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Strahlentherapie bei Hirnmetastasen

<p class="article-intro">Bei ca. 20 % aller Patienten mit Malignomen treten im Verlauf der Erkrankung Hirnmetastasen auf. Das Risiko ist am höchsten bei Patienten mit einem Bronchus- oder Mammakarzinom, gefolgt von Patienten mit Melanomen, Nierenzellkarzinomen und gastrointestinalen Tumoren. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die therapeutischen M&ouml;glichkeiten bestanden bis vor wenigen Jahren aus systemischer Therapie und/oder Ganzhirnbestrahlung. Aktuell wurden diese M&ouml;glichkeiten durch technische Errungenschaften in der Strahlentherapie (stereotaktische Bestrahlung) und durch neue systemische Therapien (Tyrosinkinaseinhibitoren) bei histologischen Untergruppen, z.B. beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC), erweitert. So sollte aktuell die Therapieentscheidung von mehreren Faktoren abh&auml;ngig sein: Gesamtprognose, Alter, kontrollierte Systemerkrankung, Karnofsky-Performance-Status und Histologie.<br />Hierbei ist bemerkenswert, dass durch die rasante Entwicklung der Therapieoptionen und fehlende Vergleichsstudien eine evidenzbasierte Behandlung (Integration individueller klinischer Expertise mit der besten verf&uuml;gbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung unter Einschluss der Patientenpr&auml;ferenz) nicht durchf&uuml;hrbar ist. Auch wenn aktuell nicht vom &Ouml;SG gefordert (speziell da keine Neuerkrankung), sollte die Therapieplanung interdisziplin&auml;r besprochen werden!<br />In diesem Artikel soll Aktuelles aus dem Bereich der Strahlentherapie vorgestellt und diskutiert werden:</p> <h2>Toxizit&auml;t einer Strahlentherapie</h2> <p>Die Nebenwirkungen der Strahlentherapie bei Ganzhirnbestrahlung (WBRT) oder auch stereotaktischer Bestrahlung werden sehr h&auml;ufig als sehr einschneidend und belastend beschrieben. Dass die Strahlentherapie zu Nebeneffekten f&uuml;hrt, ist sicherlich unbestritten. Andererseits beschreiben Phase-III-Studien im direkten Vergleich von WBRT vs. keine WBRT bis auf Haarausfall und Fatigue keine eindeutigen Unterschiede, speziell in Bezug auf neurologische Nebenwirkungen.<sup>1,&nbsp;2</sup><br />F&uuml;r die WBRT bei Hirnmetastasen kann insgesamt das Risiko neurologischer Nebenwirkungen, im Besonderen neurokognitiver Defizite, nur sehr schwer abgesch&auml;tzt und objektiviert werden, da ein Mischeffekt zwischen Strahlentherapie-, medikamenten- und tumorbedingten Ver&auml;nderungen vorliegt.</p> <h2>Hippocampus</h2> <p>Die WBRT kann Therapiefolgen hervorrufen, die ma&szlig;geblich die Lebensqualit&auml;t der betroffenen Patienten beeintr&auml;chtigt. Hierbei steht ein Abfall der neurokognitiven Funktionen h&auml;ufig im Mittelpunkt. In der Hippocampusregion sind wesentliche Funktionen des Arbeitsged&auml;chtnisses sowie neurogene Stammzellen, die prinzipiell eine Neuroregeneration und damit eine Erholung der neurokognitiven Funktion erlauben, verankert. So spielen wahrscheinlich die Beeintr&auml;chtigungen der hippocampalen neurogenen Stammzellen durch Ganzhirnbestrahlung eine wesentliche Rolle bei Einschr&auml;nkungen der Ged&auml;chtnisfunktion durch Strahlentherapie. Das Prinzip der Ganzhirnbestrahlung mit selektiver konformaler Schonung des Hippocampus war in der RTOG-0933-Studie so ausgerichtet, dass radiosensitive, ged&auml;chtnisspezifische neurale Stammzellkompartimente geschont werden sollten. Die Ergebnisse best&auml;tigten, dass eine Schonung mit Erhalt der Ged&auml;chtnisfunktion und der Lebensqualit&auml;t erreicht werden kann. