<p class="article-intro">Thromboembolien sind das Ergebnis einer prothrombotischen Verschiebung des hämostatischen Gleichgewichtes. Die Inzidenz venöser Thromboembolien wird weltweit mit 0,7 bis 2,7 Ereignissen pro 1000 Einwohnern angegeben (2 bis 7/1000 bei Patienten >75 Jahre).<sup>1</sup> In der Europäischen Union wurden 2004 (ca. 454 Mio. Einwohner) über 1 Mio. venöse Thromboembolien beobachtet, von denen 540 000 tödlich verliefen.<sup>2</sup> Venöse thromboembolische Erkrankungen tragen damit in erheblichem Umfang zum allgemeinen Krankheits- und Sterberisiko bei. Entsprechend wird der Behandlung venöser Thromboembolien große Bedeutung im klinischen Alltag beigemessen. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li><span xml:lang="de-DE">Bei Patienten mit venösen Thromboembolien soll die ­Antikoagulanzienbehandlung ­unmittelbar nach Stellen der Ver</span><span xml:lang="de-DE">dachtsdiagnose in therapeutischer</span><span xml:lang="de-DE"> Dosierung begonnen und bei progressiv abnehmender Rezidivhäufigkeit für 3 bis 6 Monate ­aufrechterhalten werden.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Nach 3 bis 6 Monaten soll unter Abwägung des Verhältnisses ­Rezidivrisiko zu Blutungsrisiko über die Indikation zur Dauer­antikoagulanzienbehandlung entschieden werden. </span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Dauerantikoagulation ist nicht mit einer lebenslangen Anti­koagulanzienbehandlung gleichzusetzen. Mit Ausnahme bei ­Patienten mit malignen Grund­erkrankungen soll die Indikation in regelmäßigen Abständen ­(Abwägung Nutzen/Risiko) erneut </span><span xml:lang="de-DE">überprüft werden. Nach Ausheilung</span><span xml:lang="de-DE"> einer malignen Grunderkrankung entfällt die Indikation zur Dauerantikoagulation.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">DOAKs/NOAKs sind den klassischen Antikoagulanzien mindestens ebenbürtig. Sie können die Therapie mit klassischen ­Antikoagulanzien bis auf wenige Ausnahmen ersetzen.</span></li> </ul> </div> <h2>Therapieziele</h2> <p>Zwei Therapieziele bestimmen die Antikoagulanzientherapie der thromboembolischen Erkrankungen: 1. die Rezidivprävention und 2. die Unterstützung der spontanen Resolution der Thromben. Seit der Einführung der Heparine und der Coumarine, beginnend in den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, stehen hochwirksame, aber potenziell auch gefährliche Therapien zur Verfügung, deren optimierter Gebrauch in Leitlinien festgehalten worden ist. Die folgenden Ausführungen zur optimierten Antikoagulanzientherapie bei venösen thromboembolischen Erkrankungen sind ein Versuch, die Leitlinien der ESC (European Society of Cardiology) von 2014<sup>3</sup> und die AWMF-Leitlinien von 2015<sup>4</sup> für die praxisnahe Anwendung in der klinischen Praxis zusammenzufassen.</p> <h2>Antikoagulanzientherapie in der Akutphase der Thromboembolie</h2> <p>Das Rezidivrisiko nach einer Thromboembolie ist unmittelbar nach dem Ereignis am höchsten und nimmt danach progressiv ab. Dennoch besteht aber auch nach drei Monaten immer noch ein deutliches persistierendes Restrisiko. Die Leitlinien empfehlen daher eine Antikoagulation mit Heparin in therapeutischer Dosierung beginnend unmittelbar nach Diagnosestellung (ESC-Leitlinie: I C). Die früher standardmäßig verordneten Kompressionsstrümpfe Klasse II haben in der Akutversorgung der venösen Thromboembolie hingegen ihre Bedeutung vollständig ­verloren.