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Differenzialdiagnose der Parkinsonkrankheit in fortgeschrittenen Stadien

<p class="article-intro">Apparativ unterstützte Therapien sind bei Parkinsonkrankheit nur für diejenigen Patienten zugelassen, die konventionell nicht ausreichend behandelbar sind. Eine unzureichende Therapieantwort ist charakteristisch für die Mehrzahl atypischer Parkinsonsyndrome und diese können infolge eines Therapieversagens mit fortgeschrittener Parkinsonkrankheit verwechselt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Basis von Therapieentscheidungen ist die richtige Diagnose, diese kann bei Parkinsonsyndromen schwierig sein.</li> <li>In den letzten Jahren wurden neue Subtypen atypischer Parkinsonsyndrome entdeckt, der Verlauf der &bdquo;typischen&ldquo; atypischen Parkinsonsyndrome detaillierter charakterisiert und der differenzialdiagnostische Nutzen von v.a. bildgebenden Hilfsuntersuchungen evaluiert.</li> <li>Weiterhin steht die klinische Diagnostik vor der apparativen.</li> <li>Die Differenzialdiagnose ist besonders wichtig vor invasiven apparategest&uuml;tzten Therapieentscheidungen f&uuml;r Patienten mit Parkinsonkrankheit.</li> </ul> </div> <p>In der Therapie der motorischen Symptome in der fr&uuml;h und mittelgradig fortgeschrittenen Phase der Parkinsonkrankheit kommen in erster Linie orale MAO-BHemmer (Rasagilin, Selegilin) sowie dopaminerge Substanzen (Levodopa ohne oder in Kombination mit COMT-Hemmern, orale und transdermale Dopaminagonisten) zum Einsatz. Nehmen die motorischen Fluktuationen und Nebenwirkungen einer ausgewogenen und h&ouml;her dosierten dopaminergen Therapie zu (in erster Linie Dyskinesien, auch autonome und psychische Nebenwirkungen) und l&auml;sst sich mittels oraler und transdermaler Therapiekombinationen kein stabiler motorischer Effekt erreichen, werden apparativ gest&uuml;tzte (teil-)invasive Therapieverfahren angewendet (Duodopa-Pumpe, Apomorphin- Pen oder Pumpe, tiefe Hirnstimulation). Da Patienten gegen&uuml;ber solchen Therapien h&auml;ufig Bedenken anmelden und sich nur schwer daf&uuml;r entscheiden k&ouml;nnen, empfiehlt sich eine fr&uuml;he Aufkl&auml;rung &uuml;ber Zweck, Nutzen und Nachteile derartiger Therapieeskalationen. Apparativ unterst&uuml;tzte Therapien sind nur f&uuml;r Patienten geeignet, die an idiopathischer oder famili&auml;rer Parkinsonkrankheit leiden.<br /> In fortgeschrittenen Stadien kann die Differenzierung zu atypischen und sekund&auml;ren Parkinsonsyndromen schwierig sein, da</p> <ol> <li>atypische oder sekund&auml;re Parkinsonsyndrome sich klinisch oft nicht eindeutig von der Parkinsonkrankheit unterscheiden lassen,</li> <li>ein Nachlassen einer dopaminergen Therapie bei atypischen Parkinsonsyndromen unter Umst&auml;nden erst Jahre nach einem vorerst einigerma&szlig;en befriedigenden Therapieansprechen festgestellt wird und</li> <li>bildgebende Biomarker atypischer Parkinsonsyndrome (MRI, SPECT, PET) f&uuml;r die Differenzialdiagnose wenig sensitiv und spezifisch sein k&ouml;nnen, v.a. bei Routineuntersuchungen ohne quantitative bildanalytische Auswertung sowie bei einigen in den letzten Jahren entdeckten selteneren Unterformen atypischer Parkinsonsyndrome, die der Parkinsonkrankheit &auml;hnlich sein k&ouml;nnen.