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Familiäre Hypercholesterinämie und koronare Herzkrankheit

<p class="article-intro">Familiäre Hypercholesterinämie führt bei Betroffenen in Richtung einer koronaren Herzerkrankung. Diese tritt darüber hinaus auch früher im Leben auf. Studien in den vergangenen Jahren haben ergeben, dass die Prävalenz der familiären Hypercholesterinämie häufiger ist als früher angenommen. Positiv ist zu vermerken, dass sich die Therapieoptionen in den letzten Jahren verbessert haben – sie müssen aber auch genützt werden. Daran ist im Sinne der Patienten noch zu arbeiten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die famili&auml;re Hypercholesterin&auml;mie (FH) ist die h&auml;ufigste autosomal-dominant vererbte Erkrankung und gekennzeichnet durch erh&ouml;hte Cholesterinspiegel von Geburt an.<sup>1</sup> Die Pr&auml;valenz in der Normalbev&ouml;lkerung f&uuml;r Patienten mit heterozygoter Auspr&auml;gung (HeFH) wird mit ca. 1:200 und f&uuml;r Patienten mit homozygoter Auspr&auml;gung (HoFH) mit 1:300 000 angenommen.<sup>2, 3</sup> Urs&auml;chlich sind Mutationen im LDLR(&bdquo;Low density lipoprotein&ldquo;-Rezeptor)- Gen, APOB(Apolipoprotein B)-Gen oder PCSK9(Proprotein Convertase Subtilisin/ Kexin 9)-Gen.<sup>4, 5</sup> Mehrheitlich finden sich &bdquo;Loss of function&ldquo;-Mutationen im LDLR-Gen, welche eine verminderte Aktivit&auml;t des LDLR an der Oberfl&auml;che der Hepatozyten verursachen und folglich eine verminderte Aufnahme von LDL-C (&bdquo;Low density lipoprotein&ldquo;-Cholesterin) in die Leber.<sup>6</sup> &bdquo;Loss of function&ldquo;-Mutationen im APOB-Gen ver&auml;ndern die Bindung von APO-B an LDLR, &bdquo;Gain of function&ldquo;-Mutationen im PCSK9-Gen f&uuml;hren &uuml;ber erh&ouml;hten Abbau zu niedrigeren Raten von LDLR an der Zelloberfl&auml;che der Hepatozyten.<sup>6</sup> Alle Mutationen f&uuml;hren in weiterer Folge zu erh&ouml;hten LDL-C-Spiegeln im Blut. <br /> Patienten mit HoFH erkranken ohne entsprechende Therapie &uuml;blicherweise bereits vor Erreichen des Erwachsenenalters an kardiovaskul&auml;ren Folgekrankheiten, Patienten mit HeFH im fr&uuml;hen bis mittleren Erwachsenenalter.<sup>1, 7</sup> Durch den Einsatz von Statinen (&plusmn; Ezetimib) und den modernen PCSK9-Hemmern best&uuml;nden aber potente Therapiem&ouml;glichkeiten f&uuml;r die wirksame LDL-C-Senkung unter die vorgegebenen Zielbereiche, um so das Fortschreiten der Arteriosklerose zu verlangsamen. Trotz des erh&ouml;hten kardiovaskul&auml;ren Risikos werden viele Patienten, vor allem Patienten mit HeFH, aber erst bei Auftreten von kardiovaskul&auml;ren Ereignissen diagnostiziert.<sup>1</sup></p> <h2>Diagnostik der famili&auml;ren Hypercholesterin&auml;mie</h2> <p>Zur Identifizierung von Patienten mit FH stehen verschiedene Algorithmen zur Verf&uuml;gung. Diese beruhen auf einfachen klinischen Merkmalen. Die DLCN-Klassifizierung (Dutch Lipid Clinic Network) ist der bekannteste und umfassendste aller Algorithmen und wird von der Europ&auml;ischen Gesellschaft f&uuml;r Kardiologie (ESC) und der Europ&auml;ischen Gesellschaft f&uuml;r Atherosklerose (EAS) empfohlen (Tab. 1).<sup>1, 8</sup> Anhand des LDL-C-Spiegels, klinischer Zeichen der Lipidakkumulation (Arcus cornealis und Xanthoma tendinosum), vorzeitiger Erkrankung an kardiovaskul&auml;ren Folgekrankheiten und der Familienanamnese werden die Patienten klassifiziert: Eine Erkrankung ist unwahrscheinlich bei 0&ndash;2 Punkten, m&ouml;glich bei 3&ndash;5, wahrscheinlich bei 6&ndash;8 und Patienten mit mehr als 8 Punkten erf&uuml;llen die klinische Definition der FH.