<br />Das Risiko, unter der Therapie eine HIT II (Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II) zu entwickeln, ist unter LMW-­Heparin gegenüber den Standardheparinen (HMW-Heparin) stark reduziert, aber nicht vernachlässigbar. Aus diesem Grunde empfehlen die AWMF-Leitlinien neben der Basisgerinnungsdiagnostik inkl. Thrombozytenzahl nach 5 Tagen eine Kontrolle der Thrombozytenzahl und, sobald sich eine HIT II tatsächlich manifestiert, die Umstellung auf Danaparoid-Natrium, Lepirudin oder Argatroban, die alle für diese Indikation zugelassen sind. <br />Bei Fondaparinux besteht kein HIT-II-Risiko, weshalb Fondaparinux bevorzugt eingesetzt werden soll. Auch bei vorbekanntem HIT darf Fondaparinux eingesetzt werden. Der Einsatz von Fondaparinux bei manifestem HIT II erscheint möglich, ist jedoch außerhalb der Zulassung und kann daher nicht explizit empfohlen werden.</p> <h2>Erhaltungstherapie zur Rezidivprophylaxe</h2> <p>Der Antikoagulanzientherapie in der Akutphase soll sich eine Erhaltungstherapie von 3 bis 6 Monaten Dauer anschließen. Die Erhaltungstherapie soll in der Akutphase der Therapie überlappend begonnen werden. Sofern für die Erhaltungsantikoagulation Coumarine als Antikoagulanzien gewählt worden sind, soll die Dosis so bemessen werden, dass die INR im Zielkorridor von 2 bis 3 zu liegen kommt (ESC-Leitlinie IB). Patienten mit Thromboembolien, die Folge einer malignen Grunderkrankung oder damit assoziiert sind, sollen hingegen für diesen Zeitraum mit dosisadjustiertem LMW-Heparin behandelt werden (ESC-Leitlinie IIa B). <br />Nach 3 bis 6 Monaten der Erhaltungstherapie soll dann eine Entscheidung getroffen werden, ob die Antikoagulation fortgeführt werden soll oder beendet werden kann. Diese Entscheidung soll unter Abwägung des Rezidivrisikos im Vergleich zum Blutungsrisiko erfolgen. Bei Patienten mit spontanem Auftreten einer Thromboembolie ohne entsprechende Risikofaktoren (ESC-Leitlinie IIa B) oder bei Patienten mit bereits mindestens einem Thromboembolierezidiv (ESC-Leitlinie I B) soll die Verlängerung der Antikoagulanzientherapie erwogen werden. Ebenso soll bei Patienten mit Malignom-assoziierten Thromboembolien eine lebenslange Antikoagulanzientherapie erwogen werden (ESC-Leitlinie I C). Bei definitiver Heilung der malignen Erkrankung kann die Antikoagulanzientherapie hingegen wieder beendet werden (ESC-Leitlinie IIa C).<br />Die Entscheidung für die Verlängerung der Antikoagulanzientherapie über die initialen 3 bis 6 Monate hinaus kann unter Heranziehung der Kriterien der Tabelle 1 erfolgen. Für die Abschätzung des Blutungsrisikos ist der HAS BLED Score (>3) hilfreich. Eine Erhöhung des Rezidivrisikos muss insbesondere bei Vorliegen einer hereditären Thrombophilie angenommen werden (Tab. 2). Während der Nachweis eines Lupus-Antikoagulans/Antiphospholipid-Antikörper-Syndroms, eines Protein-C-, Protein-S- oder eines Antithrombinmangels (AT III) die Entscheidung immer zugunsten einer verlängerten Antikoagulation verschieben sollte, ist eine verlängerte Antikoagulation nur bei Vorliegen eines homozygoten, nicht aber bei einem heterozygoten F-V-Leiden angebracht. Sonstige thrombophile Gerinnungsstörungen spielen bei dieser Entscheidung eine nur untergeordnete Rolle. <br />Eine Erhöhung der D-Dimere im Plasma zeigt eine erhöhte Gerinnungsaktivität an. Patienten mit erhöhten D-Dimeren vier Wochen nach Beendigung der Antikoagulanzientherapie sind wesentlich stärker gefährdet, eine Rezidivthromboembolie<sup>5</sup> zu erleiden. Rezidive sind andererseits aber bei normwertigen D-Dimeren nicht ausgeschlossen, sodass die D-Dimer-Bestimmung nur einen Hinweis geben, nicht aber allein als Grundlage einer Entscheidung für oder gegen die verlängerte Antikoagulation dienen kann.