</li> </ol> <h2>Atypische Parkinsonsyndrome, die mit fortgeschrittener Parkinsonkrankheit verwechselt werden k&ouml;nnen</h2> <p><strong>Multisystematrophie (MSA)</strong><br /> Bei der MSA vom Parkinson-Subtyp (MSA-P)<sup>1, 2</sup> dominieren meist Akinese und Rigor gegen&uuml;ber Tremor. Die Optomotorik unterscheidet sich nicht von der PK, die motorische Symptomatik kann ebenso asymmetrisch sein. Unter dopaminerger Therapie kann es bei der MSA-P zu Dyskinesien und Dystonien kommen, vor allem im Gesichts- und Halsbereich, auch an Extremit&auml;ten oder generalisiert.<sup>3</sup> MSA-PPatienten k&ouml;nnen &uuml;ber einige Jahre auf eine dopaminerge Therapie motorisch ansprechen, werden dann aber zunehmend L-Dopa-resistent. Die MSA-P-typischen St&ouml;rungen des autonomen Nervensystems, wie orthostatische Hypotonie, Obstipation und neurogene Reizblase, k&ouml;nnen auch bei der PK deutlich ausgepr&auml;gt sein, ebenso eine erektile Funktionsst&ouml;rung. Ein Versagen des M. sphincter vesicae und des M. sphincter ani externus ist jedoch f&uuml;r die MSA-P und nicht f&uuml;r die PK typisch. Parkinson- wie MSA-Patienten leiden oft an REM-Schlaf-Verhaltensst&ouml;rungen (lebhafte, bedrohliche Tr&auml;ume mit Ausagieren der Trauminhalte). MSA-P-Patienten k&ouml;nnen leichte neurokognitive St&ouml;rungen aufweisen, eine Demenz kommt nur in Ausnahmef&auml;llen vor. Typisch f&uuml;r die MSA-P im Vergleich zur PK sind schwerere Sprechst&ouml;rungen, schwere Schluckst&ouml;rungen, Gewichtsverlust und ein inspiratorischer Stridor. Die MSA vom zerebell&auml;ren Subtyp (MSA-C) zeigt zerebell&auml;re Symptome, wie sie f&uuml;r die PK untypisch sind.</p> <p><strong>Progressive supranukle&auml;re Parese (PSP)</strong><br /> Fr&uuml;he St&uuml;rze (innerhalb der ersten wenigen Jahre, v.a. nach hinten) sind Kernsymptom bei der Mehrzahl der PSP-Patienten. Wie Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben, gibt es eine Reihe von klinischen Subtypen der PSP. Zwei davon, der Parkinson-Subtyp (PSP-P) und der &bdquo;Primary akinesia with gait freezing (PAGF)&ldquo;-Subtyp, haben &uuml;ber Jahre gro&szlig;e &Auml;hnlichkeiten mit der PK; unter Umst&auml;nden kann der klassische Typ, der Richardson- Subtyp (supranukle&auml;re Blickparese, rigid-hypokinetisches Parkinsonsyndrom, St&uuml;rze, Dysarthrie), aufgrund der begleitenden kognitiven St&ouml;rung mit der Parkinsondemenz oder der Lewy-K&ouml;rperchen- Demenz verwechselt werden.<sup>4, 5</sup> Im ersteren Fall (PSP-P) bestehen klinisch kaum Unterschiede zur PK, es k&ouml;nnen auch eine Asymmetrie und ein Ruhetremor (auch Aktionstremor) vorhanden sein, bevor sich eine PSP-typische supranukle&auml;re Blickparese, St&uuml;rze, v.a. aufgrund von Retropulsion, Dominanz des Nackenrigors, das Versagen einer dopaminergen Therapie, eine schwere Dysarthrie und Dysphagie sowie ein frontal akzentuiertes demenzielles Syndrom entwickeln.<sup>6</sup> Beim PAGFSubtyp sind Gangblockaden beim Weggehen und Unterbrechungen des meist kleinschrittigen Gehens sowie eine stockende, hastige, dysarthrische, palilalische Sprache, Phonationsst&ouml;rungen und Schreibblockaden ohne Extremit&auml;tenrigor typisch. In den ersten Jahren finden sich keine supranukle&auml;re Blickparese und auch keine wesentlichen kognitiven Ver&auml;nderungen oder Verhaltensauff&auml;lligkeiten. PAGF-Patienten sprechen schon fr&uuml;h schlecht oder nicht auf eine dopaminerge Therapie an und st&uuml;rzen h&auml;ufig. Rezent beschriebene weitere Subtypen der PSP mit unterschiedlicher Progression und Prognose sind ein zerebell&auml;rer Subtyp, die prim&auml;re progressive, nicht fl&uuml;ssige agrammatische Aphasie oder Subtypen mit vorwiegend zerebell&auml;rer, okulomotorischer oder demenzieller Symptomatik.