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3-Länder-Wundkongress in St. Gallen

Behandlung therapieresistenter Wunden

<p class="article-intro">Um die Wundbehandlung im deutschsprachigen Raum auf höchstem wissenschaftlichem Niveau zu organisieren, wurde 2012 die länderübergreifende WundD.A.CH-Gesellschaft gegründet. Alle drei Jahre findet der WundD.A.CH-Dreiländerkongress statt, 2017 in St. Gallen. Eines der Hauptprobleme sind nach wie vor schlecht heilende Wunden, die selbst mit den besten neuartigen Wundauflagen nicht zu sanieren sind.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Ulcus cruris</h2> <p>&bdquo;Indessen hat ein von Serenissimo h&ouml;chstselbst verordneter Schn&uuml;rstrumpf Wunder gethan, und wenn sich das &Uuml;bel so fort und fort vermindert, so werde ich&rsquo;s gar bald los&ldquo;, schrieb Johann Wolfgang von Goethe am 5. Juni 1817 in einem Brief an Christian Gottlob von Voigt, Dichter und Minister in Weimar. Mit dem &bdquo;Serenissimo&ldquo; meinte Goethe den Gro&szlig;herzog Carl August, und das &Uuml;bel sei h&ouml;chstwahrscheinlich ein Ulcus cruris gewesen, so Dr. Ulf Benecke, Kantonsspital St. Gallen, einleitend zum Themenblock Ulkus. &bdquo;Der Gro&szlig;herzog scheint gewusst zu haben, wie wichtig das Wickeln mit Kompressionsstr&uuml;mpfen bei chronischer ven&ouml;ser Insuffizienz (CVI) ist.&ldquo;<br /> Wird eine chronische ven&ouml;se Insuffizienz nicht konsequent behandelt, kommt es zu ven&ouml;sen Abflussbehinderungen, Zirkulationsst&ouml;rungen, trophisch bedingten Ver&auml;nderungen an Unterschenkeln und F&uuml;&szlig;en bis hin zur schwersten Form der CVI, dem Ulcus cruris venosum. Ein Ulcus cruris ist eine der h&auml;ufigsten Ursachen nicht spontan heilender Wunden. &bdquo;Der Schl&uuml;ssel zur Therapie ist die korrekte Diagnose, denn davon h&auml;ngt die Behandlung ab&ldquo;, sagte Prof. Dr. Severin L&auml;uchli, Dermatologe am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich und Kongresspr&auml;sident. Das Ulcus cruris sei ein Symptom einer zugrunde liegenden Krankheit, am h&auml;ufigsten der CVI, die wie bei Goethe mit einer Kompressionstherapie behandelt wird. Ein Teil ist aber auch durch eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) bedingt oder ein Mischbild aus CVI und PAVK. Wann immer m&ouml;glich, sollte eine CVI kausal behandelt werden. Hierzu steht eine Vielzahl von Therapien zur Verf&uuml;gung: zum einen die klassische Venenchirurgie, zum anderen endoluminale Verfahren mit Laser, Radiowellen, Schaumsklerosierung, Dampf oder Kleber. &bdquo;Das grundlegende Konzept ist immer dasselbe&ldquo;, sagte Dr. Hans-Joachim Hermanns, niedergelassener Gef&auml;&szlig;chirurg und Phlebologe in Luzern. &bdquo;Wir wollen die Druckund Volumen&uuml;berlastung im Venensystem reduzieren, damit &Ouml;deme zur&uuml;ckgehen, das Ulkus abheilt und kein Rezidiv auftritt.&ldquo; Die meisten Ulzera heilen durch konservative Ma&szlig;nahmen, aber rund 25 % gelten als therapieresistent.