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Therapie bei neuropathischen Schmerzen

<p class="article-intro">Über Pathogenese und therapeutische Möglichkeiten bei neuropathischem Schmerz informierte Prof. Dr. Michael Bach, Leiter der APR (Ambulante Psychosoziale Rehabilitation), Salzburg. Eine kausale Therapie ist bei einigen dieser Schmerzsyndrome bereits möglich. Das Wissen um die Mechanismen der Entstehung erlaubt eine differenzierte Therapieplanung. Co-Analgetika wirken auf diese Mechanismen besser ein als die klassischen Analgetika.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen, bei denen das intakte Nervensystem (physiologisch) stimuliert und aktiviert wird, entstehen neuropathische Schmerzen durch eine Sch&auml;digung des Nervensystems selbst. Eine solche Nervenl&auml;sion pr&auml;sentiert sich aber nicht immer in Form von Schmerzen: &bdquo;Nur etwa zehn Prozent aller Neuropathien sind schmerzhaft&ldquo;, erl&auml;utert Bach. Der Rest &auml;u&szlig;ert sich durch Empfindungsst&ouml;rungen. W&auml;hrend Mononeuropathien meist auf Engpasssyndrome oder Traumen zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind, kommen f&uuml;r die Polyneuropathie (PNP) &uuml;ber 200 verschiedene Ursachen infrage, wobei Diabetes mellitus und Alkohol an erster Stelle stehen.</p> <h2>&bdquo;Signs and symptoms&ldquo;</h2> <p>Die Symptome, die von Neuropathiepatienten berichtet werden, sind: Kribbeln, Brennen, einschie&szlig;ende, elektrisierende oder stechende Schmerzen sowie Dys&auml;sthesien und Par&auml;sthesien. Typische klinische Zeichen, die vom Arzt getestet werden k&ouml;nnen, sind Allodynie und Hyperalgesie, bei fortgeschrittener Nervensch&auml;digung auch Hypalgesie und Hyp&auml;sthesie.<br /> Bach empfiehlt f&uuml;r die Diagnostik auch Frageb&ouml;gen wie den painDETECT oder den DN4, die es erlauben, relativ rasch und einfach eine Neuropathie von anderen Schmerzzust&auml;nden zu unterscheiden.</p> <h2>Pathogenese</h2> <p>Pathophysiologisch spielen sowohl zentrale als auch periphere Mechanismen eine Rolle in der Entstehung des neuropathischen Schmerzes. Zu den zentralen Mechanismen z&auml;hlen &uuml;berempfindliche Rezeptoren, eine erh&ouml;hte Anzahl von Kalziumkan&auml;len oder eine &Uuml;beraktivierung der spinothalamischen Weiterleitung. &bdquo;Die &Uuml;beraktivierung des Schmerzged&auml;chtnisses kann so weit gehen, dass periphere Reize gar nicht mehr n&ouml;tig sind, um Schmerz zu erzeugen&ldquo;, so Bach. Bei vielen neuropsychiatrischen Erkrankungen, wie Depression und Angstst&ouml;rungen, kommt es &ndash; unabh&auml;ngig von der peripheren Schmerzursache &ndash; zu einer Downregulation der absteigenden schmerzhemmenden Bahnen, sodass &bdquo;der physiologische Filtermechanismus versagt und viel zu viel Information weitergeleitet wird&ldquo;, erkl&auml;rt Bach.<br /> Auch einige periphere Mechanismen, also Prozesse, die direkt an den Rezeptoren stattfinden und zur Entstehung von neuropathischem Schmerz f&uuml;hren, sind bekannt: So f&uuml;hrt eine erh&ouml;hte Anzahl von Natriumkan&auml;len zur &Uuml;beraktivierung der Natrium-Kalium-Pumpe. Auch andere Ionenkan&auml;le k&ouml;nnen hier eine Rolle spielen, z.B. die TRP-Kan&auml;le (&bdquo;transient receptor potential channels&ldquo;). Lokale neurogene Inflammationen kommen ebenfalls als Ursache infrage.</p> <h2>Erste Wahl: Amitriptylin, Duloxetin und Antikonvulsiva</h2> <p>Die unterschiedlichen Mechanismen, die bei der Entstehung des neuropathischen Schmerzes involviert sind, bieten dementsprechend verschiedene Ansatzpunkte f&uuml;r eine therapeutische Beeinflussung. Das WHO-Stufenschema zur pharmakologischen Schmerztherapie funktioniert aber bei neuropathischen Schmerzen nicht: &bdquo;Die klassischen Schmerzmedikamente helfen wenig bis gar nicht&ldquo;, sagt Bach. &bdquo;Hingegen zeigen die im Stufenschema als Co-Analgetika empfohlenen Antikonvulsiva und Antidepressiva, insbesondere Trizyklika, oft sehr gute Wirkung.&ldquo; F&uuml;r einzelne Schmerzsyndrome ist die &Uuml;berlegenheit von Antidepressiva und Antikonvulsiva gegen&uuml;ber anderen Medikamenten bereits wissenschaftlich belegt. &bdquo;Die &uuml;berzeugendste Literatur liegt f&uuml;r Amitriptylin vor&ldquo;, berichtet Bach. &bdquo;Aber auch Duloxetin liefert exzellente Daten, zum Beispiel bei der diabetischen Neuropathie.