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ÖCCO 2017

Cannabis bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen

<p class="article-intro">Die Cannabispflanze (Cannabis sativa, Cannabis indica) wird seit vielen Jahrtausenden als Arzneipflanze eingesetzt, wird aber heutzutage – meist aufgrund ihrer missbräuchlichen Verwendung – als Rauschmittel angesehen. Zu den Inhaltsstoffen der Cannabispflanze zählen über 60 Cannabinoide, wobei als wesentlicher Bestandteil das Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) identifiziert wurde.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Cannabis wird von vielen Patienten mit CED zur Linderung von gastrointestinalen Symptomen verwendet. Es sollte daher im Rahmen des Arzt-Patienten-Gespr&auml;ches nach einem entsprechenden Konsum gefragt werden.</li> <li>Cannabinoide konnten in tierexperimentellen Studien immunmodulatorische Effekte aufweisen. Eine antiinflammatorische Wirkung bei CED konnte jedoch bis dato noch nicht nachgewiesen werden.</li> <li>Trotz des vielf&auml;ltigen Wirkspektrums (Hemmung der GI-Motilit&auml;t bei Diarrh&ouml;, Analgesie bei Bauchschmerzen, appetitanregende Wirkung) kann eine generelle Empfehlung zum Einsatz bei CED aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht ausgesprochen werden.</li> </ul> </div> <p>Neben der bekannten anxiolytischen, sedierenden und appetitanregenden Wirkung hat THC auch ein analgetisches, antiemetisches, antiphlogistisches und muskelrelaxierendes Wirkungsprofil. Zus&auml;tzlich zum antiemetischen und appetitsteigernden Potenzial k&ouml;nnen Cannabinoide die gastrointestinale Motilit&auml;t und Sekretion beeinflussen bzw. vermindern und durch diese Effekte positiv bei Durchfallerkrankungen wirken. In tierexperimentellen Studien konnte weiters eine antiinflammatorische Wirkung u.a. durch eine Hemmung von Zytokinen und Chemokinen gezeigt werden (Abb. 1).<sup>1</sup> Phytocannabinoide (z.B. THC, Cannabidiol) und synthetische Cannabinoide k&ouml;nnen &auml;hnlich wie k&ouml;rpereigene Cannabinoide (Endocannabinoide) &uuml;ber die GProtein- gekoppelten Cannabinoidrezeptoren (CB-1- und CB-2) wirken. CB-1-Rezeptoren finden sich an Neuronen des zentralen, peripheren und enterischen Nervensystems, CB-2-Rezeptoren vorwiegend auf Immunzellen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1704_Weblinks_jatros_infekt_1704_s28_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="818" /></p> <h2>Studiendaten zum Cannabisgebrauch</h2> <p>Symptome wie Durchfall und chronische Bauchschmerzen stellen klassische Beschwerden bei chronisch-entz&uuml;ndlichen Darmerkrankungen (CED) dar. Diese Symptome f&uuml;hren zu einer deutlich reduzierten Lebensqualit&auml;t im oft sehr jungen Patientenkollektiv. In einer gro&szlig;en europ&auml;ischen Fragebogenstudie<sup>2</sup> zeigte sich, dass CEDPatienten sowohl w&auml;hrend eines Krankheitsschubes als auch in Remissionsphasen &uuml;ber Symptome wie Bauchschmerzen, M&uuml;digkeit und Diarrh&ouml; klagen. 28 % der befragten Patienten greifen der Studie zufolge regelm&auml;&szlig;ig zu Schmerzmitteln, weitere 40 % berichten &uuml;ber regelm&auml;&szlig;ige symptomassoziierte Schlafst&ouml;rungen. Zur Therapie derartiger Beschwerden wurde neben konventionellen Analgetika auch der Einsatz von Cannabis bei CED in mehreren Studien untersucht. In einer kanadischen Fragebogenstudie<sup>3</sup> wurden beispielsweise 291 Patienten mit CED zum Cannabisgebrauch befragt. Die H&auml;lfte der Befragten hatte bereits zumindest einmal Cannabis aufgrund von CED-assoziierten Symptomen verwendet. Die Wahrscheinlichkeit f&uuml;r Cannabisgebrauch ist der Studie zufolge bei CED-Patienten mit abdominellen Voroperationen, chronischer Analgetikaeinnahme und/oder alternativmedizinischer Behandlung erh&ouml;ht. In einer prospektiven Kohortenstudie aus den USA<sup>4</sup> zum selbst initiierten Marihuanagebrauch berichteten CED-Patienten &uuml;ber eine Verbesserung von CED-assoziierten Beschwerden wie Bauchschmerzen, Diarrh&ouml;, &Uuml;belkeit und Appetitlosigkeit durch Cannabis.