<sup>7, 8</sup></p> <p><strong>Kortikobasales Syndrom (CBS)</strong><br /> Das CBS, dem verschiedene Pathologien zugrunde liegen k&ouml;nnen (z.B. kortikobasale Degeneration, progressive supranukle&auml;re Parese, Alzheimerkrankheit, Lewy- K&ouml;rperchen-Krankheit), beginnt in der Regel mit einer halbseitigen Hypokinese und Feinmotorikminderung und einer Dystonie, &ouml;fter an der oberen als an der unteren Extremit&auml;t, die gegen dopaminerge Therapie weitgehend resistent sind.<sup>9</sup> Zus&auml;tzlich ist h&auml;ufig ein Aktionstremor zu beobachten. Das Syndrom ist dann mitunter von einer rigid-hypokinetisch ausgepr&auml;gten, halbseitig betonten PK schwer zu unterscheiden. Die Therapieresistenz, eine begleitende gliedkinetische und ideomotorische Apraxie, eine kortikale Sensibilit&auml;tsst&ouml;rung sowie eine stockende, dysarthrische Sprache und bisweilen auch das syndromtypische &bdquo;alien limb sign&ldquo; (unwillk&uuml;rliche Bewegungen einer Extremit&auml;t, die beabsichtigte Bewegungen st&ouml;ren, mit Entfremdungsgef&uuml;hl der Gliedma&szlig;e) sind von differenzialdiagnostischer Relevanz. CBS-Patienten entwickeln h&auml;ufig eine frontal akzentuierte Demenz mit Verhaltensst&ouml;rungen, visuell-r&auml;umliche St&ouml;rungen, &ouml;fters eine supranukle&auml;re Blickparese, st&uuml;rzen und verletzen sich oft, sind vergleichbar mit PSP-Patienten oft uneinsichtig gegen&uuml;ber der dringenden Empfehlung, nicht unbeaufsichtigt aufzustehen oder zu gehen.</p> <p><strong>Sekund&auml;re Parkinsonsyndrome</strong><br /> Erw&auml;hnenswert sind Parkinson-&auml;hnliche Krankheitsbilder aufgrund eines Normaldruckhydrozephalus, einer schweren subkortikalen vaskul&auml;ren Enzephalopathie, einer antidopaminergen Medikation (v.a. klassische Neuroleptika, Metoclopamid) als Folge von Sch&auml;del-Hirn-Verletzungen, Hirntumor, HIV-Enzephalopathie und Metall-Stoffwechselerkrankungen (z.B. M. Wilson, Mangan-Intoxikation) und Parkinsonsyndrome im Rahmen genetisch bedingter Bewegungserkrankungen (z.B. spinozerebell&auml;re Ataxien, M. Huntington). Schlie&szlig;lich wird die PK immer wieder mit essenziellem Tremor, der auch asymmetrisch sein kann, oder mit einem psychogenen Parkinsonsyndrom verwechselt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Gilman et al.: Neurology 2008; 71: 670-6 <strong>2</strong> Fanciulli A, Wenning G: NEJM 2015; 372: 249-63 <strong>3</strong> Boesch S et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2002; 72: 300-3 <strong>4</strong> McKeith I et al.: Neurology 2017; 89: 88-100 <strong>5</strong> Dubois B et al.: Mov Disord 2007; 22: 2314-24 <strong>6</strong> Williams D, Lees A: Lancet Neurology 2009; 8: 270-9 <strong>7</strong> H&ouml;glinger GU et al.: Mov Disord 2017; 32: 853-64 <strong>8</strong> Respondek G et al.: Mov Disord 2014; 29: 1758-66 <strong>9</strong> Armstrong MJ et al.: Neurology 2013; 80: 496-503</p> </div> </p>
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