<sup>8</sup> Andere vereinfachte Algorithmen sind die Simon-Broome-Klassifizierung und die AHA(American Heart Association)- Klassifizierung.<sup>9, 10</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1705_Weblinks_s16_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1122" /></p> <h2>Pr&auml;valenz von Patienten mit FH bei KHK</h2> <p>Die Pr&auml;valenz der FH bei Patienten mit KHK war Gegenstand rezenter Forschung und in verschiedenen Studien je nach Altersklasse bis zu 20-fach gegen&uuml;ber der Normalbev&ouml;lkerung erh&ouml;ht: Im Schweizer SPUM-ACS-Register (Special Program University Medicine-Acute Coronary Syndromes) mit 4778 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (&bdquo;acute coronary syndrome&ldquo;, ACS) erreichten 1,6 % der Patienten =6 Punkte gem&auml;&szlig; den DLCN-Kriterien, 4,8 % bei den Patienten mit fr&uuml;hzeitiger KHK (M&auml;nner &lt;55, Frauen &lt;60).<sup>11</sup> In der sehr gro&szlig;en EUROASPIRE-IV-Kohorte mit 7044 Patienten mit KHK erreichten 8,3 % der Patienten =6 Punkte gem&auml;&szlig; den DLCN-Kriterien, 15,4 % bei Patienten &lt;60 Jahren.<sup>12</sup> In einer griechischen Kohorte mit 320 Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt j&uuml;nger als 35 Jahre erreichten sogar 20,3 % =6 Punkte.<sup>13</sup></p> <h2>Therapie und Versorgungsqualit&auml;t bei Patienten mit FH und KHK</h2> <p>Patienten mit FH stellen eine Hochrisikokohorte in Bezug auf fr&uuml;hzeitige und rekurrente kardiovaskul&auml;re Ereignisse dar. In diesem Sinne ist neben einem gesunden Lebensstil eine strikte medikament&ouml;se Lipidsenkung, in der Prim&auml;r- und auch Sekund&auml;rpr&auml;vention, indiziert. Patienten mit FH sollten prim&auml;r hochpotente Statine in maximal tolerierter Dosierung (Atorvastatin 40&ndash;80mg, Rosuvastatin 20&ndash;40mg) verschrieben werden und bei Nichterreichen der Lipidziele um Ezetimib erg&auml;nzt werden.<sup>1</sup> Rezente Daten aus dem SPUMACS- Register zeigen aber, dass selbst bei Patienten nach ACS nur 70 % der Patienten mit hochpotenten Statinen entlassen wurden und nach 1 Jahr nur mehr 65 % der Patienten unter dieser Therapie standen.<sup>11</sup> Andere Lipidsenker wurden kaum verschrieben. Als Hauptursache dieser relativ niedrigen Raten werden von den Autoren Unvertr&auml;glichkeiten gegen&uuml;ber Statinen vermutet. Auch zeigen diese Daten, dass im niedergelassenen Bereich die vom Krankenhaus etablierten Therapien kaum adaptiert und intensiviert werden, was sich mit ern&uuml;chternden Zahlen niederschl&auml;gt &ndash; lediglich 4,6 % der Patienten mit =6 Punkten nach DLCN hatten nach 1 Jahr das Therapieziel eines LDL-Wertes &lt;70mg/dl erreicht, nur 36,4 % erreichten LDL-Werte &lt;100mg/dl.<sup>11</sup><br /> Seit Kurzem stehen im Falle des Nichterreichens des Therapieziels zudem die modernen PCSK9-Inhibitoren Alirocumab und Evolocumab zur Verf&uuml;gung. Unter dieser Therapie ist eine zus&auml;tzliche LDLSenkung um 50&ndash;70 % m&ouml;glich.<sup>14</sup> Auch zeigte die k&uuml;rzlich publizierte FOURIEROutcome- Studie, dass die Zugabe von Evolocumab zur Standardtherapie mit Statinen die Rate an kardiovaskul&auml;ren Ereignissen signifikant reduzierte.