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sind m&ouml;glicherweise wegweisend f&uuml;r zuk&uuml;nftige Bestrahlungskonzepte bzw. Behandlungsstandards. Gegenw&auml;rtig kann eine Hippocampusschonung noch nicht als Standard bei einer Ganzhirnbestrahlung wegen Hirnmetastasen empfohlen werden. In der klinischen Routine bedeuten diese Erkenntnisse aber, dass bei der Durchf&uuml;hrung einer Strahlentherapie im Sch&auml;delbereich zumindest die Hippocampusregion und deren Schonung angedacht werden sollten.<sup>3, 4</sup><br />Bedacht werden muss, dass auch Chemotherapeutika solche Nebenwirkungen bewirken k&ouml;nnen und es nur wenig Information &uuml;ber m&ouml;gliche Interaktionen gibt.<sup>5</sup></p> <h2>Strahlentherapie vs. medikament&ouml;se Therapie</h2> <p>Speziell in der Therapie von Hirnmetastasen des Mammakarzinoms und des NSCLC werden bei zentralen Metastasen vermehrt Therapieversuche durch die Gabe von Medikamenten unternommen. Hierbei handelt es sich meist um Auswertungen mit kleinen Fallzahlen (&lt;20), zus&auml;tzlichen &ndash; teilweise ungeplanten &ndash; Subgruppenanalysen und unterschiedlichen Einschlusskriterien. Allein das Merkmal &bdquo;zentral wirksam&ldquo; scheint manchmal f&uuml;r eine Verabreichung des Medikaments ausreichend zu sein. In der klinischen Routine kommen z.B. beim zentral metastasierten Mammakarzinom oder NSCLC Medikamente als Alternative zur Strahlentherapie zur Anwendung, ohne dass prospektive Vergleiche zwischen den Therapiemodalit&auml;ten vorliegen. Die Begr&uuml;ndung sind h&auml;ufig die deutlichen Nebenwirkungen der Strahlentherapie und die geringen Nebenwirkungen (&bdquo;wenn nicht sogar fast keine&ldquo;) der neuen Medikamente. Eine objektive Betrachtung der Nebenwirkungen beider Therapieoptionen ist auch aufgrund der unterschiedlichen Nebenwirkungsspektren fast nicht m&ouml;glich. Wir sollten nicht vergessen, dass lange Nachbeobachtungszeiten notwendig sind, um Nebenwirkungen, z.B. auf die kognitiven Funktionen, zu erfassen oder auszuschlie&szlig;en.<sup>6</sup> Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, diese Patienten zumindest in Registerstudien zu erfassen, um sp&auml;ter bei ausreichender Anzahl an Patienten Aussagen zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen t&auml;tigen zu k&ouml;nnen.<br />An dieser Stelle soll unmissverst&auml;ndlich darauf hingewiesen werden, dass diese Patienten interdisziplin&auml;r besprochen werden m&uuml;ssen und bei bis zu 3&ndash;5 Metastasen eine lokale Therapie einer systemischen Therapie vorzuziehen ist. Wird eine medikament&ouml;se Therapie eingeleitet, speziell bei 3&ndash;5 zentralen Metastasen, sollte in regelm&auml;&szlig;igen Abst&auml;nden (&lt;3 Monate) ein diagnostisches MRT durchgef&uuml;hrt werden, um den entscheidenden Zeitpunkt des Beginns einer lokalen Therapie nicht zu verpassen.</p> <h2>WBRT vs. stereotaktische Bestrahlung</h2> <p>Bei der fraktionierten stereotaktischen Strahlentherapie mittels Linearbeschleuniger werden Zielpunkte im K&ouml;rper des Patienten mit einer Genauigkeit von wenigen Millimetern definiert und nach dreidimensionaler computergest&uuml;tzter Bestrahlungsplanung punktgenau aus mehreren Raumrichtungen bestrahlt. Im Zielvolumen treffen sich alle Strahlen und addieren sich nur hier zur Gesamtdosis. Dadurch besteht einerseits die M&ouml;glichkeit, umliegendes Gewebe zu schonen, aber andererseits kann auch eine Dosiserh&ouml;hung vorgenommen werden, die die Wahrscheinlichkeit erh&ouml;ht, dass die Tumorzellen vernichtet werden.<br />Es gibt Hinweise aus retrospektiven und prospektiven Studien sowie Metaanalysen, dass die stereotaktische Bestrahlung weniger neurologische Nebenwirkungen aufweist, wobei die Kombination aus WBRT plus stereotaktischer Bestrahlung einen Vorteil bez&uuml;glich lokaler Kontrolle und der Entwicklung neuer Metastasen bietet.