<br />Die Entscheidung für oder gegen eine verlängerte Antikoagulation soll in jedem Falle unabhängig von der Indikation zur Antikoagulation, d.h. ob ursprünglich eine tiefe Venenthrombose (DVT) oder eine Lungenembolie (LE) vorgelegen hat, getroffen werden. Die Entscheidung für die Fortsetzung der oralen Antikoagulation soll regelmäßig, z.B. in jährlichen Abständen, überprüft werden (ESC-Leitlinie I C). Die Entscheidung für eine verlängerte Antikoagulation bedeutet nicht gleichzeitig eine Entscheidung für eine lebenslange Antikoagulation. Das günstigere Sicherheitsprofil der NOAKs/DOAKs ist geeignet, diese Entscheidung für eine verlängerte Antikoagulanzienbehandlung zu beeinflussen.<br />Wenn aufgrund schwerwiegender Kontraindikationen keine orale Dauerantikoagulation durchgeführt werden kann oder wenn Patienten mit Indikation zur oralen Dauerantikoagulation diese ablehnen, kann eine plättchenhemmende Therapie mit Acetylsalicylsäure (ASS) in Standarddosis erwogen werden (ESC-Leitlinie II b).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1801_Weblinks_s16_1.jpg" alt="" width="1419" height="2487" /></p> <h2>Klassische oder direkt wirkende Antikoagulanzien (DOAKs/NOAKs)</h2> <p>Seit Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts sind insgesamt sechs neue orale Antikoagulanzien zur Therapie vorgestellt worden (Apixaban, Betrixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban und Ximelagatran). Von diesen sechs Substanzen sind Dabigatran und (Xi-)Melagatran direkte Thrombinantagonisten, während die übrigen vier Substanzen den Faktor Xa in direkter Interaktion hemmen. Ximelagatran ist mittlerweile aufgrund schwerwiegender Nebenwirkungen nicht mehr am Markt, während Betrixaban zumindest in den europäischen Markt noch nicht eingeführt worden ist. Beide Substanzen spielen in den Leitlinien keine Rolle. <br />Die Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Angiologie bezeichnet diese neuen Antikoagulanzien mit Blick auf die direkte, 1:1-molekulare Hemmwirkung als direkte orale Antikoagulanzien (DOAKs). Im Gegensatz hierzu empfiehlt die Task Force der European Society of Cardiology, diese neue Klasse von Antikoagulanzien auch weiterhin ­NOAKs (nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien) zu nennen.<br />Die praktischen Vorteile der DOAKs/NOAKs sind vor allem die zuverlässige Wirkung nach oraler Applikation, welche die regelmäßige Kontrolle der Gerinnungswerte zur Dosisadjustierung überflüssig macht, sowie das fehlende Risiko der Entwicklung einer HIT II.<br />Im direkten randomisierten Vergleich der klassischen Antikoagulationsbehandlung mit parenteralem Heparin und überlappender Coumarin-Antikoagulation haben die DOAKs/NOAKs eine nicht unterlegene oder verbesserte Wirksamkeit (Tab. 3)<sup>6–9</sup> bei nicht unterlegener oder verbesserter Sicherheit gezeigt (Tab. 4). Insbesondere bei der Rate intrakranieller Blutungen zeigten sich alle DOAKs/NOAKs der Behandlung mit den klassischen Antikoagulanzien überlegen. Die Leitlinien empfehlen daher, bei der Behandlung thromboembolischer Erkrankungen eines der am Markt erhältlichen DOAKs/NOAKs zu bevorzugen (ESC-Leitlinien: I B). Das günstige Sicherheitsprofil der NOAKs/­DOAKs ist geeignet, die Entscheidung zugunsten einer verlängerten Antikoagulanzienbehandlung zu beeinflussen.