<sup>1</sup> Therapieresistent bedeutet, dass nach drei Monaten optimaler Behandlung keine Heilungstendenz mehr erkennbar ist oder das Ulkus nach 12 Monaten nicht abgeheilt ist. Als operative M&ouml;glichkeiten stehen Eingriffe, die die Fascia cruris miteinbeziehen, wie die paratibiale Fasziotomie und Fasziektomie, sowie die Shave-Therapie als tangentiale suprafasziale Nekrosektomie und Fibrosektomie zur Verf&uuml;gung. Dabei werden die Ulzera einschlie&szlig;lich der umgebenden Dermatoliposklerose operativ entfernt und die Defekte direkt mit &bdquo;gemeshter&ldquo; Spalthaut gedeckt. &bdquo;Es ist eine operationstechnisch relativ einfache und sehr wirkungsvolle Methode, mit der wir gute Kurzund Langzeitergebnisse erreichen k&ouml;nnen&ldquo;, so Dr. Hermanns. Die klassische Indikation f&uuml;r die Shave-Therapie ist das therapieresistente Ulcus cruris aufgrund tiefer Veneninsuffizienz. Das Verfahren eignet sich ferner bei Ulkusrezidiven nach Venen- Stripping, Perforansdissektion, paratibialer Fasziotomie oder &bdquo;klassischer&ldquo; Spalthautdeckung. Ideal sei es auch bei Gamaschenulzera. &bdquo;Essenziell ist, ein schwer heilendes Ulkus fr&uuml;hzeitig zu erkennen&ldquo;, best&auml;tigte Prof. L&auml;uchli. &bdquo;Zeigt ein ven&ouml;ses Ulkus innerhalb vier Wochen nicht eine Fl&auml;chenreduktion von mindestens 40 Prozent, ist die Chance klein, dass es nach drei Monaten abheilen wird.&ldquo; F&uuml;r solche Ulzera solle man fr&uuml;hzeitig andere Verfahren f&uuml;r die Behandlung erw&auml;gen, in erster Linie chirurgische oder auch Hautersatzverfahren mittels Bioengineering. Prof. Hermanns f&uuml;hrte das erste Shave-Verfahren 1998 durch, inzwischen hat er Daten zu 1580 Patienten. Bei 77 % dieser Patienten heilte das Ulkus komplett, was den Abheilungsraten von 70 bis 80 % in der Literatur entspricht. 2003 gr&uuml;ndete Dr. Hermanns die AG Operative Ulkus Therapie, die regelm&auml;&szlig;ig Workshops zur Shave-Therapie anbietet. Der n&auml;chste findet im Juni 2018 in Bochum statt (Kontakt: hermanns@ venen-praxis.ch).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s55_abb1-5.jpg" alt="" width="2150" height="1089" /></p> <h2>Stiefkind palliative Wunden</h2> <p>Als Stiefkind in der Wundbehandlung gelten Wunden in der Palliativsituation. Das sind nicht nur Wunden durch fortgeschrittenen Krebs am Lebensende, sondern auch andere nicht heilende Wunden wie Gangr&auml;ne, Dekubitus, Wunden nach Bestrahlungen, aber auch Wunden bei Neugeborenen oder immungeschw&auml;chten Patienten jeden Alters. Ziel der palliativen Wundpflege ist es, wundspezifische Symptome zu verhindern oder zumindest zu lindern, um die Lebensqualit&auml;t zu verbessern. Es ginge nicht nur um reines Wundmanagement, sondern auch darum, wie man den Patienten in seiner Gesamtsituation unterst&uuml;tzen k&ouml;nne, sagte Dr. Otto Gehmacher, Internist und Schmerztherapeut in der Palliativstation Hohenems.<br /> Einen guten &Uuml;berblick &uuml;ber die Strategien hat Kevin Woo von der School of Nursing an der Queens Universit&auml;t in Ontario gegeben.