</p> <h2>Bestrahlung multipler Metastasen</h2> <p>Eine prospektive Non-inferior-Studie verglich bei Patienten mit nicht resezierbaren und nicht stereotaktisch bestrahlbaren Metastasen die WBRT mit Kortisongabe und optimierter supportiver Therapie.<sup>7</sup> In Hinblick auf &Uuml;berleben und Quality of Life konnte die Strahlentherapie keinen Vorteil zeigen. In der Interpretation weisen die Autoren auf einen geringen, aber vorhandenen Unterschied zugunsten der Strahlentherapie hin. Dies bedeutet f&uuml;r die klinische Routine, dass durch interdisziplin&auml;re Besprechung und Anwendung objektiver Kriterien (Alter, KPS, Krankheitsverlauf) jene Patienten herauszufiltern sind, die m&ouml;glicherweise von einer WBRT profitieren.</p> <div id="fazit" class="Kasten-umflie-end"> <h2>Fazit</h2> <ul> <li>Patienten mit Hirnmetastasen sollten interdisziplin&auml;r besprochen werden.</li> <li>Bei bis zu 3&ndash;5 Metastasen sollte eine lokale Therapie einer systemischen Therapie vorgezogen werden.</li> <li>Sollte bei 3&ndash;5 Metastasen eine systemische Therapie den Vorzug erhalten, so sollten in kurzen Abst&auml;nden diagnostische Kontrollen durchgef&uuml;hrt werden.</li> <li>Bei multiplen Metastasen ist die WBRT abh&auml;ngig von Faktoren wie Prognose, KPS, Alter etc.</li> <li>Bei der Strahlentherapie sollte die Hippocampusregion in der Planung Beachtung finden.</li> <li>Patienten sollten in Registerstudien gef&uuml;hrt werden, nur so gehen Informationen &uuml;ber Erfolg und Nebenwirkungen nicht verloren.</li> <li>Vergleiche zwischen Therapiem&ouml;glichkeiten sollten nur durchgef&uuml;hrt werden, wenn bei allen Therapieoptionen die gleichen Parameter bei gleicher Beobachtungszeit vorliegen. Aussagen wie &bdquo;Eines ist gut, das andere schlecht&ldquo; sollten nicht auf Einzelberichten basieren, sondern vergleichende Studien als Grundlage haben.</li> </ul> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Slotman BJ et al.: Prophylactic cranial irradiation in extensive disease small-cell lung cancer: short-term health-related quality of life and patient reported symptoms &ndash; results of an international phase III randomized controlled trial by the EORTC radiation oncology and lung cancer groups. J Clin Oncol 2009; 27(1): 78-84 <strong>2</strong> Takahashi T et al.: Prophylactic cranial irradiation versus observation in patients with extensive-disease small-cell lung cancer: a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2017; 18(5): 663-71 <strong>3</strong> Gondi V et al.: Preservation of memory with conformal avoidance of the hippocampal neural stem-cell compartment during whole-brain radiotherapy for brain metastases (RTOG 0933): a phase II multi-institutional trial. J Clin Oncol 2014; 32(34): 3810-6 <strong>4</strong>&nbsp;Kortmann RD: Schutz des Ged&auml;chtnisses durch konformale Aussparung des hippocampalen neuronalen Stammzellenkompartments w&auml;hrend der Ganzhirnbestahlung von Hirnmetastasen? Strahlenther Onkol 2015; 191: 534-5 <strong>5</strong> Dietrich J et al.: Chemotherapy, cognitive impairment and hippocampal toxicity. Neuroscience 2015; 19: 224-32 <strong>6</strong> Dietrich J et al.: Clinical patterns and biological correlates of cognitive dysfunction associated with cancer therapy. Oncologist 2008; 13(12): 1285-95 <strong>7</strong> Mulvenna P et al.: Dexamethasone and supportive care with or without whole brain radiotherapy in treating patients with non-small cell lung cancer with brain metastases unsuitable for resection or stereotactic radiotherapy (QUARTZ): results from a phase 3, non-inferiority, randomised trial. Lancet 2016; 388(10055): 2004-14</p> </div> </p>
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