur Verf&uuml;gung, die jedoch aufgrund unerw&uuml;nschter Wirkungen in Verruf gekommen sind. Andere Optionen sind &laquo;bulking agents&raquo; und k&uuml;nstliche Sphinkter. Keine dieser Therapien behebt jedoch die Ursache der Stressinkontinenz &ndash; Sch&auml;den am Blasensphinkter. Hier verspricht die Stammzelltherapie Abhilfe. Sie wurde bisher in Tierversuchen an unterschiedlichen Spezies getestet.<sup>9</sup> Eingesetzt wurden verschiedene Zellarten, denn es gebe nicht die beste Zellart, erkl&auml;rte Eberli. An der Universit&auml;tsklinik Z&uuml;rich werden sogenannte Muskelprecursorzellen genutzt, die bereits gewebespezifisch sind. Diese werden in den defekten Blasensphinkter injiziert und regenerieren die Muskelfasern. Zus&auml;tzlich werden die Muskeln mit elektromagnetischen Impulsen stimuliert, damit sie nicht atrophieren. Es zeigte sich, dass dies die Heilung des Muskelgewebes verbessert.<sup>10</sup><br /> In weiteren Studien versuchten Eberli und sein Team zu kl&auml;ren, welchen Einfluss Alter und Geschlecht auf das Anz&uuml;chten von Muskelstammzellen haben. Sie fanden heraus, dass Muskelprecursorzellen von M&auml;nnern und Frauen jeden Alters gewonnen werden k&ouml;nnen. Am besten geeignet sind die Zellen von jungen Frauen, da sie sich am st&auml;rksten vermehren und am besten kontrahieren (Abb. 1a, b).<sup>11</sup><br /> Am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich wurde eine Kombination aus Elektrostimulation und Stammzellinjektion entwickelt (von der EU gef&ouml;rdert). Bei dem Verfahren mit dem Namen MUSIC wird eine Biopsie aus dem Wadenmuskel entnommen und die Zellen werden vermehrt. Anschliessend werden die Zellen in den Blasensphinkter injiziert und die Bildung neuen Muskelgewebes mit elektromagnetischer Stimulation unterst&uuml;tzt.<sup>12</sup> Noch laufen die Vorbereitungen, erkl&auml;rte Eberli, doch bereits in diesem Fr&uuml;hjahr sollen die ersten Patientinnen mit Muskelstammzellen gegen Stressinkontinenz behandelt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Uro_1801_Weblinks_s15_abb1.jpg" alt="" width="2187" height="815" /></p> <h2>Urodynamik vor invasiven Eingriffen</h2> <p>Sollte bei M&auml;nnern mit benigner Prostatahyperplasie (BPH) und &laquo;lower urinary tract symptoms&raquo; (LUTS) vor einer Resektion eine urodynamische Untersuchung erfolgen? Prof. Stephan Madersbacher wog in seinem Vortrag Pro und Contra ab.<br /> Als ein Argument f&uuml;r die Urodynamik f&uuml;hrte er eine Studie an, in der mehr als 1400 M&auml;nner mit BPH/LUTS vor der Resektion urodynamisch untersucht wurden. Dabei zeigte sich, dass nur etwa ein Drittel der M&auml;nner, die routinem&auml;ssig einer transurethralen Prostataresektion (TURP) zugef&uuml;hrt werden, an einer Obstruktion leiden. Der h&auml;ufigste urodynamische Befund war in dieser Studie die Detrusor&uuml;beraktivit&auml;t.<sup>13</sup> Die Urodynamik kann also beim Stellen der Indikation f&uuml;r eine TURP helfen, wie auch die Ergebnisse einer franz&ouml;sischen Studie zu den Langzeitergebnissen des Eingriffs zeigen: 60 Monate nach einer TURP nahmen 40 % der Patienten wieder Medikamente gegen ihre BPH. Als einen der Gr&uuml;nde daf&uuml;r vermuten die Autoren, dass die Indikation nicht richtig gestellt worden war.<sup>14</sup> Nicht invasive Untersuchungen wie die Uroflowmetrie, Ultraschalluntersuchungen etc. k&ouml;nnen als Alternative nicht empfohlen werden.<sup>15</sup><br /> Als Argument gegen die Urodynamik zeigte Madersbacher Ergebnisse einer Metaanalyse, wonach der Unterschied beim International Prostate Symptom Score (IPSS) bei TURP mit/ohne Urodynamik nur 3&ndash;4 Punkte ausmachte.<sup>16</sup> Es stelle sich die Frage, ob dies den Aufwand rechtfertige, sagte er. Auch die Leitlinien der EAU empfehlen die Urodynamik vor TURP nicht als routinem&auml;ssige Untersuchung, sondern nur bei spezieller Indikation, etwa vor einer Re-TURP oder bei Patienten, die aufgrund einer neurologischen Krankheit wie Parkinson oder multipler Sklerose an einer Blasenentleerungsst&ouml;rung leiden.<sup>17</sup><br /> Obwohl die nicht invasiven Verfahren nicht so pr&auml;zise sind wie die Urodynamik, k&ouml;nnten sie wertvolle Hinweise liefern, erkl&auml;rte Madersbacher, beispielsweise der &laquo;penile cuff test&raquo;. Er hat einen hohen negativen Aussagewert: Zeigt er keine Obstruktion an, hat der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keine.<sup>18</sup> Eine andere Alternative ist das Erstellen von Nomogrammen, die einzelne Parameter wie Restharnvolumen und Q<sub>max</sub> kombinieren. <sup>19</sup> Mit solchen Methoden k&ouml;nne man eine Obstruktion recht gut vorhersagen, erkl&auml;rte Madersbacher. Sein Fazit: Die urodynamische Untersuchung ist notwendig bei speziellen Indikationen, aber als generelle Untersuchung bei allen Patienten mit BPH/LUTS eine Verschwendung von Zeit (und Ressourcen). Und grunds&auml;tzlich sollten die Empfehlungen der EAU-Leitlinie zur Indikation f&uuml;r eine Urodynamik befolgt werden.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 6. Brennpunkt Urologie, 27.–28. Oktober 2017, Zürich </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Sexton CC et al.: J Am Geriatr Soc 2011; 59: 1465-70 <strong>2</strong> Ganz ML et al.: Curr Med Res Opin 2016; 32: 1997-2005 <strong>3</strong> Wagg AS et al.: BJU Int 2007; 99: 502-9 <strong>4</strong> Rosier P: ICS 2015, Abstract 267 (Kongress der International Continence Society, 6.&ndash;9. 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Mai 2017 13 Oelke M et al.: Eur Urol 2008; 54: 419-26 14 Lukacs B et al.: Eur Urol 2013; 64: 493-501 <strong>15</strong> Malde S et al.: Eur Urol 2017; 71: 391- 402 <strong>16</strong> Kim M et al.: PLoS One 2017; 12: e0172590 <strong>17</strong> Gravas S et al.: Eur Urol 2015; 67: 1099-1109 <strong>18</strong> Kazemeyni SM et al.: Korean J Urol 2015; 56: 722-8 <strong>19</strong> De Nunzio C et al.: Neurourol Urodyn 2016; 35: 235-40</p> </div> </p>
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