&ldquo; Die Evidenz zu dual wirksamen Antidepressiva ist zunehmend.<br /> Der neuropathische Schmerz bietet mehrere Angriffspunkte f&uuml;r Antidepressiva, wie Bach erkl&auml;rt: Als Antagonisten f&uuml;r die NMDA-Rezeptoren blockieren einige Antidepressiva die neuronale Sensibilisierung. &bdquo;Manche k&ouml;nnen aufgrund von struktureller &Auml;hnlichkeit vermutlich auch eine endorphin&auml;hnliche Wirkung entfalten&ldquo;, so Bach. Zus&auml;tzlich &ndash; und das ist wahrscheinlich die Hauptwirkung beim neuropathischen Schmerz &ndash; sorgen Antidepressiva f&uuml;r eine St&auml;rkung der deszendierenden Antinozizeption: &bdquo;Antidepressiva sind die einzige Substanzgruppe, die ein abgeschw&auml;chtes antinozizeptives System wieder aufbauen kann. Sie k&ouml;nnen die absteigenden Bahnen direkt aktivieren.&ldquo; Die Re-Uptake-Hemmung verst&auml;rkt die Wirkung. Daraus folgt f&uuml;r Bach: &bdquo;Immer wenn wir davon ausgehen k&ouml;nnen, dass die Schmerzabwehr durch Depression oder Angst geschw&auml;cht ist, sind Antidepressiva eine gute Wahl bei neuropathischem Schmerz.&ldquo; Zugelassene Antidepressiva f&uuml;r neuropathische Schmerzen sind allerdings nur Amitriptylin und Duloxetin, weil sie in dieser Indikation am besten untersucht sind. Die Dosierung sollte nicht zu niedrig sein. Bach: &bdquo;Es ist ein Mythos, dass Antidepressiva in niedriger Dosis analgetisch wirken und in h&ouml;herer Dosis angstl&ouml;send und antidepressiv. Die Studienergebnisse sprechen daf&uuml;r, die klassischen Dosierungen auch gegen Schmerz einzusetzen.&ldquo;<br /> Die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin senken die neuronale Erregbarkeit &uuml;ber eine Bindung an Kalziumkan&auml;le. &bdquo;In die peripheren Mechanismen des neuropathischen Schmerzes k&ouml;nnen auch Carbamazepin und Oxcarbazepin eingreifen; sie k&ouml;nnen daher bei bestimmten lokalen Schmerzen eingesetzt werden. Bei Trigeminusneuralgie und -neuropathie sind sie die Medikamente erster Wahl&ldquo;, so Bach.<br /> Studien zum direkten Vergleich von Trizyklika und Antikonvulsiva zeigen eine vergleichbare Effektivit&auml;t bei neuropathischem Schmerz. Die Nebenwirkungsprofile sind jedoch verschieden. &bdquo;Die Entscheidung sollte sich deshalb an den Patientenbed&uuml;rfnissen, Komorbidit&auml;ten und Interaktionsprofilen orientieren&ldquo;, sagt Bach. Auch Switch oder Kombinationstherapien sind m&ouml;glich, allerdings gibt es dazu sehr wenige Studien.</p> <h2>Zweite Wahl: andere Antidepressiva und topische Analgetika</h2> <p>Als Substanzen zweiter Wahl empfiehlt Bach weitere Antidepressiva wie Trazodon. Bei manchen Schmerzsyndromen, z.B. beim Fibromyalgiesyndrom, haben sich Fluoxetin und Paroxetin bew&auml;hrt. F&uuml;r die lokale Therapie stehen die Wirkstoffe Lidocain, Capsaicin und Botulinumtoxin A zur Verf&uuml;gung.</p> <h2>Dritte Wahl: Opioide</h2> <p>Opioide, vor allem Tramadol, wirken gegen neuropathischen Schmerz, indem sie &bdquo;das Winding-up-Ph&auml;nomen im Bereich der aufsteigenden langen Bahnen in Schach halten&ldquo;, so Bach. Die Daten zu den Opioiden bei neuropathischem Schmerz sind laut Bach nur f&uuml;r Tramadol &uuml;berzeugend, was wohl daran liegt, dass es &ndash; neben seiner analgetischen Wirkkomponente &ndash; auch klassische antidepressive Eigenschaften hat, weil es von der chemischen Struktur her ein Serotonin- und Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer ist. Tramadol darf nicht mit SSRI kombiniert werden: Diese Medikamente blockieren einander gegenseitig.<br /> Nicht medikament&ouml;se Therapieans&auml;tze f&uuml;r neuropathischen Schmerz bieten Physio-, Ergo- und Schmerz-Psychotherapie sowie komplement&auml;rmedizinische Methoden, wie z.B. Akupunktur. &bdquo;Der Goldstandard ist &ndash; wie bei jeder Schmerztherapie, so auch bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen &ndash; ein multimodales Konzept, das neben den genannten S&auml;ulen auch psychosoziale Unterst&uuml;tzung inkludiert&ldquo;, betont Bach.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie, 7. Oktober 2017, Wien </p>
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