<sup>15</sup> Insgesamt wurden 27 564 Patienten in diese randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie eingeschlossen und im Durchschnitt 2,2 Jahre nachverfolgt. Patienten unter Evolocumab hatten eine um 15 % geringere Wahrscheinlichkeit, den prim&auml;ren Endpunkt (kardiovaskul&auml;rer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris, koronare Revaskularisation), und eine um 20 % geringere Wahrscheinlichkeit, den sekund&auml;ren Endpunkt (kardiovaskul&auml;rer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) zu erleiden. Die LDL-C-Werte sanken in dieser Studie von 92mg/dl auf 30mg/dl unter der Therapie mit Evolocumab.<br /><br /> Die Ergebnisse der ODYSSEY-Outcomes- Studie (&bdquo;The Long-term Safety and Tolerability of Alirocumab in High Cardiovascular Risk Patients with Hypercholesterolemia Not Adequately Controlled with Their Lipid Modifying Therapy&ldquo;) betreffend Alirocumab und die Reduktion kardiovaskul&auml;rer Ereignisse mit ca. 18 000 Patienten werden n&auml;chstes Jahr erwartet.<sup>16</sup></p> <h2>Prognose von Patienten mit FH und KHK</h2> <p>Eine Beobachtungsstudie aus Gro&szlig;britannien &uuml;ber 8,5 Jahre mit 2146 FH-Patienten ohne bekannte KHK konnte zeigen, dass eine fr&uuml;hzeitige Therapie mit Statinen das Risiko f&uuml;r zuk&uuml;nftige kardiovaskul&auml;re Erkrankungen um 80 % senken kann, dieses war damit dem Risiko der damaligen Normalbev&ouml;lkerung &auml;hnlich.<sup>17</sup><br /><br /> Zur Prognose von Patienten mit bekannter KHK und FH unter Therapie mit hochpotenten Statinen in maximal tolerierter Dosierung existieren derzeit kaum aktuelle Studiendaten. Einzig das bereits erw&auml;hnte Schweizer SPUM-ACS-Register verfolgte 4534 Patienten nach ACS f&uuml;r ein Jahr nach: Trotz des breiteren kardiovaskul&auml;ren Risikoprofils der Patienten mit unwahrscheinlicher FH (0&ndash;2 Punkte) hatten Patienten mit wahrscheinlicher/definitiver FH (=6 Punkte) je nach Diagnoseklassifizierung eine 3&ndash;3,5-fach erh&ouml;hte Wahrscheinlichkeit f&uuml;r ein erneutes kardiovaskul&auml;res Ereignis (Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall), wie in Abbildung 1 dargestellt.<sup>18</sup><br /><br /> Diese Daten implizieren die Notwendigkeit einer rigorosen Sekund&auml;rpr&auml;vention hinsichtlich der lipidsenkenden Therapie mit enger &auml;rztlicher Anbindung bei Patienten mit FH. Eine initiale Therapie mit hochpotenten Statinen, wenn n&ouml;tig in Kombination mit Ezetimib, und fr&uuml;hzeitigen LDL-C-Kontrollbestimmungen ist angezeigt, um bei Nichterreichen der Zielwerte eine Therapie mit PCSK9-Inhibitoren initiieren zu k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1705_Weblinks_s16_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="2257" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>FH ist mit fr&uuml;hzeitiger KHK assoziiert. Die Pr&auml;valenz von FH bei Patienten mit KHK ist je nach Altersklasse bis zu 20-fach gegen&uuml;ber der Normalbev&ouml;lkerung erh&ouml;ht.