<sup>2</sup> Die wichtigsten Ma&szlig;nahmen bestehen darin, Hautsch&auml;den durch die Mangeldurchblutung und eine weitere Verschlechterung von Ulzera zu verhindern, Beschwerden wie Schmerzen zu bessern, f&uuml;r psychisches Wohlbefinden zu sorgen, bei optimaler lokaler Wundpflege. Ein gro&szlig;es Problem sei die Schmerzstillung, so Dr. Gehmacher. Was tun, wenn ein Patient mit fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom bei jedem Verbandswechsel trotz oraler Analgetika so starke Schmerzen hat, dass er schreien muss? Wenn die Schmerzen mit st&auml;rkerer Analgesie station&auml;r gut beherrschbar w&auml;ren, der Betroffene allerdings nicht mehr ins Krankenhaus m&ouml;chte? In diesem Fall bietet Dr. Gehmacher bei jedem ambulanten Verbandswechsel Midazolam und Ketamin intranasal an. Die Pharmakotherapie bleibt der Hauptpfeiler in der Schmerzbehandlung. Gem&auml;&szlig; WHO-Stufenschema kommen bei leichten bis moderaten Schmerzen zum Beispiel nichtsteroidale Antiphlogistika zur Anwendung.<sup>3</sup> Gut w&uuml;rden sich bei Verbandswechseln auch topische Anwendungen eignen, etwa Morphin- Hydrogel oder Ketamin-Gel, erl&auml;uterte Dr. Gehmacher. &bdquo;Reinigt man die Wunde so vorsichtig wie m&ouml;glich, vermeidet man Reize wie Luftzug oder Rubbeln und lenkt den Patienten ab, kann das den Verbandswechsel ebenfalls ertr&auml;glicher machen&ldquo;, erg&auml;nzte Hilde K&ouml;ssler, Vizepr&auml;sidentin der AG Palliativpflege der &Ouml;sterreichischen Palliativgesellschaft, Baden bei Wien. Bei schwereren neuropathischen Schmerzen und begleitender Angst oder Depression eignen sich Opioide und Antidepressiva, Schmerzhemmer wie Gabapentin bzw. Pregabalin, die zus&auml;tzlich anxiolytisch und sedierend wirken, oder topisches Lidocain. Als Faustregel sollte man die Schmerzmittel in regelm&auml;&szlig;igen Abst&auml;nden einnehmen, bis der Schmerz kontrolliert ist. Bei schmerzhaften Verbandswechseln k&ouml;nnen kurz wirksame potente narkotische Analgetika eingesetzt werden wie Fentanyl sublingual. Hilft dies nichts, bleiben noch die Allgemeinnarkose oder eine Lokal- oder Spinalan&auml;sthesie.<br /> Exulzerierende maligne Wunden treten bei 5 bis 10 % aller Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung auf. Am h&auml;ufigsten sind Brust, Kopf und Hals betroffen. &bdquo;Eine Kruste, die nicht abheilt, charakterisiert eine maligne Wunde treffend&ldquo;, erkl&auml;rte Gehmacher. Sie w&auml;chst schnell, schmerzt, bildet Fisteln oder Krater, riecht oft stark, es kann zu massiven Exsudationen kommen und es ist unwahrscheinlich, dass sie heilt. Dies m&uuml;sse man im Behandlungsplan ber&uuml;cksichtigen.<br /> Der Geruch entsteht, weil proteolytische Bakterien Amine und Diamine produzieren. &bdquo;Diesen Geruch verbindet man mit dem von verwesendem Fleisch&ldquo;, erl&auml;uterte Prof. Dr. Sebastian Probst, Professor f&uuml;r Wundpflege an der Fachhochschule Westschweiz in Genf. &bdquo;Kein Wunder, dass das die Patienten extrem st&ouml;rt.&ldquo; Gegen den Geruch kann man Antiseptika einsetzen, Metronidazol als Gel, Schaum oder systemisch, Silber- oder Aktivkohleverb&auml;nde.<br /> Au&szlig;erdem l&auml;sst sich der Geruch mittels Raumlufterfrischern, &auml;therischen &Ouml;len, Schalen mit Balsamessig, Rasierschaum oder auch mit Katzenstreu &uuml;berdecken. &bdquo;Mit ein bisschen Kreativit&auml;t k&ouml;nnen wir die Lebensqualit&auml;t der Betroffenen enorm erh&ouml;hen&ldquo;, betonte K&ouml;ssler. Ein gro&szlig;es Problem sind zudem Blutungen aus den Wunden, die unvermittelt auftreten. &bdquo;Das kann die Angeh&ouml;rigen sehr belasten, denn sie leben st&auml;ndig mit der Angst, die n&auml;chste Blutung k&ouml;nne lebensbedrohlich sein&ldquo;, sagte K&ouml;ssler. Zur Verhinderung von Blutungen gibt es diverse topische Strategien, alternativ auch eine einmalige Radiotherapie. Dr. Gehmacher r&auml;t zu einem Notfallplan mit den Angeh&ouml;rigen und gibt einen Tipp: &bdquo;Gro&szlig;e und dunkle T&uuml;cher bereitlegen.