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«Grey zones» im konservativen Management der Urolithiasis

<p class="article-intro">Harnsteine sind das «tägliche Brot» von Urologen weltweit. Gerade weil Harnsteine so häufig sind und eine – im Vergleich zu z.B. onkologischen Erkrankungen – vermeintlich einfache Situation darstellen, überrascht es, in wie vielen Bereichen Unklarheiten hinsichtlich des Vorgehens bestehen.<br> Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag im Rahmen des 3rd Swiss Kidney Stone Symposium in Bern und beleuchtet die «grey zones» in Diagnostik und konservativem Management.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Bildgebung</h2> <p><br /> Die Leitlinien der European Association of Urology (EAU) betrachten den Ultraschall als Verfahren der ersten Wahl bei einem akuten Steinereignis. Dies ist angesichts der schnellen Verf&uuml;gbarkeit und der fehlenden Strahlenbelastung sicherlich gerechtfertigt. Jedoch gelingt gerade bei Harnleitersteinen ein direkter Steinnachweis h&auml;ufig nicht. Eine aktuelle Arbeit konnte zudem zeigen, dass der Ultraschall im Vergleich zur Computertomografie dazu neigt, grosse Steine zu &uuml;ber- und kleine Steine zu untersch&auml;tzen.<sup>1</sup> In den meisten F&auml;llen ist daher entsprechend den EAULeitlinien die Durchf&uuml;hrung einer nativen Computertomografie (NCCT) indiziert, welche der intraven&ouml;sen Ausscheidungsurografie (AUG) &uuml;berlegen scheint. Eigene Arbeiten konnten jedoch zeigen, dass die Bestimmung der Steingr&ouml;sse auch in der NCCT variiert. Die pr&auml;zisesten Messungen lassen sich im Knochenfenster erzielen. Die Varianz kann hier bis zu 3mm betragen und somit die Therapieentscheidung beeinflussen (Spontanabgang vs. Intervention). Interessanterweise variiert das gemessene Steinvolumen auch bei Betrachtung durch Radiologen oder Urologen. Letztere bestimmen die Steinmasse pr&auml;ziser, weshalb die Befundung durch den Urologen unbedingt beibehalten werden sollte.<sup>2</sup> Spezielle Protokolle zur Steindiagnostik mittels NCCT k&ouml;nnen die Strahlendosis im Vergleich zur &uuml;blichen Routinediagnostik erheblich reduzieren, nach Erfahrung des Autors erfordert dies jedoch eine enge Zusammenarbeit zwischen Urologen und Radiologen. Schw&auml;chen des CT bleiben die eingeschr&auml;nkte Anwendbarkeit bei Adipositas und die fehlende Information zu Funktion und Morphologie. Problematisch erscheint daher die Empfehlung der EAU zur Durchf&uuml;hrung einer Kontrastmittel(KM)-Studie vor Intervention, welche im Zeitalter der NCCT in der Regel nicht vorliegt. Es gibt hier keine klaren Empfehlungen, sodass neben der pr&auml;operativen Durchf&uuml;hrung eines KM-CT oder eines AUG &ndash; entsprechende Information des Patienten vorausgesetzt &ndash; auch eine intraoperative KM-Darstellung m&ouml;glich ist.</p> <h2>Asymptomatische Nierensteine</h2> <p>Im Zeitalter der Schnittbildgebung werde inzidentelle, asymptomatische Nierensteine h&auml;ufig diagnostiziert. Verschiedene Autoren konnten zeigen, dass bei kleinen Steinen eine prophylaktische Therapie keinen Vorteil bringt. Einige Studien untersuchten nun den Verlauf dieser Steine unter aktiver &Uuml;berwachung. Gem&auml;ss den meisten Arbeiten wird etwa ein Drittel der Patienten w&auml;hrend eines Follow-ups von bis zu 8 Jahren symptomatisch (Kolik, Spontanabgang, Intervention; z.B. Dropkin J et al.<sup>3</sup>). Wie zu erwarten spielt hier die Lokalisation des Steins eine wichtige Rolle, Unterkelchsteine rufen erheblich seltener Symptome hervor. Das Risiko von Komplikationen steigt mit dem Steinvolumen<sup>4</sup> und der Gr&ouml;ssenzunahme, junge Patienten entwickeln interessanterweise h&auml;ufiger Beschwerden.<sup>5</sup> Die EAU empfiehlt regelm&auml;ssige Kontrollen unter aktiver &Uuml;berwachung, anfangs alle sechs Monate, dann j&auml;hrlich.</p> <h2>Harnleitersteine</h2> <p>Harnleitersteine &lt;10mm k&ouml;nnen in vielen F&auml;llen spontan abgehen, wobei die Spontanabgangsrate ab einer Gr&ouml;sse von 5mm deutlich abf&auml;llt. Wenn keine Indikation zur Harnableitung (Nierenfunktion, Fieber/Sepsis, therapierefrakt&auml;re Schmerzen) besteht, dann kann der Spontanabgang von entsprechender Supportivmedikation begleitet werden. Hier stellt neben der Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) die Gabe von Alpharezeptorantagonisten, in manchen F&auml;llen auch Kalziumkanalantagonisten, einen wesentlichen Therapieansatz dar. Diese Therapie wurde in den letzten Jahren unter dem Begriff der &laquo;medical expulsive therapy&raquo; (MET) in den meisten Leitlinien implementiert. Eine Vielzahl prospektiv randomisierter Studien wurde in mehreren systematischen Reviews und Metaanalysen evaluiert und zeigte fast ausnahmslos einen positiven Effekt dieser Therapie auf die Abgangsrate, die Zeit bis zum Steinabgang und auch das Auftreten von Schmerzereignissen (z.B. Seitz et al.