<br /> Patienten mit FH und KHK erreichen in weniger als 5 % der F&auml;lle die vorgegebenen Lipidzielwerte. Eine rigorose lipidsenkende Therapie mit hochpotenten Statinen in maximal tolerierter Dosis, gefolgt von einer Kombinationstherapie mit Ezetimib und in der Folge &ndash; bei Nichterreichen der Zielwerte &ndash; der Zugabe von PCSK9-Inhibitoren, ist erforderlich, um kardiovaskul&auml;re Probleme hintanzuhalten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Nordestgaard BG et al.: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: Consensus Statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J 2013; 34: 3478-90 <strong>2</strong> Sjouke B et al.: Homozygous autosomal dominant hypercholesterolaemia in the Netherlands: prevalence, genotype-phenotype relationship, and clinical outcome. Eur Heart J 2015; 36: 560-5 <strong>3</strong> Benn M et al.: Mutations causative of familial hypercholesterolaemia: screening of 98 098 individuals from the Copenhagen General Population Study estimated a prevalence of 1 in 217. Eur Heart J 2016; 37: 1384-94 <strong>4</strong> Brown MS, Goldstein JL: Familial hypercholesterolemia: a genetic defect in the low-density lipoprotein receptor. N Engl J Med 1976; 294: 1386-90 <strong>5</strong> Varret M et al.: Genetic heterogeneity of autosomal dominant hypercholesterolemia. Clin Genet 2008; 73: 1-13 <strong>6</strong> Goldberg AC et al.: Familial hypercholesterolemia: screening, diagnosis and management of pediatric and adult patients: clinical guidance from the National Lipid Association Expert Panel on Familial Hypercholesterolemia. J Clin Lipidol 2011; 5: S1-S8 <strong>7</strong> Wiegman A et al.: Familial hypercholesterolaemia in children and adolescents: gaining decades of life by optimizing detection and treatment. Eur Heart J 2015; 36: 2425-37 <strong>8</strong> WHO Human Genetics Programme. Familial hypercholesterolaemia (FH): report of a second WHO consultation, Geneva, 4 September 1998, http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/66346/1/WHO_ HGN_FH_CONS_99.2.pdf <strong>9</strong> Gidding SS et al.: The Agenda for Familial Hypercholesterolemia: a Scientific Statement from the American Heart Association. Circulation 2015; 132: 2167-92 <strong>10</strong> Scientific Steering Committee on behalf of the Simon Broome Register Group: Risk of fatal coronary heart disease in familial hypercholesterolaemia. BMJ 1991; 303: 893-6 <strong>11</strong> Nanchen D et al.: Prevalence and management of familial hypercholesterolaemia in patients with acute coronary syndromes. Eur Heart J 2015; 36: 2438-45 <strong>12</strong> De Backer G et al.; EUROASPIRE Investigators: Prevalence and management of familial hypercholesterolaemia in coronary patients: an analysis of EUROASPIRE IV, a study of the European Society of Cardiology. Atherosclerosis 2015; 241: 169-75 <strong>13</strong> Rallidis LS et al.: Prevalence of heterozygous familial hypercholesterolaemia and its impact on long-term prognosis in patients with very early ST-segment elevation myocardial infarction in the era of statins. Atherosclerosis 2016; 249: 17-21 <strong>14</strong> Catapano AL et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias. Eur Heart J 2016; 37: 2999-3058 <strong>15</strong> Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713-22 <strong>16</strong> Schwartz GG et al.: Effect of alirocumab, a monoclonal antibody to PCSK9, on long-term cardiovascular outcomes following acute coronary syndromes: rationale and design of the ODYSSEY Outcomes trial. Am Heart J 2014; 168: 682-9 <strong>17</strong> Versmissen J et al.: Efficacy of statins in familial hypercholesterolaemia: a long term cohort study. BMJ 2008; 337: a2423 <strong>18</strong> Nanchen D et al.: Prognosis of patients with familial hypercholesterolemia after acute coronary syndromes. Circulation 2016; 134: 698-709</p> </div> </p>
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