&ldquo;<br /> Eine nicht heilende Wunde ver&auml;ndert das ganze Leben &ndash; nicht nur das des Patienten, sondern auch das der Angeh&ouml;rigen. Die wundbezogenen Probleme sind oft unkontrollierbar oder unberechenbar, sie k&ouml;nnen Tag und Nacht auftreten. Die Wunde f&auml;ngt zum Beispiel pl&ouml;tzlich an zu stinken, Exsudat abzusondern, zu jucken, zu schmerzen oder zu bluten. &bdquo;Das ist eine enorme physische und psychische Herausforderung&ldquo;, sagte Probst. Die Grenzen des K&ouml;rpers l&ouml;sten sich auf und man verliere die Kontrolle.<sup>4</sup> &bdquo;Man muss sich das mal vorstellen: Auf einmal flie&szlig;t es unkontrolliert aus einem heraus und man kann nichts tun, um es zu stoppen.&ldquo;<br /> &bdquo;Aufkl&auml;rung ist das A und O, um die Schmerzkontrolle zu verbessern&ldquo;, so Prof. Probst, etwa die Mechanismen der Schmerzentstehung erkl&auml;ren oder mit Fehlinformationen zur Abh&auml;ngigkeit von Schmerzmitteln aufr&auml;umen. Mit Entspannungstechniken oder einer Verhaltenstherapie k&ouml;nnen die Betroffenen beispielsweise lernen, die Schmerzen nicht mehr so stark wahrzunehmen. Unterst&uuml;tzend k&ouml;nnen physikalische Ma&szlig;nahmen wirken, ebenso wichtig sind Mittel, mit denen man die Haut um die Wunde herum sch&uuml;tzt, etwa mit Silikon, Zinkoxid oder Hydrokolloiden.<sup>5</sup><br /> &bdquo;Was alle Studien durchwegs zeigen, ist, dass nur ein ganzheitlicher empathischer Ansatz Erfolg hat&ldquo;, so das Fazit des Wundexperten. &bdquo;Damit der gelingt, m&uuml;ssen Arzt und nicht &auml;rztliche Mitarbeiter palliative Wunden beurteilen k&ouml;nnen, in der Lage sein, einf&uuml;hlsam &uuml;ber das sensible Thema mit dem Patienten und Angeh&ouml;rigen zu sprechen. Sie m&uuml;ssen die psychologischen Auswirkungen f&uuml;r den Patienten und seine Familie verstehen und nat&uuml;rlich die Wunde ad&auml;quat versorgen.&ldquo;<sup>6</sup> Um das zu lernen, brauche es einiges Engagement der Mitarbeiter.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s56_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1034" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1801_Weblinks_jatros_derma_1801_s54_fotos.jpg" alt="" width="891" height="977" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: WundD.A.CH-Kongress, 28.–30. September 2017, St. Gallen </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> St&uuml;cker M et al.: Vasomed 2001; 13: 160-1 <strong>2</strong> Woo KY et al.: Adv Skin Wound Care 2015; 28: 130-140 <strong>3</strong> Coutts P et al.: Nurs Stand 2008; 23(10): 42-6 <strong>4</strong> Probst S et al.: Eur J Oncol Nurs 2013; 17: 38-45 <strong>5</strong> Leitlinien der DGP Sektion Pflege: Exulzerierende Wunden. Stand 6/2015 <strong>6</strong> Alvarez OM et al.: Wounds 2002; 14: 13-18</p> </div> </p>
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