<sup>5</sup>). Die Alpharezeptorantagonisten schienen den Kalziumrezeptorantagonisten &uuml;berlegen, weshalb sich die Gabe von Tamsulosin etabliert hat. Es hat daher &uuml;berrascht, dass eine grosse multizentrische, randomisierte und placebokontrollierte Studie keinen Vorteil von Tamsulosin oder Nifedipin gegen&uuml;ber Placebo zeigen konnte.<sup>7</sup> Diese Publikation l&ouml;ste eine &ndash; noch andauernde &ndash; Diskussion in der Urologie, besonders in den Leitliniengruppen aus. Als problematisch wurde identifiziert, dass die bislang vorliegenden Metaanalysen vor allem kleine (&laquo;single-center&raquo;) randomisierte Studien mit heterogenen Einschlusskriterien und Endpunkten einschlossen. Solche kleinen Studien tendieren dazu, einen Effekt der Verumgruppe darzustellen (z.B. Lelorier N et al.<sup>8</sup> und Ioannidis JP<sup>9</sup>). Auf der anderen Seite finden sich aber auch in der Arbeit von Pickard Schw&auml;chen: So wurden gr&ouml;sstenteils kleine Steine (&lt;5mm) eingeschlossen, das Follow-up erfolgte ohne Routinebildgebung, der Endpunkt &laquo;fehlende Intervention&raquo; war somit unpr&auml;zise. Es wurde daher die Hypothese formuliert, dass die MET vor allem bei Steinen &gt;5mm effektiv ist, w&auml;hrend die Spontanabgangsrate bei kleineren Steinen ohnehin so hoch ist, dass ein zus&auml;tzlicher therapeutischer Ansatz keinen Effekt induziert. Diese Annahme wurde nun in einer aktuellen Studie aus China unterst&uuml;tzt, wo in einer multizentrischen, randomisierten, doppelt verblindeten und placebokontrollierten Studie ein Effekt von Tamsulosin bei Steinen &gt;5mm demonstriert wurde.<sup>10</sup> Die aktuellen Leitlinien der EAU ber&uuml;cksichtigen diese neuen Daten und empfehlen die MET explizit bei distalen Harnleitersteinen &gt;5mm als Option. Auf die Off-label- Anwendung und potenzielle Nebenwirkungen soll hingewiesen werden.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Bereits in der Diagnostik und dem konservativen Management der Urolithiasis ergeben sich grosse Graubereiche mit unklarer Evidenz und Fehlerquellen. Dies gilt auch f&uuml;r die interventionelle Therapie und vor allem auch f&uuml;r die metabolische Diagnostik und Prophylaxe. Wissenschaftliche Anstrengungen in diesem &laquo;Brot und Butter&raquo;-Gesch&auml;ft der Urologie sind unbedingt notwendig und w&uuml;nschenswert. Dies wurde von mehreren Fachgesellschaften erkannt, so wird beispielsweise durch die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Stosswellenlithotripsie zum n&auml;chsten Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Urologie (DGU) erstmals eine Anschubfinanzierung f&uuml;r Forschungsprojekte vergeben (Bewerbung bei Prof. Dr. H. M. Fritsche: www. dgswl.de/forschungsf&ouml;rderung).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ganesan V et al.: Accuracy of ultrasonography for renal stone detection and size determination: is it good enough for management decisions? BJU Int 2017; 119(3): 464-9 <strong>2</strong> Tzou DT et al.: Variation in radiologic and urologic computed tomography interpretation of urinary tract stone burden: results from the Registry for Stones of the Kidney and Ureter. Urology 2018; 111: 59-64 <strong>3</strong> Dropkin BM et al.: The natural history of nonobstructing asymptomatic renal stones managed with active surveillance. J Urol 2015; 193(4): 1265-9 <strong>4</strong> Selby MG et al.: Quantification of asymptomatic kidney stone burden by computed tomography for predicting future symptomatic stone events. Urology 2015; 85(1): 45-50 <strong>5</strong> Darrad M et al.: Asymptomatic renal stones: Long term follow up from a tertiary hospital. Eur Urol 2017; 16(3): e718-e719 <strong>6</strong> Seitz C et al.: Medical therapy to facilitate the passage of stones: what is the evidence? Eur Urol 2009; 56(3): 455-71 <strong>7</strong> Pickard R et al.: Medical expulsive therapy in adults with ureteric colic: a multicentre, randomised, placebo-controlled trial. Lancet 2015; 386(9991): 341-9 <strong>8</strong> LeLorier J et al.: Discrepancies between meta-analyses and subsequent large randomized, controlled trials. N Engl J Med 1997; 337: 536-42 <strong>9</strong> Ioannidis JP: The mass production of redundant, misleading, and conflicted systematic reviews and meta-analyses. Milbank Q 2016; 94(3): 485-514 <strong>10</strong> Ye Z et al.: Efficacy and safety of tamsulosin in medical expulsive therapy for distal ureteral stones with renal colic: a multicenter, randomized, doubleblind, placebo-controlled trial. Eur Urol 2017; doi: 10.1016/j. eururo.2017.10.033 [Epub ahead of print]</p> </div> </p>
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