<br />Zur Frage, ob DOAKs/NOAKs auch bei Patienten mit malignen Grunderkrankungen einsetzbar sind, nehmen die Leitlinien (noch) nicht Stellung. In einer Metaanalyse der Subkohorte der Zulassungsstudien mit Malignomen zeigten sich die DOAKs/NOAKs den Coumarinen tendenziell überlegen.<sup>10</sup> Kürzlich wurde die erste prospektiv randomisierte Studie zu diesem Thema vorgestellt: die HOKUSAI-VTE-Cancer-Studie.<sup>11</sup> Sie hat die überlegene Wirksamkeit und nicht unterlegene Sicherheit von Edoxaban im Vergleich zu den Coumarinen bestätigt:<sup>11</sup> Von 522 mit Edoxaban behandelten Patienten erlitten 12,8 % im Vergleich zu 13,5 % der mit Dalteparin behandelten Patienten eine Thromboembolie (p=0,006) und 7,9 % vs. 11,3 % der Patienten eine Rezidivembolie (nicht signifikant). Die Rate schwerer Blutungen war unter Edoxaban mit 6,9 % vs. 4,0 % hingegen nicht signifikant erhöht. Sofern weitere Daten den Vorteil der Behandlung mit DOAKs/NOAKs bestätigen, kann die parenterale LMW-Heparintherapie in Zukunft möglicherweise durch die einfache orale Gabe von DOAKs/NOAKs ersetzt werden.<br />Aufgrund der Gefahr der Akkumulation (insbesondere bei Dabigatran) werden NOAKs/DOAKs bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz nicht empfohlen (ESC-Leitlinien: III A).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1801_Weblinks_s16_2.jpg" alt="" width="1419" height="2165" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> ISTH Steering Committee for World Thrombosis Day: Thrombosis: a major contributor to the global disease ­burden. J Thromb Haemost 2014; 12: 1580-90 <strong>2</strong> Cohen AT et al.: Venous thromboembolism (VTE) in Europe. Thromb Haemost 2007; 98: 756-66 <strong>3</strong> The Task Force for the Dia­gnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology (ESC): Eur Heart J 2014; 35: 3033-80 <strong>4</strong> Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. S2K-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. Gültigkeitsdatum 9. Oktober 2020. AWMF Leitlinien-­Register Nr. 065/002 <strong>5</strong> Palareti G et al.: D-dimer to guide the duration of anticoagulation in patients with venous thromboembolism: a management study. Blood 2014; 124(2): 196-203 <strong>6</strong> Shulman S et al. for the RE-COVER Study Group: Dabigatran versus warfarin in the treatment of acute venous thromboembolism. N Engl J Med 2009; 361: 2342-52 <strong>7</strong> The EINSTEIN Investigators: Oral rivaroxaban for the treatment of symptomatic pulmonary embolism. The EINSTEIN–PE Investigators. N Engl J Med 2010; 363: 2499-510 <strong>8</strong> Agnelli G et al. for the AMPLIFY Investigators: Oral apixaban for the treatment of acute venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 369: 799-808 <strong>9</strong> Hokusai-VTE Investigators: Edoxaban versus warfarin for the treatment of symptomatic venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; doi 10.1056/NEJMoa1306638 <strong>10</strong> Posch F et al.: Treatment of venous thromboembolism in patients with cancer. Thromb Res 2015; 136(3): 582-9. doi: 10.1016/j.thromres.2015.07.011. <strong>11</strong> Raskob GE et al. for the Hokusai VTE Cancer Investigators: Edoxaban for the treatment of cancer-associated venous thromboembolism. N Engl J Med 2017; DOI: 10.1056/NEJMoa1711948</p>
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</p>