<br /> In einer anderen kanadischen Fragebogenstudie<sup>5</sup> hingegen konnten Hinweise auf m&ouml;gliche negative Effekte von Cannabiskonsum bei CED gefunden werden. Ein aktiver Cannabiskonsum bei M. Crohn war beispielsweise mit einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r einen operativen Eingriff assoziiert, vergleichbar mit dem Risiko bei aktivem Nikotinkonsum. Eine m&ouml;gliche Erkl&auml;rung k&ouml;nnte hier ein Maskieren der Beschwerden bei weiterhin entz&uuml;ndlichen Prozessen im Darm mit konsekutiver Entwicklung von Komplikationen sein, welche in weiterer Folge eine operative Sanierung notwendig macht. Als weitere m&ouml;gliche Ursache wurde ein profibrotischer Effekt von Cannabis diskutiert, welcher bei Morbus Crohn die Bildung von fibrotischen Stenosen beg&uuml;nstigen k&ouml;nnte.<br /> In zwei prospektiven israelischen Studien mit jeweils kleiner Patientenzahl<sup>6, 7</sup> wurde der therapeutische Effekt von inhalativem Cannabis bei CED-Patienten untersucht, wobei eine Besserung der Lebensqualit&auml;t, eine Reduktion der Erkrankungsaktivit&auml;t (in klinischen Scores) und Gewichtszunahme gefunden wurden.<br /> Aufgrund der genannten potenziell immunmodulierenden Wirkung wurde unl&auml;ngst der Einsatz von Cannabidiol in einer kleinen randomisierten, placebokontrollierten Studie<sup>8</sup> untersucht. Es zeigte sich, dass es trotz guten Sicherheitsprofils unter sublingualer Cannabidiolgabe keinen Unterschied in der Wirksamkeit verglichen mit einem Placebo gibt.</p> <h2>Situation in &Ouml;sterreich</h2> <p>In &Ouml;sterreich unterliegt Cannabis den Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes &ndash; der Erwerb wie der Besitz auch von geringen Mengen sind prinzipiell strafbar. Drei synthetisch hergestellte Cannabinoide sind derzeit in &Ouml;sterreich zugelassen: Dronabinol<sup>&reg;</sup> (z.B. f&uuml;r chronische Schmerzen), Canemes<sup>&reg;</sup> (bei Chemotherapie-induzierter Nausea und Emesis) und Sativex<sup>&reg;</sup> (bei therapierefrakt&auml;ren Spasmen bei Multipler Sklerose).<br /> Grunds&auml;tzlich sollten Cannabinoidpr&auml;parate einschleichend bis zum Erreichen einer individuellen Wirkdosis titriert werden. Dadurch kann das Auftreten von unerw&uuml;nschten Nebenwirkungen wie M&uuml;digkeit, Schwindel, Tachykardie, Hypotension und psychotischen Reaktionen signifikant verringert werden. Obwohl viele CED-Patienten zur Symptomlinderung auf Cannabis zur&uuml;ckgreifen, gibt es bis dato keine klinischen Studien, die anhand von endoskopischen oder Biomarker-Outcomeparametern eine Wirkung untersucht bzw. best&auml;tigt haben. Fragen nach der optimalen Art der Einnahme (inhalativ, oral) und Substanz (&Delta;9-THC-Monotherapie oder in Kombination mit Cannabidiol) sowie Dosis und H&auml;ufigkeit der Einnahme k&ouml;nnen mit dem aktuellen Wissenstand nicht ausreichend beantwortet werden. Daher gibt es bis zum positiven Abschluss entsprechender Studien keine Empfehlung zum Einsatz von Cannabinoiden bei Patienten mit CED. Ratsam ist es dennoch, Patienten im Rahmen des Anamnesegespr&auml;ches nach einem entsprechenden Substanzgebrauch zu fragen und gegebenenfalls &uuml;ber m&ouml;gliche Wirkungen und Nebenwirkungen aufzukl&auml;ren.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ahmed W, Katz S: Gastroenterology and Hepatology 2016; 12(11): 668-9 <strong>2</strong> L&ouml;nnfors S et al.: J Crohns Colitis. 2014; 8(10): 1281-6. doi: 10.1016/j.crohns.2014.03.005 <strong>3</strong> Lal S et al.: Eur J Gastroenterol Hepatol 2011 Oct;23(10): 891-6. doi: 10.1097/MEG.0b013e328349bb4c <strong>4</strong> Ravikoff Allegretti J et al.: Inflamm Bowel Dis 2013; 19(13): 2809-14. doi: 10.1097/01.MIB.0000435851.94391.37 <strong>5</strong> Storr et al.: IBD 2014; 20(3):472-80. doi: 10.1097/01.MIB.0000440982. 79036.d6 <strong>6</strong> Lahat A et al.: Digestion 2012; 85(1): 1-8. doi: 10.1159/000332079 <strong>7</strong> Naftali T et al.: Clin Gastroenterol Hepatol 2013 Oct; 11(10): 1276-1280.e1. doi: 10.1016/j.cgh. 2013.04.034 <strong>8</strong> Naftali T et al.: Dig Dis Sci 2017; 62(6): 1615-20. doi: 10.1007/s10620-017-4540-z</p> </div> </p>
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